120275.fb2 10 SCIENCE FICTION KRIMINALGESCHICHTEN - читать онлайн бесплатно полную версию книги . Страница 5

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4. In der Atmosphärenkammer

Wie alle Männer, die Mitarbeiter des großen Llewes waren, hatte Edmund Farley den Punkt erreicht, an dem er sich vorstellte, welches Vergnügen es ihm bereiten würde, eben diesen großen Llewes zu ermorden. Außenstehende wären nicht imstande gewesen, dieses Gefühl zu begreifen; dazu mußte man Llewes aus der Nähe erlebt haben. Llewes der Große, wie ihn manche Kollegen hinter seinem Rücken nannten, verkörperte das Idealbild eines Forschers für die breite Masse der Zeitungsleser: hartnäckig und brillant zugleich, niemals entmutigt und nie um neue Ideen verlegen. Llewes war der Chemiker, der das Sonnensystem in den Dienst seiner Wissenschaft gestellt hatte. Er war darauf gekommen, den Mond für umfangreiche Vakuumreaktionen zu benützen, die in eisiger Kälte oder hohen Temperaturen abliefen, wenn der Punkt auf der Mondoberfläche entsprechend gewählt war. Die Fotochemie verdankte ihm bedeutende Neuentwicklungen und wertvolle Impulse.

Aber Llewes war trotzdem nicht der große Wissenschaftler, für den ihn die Welt hielt. Ein unbekannter Student war zuerst auf die Idee gekommen, Reaktionen auf dem Mond ablaufen zu lassen: ein anonymer Techniker hatte den ersten funktionierenden Reaktor zur Verwendung im All konstruiert. Beide Ideen wurden jetzt allgemein Llewes zugeschrieben. Dagegen war nichts auszurichten. Ein Mitarbeiter, der wütend kündigte, erhielt eine schlechte Beurteilung und hatte Schwierigkeiten, einen anderen Job zu finden. Sein Wort galt nichts, wenn Llewes das Gegenteil behauptete. Wer es jedoch einige Zeit bei Llewes aushielt und schließlich in Gnaden entlassen wurde, hatte seine berufliche Zukunft gesichert. Aber solange die jungen Wissenschaftler bei Llewes blieben, gönnten sie sich wenigstens das Vergnügen, heimlich über ihn herzuziehen. Und Edmund Farley hatte allen Grund, sich ihnen anzuschließen. Er war eben erst von Titan, dem größten Satelliten des Saturn, zurückgekehrt und hatte dort - nur von Robotern unterstützt - Geräte aufgebaut, die zur Ausnützung der Titanatmosphäre dienten. Die Atmosphäre der großen Planeten wie Jupiter und Saturn bestand aus Wasserstoff und Methan; diese beiden Planeten waren jedoch zu groß, und Uranus und Neptun waren zu weit entfernt. Titan eignete sich besser; der Planet war groß und kalt genug, um eine ziemlich dichte Wasserstoff-Methan-Atmosphäre zu haben. In dieser Wasserstoffatmosphäre waren Reaktionen größeren Ausmaßes möglich, die auf der Erde kinetisch schwierig gewesen wären. Farley hatte es ein halbes Jahr lang auf Titan ausgehalten und war mit verblüffenden Erkenntnissen zurückgekehrt. Aber schon nach kurzer Zeit merkte er deutlich, daß Llewes sich die Früchte seiner mühsamen Arbeit aneignete. Die anderen drückten ihr Bedauern aus, zuckten mit den Schultern und versuchten ihn mit dem Hinweis zu trösten, daß es anderen nicht besser ergangen sei. Aber Farley schüttelte nur verbissen den Kopf und hörte aufmerksam zu, wenn seine Kollegen wilde Pläne schmiedeten. Jim Gorham drückte sich am deutlichsten aus. Farley fand ihn ziemlich unsympathisch, denn Gorham war ein >Vakuum-Mann<, der die Erde nie verlassen hatte.

»Llewes ist leicht zu ermorden, weil er ein Gewohnheitsmensch ist«, behauptete Gorham. »Auf ihn kann man sich verlassen. Denken Sie nur daran, wie er zu Mittag ißt: Er schließt sein Büro um zwölf Uhr ab und öffnet die Tür um Punkt eins. In der Zwischenzeit betritt kein anderer das Büro, so daß das Gift gut wirken kann.« »Gift?« fragte Belinsky zweifelnd.

