120275.fb2 10 SCIENCE FICTION KRIMINALGESCHICHTEN - читать онлайн бесплатно полную версию книги . Страница 7

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6. Gefangene des Alls

»Wie lange wollen Sie noch herumrennen?« fragte Warren Moore von der Couch aus. »Das hilft uns nicht weiter. Wir haben noch Glück gehabt; wir verlieren keine Luft, oder?«

Mark Branden drehte sich wütend nach ihm um. »Freut mich, daß Sie das glücklich macht«, antwortete er. »Aber vielleicht wissen Sie nicht, daß unser Luftvorrat nur drei Tage reicht.« Er ging wieder auf und ab. Moore streckte sich gähnend aus. »Wer sich anstrengt, verbraucht mehr Sauerstoff. Warum nehmen Sie sich nicht ein Beispiel an Mike? Er regt sich nicht überflüssig auf.«

>Mike< war Michael Shea, ehemals Besatzungsmitglied der Silver Queen. Er saß auf dem einzigen Stuhl und hatte die Füße auf den Tisch gelegt. Als sein Name fiel, grinste er und sagte: »Mit solchen Zufällen muß man hier zwischen den Asteroiden immer rechnen. Wir hätten hopsen sollen; das ist der längere, aber auch sichere Weg. Aber der Captain wollte schneller vorankommen und jetzt sitzen wir hier.« »Was heißt >hopsen<?« fragte Branden.

»Oh, ich nehme an, daß Freund Mike damit einen Kurs außerhalb der Ekliptikebene des Asteroidengürtels meint«, antwortete Moore. Mike zögerte und stimmte dann vorsichtig zu: »Ja, das ist es ungefähr.« Moore fuhr lächelnd fort: »Nun, wir dürfen Captain Crane nicht allzusehr tadeln. Es war nicht seine Schuld, daß die Abschirmung fünf Minuten vor dem Zusammenstoß ausfiel.« Er schüttelte den Kopf. »Es ist überhaupt ein Wunder, daß dieser Teil der Silver Queen unbeschädigt geblieben ist.« »Sie haben eine komische Vorstellung vom Glück, Warren«, sagte Branden. »Wir sitzen hier in drei unbeschädigten Räumen, in einem Zehntel des Raumschiffs, haben nur noch Luft für drei Tage und keine Aussicht auf Rettung - und Sie besitzen die Frechheit, von Glück zu sprechen!« »Nun, wir haben immerhin mehr Glück als die anderen gehabt, die gleich umgekommen sind«, antwortete Moore.

»Meinen Sie? Das wäre bestimmt besser gewesen! Oder finden Sie den Tod durch Ersticken so schön?«

»Vielleicht finden wir noch einen Ausweg«, erwiderte Moore hoffnungsvoll.

»Unmöglich!« sagte Branden heiser. »Wir sind erledigt. Fertig!«

Mike räusperte sich bedeutungsvoll. »Da wir schon gemeinsam in der Tinte sitzen, hat es keinen Zweck, das gute Zeug aufzuheben.« Er holte eine kleine Flasche, die mit einer grünen Flüssigkeit gefüllt war, aus der Tasche. »Das ist erstklassiges Jabra. Wir teilen ehrlich, was?« Branden nickte eifrig. »Jabrawasser vom Mars! Warum rücken Sie erst jetzt damit heraus?«

Aber als er nach der Flasche griff, hielt Moore seinen Arm fest. »Seien Sie kein Narr«, warnte Moore. »Wir haben nicht genug, um drei Tage lang betrunken zu bleiben. Sollen wir uns jetzt besaufen und stocknüchtern sterben? Nein, wir heben uns das Zeug für die letzten Stunden auf - dann trinken wir es und merken nicht einmal, was mit uns geschieht.« Branden ließ zögernd die Hand sinken. »Verdammt noch mal, Warren, wie bringen Sie es nur fertig, in dieser Lage Ihren klaren Kopf zu behalten?« Er gab Mike einen Wink, und die Flasche wurde wieder verstaut. Brandon ging an ein Bullauge und starrte hinaus.

