121327.fb2 Bringt mir den Kopf des M?rchenprinzen - читать онлайн бесплатно полную версию книги . Страница 10

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Der Mann, der sein Zimmer betrat, war ihm unbekannt. Er war sehr klein, hatte einen großen Buckel und trug eine weite schwarze Kutte, deren Kapuze zurückgeschlagen war. Sein langes knochiges Gesicht war leichenblaß. Als er näher kam, bemerkte Azzie, daß er sich auf einen Stock stützte.

»Wer bist du, daß du mich zu einer solch späten Stunde aufzusuchen wagst?« fragte Azzie.

»Mein Name ist Frike«, antwortete der lahme Bucklige. »Ich komme wegen Eurer Anzeige. Wie es scheint, wünscht Ihr einen Diener, der zu allem bereit ist. Ich empfehle mich Euch als genau die richtige Person.«

»Du hast keine Scheu, dich anzupreisen«, sagte Azzie, »aber es waren zwei Bewerber vor dir da. Ich habe ihnen eine einfache Aufgabe gestellt und warte seither auf ihre Rückkehr.«

»Ah, ja«, entgegnete Frike. »Ich bin ihnen zufällig begegnet, dem Poeten und der alten Vettel. Sie standen vor dem Eingang zum Friedhof und haben versucht, den Mut aufzubringen, das zu tun, was Ihr ihnen aufgetragen habt.«

»Sie hätten sich nicht so sehr verspäten dürfen«, sagte Azzie. »Der Termin für ihre Rückkehr ist schon überschritten.«

»Nun, Meister, beide haben einen gewissen unglücklichen Unfall erlitten«, erklärte Frike. »Deshalb bin ich an ihrer Stelle gekommen.«

»Was für einen Unfall?« wollte Azzie wissen.

»Mein Herr«, sagte Frike, »ich habe die Dinge mitgebracht, die zu besorgen Ihr ihnen aufgetragen habt.«

Er griff unter seine Kutte, holte eine Tasche aus dunkelbraunem Rindsleder hervor, entnahm ihr zwei in Sackleinen eingewickelte Gegenstände und faltete den Stoff des ersten Päckchens auseinander. Es enthielt acht Finger und einen Daumen, die säuberlich von der Hand abgetrennt worden waren, vermutlich mit einem Rasiermesser.

»Seht her«, verkündete Frike. »Die Frauenfinger.«

»Sie sind etwas gummiartig«, sagte Azzie. Er untersuchte die Finger und knabberte an einem.

»Es waren die besten, die ich auf die Schnelle beschaffen konnte«, erwiderte Frike.

»Und warum sind sie nicht vollständig? Da fehlt ein Daumen!«

»Euer Hochwohlgeboren haben es wahrscheinlich nicht bemerkt«, erklärte Frike, »da es unter Eurer Würde liegt, auf solche Kleinigkeiten zu achten, aber ich möchte Euch darauf hinweisen, Sire, daß Agatha, die sich um die Stellung als Eure Dienerin beworben hat, ein Daumen fehlte. Ich weiß nicht, auf welche Weise sie ihn verloren hat, und ich fürchte, daß ich es jetzt nicht mehr für Euch herausfinden kann.«

»Das ist nicht besonders wichtig«, winkte Azzie ab. »Aber ich habe auch nach einem Kopf verlangt.«

»Ach, ja«, sagte Frike. »Die Prüfung, die Ihr dem Poeten auferlegt habt. Man sollte annehmen, Herr, daß das eine einfache Aufgabe sein müßte, da unser Friedhof voll von diesen Exemplaren ist. Aber der Bursche ist lange vor dem Friedhof auf und ab gelaufen, bevor er ihn endlich betreten hat. Er hat seinen Spaten einmal hier und dann wieder dort in die Erde gestoßen, bis ich es leid war, darauf zu warten, daß er seine Arbeit endlich beendet. Also habe ich mir die Freiheit genommen, Herr, das von Euch gewünschte Objekt selbst zu besorgen und mich dabei gleichzeitig meines Konkurrenten zu entledigen.«

Mit diesen Worten öffnete er das zweite Päckchen und förderte den Kopf des Poeten zutage.

»Nicht sauber abgetrennt, wie ich sehe«, tadelte Azzie, wenn auch nur der Form halber, denn er war sehr angetan von der Arbeit dieses Bewerbers um die Stellung als sein Gehilfe.