»Natürlich. Hier gibt es schließlich genug von jeder Sorte. Okay? Llewes ißt ein Sandwich mit viel Meerrettich. Das weiß jeder, denn wir müssen den Geruch nachmittags aushalten und wissen noch, wie Llewes letztes Jahr getobt hat, als es in der Kantine keinen Meerrettich gab. Außer ihm ißt niemand dieses Zeug - wir können uns also darauf verlassen, daß nur Llewes vergiftet wird... «

Für die anderen war dies ein grimmiger Scherz, aber Farley nahm die Sache ernst.

Er beschloß, Llewes zu ermorden.

Dieser Gedanke verfolgte ihn Tag und Nacht. Er stellte sich immer wieder vor, wie schön es sein würde, wenn Llewes tot war, so daß seine Arbeit die Anerkennung fand, die ihr gebührte. Schließlich wollte er nicht umsonst auf Titan gehungert und gefroren haben.

Aber er mußte sichergehen, daß sein Mordanschlag nur Llewes traf, ohne anderen zu schaden. Diese Überlegung führte automatisch zu Llewes' Atmosphärenkammer. Der lange, niedrige Raum lag außerhalb der eigentlichen Labors hinter meterdicken Betonwänden und feuerfesten Türen. Niemand betrat ihn ohne Llewes' Erlaubnis und ohne seine Begleitung, obwohl der Raum nicht einmal verschlossen war. Aber Llewes hatte einen Zettel mit den Worten EINTRITT VERBOTEN und seiner Unterschrift an die Tür geklebt, und dieser Zettel war wirksamer als jedes Schloß... nur in diesem einen Fall nicht.

Aber was ließ sich in der Atmosphärenkammer tun? Llewes arbeitete routiniert und vorsichtig; er überließ nichts dem Zufall. Deshalb war zu erwarten, daß ihm jede Veränderung an den Apparaten auffallen würde. Feuer? Die Kammer enthielt mehr als genug brennbare Materialien, aber Llewes war Nichtraucher und würde sich hüten, einen Brand fahrlässig zu verursachen.

Farley dachte ungeduldig über den Mann nach, an dem er sich rächen wollte; er stellte sich vor, wie der Dieb mit seinen kleinen Tanks spielte, die Wasserstoff und Methan enthielten, während Farley Kubikkilometer dieser Gase benützt hatte. Llewes arbeitete mit kleinen Tanks und wurde berühmt; Farley arbeitete mit Kubikkilometern und blieb unbekannt. Alle diese kleinen Gastanks; jeder hatte eine andere Farbe; jeder enthielt eine andere Atmosphäre. Wasserstoff in roten Zylindern, Methan in rot-weiß gestreiften Zylindern - eine Mischung aus beiden ergab die Atmosphäre der äußeren Planeten. Stickstoff aus braunen Zylindern und Kohlenstoffdioxyd aus silbernen ergab die Atmosphäre der Venus. Druckluft aus gelben Zylindern und reiner Sauerstoff aus grünen vereinigten sich zur Erdatmosphäre. Ein bunter Regenbogen, dessen Farben durch jahrhundertelangen Gebrauch bestimmt wurden.

Dann hatte er den Einfall. Er kam plötzlich auf diese Idee, ohne lange nachzudenken. Nun wußte er, was er zu tun hatte.

Farley wartete fünf Wochen lang auf den achtzehnten September, den Tag der Raumfahrt. An diesem Tag wurde der erste bemannte Raumflug gefeiert, und selbst Llewes würde mitfeiern, denn dieses Datum war für jeden Wissenschaftler besonders erfreulich.

Farley betrat das Zentrallabor für organische Chemie, um die offizielle Bezeichnung zu erwähnen, in dieser Nacht, ohne gesehen zu werden. Die Labors waren weder Banken noch Museen; hier gab es keine Kostbarkeiten zu stehlen, und die Nachtwächter versahen ihren Dienst, ohne ernsthaft an Einbrecher zu denken.

Farley schloß die große Tür des Haupteingangs vorsichtig hinter sich und schlich durch dunkle Korridore zur Atmosphärenkammer. Seine Ausrüstung bestand aus einer Taschenlampe, einem Glas, das mit schwarzem Pulver gefüllt war, und einem dünnen Pinsel, den er vor drei Wochen in einem Farbengeschäft am anderen Ende der Stadt gekauft hatte. Er trug Handschuhe.