Moore kam heran und legte dem Jüngeren einen Arm über die Schultern. »Warum nehmen Sie alles so schwer, Mann?« fragte er. »Das halten Sie nicht mehr lange aus. Wenn Sie so weitermachen, schnappen Sie innerhalb der nächsten vierundzwanzig Stunden über.«

Brandon antwortete nicht, sondern starrte nur die Kugel an, die vor dem Bullauge schwebte. Moore fuhr deshalb fort: »Es nützt auch nichts, wenn Sie dauernd Vesta anstarren.«

Mike Shea war herangekommen. »Dort unten auf Vesta wären wir in Sicherheit. Dort leben Menschen. Wie weit sind wir von Vesta entfernt?« »Offenbar nicht mehr als fünf- oder sechshundert Kilometer«, antwortete Moore. »Vesta hat schließlich nur dreihundert Kilometer Durchmesser.« »Fünfhundert Kilometer vom rettenden Ufer entfernt«, murmelte Brandon, »aber es könnten eine Million Kilometer sein...« Er runzelte die Stirn. »Wenn wir nur diese Kreisbahn verlassen könnten! Wir brauchten nur einen kräftigen Stoß, der den Fall einleitet, und würden nicht einmal hart aufprallen, weil dieser Zwerg keine richtige Schwerkraft besitzt.« »Aber er hat genügend Schwerkraft, um unser Wrack anzuziehen«, stellte Moore fest. »Er muß uns eingefangen haben, während wir bewußtlos waren.«

»Komischer Planetoid, diese Vesta«, warf Mike Shea ein. »Ich bin schon zweimal dort gewesen. Überall liegt weißes Zeug herum, das wie Schnee aussieht und trotzdem keiner ist.« »Gefrorenes Kohlenstoffdioxyd?« fragte Moore.

»Ja, Trockeneis, dieses Kohlenzeug, das meine ich. Angeblich leuchtet Vesta deshalb so hell.«

»Natürlich! Das erhöht das Albedo.«

Mike warf Moore einen mißtrauischen Blick zu und wechselte das Thema. »Dort unten ist kaum etwas zu erkennen, aber wenn man genau hinsieht, fällt einem ein grauer Fleck am linken Rand auf. Das ist Bennetts Kuppel, glaube ich. Dort ist die Sternwarte untergebracht. Und dort drüben liegt Calorns Kuppel mit dem Treibstofflager. Es gibt noch viele andere, die von hier aus nicht zu sehen sind.«

Er zögerte und wandte sich an Moore. »Hören Sie, Boß, ich habe mir etwas überlegt. Suchen sie nicht nach uns, sobald der Unfall bekannt wird? Und müßten sie uns nicht leicht finden, wenn wir schon in der Nähe von Vesta sind?«

Moore schüttelte den Kopf. »Nein, Mike, sie suchen nicht nach uns. Daß die Silver Queen verunglückt ist, stellt sich erst heraus, wenn sie nicht pünktlich eintrifft. Wir haben kein SOS mehr funken können, und die Leute auf Vesta könnten uns nur ausmachen, wenn sie genau wüßten, wonach sie zu suchen hätten.«

»Hmm.« Mike runzelte die Stirn. »Dann müssen wir also Vesta innerhalb der nächsten drei Tage erreichen.«

»Richtig, Mike« stimmte Moore lächelnd zu. »Aber wie sollen wir das anstellen?«

»Schwatzen Sie nicht so lange!« fauchte Brandon plötzlich. »Tun Sie lieber etwas!«

Moore kehrte schweigend zu seiner Couch zurück, streckte sich aus und dachte nach. Ihre Lage war nicht gerade rosig; daran konnte kein Zweifel bestehen. Er überlegte zum zwanzigstenmal, wie alles gekommen war. Nachdem der Asteroid das Schiff getroffen und zertrümmert hatte, war er ohnmächtig geworden; wie lange er bewußtlos gewesen war, konnte er nicht sagen, weil seine Uhr stehengeblieben war. Als er wieder zu sich kam, sah er Mark Brandon, der in der gleichen Kabine schlief, und Mike Shea vor sich stehen. Sie waren die einzigen Überlebenden im Wrack der Silver Queen.

