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Oberst Villa schien ein Mann zu sein, der nicht älter wurde. Niemand konnte sich erinnern, ihn anders gesehen zu haben als jetzt: hinter seinem Schreibtisch sitzend, leicht sarkastisch lächelnd und mit den Fingern der rechten Hand Wirbel auf das spiegelnde Glas schlagend. Vor Villa rollten die Berichte ab.
Die gespeicherten Daten erwiesen sich als wichtig. Man konnte ihnen entnehmen, welche gewaltigen Kräfte das Schiff in ihrem erbarmungslosen Griff gehabt und beinahe zerstört hatten. Weitere Berichte folgten. Hyperraumbilder: Sie waren von den eintreffenden Schiffsführern gefunkt worden und zeigten jene Dinge, die auf MZ 4 gefunden worden waren: Die tote Besatzung, die fremden Nahrungsmittel, die sieben Schiffe, die merkwürdige Konstruktion des Magnetfeldprojektors und die Arbeiten Sigbjörnsons und Shubashis ...
Villa seufzte leise und schaltete den Projektor ab. Er betrachtete die Grenze, die in der Gegend des oberen Pols der dreidimensionalen Kugelprojektion lag.
»Nichts als Ärger!« sagte Oberst Villa und gestattete sich ein vorsichtiges Lächeln. Dann blickte er, nachdem ein kleines Pfeifsignal ertönt war, auf den Sichtschirm des Videophons, das ihn mit dem Vorzimmer verband.
»Leutnant Erster Klasse Tamara Jagellovsk«, sagte die Ordonnanz.
»Herein«, erwiderte Villa.
Tamara kam durch den Lichtvorhang herein und ging mit schnellen Schritten bis an den Schreibtisch.
Sie salutierte kurz und sagte: »Sie haben mich rufen lassen, Sir?«
»Ganz richtig. Nehmen Sie bitte Platz, Leutnant.«
Tamara setzte sich in einen federnden Sessel mit hoher Lehne, schlug die schlanken Beine übereinander und blickte Villa abwartend an.
»Sie wissen nichts?«
»Nicht mehr als die Gerüchte, die hier allerorts umherschwirren«, erwiderte Tamara. »Shubashi und Sigbjörnson leben. Das hörte ich.«
»Und zu Ihrem persönlichen Ärger lebt auch noch Major McLane.«
Tamara lächelte, gab aber keine Antwort.
»Er wird in Kürze hier erscheinen«, versprach Villa. »Versuchen Sie, ihm nicht gleich die Augen auszukratzen. Außerdem habe ich Sigbjörnson und Shu-bashi hierhergebeten.«
»Gut. Und was soll ich dabei?« fragte Tamara.
»Zuhören. Schließlich machen Sie noch fünfunddreißig Monate und zwanzig Tage Sicherheitsdienst auf dem Schnellen Kreuzer ORION VII, wie ich glaube.«
Tamara betrachtete ihre gepflegten Fingernägel und erwiderte: »Ja. Und ich habe diesen Auftrag inzwischen lieben gelernt. Dies ist ironisch gemeint.«
»Wir alle haben unsere Probleme«, sagte Villa ungerührt. »Ihres ist eines der kleinsten, die ich kenne. Wie benimmt sich McLane Ihnen gegenüber? Abgesehen davon, daß er Sie am liebsten umbringen möchte.«
»Ich kann nicht klagen«, sagte Tamara liebenswürdig. »Ich kenne schlimmere Dinge. Er wird sich an mich gewöhnen, fürchte ich.«
Es war das erstemal, daß sie ihren Vorgesetzten richtig lachen sah. Ein kurzes schrilles Signal ertönte. Der Videophonschirm zeigte das Gesicht der Ordonnanz.
»Commander McLane ist bei mir, Oberst.«
»Ich erwarte ihn bereits«, erwiderte Oberst Villa. Er sah Cliff entgegen, der durch die Barriere kam. Hinter ihm loderte das tödliche Feuer wieder auf. Cliff salutierte.
»Sie werden sich schon kennen, glaube ich?« fragte Oberst Villa sarkastisch und deutete auf Tamara. Die Frau nickte Cliff zu und sah zu, als er sich setzte, drei Sitze von ihr entfernt.
»Zunächst das Sachliche«, sagte Villa. »Ich spreche Ihrer Mannschaft und Ihnen meine Hochachtung aus.«
»Danke«, sagte Cliff trocken. »Ohne GSD-Offizier hätten wir noch besser arbeiten können.«
»Werden Sie nicht undankbar«, warnte Villa. »Leutnant Jagellovsk tut alles, um Sie vor Ihrer eigenen Unbesonnenheit zu schützen.«
Wieder nickte Cliff. Nicht einmal Villa konnte ahnen, was er dabei dachte.
»Hat man Ihnen die Berichte übergeben?« fragte Villa.
»Ja, natürlich. Wo sind Hasso und Atan?« fragte Cliff.
»Sie werden jeden Augenblick hier eintreffen«, erwiderte Villa. »Die Erde hat ihnen sehr viel zu verdanken.«
»Das stimmt«, sagte McLane. »Wenn wir nicht durch einen reinen Zufall auf MZ 4 gelandet wären, hätte alles ganz anders ausgehen können.«
Hasso und Atan wurden angemeldet und betraten den Raum. Cliff sprang auf und begrüßte sie stürmisch. Er sah, daß beide Männer noch die Spuren des ausgestandenen Schreckens trugen. Die Linien um Hassos Augen schienen sich vertieft zu haben. Die scharfe Nase Atans stach noch mehr hervor.
»Nehmen Sie Platz, meine Herren«, sagte Villa und deutete auf die leeren Sessel zwischen Tamara und Cliff.