Die größte Schwierigkeit bestand darin, die Atmosphärenkammer allein zu betreten. Llewes' striktes Verbot behinderte ihn mehr als die Überlegung, daß er im Begriff war, einen Mord vorzubereiten. Sobald dieses abstrakte Hindernis jedoch überwunden war, das nur in seinen Gedanken existierte, war alles andere leicht.

Er schaltete die Taschenlampe ein und ging ohne zu zögern auf den richtigen Zylinder zu. Sein Herz schlug so laut, daß er kaum noch etwas anderes hörte, sein Atem ging schneller, seine Hände zitterten. Er klemmte sich die Taschenlampe unter den linken Arm und tauchte die Pinselspitze in den schwarzen Staub. Winzige Körner blieben am Pinsel hängen, und Farley berührte damit das Ventil des Zylinders. Es dauerte endlos lange Sekunden, bis die Pinselspitze an der Ventilöffnung verschwand.

Farley bewegte sich vorsichtig, tauchte den Pinsel nochmals in das schwarze Pulver und brachte ihn wieder an die Ventilöffnung. Dieser Vorgang wiederholte sich mehrmals, bis Farley der Schweiß auf der Stirn stand.

Schließlich machte er ein Papiertaschentuch mit Speichel naß und begann den äußeren Rand der Ventilöffnung damit zu säubern. Er atmete erleichtert auf; die Arbeit war getan, und er würde jetzt verschwinden.

Aber dann erstarrte er förmlich. Die Angst jagte ihm einen kalten Schauer über den Rücken. Die Taschenlampe fiel polternd zu Boden.

Narr! Unglaublicher Narr! Was hast du dir eigentlich dabei gedacht?

In seiner Aufregung und Unsicherheit hatte er den falschen Zylinder erwischt!

Er hob die Taschenlampe auf, schaltete sie aus und horchte mit klopfendem Herzen nach draußen, wo sich die Schritte eines Nachtwächters nähern würden.

Als jedoch alles ruhig blieb, gewann er einen Teil seiner Selbstbeherrschung zurück und konzentrierte sich auf den Gedanken, daß der gleiche Vorgang beliebig wiederholbar war. Wenn er den falschen Zylinder behandelt hatte, brauchte er nur zwei Minuten, um auch noch den richtigen zu präparieren. Pinsel und Pulver wurden erneut benützt. Wenigstens hatte er das Glas mit dem schwarzen Staub nicht fallen lassen; der tödliche, brennende Staub war noch reichlich vorhanden. Und diesmal behandelte er den richtigen Zylinder damit.

Dann wischte er mit zitternden Händen die Ventilöffnung dieses Zylinders sauber. Seine Taschenlampe bewegte sich suchend und beleuchtete endlich eine große Flasche Toluol. Das würde genügen. Er schraubte den Verschluß auf, goß einen Teil des Lösungsmittels auf den Boden und ließ die Flasche offen.

Dann stolperte er wie ein Schlafwandler aus dem Gebäude und erreichte endlich die Pension, in der er wohnte. Soviel er beurteilen konnte, war er unterwegs nicht gesehen worden.

Er warf das Taschentuch, mit dem er die Ventilöffnungen abgewischt hatte, in den Müllschlucker. Dort löste es sich eine Sekunde später in seine Moleküle auf. Der Pinsel verschwand auf gleiche Weise. Das Glas mit dem schwarzen Pulver war nicht so leicht zu beseitigen; dazu hätte er die Einstellung des Brenners verändern müssen, was er nicht zu tun wagte. Aber er würde morgen zu Fuß ins Labor gehen, was er oft tat, und das Glas von der GrandStreet-Brücke werfen...

Farley betrachtete sich am nächsten Morgen im Spiegel und fragte sich, ob er es überhaupt wagen konnte, heute ins Labor zu gehen. Das war ein müßiger Gedanke; er durfte nicht wagen, etwa nicht zu gehen. Er durfte nichts tun oder unterlassen, was an diesem Tag aller Tage die Aufmerksamkeit anderer auf ihn lenken konnte.