Dieses Wrack kreiste nun um Vesta. Vorläufig war es an Bord noch auszuhalten. Sie hatten für eine Woche zu essen, und der Gravitator im Kabinenfußboden erzeugte eine künstliche Schwerkraft. Die Beleuchtung war weniger zufriedenstellend, aber bisher ausreichend. Das eigentliche Problem lag klar auf der Hand - sie hatten nur für drei Tage Luft! Allerdings gab es auch andere Schwierigkeiten. Zum Beispiel funktionierte die Heizung nicht mehr, so daß das Wrack allmählich auskühlte. Viel schlimmer war jedoch, daß sie weder Hilfe herbeirufen noch ihr Wrack antreiben konnten. Moore seufzte schwer. Ein funktionierendes Steuertriebwerk würde bereits die Rettung bedeuten, denn es könnte sie sicher auf Vesta landen lassen.

Auf seiner Stirn erschien eine Falte. Was sollten sie tun? Sie hatten nur einen Raumanzug für drei Männer, einen Hitzestrahler und einen Detonator. Mehr hatten sie in den drei Räumen nicht gefunden. Hoffnungslos... Moore zuckte mit den Schultern, stand auf und ließ sich ein Glas Wasser einlaufen. Er trank automatisch. Dann hatte er plötzlich eine Idee. »Hören Sie, Mike«, sagte er, »wieviel Wasser haben wir eigentlich?« Mike starrte ihn verblüfft an. »Wissen Sie das nicht, Boß?« »Was?« fragte Moore ungeduldig.

»Wir haben alles Wasser«, erklärte Mike ihm. »Haben Sie das nicht gewußt?« Er deutete auf eine Wand. »Dahinter liegt der Tank mit dem gesamten Wasservorrat der Silver Queen.«

»Soll das heißen, daß wir einen vollen Wassertank neben uns haben?« Mike nickte heftig. »Klar! Dreißig Meter in jeder Richtung. Und der Tank ist dreiviertelvoll.«

Moore war erstaunt. »Zwölftausend Kubikmeter Wasser!« Dann fragte er rasch: »Warum ist es nicht durch die abgerissenen Rohre abgelaufen?« »Aus dem Tank führt nur eine Leitung durchs ganze Schiff«, erklärte Mike ihm. »Ich sollte diese Hauptleitung draußen im Korridor reparieren und mußte sie deshalb absperren. Dann hat uns der Asteroid getroffen, aber die Leitung blieb abgesperrt. Ich habe unseren Wasserhahn wieder angeschlossen, aber alle anderen Schieber sind zu.«

»Hmmm.« Moore versuchte zu erkennen, welche Idee sich in seinem Unterbewußtsein bildete, wenn er darüber nachdachte, was sich mit dem Wasser anfangen ließ.

Branden hatte ohne großes Interesse zugehört. »Wunderbar!« meinte er jetzt ironisch. »Wir haben Luft für drei Tage, Lebensmittel für eine Woche und Wasser für ein Jahr. Für ein ganzes Jahr! Wasser... Der Teufel soll das Wasser holen!«

»Sie nehmen alles viel zu ernst«, sagte Moore und versuchte aufmunternd zu lächelnd. »Uns geht es gar nicht so schlecht. Die Luft reicht noch drei Tage, wir können doppelte Rationen essen und haben Wasser im Überfluß. Wir können es...«

Die Idee, nach der er vorhin gesucht hatte, erschien plötzlich klar vor seinen Augen. Er sprach nicht weiter, hob ruckartig den Kopf und starrte mit zusammengekniffenen Augen nach draußen.

»He, was ist mit Ihnen los?« wollte Brandon wissen, als Moore sich an die Stirn schlug und begeistert nickte. Mike Shea beobachtete ihn sprachlos. Moore rieb sich die Hände. »Ha! Ich hab's endlich! Warum ist mir das nicht gleich eingefallen?« Er murmelte irgend etwas vor sich hin. Mike hielt ihm die Jabraflasche vors Gesicht, aber Moore lehnte ungeduldig ab. Daraufhin holte Brandon mit der Rechten aus, versetzte Moore einen Kinnhaken und schlug ihn zu Boden.