»Ich bedauere, daß ich nicht die Zeit hatte, um auf die Gelegenheit für den richtigen Schnitt zu warten«, entschuldigte sich Frike. »Aber da er hier allgemein als schlechter Poet bekannt war, darf ich wohl behaupten, daß er selbst auch keinen guten Schnitt gemacht hat.«

»Frike, das hast du sehr gut gemacht. Du wirst sofort in meine Dienste treten. Ich denke, du bist ein Prachtexemplar unter den Sterblichen. Und weil du dich so gut angestellt hast, bin ich überzeugt, daß es dir keine Schwierigkeiten bereiten wird, mir auch die anderen gewünschten Dinge zu besorgen, sobald ich das Gelände ausgekundschaftet und dir alles erklärt habe.«

»Ich hoffe, Euch gut dienen zu können, Gebieter«, sagte Frike.

Azzie ging zu seiner Truhe, zog einen kleinen Beutel aus Hirschleder hervor und entnahm ihm vier Goldtaler. Er reichte sie Frike, der sich dankbar tief verbeugte.

»Und jetzt müssen wir uns an die Arbeit machen«, verkündete Azzie. »Mitternacht ist angebrochen, die Zeit des Bösen. Bist du zu allem bereit, Frike?«

»Das bin ich.«

»Und was erwartest du als Lohn?«

»Nur das Privileg, Euch weiter dienen zu dürfen, Herr«, erwiderte Frike. »Sowohl jetzt als auch nach dem Tod.«

Die Antwort machte Azzie klar, daß Frike wußte, wer – oder vielmehr was – sein neuer Herr war. Es freute ihn, einen so intelligenten Diener gefunden zu haben. Er trug Frike auf, die Sachen zu packen. Sie würden sofort mit der Arbeit beginnen.

KAPITEL 6

Bevor er die nächsten Schritte unternehmen konnte, benötigte Azzie eine Operationsbasis. Die Herberge Zum Gehängten hatte viele Vorzüge, war aber zu klein, und die anderen Gäste würden zwangsläufig neugierig werden. Außerdem war da das Problem des unvermeidlichen Gestanks, der sich einstellen würde, wenn Azzie und Frike die benötigten Körperteile sammelten. Azzie kannte einige universelle Zaubersprüche, um Menschenfleisch relativ frisch zu halten, aber nicht einmal ein magischer Zauberspruch vermochte den Geruch nach Tod und Verwesung fernhalten, der über seiner Arbeit schwebte. Auch Männer anzustellen, die Eis aus den Alpen holten, wäre keine befriedigende Lösung gewesen, denn einen ständigen Nachschub sicherzustellen, hätte einen immensen Aufwand erfordert. Und die Machte der Finsternis hatten diesem Anliegen sowieso nicht stattgegeben. Sie wiesen darauf hin, daß die Kosten in keinem Verhältnis zum Nutzen stünden und ein solches Projekt zuviel Aufmerksamkeit erregen würde.

Also stellte sich die Frage, wo Azzie sein Domizil mit dem erforderlichen Laboratorium aufschlagen sollte. Er mußte im Herzen Europas bleiben, weil die Handlung dort stattfinden würde. Schließlich ließ er sich in Augsburg nieder, nicht allzu weit von den Alpen und Zürich entfernt. Es war eine hübsche kleine Stadt, die an einer Handelsroute lag, was bedeutete, daß er die für seine Arbeit benötigten Gewürze und Kräuter von reisenden Kaufleuten erwerben konnte. Außerdem war Augsburg ein günstiger Ort, weil es ein bekanntes Zentrum der Hexerei war. Da jeder dort jeden der Zauberei verdächtigte, würde Azzie kein unnötiges Mißtrauen erregen.

Er suchte den Bürgermeister auf und schloß einen langfristigen Mietvertrag für das Chateau des Artes ab, ein Schloß mit hohen Türmen am nördlichen Stadtrand. Dieses noble alte Anwesen, das auf den Ruinen einer römischen Villa errichtet worden war, in der zur Zeit des Römischen Imperiums ein Praetor residiert hatte, eignete sich wunderbar für Azzies Zwecke. Der Keller war groß genug, um ihm ausreichend Platz für seine wachsende Sammlung an Körperteilen zu bieten. Außerdem befand sich Azzie hier in der relativen Nähe von Zürich und Basel, so daß ein befriedigender Nachschub an zusätzlichen Materialien aus den medizinischen Zentren dieser Gegend gewährleistet war.