»Danke.«
Die Männer setzten sich; Cliff merkte, daß seine Freunde einen Muskelkater von kosmischen Dimensionen haben mußten. Im Licht einer Punktleuchte funkelte das S auf Oberst Villas Brust auf.
»Berichten Sie bitte genau«, bat er, »wem oder was Sie Ihre Rettung verdanken. Ich meine - wer hat die CHALLENGER zur Explosion gebracht, ehe sie auf den Asteroiden aufschlagen konnte?«
»Es gelang uns«, sagte Hasso, nachdem ihm Atan einen auffordernden Blick zugeworfen hatte, »das Funkgerät zu reparieren. Die Fremden hatten es für ihre Zwecke verändert.«
Villa blickte an Hasso vorbei auf die gewaltige Karte.
»Es hätte eine unvorstellbar große Katastrophe gegeben«, sagte er. »Und die CHALLENGER?«
»Sie raste direkt auf den Asteroiden zu«, sagte Atan und machte eine Bewegung mit der flachen Hand.
»Schlug sie ein?«
»Nein«, sagte Sigbjörnson. »Die Fremden hatten einen Magnetschirm errichtet. Sie öffneten ihn zweimal: Einmal, um uns mit der LANCET hindurchzulassen, und ein zweites Mal, um ihre eigenen Schiffe landen zu lassen.«
»Der Laborkreuzer prallte also gegen den Magnetschirm«, sagte Cliff.
»Jawohl. Und wurde in eine Million Teile zerfetzt.«
»Die Fremden waren bereits tot - umgebracht durch Ihre Sauerstoffbatterien?«
»Das ist richtig. Aber sie hinterließen dieses Magnetfeld und die Störungen in sämtlichen Geräten.«
»Sie wollten offensichtlich einige Terraner als Versuchskaninchen«, sagte Villa ausdruckslos.
»So schien es uns auch«, erwiderte Hasso.
»Sicher eine Kleinigkeit für die Männer der ORION VII«, bemerkte Tamara bissig. McLane wandte seinen Kopf.
»Eine Kleinigkeit, die rund zwanzig Stunden angestrengtester Arbeit kostete und uns an den Ruin brachte«, sagte Atan spitz. »Was hätten wir um Ihre Hilfe gegeben!«
Cliff begann schallend zu lachen. Tamara wurde rot. Oberst Villa lächelte unmerklich.
»Wenn ich diesen erbitterten Dialog anhöre und meine Schlüsse ziehe«, meinte Villa und sah langsam von Tamara Jagellovsk zu Cliff McLane, »dann muß ich feststellen, daß Sie sich schon überraschend nahegekommen sind.«
»Ich denke, Oberst Villa«, erwiderte McLane mit verschlossenem Gesicht, »daß sich Leutnant Ja-gellovsk schon an uns gewöhnen wird.«
»Wer sich an wen gewöhnt, Major, wird die Zukunft zeigen«, erwiderte Tamara. »Aber an eines gewöhne ich mich sicherlich niemals!«
»Woran bitte?« fragte er unschuldig und überrascht.
»Daran, daß Sie mich belügen!«
»Ich?« fragte Cliff und runzelte die Brauen. »Ich soll Sie belogen haben? Es würde mir nicht im Traum einfallen!«
Tamara stemmte die Fäuste in die Seite und sah ihn scharf an.
»Sicher nicht. Und wie war die Sache mit diesem stummen Funksatelliten?«
Cliff verstand augenblicklich.
»Das war, Leutnant ...« begann er. Aber Tamara unterbrach ihn sofort.
»Das war eine Lüge, Major McLane. Und wenn Sie sich einbilden sollten, Sie könnten mich ... «
»Meine Dienstzeit«, sagte Villa in unüberhörbarer Schärfe, »ist sehr ausgefüllt. Ich kann mir nicht leisten, Zeuge Ihrer - hm - Unterhaltung zu sein. Ich glaube, Leutnant Jagellovsk, das sind Probleme, die Sie mit Commander McLane viel besser bei einem Glas Whisky besprechen können.«
McLane stand auf und salutierte.
»Ich möchte melden, daß Leutnant Jagellovsk strenge Antialkoholikerin ist. Sie verabscheut geistige Getränke.«
»Was?« rief Tamara. »Wer sagt Ihnen denn, daß ich nie etwas trinke?«
»Sie schworen, Mario de Monti anzuzeigen, weil er während des Fluges das Wort >Whisky< gebrauchte.«
Cliff schien sich verteidigen zu müssen. Auf Hassos Gesicht erschien ein mildes Lächeln.
»Ganz recht, McLane! An Bord! Aber wer sollte uns zwingen«, sagte Tamara, »unsere Privatangelegenheiten an Bord der ORION VII zu besprechen? Es gibt doch auch noch ein Starlight-Casino und derlei Etablissements mehr!«
Außer McLane lachten alle, die hier um den Schreibtisch versammelt waren. McLane blickte auf die Uhr.
Die vier Leute verabschiedeten sich von Villa. Als sie bereits auf halbem Wege zur Barriere waren, rief sie Oberst Villa an. Sie blieben stehen.
»McLane! Sie haben der Erde einen großen Dienst erwiesen. Das ist zweifellos richtig. Wenn Sie sich aber einbilden sollten, Sie könnten weiterhin Ihre Extratouren machen, nur weil Sie diesmal mehr Glück hatten, muß ich Sie warnen. Sie sind nach wie vor strafversetzt und unter Aufsicht. Noch mehr als fünfunddreißig Monatelang!«
»Guten Abend«, sagte Cliff und drehte sich um.