Moore rieb sich ächzend das Kinn. »Was soll das?« fragte er empört. »Halten Sie den Mund, sonst bekommen Sie noch einen!« brüllte Brandon. »Das halte ich nicht mehr aus! Immer dieses Geschwätz! Sie schnappen allmählich über!«

»Unsinn! Ich bin nur etwas erregt. Hören Sie zu, um Gottes willen. Ich weiß, was wir mit dem Wasser anfangen...«

Brandon unterbrach ihn. »Ja, ich weiß auch etwas«, sagte er. »Am besten ertränken wir Sie darin, dann sparen wir wenigstens etwas Luft und müssen keine unsinnigen Pläne anhören.«

Moore verlor die Geduld. »Ich brauche Sie nicht dazu, Mark, und ich will Ihre Hilfe auch gar nicht. Warum machen Sie nicht gleich Schluß, wenn Sie solche Angst vor dem Tod haben? Wir besitzen einen Detonator und einen Hitzestrahler - beides zuverlässige Waffen. Suchen Sie sich aus, was Ihnen paßt, und begehen Sie damit Selbstmord. Shea und ich hindern Sie nicht daran.«

Brandon kapitulierte plötzlich. »Schon gut, Warren, ich helfe mit. Ich... ich wollte das alles nicht. Mir geht es nicht gut, Warren. Ich...« »Lassen wir das«, wehrte Moore verlegen ab. »Ich weiß, wie Ihnen zumute ist. Mir geht es ähnlich, aber ich lasse mich nicht unterkriegen. Versuchen Sie jetzt zu schlafen und überlassen Sie das andere mir.« Branden stolperte zur Couch und ließ sich darauf nieder. Er schluchzte noch einige Zeit leise vor sich hin, während Moore und Shea verlegen nach draußen sahen.

Dann stieß Moore Mike an. »Los, an die Arbeit«, flüsterte er. »Die Luftschleuse befindet sich am Ende des Korridors, stimmt's?« Als Shea nickte, fuhr Moore fort: »Ist sie luftdicht?«

»Nun«, antwortete Shea langsam, »die innere Tür ist es jedenfalls, aber ich weiß nicht, wie die äußere aussieht. Die äußere Tür kann das reinste Sieb sein - und dann... peng!« Seine Handbewegung sagte mehr als viele Worte. »Okay, dann müssen wir gleich feststellen, ob die zweite Tür noch funktioniert. Ich muß unbedingt hinaus. Wo ist der Raumanzug?« Moore nahm den Anzug aus dem Schrank und ging damit in den langen Korridor hinaus. Er kam an Türen vorbei, die früher zu anderen Kabinen geführt hatten; jetzt waren sie luftdichte Absperrungen, hinter denen der Tod lauerte. Am Ende des Korridors lag die Luftschleuse. Moore betrachtete sie nachdenklich. »Sieht gut aus«, sagte er, »aber das beweist noch nichts. Na, hoffentlich funktioniert sie noch.« Er runzelte die Stirn. »Wir könnten natürlich den ganzen Korridor als Luftschleuse benützen, aber dann verlieren wir unseren halben Luftvorrat. Das können wir uns nicht leisten - noch nicht.«

Er wandte sich an Shea. »Schön, wir fangen an. Der Anzeige nach ist die Schleuse zuletzt als Eingang benützt worden und müßte deshalb mit Luft gefüllt sein. Öffnen Sie die Tür einen winzigen Spalt breit und schließen Sie sie sofort wieder, falls es zischt.«

»Wird gemacht, Boß.« Shea bewegte den Hebel. Der Mechanismus war beim Zusammenstoß durchgeschüttelt worden und funktionierte nicht mehr so lautlos wie früher. Aber er funktionierte noch, und die Tür glitt einen Millimeter weit zurück.

Moore atmete erleichtert auf, als er kein Zischen hörte. Er hielt ein Stück Papier an den Spalt. Es hätte dort bleiben müssen, wenn die entweichende Luft es gegen die Tür gedrückt hätte. Aber das Papier fiel zu Boden. Mike Shea nickte. »Ich merke nichts«, stellte er fest und hielt einen Finger an den Spalt.

»Ausgezeichnet! Weiter!«

Die Tür glitt langsam zurück, und die beiden Männer hielten den Atem an. Vielleicht war die äußere Tür so geschwächt, daß sie jeden Augenblick nachgeben konnte. Aber sie hielt! Moore grinste zufrieden, während er den Raumanzug anlegte.