Er bemühte sich verzweifelt, die vielen belanglosen Dinge zu tun, die unter normalen Umständen den größten Teil des Tages einnehmen. Es war ein sonniger Morgen, und er ging zu Fuß ins Labor. Auf der großen Brücke genügte eine rasche Handbewegung, um das Glas mit dem schwarzen Pulver loszuwerden. Es tauchte fast ohne Spritzer ein, füllte sich mit Wasser und sank.

Später saß Farley an seinem Schreibtisch und starrte mit gerunzelter Stirn seinen Handcomputer an. Würde sein Plan gelingen, nachdem er alle Vorbereitungen getroffen hatte? Llewes würde den Toluolgeruch vielleicht ignorieren. Warum auch nicht? Der Geruch war unangenehm, aber nicht abstoßend. Chemiker waren daran gewöhnt.

Falls Llewes sich noch immer mit dem Verfahren beschäftigte, das Farley auf Titan entwickelt hatte, würde der Gaszylinder sofort wieder benützt werden. Es gab keine andere Möglichkeit. Llewes hatte einen freien Tag gehabt und würde sich jetzt auf seine Arbeit stürzen.

Sobald das Ventil geöffnet wurde, strömte etwas Gas aus und verwandelte sich in eine Flammenzunge. Falls inzwischen genug Toluol verdampft war, mußte sich die Explosion fast augenblicklich ereignen...

Farley befaßte sich so intensiv mit diesem Gedanken, daß er das dumpfe Dröhnen in der Ferne für ein Erzeugnis seiner eigenen Phantasie hielt, bis draußen Schritte ertönten. Dann stürzte jemand an ihm vorbei.

Farley schrak auf und rief mit heiserer Stimme: »Was... was...«

»Weiß ich nicht«, antwortete sein Kollege. »Irgend etwas in der Atmosphärenkammer. Eine Explosion. Alles zertrümmert.«

Männer mit Feuerlöschern bekämpften die Flammen, während andere Llewes, der schwere Brandwunden und Knochenbrüche erlitten hatte, aus den Trümmern bargen. Er gab zunächst noch schwache Lebenszeichen von sich und starb wenig später, bevor der erste Arzt am Unfallort eintraf.

Edmund Farley stand am äußersten Rand der schweigsamen Gruppe von Männern außerhalb der Atmosphärenkammer. Seine Blässe und die großen Schweißperlen auf seiner Stirn gaben ihn nicht preis, denn die anderen sahen ähnlich aus. Dann schwankte er in sein Arbeitszimmer zurück. Jetzt konnte er sich übergeben. Niemand würde sich darüber wundern. Aber seine Selbstbeherrschung verließ ihn nicht. Er brachte es irgendwie fertig, den Tag leidlich zu überstehen, und gegen Abend schien die Bürde, die auf seinen Schultern lastete, etwas leichter zu werden. Unfall war schließlich Unfall, nicht wahr? Alle Chemiker mußten mit einem gewissen Berufsrisiko rechnen, wenn sie mit brennbaren Stoffen umgingen. Daran konnte niemand zweifeln.

Und wie sollte der Verdacht auf Edmund Farley fallen, wenn jemand mißtrauisch wurde? Er brauchte nur wie gewohnt seine Arbeit zu tun, als sei nie etwas passiert.

Nichts? Großer Gott, jetzt würde er endlich die Früchte seiner Arbeit auf Titan ernten können. Er würde ein berühmter Mann werden. Die Bürde wurde noch leichter, und Edmund Farley schlief in dieser Nacht ohne Alpträume.

Jim Gorham war in den letzten vierundzwanzig Stunden etwas aus dem Leim gegangen. Sein blondes Haar war strähnig, und er hätte sich unbedingt rasieren müssen.

»Wir haben alle davon gesprochen, ihn zu ermorden«, sagte er.

Seton H. Davenport vom FBI klopfte rhythmisch mit einem Finger auf die Schreibtischplatte und betrachtete sein Gegenüber nachdenklich. Dann hörte er auf zu klopfen und beugte sich interessiert vor.

»Ernsthaft?« fragte er.