»Bisher ist alles in bester Ordnung, Mike«, sagte er. »Sie können hier auf mich warten. Ich weiß nicht, wie lange es dauert, aber ich komme wieder zurück. Wo ist der Hitzestrahler?«

Shea gab ihm das Gerät und fragte dabei: »Was haben Sie vor?« Moore wollte sich eben den Helm aufsetzen. Er machte eine kurze Pause. »Wissen Sie, daß wir genug Wasser haben, um es zu verschleudern? Nun, ich habe darüber nachgedacht und finde die Idee nicht schlecht. Ich werde es verschleudern.« Er setzte den Helm auf und trat in die Schleuse. Moore wartete mit klopfendem Herzen darauf, daß die äußere Tür sich öffnen würde. Sein Plan war äußerst simpel, aber vielleicht nicht einfach auszuführen.

Er hörte den Mechanismus der Tür quietschen und rattern. Die Luft entwich zischend aus der Schleusenkammer. Dann öffnete sich die Tür eine Handbreit und blieb stecken. Moores Herz sank, aber die Tür bewegte sich nach wenigen Sekunden weiter. Dann stand sie endlich offen. Moore drückte den Haftmagneten an den Türrahmen und trat vorsichtig ins Leere hinaus. Er war noch nie über den Rumpf eines Raumschiffs geklettert, das durchs All flog, und er fühlte sich hier oben nicht gerade sicher. Zuerst wurde ihm etwas schwindlig, aber er schloß die Augen und kämpfte erfolgreich dagegen an.

Er sah sich langsam um. Der winzige blau-weiße Lichtpunkt, der die Erde darstellte, war nicht zu sehen. Erde und Sonne lagen offenbar hinter Vesta, aber Moore sah Jupiter mit zwei Satelliten und erkannte auch Saturn. Er hatte erwartet, daß einige Asteroiden deutlich sichtbar sein müßten, aber zu seiner Überraschung war der Weltraum ziemlich leer. Nur Vesta war natürlich gut zu sehen und hing wie ein riesiger Ballon direkt unter ihm. Moore starrte den Planetoiden sehnsüchtig an und überlegte sich, daß ein kräftiger Tritt genügen mußte, um ihn dorthin zu bringen. Vielleicht landete er sicher und konnte für die anderen Hilfe holen. Aber wahrscheinlich würde er nur als weiterer Satellit um Vesta kreisen. Nein, das genügte nicht.

Moore erinnerte sich daran, daß er keine Zeit zu verlieren hatte. Er sah den Schiffsrumpf entlang, suchte nach dem Wassertank und hatte nur scharfkantige Wrackteile vor sich. Er zögerte. Offenbar war es am besten, wenn er das helle Bullauge ihrer Kabine suchte und von dort aus in Richtung Wassertank weiterkletterte.

Er arbeitete sich langsam weiter vor. Kaum fünf Meter von der Luftschleuse entfernt gähnte ein riesiges Loch in der Schiffswand. Moore erkannte die Überreste einer Passagierkabine. Er fuhr zusammen, als er sich vorstellte, daß er in einer der Kabinen eine aufgetriebene Leiche finden könnte. Er hatte die meisten Passagiere gut gekannt. Aber er überwand sich und kletterte vorsichtig weiter.

Dann war die erste Schwierigkeit zu bewältigen. Der Raum selbst bestand in vielen Teilen aus Nichteisenmetallen, und der Haftmagnet war hier deshalb wirkungslos. Moore wurde erst daran erinnert, als er plötzlich abrutschte, zu gleiten begann und sich nur mit Mühe an einem Vorsprung festhalten konnte. Er hielt sich krampfhaft fest. Theoretisch war er hier im Weltraum schwerelos - Vestas Anziehungskraft zählte nicht-, aber der Gravitator unter dieser Kabine arbeitete noch. Wenn Moore seine Position veränderte, war er stets in Gefahr, ins All hinausgeschleudert zu werden, falls sein Haftmagnet plötzlich nicht mehr im Eisen festsaß.

Offenbar hatte er sich doch auf ein schwieriges Unternehmen eingelassen. Er kletterte Zentimeter für Zentimeter weiter und probierte vorsichtig, wo der Haftmagnet guten Halt fand. Manchmal mußte er weite Umwege machen, um einen halben Meter voranzukommen; mehrmals mußte er den Magneten lösen und auf gut Glück über gefährliche Stellen weiterkriechen. Und dabei mußte er stets gegen die Anziehungskraft des Gravitators ankämpfen, die aus verschiedenen Richtungen angriff, je nachdem, wohin er gerade kletterte.

Moore untersuchte sorgfältig alle Gegenstände, auf die er stieß, aber die Suche blieb vergeblich. Lose Gegenstände, Stühle und Tische waren bereits beim ersten Aufprall fortgeschleudert worden und kreisten nun als unabhängige Himmelskörper innerhalb des Sonnensystems. Moore fand jedoch ein Fernglas und einen Füllfederhalter; er steckte beides ein, obwohl er im Augenblick nichts damit anfangen konnte.

Fünfzehn Minuten, zwanzig Minuten, eine halbe Stunde lang kletterte er über das Wrack, in die Richtung, in der er das Bullauge vermutete. Schweiß lief ihm in die Augen und verklebte sein Haar. Sämtliche Muskeln schmerzten vor Anstrengung. Sein Verstand, den die Ereignisse des letzten Tages übermäßig beansprucht hatten, arbeitete plötzlich nicht mehr zuverlässig.

Moore hatte den Eindruck, er sei bereits ewig unterwegs, habe nie etwas anderes getan und werde nie etwas anderes tun. Er wußte nicht mehr, was er hier draußen suchte; er wußte nur noch, daß er sich bewegen und weiterkriechen mußte. Dieser Gedanke beherrschte ihn völlig, und er kletterte mechanisch weiter - bis er das Licht sah.

Moore hielt an. Hätte der Haftmagnet ihn nicht gehalten, wäre er gefallen. Dieses Licht durchdrang die Dunkelheit, die ihn von allen Seiten umgab. Er hatte das Bullauge erreicht; das eine Bullauge, das nicht dunkel, sondern beleuchtet und lebendig war. Dahinter lag Brandon auf der Couch. Moore holte tief Luft, fühlte sich sofort besser und konnte wieder klar denken. Nun lag sein Weg deutlich vor ihm. Er näherte sich diesem einzigen Lichtpunkt noch weiter, bis er ihn berühren konnte. Endlich! Er hatte den vertrauten Raum vor sich. Das allein half ihm nicht weiter, aber er wußte wenigstens, wo er sich befand. Brandon schlief auf der Couch und lächelte im Schlaf. Moore wollte an die Scheibe klopfen, aber dann ließ er die Hand sinken. Vielleicht träumte Brandon von zu Hause. Er war jung und empfindsam und hatte viel durchgemacht. Moore konnte ihn später aufwecken, falls seine Idee sich verwirklichen ließ.

Er arbeitet sich weiter vor und erreichte die Wand, hinter der der Wassertank lag. Diese Wand lag völlig ungeschützt vor ihm, und Moore wunderte sich, daß sie nicht durchlöchert worden war. Vielleicht meinte das Schicksal es doch gut mit ihnen.

Der Tank war leicht zu erreichen, obwohl er auf der entgegengesetzten Seite des Wracks lag. Die Überreste eines Korridors führten ihn zu ihm hinauf. Früher war dieser Korridor horizontal gewesen, aber jetzt bewirkte die unausgeglichene Anziehungskraft des Gravitators, daß der Fußboden eine schräge Ebene bildete. Trotzdem war der Aufstieg nicht weiter schwierig, denn der Boden bestand aus Berylstahl, so daß Moore überall guten Halt fand.

Nun kam der entscheidende Teil seines Experiments; die Krise erreichte ihren Höhepunkt. Moore spürte, daß er sich hätte ausruhen müssen, aber seine Erregung trieb ihn voran. Jetzt oder nie! dachte er und arbeitete sich zur Mitte des Tankbodens vor. Dort fand er auf der Kante Platz, die früher der Fußboden eines Korridors gewesen war, und begann seine Arbeit.