»Nein«, antwortete Gorham und schüttelte heftig den Kopf. »Ich glaube nicht, daß die Diskussionen ernst gemeint waren. Wir haben über verrückte Pläne gesprochen: vergiftete Sandwiches, Säure auf den Hubschrauber und so weiter. Trotzdem muß irgend jemand die Sache doch ernst genommen haben... Dieser Verrückte! Warum nur?«

»Soviel ich bisher von Ihnen gehört habe, gibt es nur einen möglichen Grund«, antwortete Davenport. »Der Tote hat angeblich seine Mitarbeiter um die Früchte ihrer eigenen Arbeit betrogen.«

»Und wenn schon!« rief Gorham. »Das war eben der Preis für seine Tätigkeit. Hören Sie, Llewes hat das Team zusammengehalten; er hat ihm neue Impulse gegeben. Llewes hat sich mit Abgeordneten herumgeschlagen und Regierungsaufträge hereingeholt. Er hat die Erlaubnis erkämpft, Forschungsarbeiten im Raum durchführen und seine Männer überall hinschicken zu dürfen. Er hat die Industrie dazu gebracht, unsere Arbeit jährlich mit einigen Millionen Dollar zu unterstützen. Er hat die Zentrallabors überhaupt erst organisiert.«

»Ist Ihnen das alles erst jetzt eingefallen?« fragte Davenport mit einem spöttischen Lächeln.

»Nein«, antwortete Gorham leise. »Ich habe es schon immer gewußt, aber was hätte ich sonst tun sollen? Ich bin noch nie an Bord eines Raumschiffs gewesen und habe mir alle möglichen Ausreden einfallen lassen, um nicht mit einem fliegen zu müssen. Ich habe mit dem Vakuum gearbeitet, ohne jemals auch nur auf dem Mond gewesen zu sein. Ich habe Angst gehabt, aber ich hatte noch mehr Angst davor, daß es die anderen merken würden, wie sehr ich mich fürchtete.«

»Und jetzt wollen Sie einen Sündenbock finden?« fragte Davenport. »Sie wollen dem toten Llewes gegenüber wiedergutmachen, was Sie ihm zu Lebzeiten angetan haben?«

»Nein! Lassen Sie die Psychiatrie aus dem Spiel! Ich sage Ihnen, es ist Mord. Es muß einer sein. Sie haben Llewes nicht gekannt. Der Mann war ein wahrer Sicherheitsfanatiker. Eine Explosion in seiner Umgebung ist undenkbar - es sei denn, sie wäre absichtlich verursacht worden.« Davenport zuckte mit den Schultern. »Was ist explodiert, Doktor Gorham?« »Es hätte fast alles sein können«, antwortete der Chemiker. »Er hat viel mit brennbaren Kohlenwasserstoffen gearbeitet.«

»Aber soviel ich mich aus der Schule erinnere, Doktor Gorham, sind diese Stoffe nicht bei Zimmertemperatur entzündbar. Irgend etwas muß Wärme oder einen Funken erzeugt haben.« »Nun, es hat allerdings gebrannt...« »Wie ist das passiert?«

»Das kann ich mir nicht vorstellen. In der Atmosphärenkammer hat es weder Bunsenbrenner noch Zündhölzer gegeben. Sämtliche elektrischen Geräte waren funkengeschützte Spezialanfertigungen. Sogar Klemmen und andere Vorrichtungen bestanden aus Bronze, um jede Möglichkeit einer Funkenbildung auszuschalten. Llewes war Nichtraucher und hätte jeden auf der Stelle entlassen, der mit einer brennenden Zigarette in die Nähe der Kammer gekommen wäre.«

»Womit war er zuletzt beschäftigt? Mit welchen Geräten ist er zuletzt umgegangen?«

»Schwer zu sagen. Die ganze Einrichtung ist zertrümmert worden.« »Ist inzwischen wieder alles aufgeräumt?«

»Nein«, antwortete Gorham sofort. »Ich habe dafür gesorgt, daß nichts verändert wurde. Schließlich müssen wir die Unfallursache feststellen, damit uns niemand Fahrlässigkeit vorwerfen kann. Das würde einen schlechten Eindruck in der Öffentlichkeit hinterlassen, wissen Sie. Jedenfalls ist dort nichts verändert worden.«

Davenport nickte zufrieden. »Schön, sehen wir uns die Kammer einmal an.« Als sie zwischen den rauchgeschwärzten Wänden standen, fragte er: »Was ist hier am gefährlichsten?«

Gorham sah sich um. »Die Sauerstoffflaschen«, antwortete er und deutete auf sie.

Davenport betrachtete nachdenklich die verschiedenfarbigen Zylinder in ihren Wandhalterungen, in denen sie von einer Kette festgehalten wurden. Einige Zylinder waren umgekippt und hingen schräg nach vorn an der Kette. »Und wie steht es damit?« fragte Davenport. Er stieß einen roten Zylinder an, der vor ihm auf dem Boden lag. Der Zylinder war schwer und bewegte sich nicht.

»Für Wasserstoff«, erklärte Gorham ihm. »Wasserstoff ist explosiv, nicht wahr?« »Richtig - wenn er erhitzt wird.«

»Weshalb behaupten Sie dann, der Sauerstoff sei am gefährlichsten?« wollte Davenport wissen. »Sauerstoff explodiert doch nicht, oder?« »Nein. Er brennt nicht einmal, aber er fördert jede Verbrennung.« »Und?«

»Nun, für alles weitere gibt es mehrere Möglichkeiten.« Gorham sprach jetzt lebhafter; er war wieder der Wissenschaftler, der einem Laien etwas erklären konnte. »Manchmal kann es zum Beispiel vorkommen, daß jemand versehentlich den Ventilsitz einfettet, bevor er das Ventil in den Zylinder schraubt. Dadurch soll eine bessere Abdichtung gewährleistet werden, wissen Sie. Oder das Ventil wird aus Versehen mit etwas Brennbarem bestrichen. Öffnet man dann das Ventil, strömt der Sauerstoff aus und bringt dieses Zeug zur Explosion, wodurch unweigerlich das Ventil abreißt. Dann wird der restliche Sauerstoff plötzlich frei, treibt die Flasche wie eine Miniaturrakete vor sich her und kann eine Bresche in die nächste Wand schlagen; die bei dieser Explosion entstehende Hitze würde andere brennbare Flüssigkeiten in der Nähe entzünden.« »Sind die hier lagernden Sauerstoffflaschen intakt?« »Ja«, antwortete Gorham.

Davenport gab der Wasserstoffflasche vor sich einen Tritt. »Das Manometer an diesem Zylinder zeigt keinen Druck mehr an. Das bedeutet doch vermutlich, daß dieser Zylinder zum Zeitpunkt der Explosion benützt wurde, nicht wahr? Später hat er sich dann entleert.«

Gorham nickte. »Ja, das ist wahrscheinlich.«

»Explodiert Wasserstoff, wenn man das Ventil einfettet?«

»Bestimmt nicht.«

Davenport rieb sich das Kinn. »Gibt es eine Möglichkeit - außer einem Funken -, Wasserstoff zu entzünden?«

»Irgendein Katalysator«, murmelte Gorham. »Platinpulver wäre am besten -metallisches Platin, das durch Reduktion oder als Niederschlag aus Lösungen gewonnen wird.«

Davenport hob ruckartig den Kopf. »Haben Sie das Zeug hier?« »Selbstverständlich«, antwortete Gorham. »Es ist ein schwarzes Pulver, das als Katalysator verwendet wird. Ziemlich teuer, aber im Labor unersetzbar.« Er schwieg und starrte die Wasserstoffflasche an. »Platinpulver«, murmelte er schließlich. »Ob das...«

»Platinpulver würde also Wasserstoff entzünden?« fragte Davenport. »Natürlich! Unter seiner Einwirkung verbinden sich Wasserstoff und Sauerstoff bei Zimmertemperatur. Jegliche Wärmezufuhr ist überflüssig, aber die Explosion würde trotzdem die gleiche Wirkung erzielen.« Gorham ließ sich neben der leeren Wasserstoffflasche nieder und berührte das Ventil mit dem Zeigefinger. Das schwarze Zeug konnte Ruß sein; es konnte aber auch...

Er stand langsam auf. »Ich kann mir jetzt vorstellen, was passiert sein muß, Sir. Am besten sammle ich gleich alles Material vom Ventil und analysiere es mit dem Spektrographen.« »Wie lange dauert das?« »Knapp fünfzehn Minuten.«

Gorham kam nach zwanzig Minuten zurück. Davenport hatte inzwischen den zertrümmerten Raum genau durchsucht. Er sah auf, als der Chemiker hereinkam. »Nun?« fragte er.

»Es ist da«, antwortete Gorham triumphierend. »Nicht viel, aber es ist da.« Er hielt ein Filmnegativ gegen das Licht. Auf dem Film zeigten sich drei weiße Parallelen in unregelmäßigen Abständen und unterschiedlicher Helligkeit. »Das meiste Material hat nichts damit zu tun, aber diese Linien hier... «

Davenport kniff die Augen zusammen. »Wirklich sehr schwach. Würden Sie auch beschwören, daß Platin zu finden war?« »Ja«, antwortete Gorham.