»Nur schade, daß die Hauptleitung in die falsche Richtung führt«, murmelte er vor sich hin. »Das hätte viel Arbeit gespart. Aber daran läßt sich eben nichts ändern...« Er seufzte und machte sich wieder an die Arbeit. Der Hitzestrahler war auf Höchstleistung eingestellt, und die unsichtbaren Strahlen konzentrierten sich auf einen Punkt, der etwa dreißig Zentimeter über dem Boden des Tanks lag.

Allmählich zeigte sich die Wirkung dieses Strahls auf die Moleküle der Trennwand. Ein geldstückgroßer Fleck begann im Brennpunkt des Hitzestrahlers zu glühen. Seine Helligkeit schwankte unsicher, während Moore seinen müden Arm ruhig zu halten versuchte. Er stützte ihn schließlich auf und hatte damit mehr Erfolg.

Der glühende Fleck veränderte allmählich seine Farbe. Zunächst war er nur dunkelrot gewesen, aber nun zeigte er sich bereits kirschrot. Je länger der Hitzestrahler arbeitete, desto größer wurde die glühende Fläche, und Moore mußte sich vorsehen, um die Wand nicht mit seinem Anzug zu berühren. Moore fluchte erbittert vor sich hin, als auch sein Sitzplatz immer heißer wurde. Das glühende Metall strahlte genügend Hitze ab, um ihn in seinem Anzug zum Schwitzen zu bringen. Moores Zorn richtete sich vor allem gegen die Hersteller von Raumanzügen. Warum konnten sie nicht Anzüge bauen, die nicht nur Wärme speicherten, sondern auch dagegen isoliert waren?

Aber dann gewann sein angeborener Optimismus wieder die Oberhand, und er tröstete sich selbst: »Es könnte noch schlimmer sein, schätze ich. Hier ist die Wand immerhin nur fünf Zentimeter stark. Der Tank hätte ebensogut an der Außenwand liegen können. Puh! Fünfundzwanzig Zentimeter Stahl zu durchschmelzen!« Er biß die Zähne zusammen und arbeitete weiter. Der glühende Fleck verfärbte sich jetzt orangerot, und Moore wußte, daß der Schmelzpunkt des Berylstahls bald erreicht sein würde. Er mußte die Augen vor dieser Helligkeit schließen und konnte die Stelle nur jeweils für kurze Zeit beobachten.

Offenbar mußte er sich beeilen, wenn er seinen Plan überhaupt noch verwirklichen wollte. Der Hitzestrahler war nicht voll geladen gewesen und würde bald aussetzen, da er nun schon zehn Minuten lang mit Höchstleistung arbeitete. Aber die Wand wurde jetzt erst weich. Moore wollte nicht länger warten und schob die Mündung des Strahlers vor, bis sie das glühende Metall berührte.

Als er den Strahler rasch zurückzog, blieb eine Vertiefung in der Wand zurück. Moore war zufrieden, obwohl er kein Loch hineingestoßen hatte. Wäre er hier nicht im Vakuum gewesen, hätte er das Wasser hinter der Wand sieden und kochen hören können. Der Druck wuchs stetig. Wie lange würde die Wand an dieser Stelle noch halten?

Dann war er plötzlich durch. Ein winziger Riß bildete sich am Boden des von Moore erzeugten Kraters, und das kochende Wasser bahnte sich selbst einen Weg nach draußen.

Das flüssige Metall wurde an dieser Stelle verdrängt und erstarrte sofort wieder. Aus der winzigen Öffnung schoß eine Dampfwolke, die Moore zunächst die Sicht nahm.

Dann sah er, daß der Dampf fast augenblicklich zu Eistropfen erstarrte, die unter ihm im Nichts versanken.

Er beobachtete den Dampfstrahl noch eine Viertelstunde lang. Dann spürte er, daß ihn etwas leicht von der Wand fortschieben wollte. Er nickte zufrieden vor sich hin, als ihm klarwurde, daß dies die Wirkung der Beschleunigung des Wracks war. Die träge Masse seines Körpers blieb unter den Überresten der Silver Queen zurück.

Das bedeutete, daß er seinen Plan erfolgreich verwirklicht hatte. Der Wasserstrahl wirkte wie der Gasstrahl eines Raketentriebwerkes. Er machte sich auf den Rückweg.