»Würde ein anderer Chemiker den gleichen Eid leisten? Könnte die Verteidigung einen Sachverständigen hinzuziehen, ohne daß wir befürchten müßten, daß der Fachmann dieses angebliche Beweismittel ablehnt?« Gorham schwieg.

Davenport zuckte mit den Schultern.

»Aber es ist da!« rief der Chemiker aus. »Das ausströmende Gas und die Explosion haben natürlich den größten Teil fortgeblasen. Sie können nicht erwarten, daß viel mehr zurückbleibt. Sehen Sie das nicht ein?« Davenport nickte langsam. »Ich sehe alles ein, Doktor Gorham. Ich gebe zu, daß es sich in diesem Fall höchstwahrscheinlich um einen Mord handelt. Deswegen müssen wir einen besseren Beweis finden. Glauben Sie, daß nur dieser Zylinder präpariert worden ist?« »Das weiß ich nicht.«

»Dann müssen wir zunächst sämtliche anderen Zylinder in dieser Kammer überprüfen lassen. Und alle Geräte, denn der Mörder könnte weitere Fallen gestellt haben. Das muß gründlich überprüft werden.«

»Ich fange gleich an und...«, begann Gorham eifrig.

»Äh... nicht Sie, Doktor Gorham«, warf Davenport ein. »Ich schicke einen unserer Chemiker her.«

Am nächsten Morgen saß Gorham wieder in Davenports Büro. Diesmal war er benachrichtigt worden, daß der Inspektor ihn zu sprechen wünschte. »Es war Mord«, sagte Davenport ohne lange Einleitung. »Ein zweiter Zylinder ist ähnlich präpariert worden.« »Sehen Sie!«

»Ein Sauerstoffzylinder. Wir haben Platinpulver im Ventil gefunden. Sogar ziemlich viel.«

»Platinpulver? In der Sauerstoffflasche?«

Davenport nickte. »Ganz recht, Doktor Gorham. Können Sie sich einen Grund dafür vorstellen?«

Gorham schüttelte den Kopf. »Sauerstoff brennt nicht und läßt sich nicht entzünden. Auch Platinpulver hilft nichts.«

»Folglich muß der Mörder in der Aufregung zunächst den falschen Zylinder erwischt haben. Vermutlich hat er seinen Fehler anschließend bemerkt und ihn korrigiert - aber trotzdem hat er den Beweis dafür zurückgelassen, daß es sich nicht um einen Unfall, sondern um einen Mord handelt.« »Richtig«, stimmte Gorham zu. »Jetzt brauchen Sie nur noch den richtigen Mann zu finden.«

Davenport runzelte die Stirn; dann lächelte er. »Nur, Doktor Graham? Wie stellen Sie sich das vor? Unser Mann hat leider vergessen, seine Visitenkarte abzugeben. Dutzende von Chemikern dieses Labors hätten ein Motiv gehabt, Llewes zu ermorden; mindestens fünfzig besitzen die zur Durchführung des Verbrechens erforderlichen Kenntnisse und hätten vor allem Gelegenheit zur Ausführung gehabt. Gibt es eine Möglichkeit, nachträglich zu kontrollieren, wer sich Platinpulver verschafft haben könnte?«

»Nein«, antwortete Gorham zögernd. »In den Labors steht genügend davon herum, fürchte ich.« Er runzelte die Stirn. »Wie steht es mit Alibis?« »Für welche Zeit?« »Für die Nacht vorher.«

Davenport schüttelte den Kopf. »Können Sie mir sagen, wann Doktor Llewes den bewußten Sauerstoffzylinder zuletzt benützt hat? Oder wann er die Wasserstoffflasche zuletzt benützt hat, bevor sie präpariert wurde?« »Das... das weiß ich nicht. Er hat allein gearbeitet. Er wollte niemand in seiner Nähe haben. Dadurch wollte er verhindern, daß jemand seine Erfindungen stahl.«

»Ja, ich weiß. Wir haben selbst einige Untersuchungen angestellt. Das Platinpulver kann sich folglich bereits eine Woche lang am Ventil des Zylinders befunden haben.«