Der Weg zurück war noch schlimmer, denn Moore war jetzt müde, konnte kaum die Augen offenhalten und mußte nicht nur gegen die Anziehungskraft des Gravitators, sondern auch gegen die wechselnde Beschleunigung ankämpfen. Aber er kletterte verbissen weiter, ohne auf diese Schwierigkeiten zu achten; später konnte er sich nicht einmal mehr daran erinnern. Er war nur von einem Gedanken beseelt, der ihm Kraft zum Durchhalten gab: er mußte zurück und den beiden anderen sagen, daß sie gerettet waren.

Plötzlich hatte er die Luftschleuse vor sich. Er nahm nur mühsam wahr, daß er tatsächlich die Schleuse vor sich hatte. Er wußte nicht einmal, weshalb er den Signalknopf drückte. Irgend ein Instinkt sagte ihm, daß er diesen roten Knopf drücken mußte.

Mike Shea erwartete ihn. Die äußere Tür öffnete sich langsam, blieb an der gleichen Stelle wie zuvor stecken und glitt schließlich doch weiter. Sie schloß sich hinter Moore; dann ging die innere Tür auf, und er taumelte Shea entgegen.

Moore erlebte wie in einem Traum, daß er durch den Korridor in die Kabine geschleppt wurde. Dann zog ihm jemand den Anzug aus und setzte ihm eine Flasche an die Lippen. Die Flüssigkeit brannte ihm in der Kehle, aber sie weckte seine Lebensgeister. Moore schüttelte sich, schluckte mehrmals und fühlte sich wieder besser. Shea steckte die Jabraflasche ein, als Moore sich unsicher aufrichtete.

»Warten Sie!« protestierte Branden. »Sie dürfen noch nicht sprechen. Sie sind völlig erschöpft. Ruhen Sie sich erst aus!«

Aber Moore schüttelte den Kopf. Er berichtete mit heiserer Stimme, was in den vergangenen zwei Stunden geschehen war. Seine Zuhörer wagten kaum zu atmen, während er erzählte.

»Soll das heißen, daß der Wasserstrahl uns in Richtung Vesta schiebt?« fragte Branden ungläubig. »Wie eine Rakete?«

»Genau wie eine Rakete«, antwortete Moore. »Sie wissen doch -Wirkung und Gegenwirkung. Die Öffnung liegt von Vesta abgewandt, deshalb werden wir dorthin geschoben.«

Shea war aufgeregt ans Bullauge gelaufen. »Er hat recht, Brandon! Jetzt ist Bennets Kuppel schon deutlicher zu sehen. Wir schaffen es, wir schaffen es!«

Moore lächelte zufrieden. »Wir nähern uns Vesta in einer immer enger werdenden Spirale und landen in fünf oder sechs Stunden. Das Wasser reicht noch einige Zeit, und der Druck ist weiterhin ziemlich hoch, denn es tritt als Dampf aus.«

»Dampf - bei dieser niedrigen Temperatur?« Branden war überrascht. »Dampf - bei diesem niedrigen Druck!« verbesserte Moore ihn. »Bei abnehmendem Druck siedet Wasser bei niedrigen Temperaturen, und hier im Vakuum verdunstet sogar Eis.«

Er machte eine kurze Pause, bevor er fragte: »Na, wie fühlen Sie sich jetzt, Brandon? Etwas besser?«

Brandon wurde rot und suchte nach Worten. »Tut mir leid, daß ich mich zuerst wie ein Dummkopf und Feigling benommen habe«, sagte er leise. »Ich muß mich bei Ihnen entschuldigen, weil ich...«

»Schon gut, schon gut!« unterbrach Moore ihn. »Reden wir nicht mehr davon! Ich war selbst nicht weit von einem Nervenzusammenbruch entfernt.« Er hob den Kopf. »He, Mike, gaffen Sie nicht mehr aus dem Bullauge, sondern bringen Sie lieber Ihre Jabraflasche her!« Mike kam sofort und brachte drei Plastikbecher mit, die er in einem Wandschrank entdeckt hatte. Moore füllte sie bis zum Rand. Er wollte ihre Rettung feiern.

»Meine Herren«, sagte er ernsthaft, »ein Toast.« Sie hoben ihre Becher. »Meine Herren, trinken wir auf das gute alte H2O, das wir hatten.«