»Was sollen wir jetzt tun?« fragte Gorham entmutigt. »Meiner Meinung nach können wir nur an einer Stelle einhaken«, antwortete Davenport. »Denken Sie an das Platinpulver am Ventil der Sauerstoffflasche. Die Erklärung dieses Rätsels ist vielleicht schon die Lösung unseres Problems. Aber ich bin kein Chemiker, deshalb müssen Sie mir helfen. Wenn es überhaupt eine Antwort gibt, sind Sie der Mann, der sie finden müßte. Könnte das Ganze ein Irrtum sein - könnte der Mörder die beiden Zylinder verwechselt haben?«

Gorham schüttelte sofort nachdrücklich den Kopf. »Nein«, antwortete er. »Jeder Chemiker kennt die Farben. Eine grüne Flasche enthält Sauerstoff; in einer roten muß Wasserstoff sein.«

»Kann unser Mann nicht einfach farbenblind gewesen sein?« Diesmal ließ Gorham sich mehr Zeit mit seiner Antwort. »Nein«, sagte er schließlich. »Farbenblinde Chemiker sind eine große Ausnahme. Bei vielen chemischen Reaktionen spielen farbliche Veränderungen eine große Rolle. Wir haben ständig mit Farben zu tun. Und wenn jemand in unserem Labor farbenblind wäre, hätte er in irgendeiner Beziehung solche Schwierigkeiten, daß die anderen davon hören müßten.« Davenport nickte. Er spielte geistesabwesend mit einem Bleistift. »Gut, einverstanden. Nehmen wir einmal an, der Sauerstoffzylinder sei nicht aus Zufall oder Unwissenheit so behandelt worden - könnte dann eine Absicht dahinterstecken? Was halten Sie davon?« »Das verstehe ich nicht, Inspektor.« Gorham schüttelte den Kopf. »Vielleicht hat der Mörder einen durchaus logischen Plan verfolgt, als er den Sauerstoffzylinder präpariert hat. Vielleicht hat er diesen Plan erst später abgeändert, weil ihm etwas eingefallen ist. Gibt es Verhältnisse, unter denen Platinpulver in Gegenwart von Sauerstoff gefährlich reagieren würde? Irgendwelche Verhältnisse oder Umweltbedingungen?« Gorham runzelte verblüfft die Stirn. »Nein, ich wüßte nicht, was... Hmmm, vielleicht auf diese Weise, aber...« »Aber was?«

»Nun, die Idee ist eigentlich lächerlich, aber wenn man das Sauerstoffventil in einen mit Wasserstoff gefüllten Behälter stecken würde, wäre Platinpulver am Ventil gefährlich.«

»Nehmen wir einmal an«, sagte Davenport, »unser Mörder habe den Raum mit Wasserstoffgas füllen wollen, um die Explosion hervorzurufen, sobald das Sauerstoffventil geöffnet wurde.«

Gorham lächelte leicht. »Aber warum hätte er sich mit einer Wasserstoffatmosphäre abgeben sollen, wenn...« Das Lächeln verschwand, und Gorham wurde blaß. »Farley!« rief er.

»Wer?« fragte Davenport scharf. »Was meinen Sie damit?«

»Farley war kürzlich ein halbes Jahr auf Titan«, sagte Gorham aufgeregt.

»Titan hat eine Wasserstoff-Methan-Atmosphäre. Er ist der einzige Chemiker bei uns, der Erfahrungen mit dieser Atmosphäre hat. Jetzt verstehe ich alles! Auf Titan verbindet sich ein Sauerstoffstrahl unter Einfluß von Wärme oder Platinpulver mit dem Wasserstoff der Atmosphäre.

Die Situation ist paradoxerweise genau umgekehrt, denn auf der Erde würde sich Wasserstoff mit dem Sauerstoff der Atmosphäre verbinden.

Es muß Farley gewesen sein! Als er in die Kammer vorgedrungen ist, hat er gewohnheitsmäßig den falschen - den hier falschen - Zylinder behandelt.

Später muß ihm dieser Irrtum aufgefallen sein., aber der Schaden war bereits angerichtet.«

Davenport nickte zufrieden. »Das genügt, glaube ich.« Er drückte auf einen Knopf der Gegensprechanlage auf seinem Schreibtisch und befahl: »Schicken Sie einen Mann ins Zentrallabor, der Doktor Edmund Farley verhaftet.«