Aber es war Sommer, und selbst seine Konservierungszauber stießen an ihre Grenzen. Schließlich mußte er auf andere Hilfsmittel zurückgreifen.

Seit Urzeiten war bekannt, daß man organische Substanzen haltbar machen konnte, indem man sie in einen Bottich voller Jauche legte. Jauche war in der Tat ein Universalmittel, ein köstliches Getränk und ansonsten zum Wirken von Wundern zu verwenden.

Allerdings stellte es sich als schwierig heraus, ausreichende Mengen an Jauche zu beschaffen. Die Abteilung für Ausrüstung und Zubehör versuchte, jeden Tropfen für sich zu behalten. Erst als Azzie Hermes Trismegistus bat, für ihn zu intervenieren, gestand man ihm eine für seine Zwecke ausreichende Menge zu. Und danach mußte er Frike dann noch unter Androhung von großen Qualen und einem möglichen Tod ermahnen, sich nicht an den kostbaren Vorräten zu vergreifen.

Brustkörbe, Hüften, Kniescheiben und Ellbogen waren problemlos zu besorgen. An Rippen und Schultern herrschte kein Mangel. Aber Azzie wollte die Vorgeschichte jedes einzelnen Körperteils erfahren, das er erwarb, und die entzog sich oft der Kenntnis seiner Geschäftspartner.

Während die warme Jahreszeit das Laub dunkler werden und Sommerblumen blühen ließ, wuchs seine Sammlung beständig Stück für Stück. Doch es waren die unwichtigeren Körperteile. Entscheidend waren die Köpfe, Gesichter und Hände, und die waren nur schwer erhältlich.

So verging die Zeit, Sommergewitter tobten und grollten, und es schien, als würde Azzie seinem Ziel nicht näher kommen. Er stellte ein menschliches Versuchsexemplar zusammen, das lallend umhertorkelte, bis er es schließlich wieder in den Aufbewahrungsbottich zurückverfrachtete, ein erbärmlicher schwachsinniger Idiot. Offensichtlich war das Gehirn des Geschöpfs zerfallen, bevor es hatte konserviert werden können. Azzie begann sich zu fragen, ob er sich nicht mit seinem Vorhaben übernommen hatte.

Die hellen Sommertage aber ließen den Stichtag am Jahresende eine Ewigkeit entfernt erscheinen, und Azzie beauftragte Handwerker mit Renovierungsarbeiten an seinem Schloß. Er stellte Bauern aus den umliegenden Dörfern ein, die schnellwachsendes Getreide auf seinen Feldern anpflanzten. Diese alltäglichen Arbeiten bereiteten ihm eine merkwürdige Befriedigung, während die Kopfjagd weiterging.

Das Chateau des Artes war ein günstiger Ausgangspunkt für Reisen nach Italien im Süden, Frankreich im Westen und Böhmen und Ungarn im Osten. Während Azzie seine Tage damit zubrachte, die Aufgaben eines Hausherrn zu erledigen, schickte er Frike mit einem großen Schimmel und zwei Packpferden auf weite Reisen. Aber obwohl sein Gehilfe viele seltene und nützliche Dinge auftrieb, schien eine Flaute an Köpfen zu herrschen. Köpfe…

Azzie erzählte Estel Castelbracht, dem Bürgermeister der Stadt, daß er mit verschiedenen Forschungsarbeiten beschäftigt wäre, um Heilmittel gegen die Grippe, die Pest und das Dreitagesfieber zu finden, Krankheiten, die die Gegend seit den Zeiten des Römischen Reiches heimsuchten. Er erklärte, daß er seine Nachforschungen an menschlichem Fleisch mit Methoden durchführen müßte, die er von den großen Alchemisten dieser Periode gelernt hätte. Der Bürgermeister und das Volk glaubten ihm, denn Azzie machte den Eindruck eines freundlichen Zeitgenossen, der immer bereit war, die Kranken aus dem Umland zu behandeln, und das oft mit beachtlichem Erfolg.

Während er das tat, machte er sich Gedanken über die Requisiten, die er für seine Aufführung des »Märchenprinzen« brauchen würde. Er übermittelte der Abteilung für Ausrüstung und Zubehör eine Liste der erforderlichen Dinge, aber die Antworten waren immer ziemlich vage formuliert und strotzten vor schwammigen Floskeln wie »falls noch vorhanden« oder »zur Zeit nicht vorrätig, Nachlieferung demnächst erwartet«. Besonders ärgerlich war die Auskunft bezüglich seiner Anforderung zweier Schlösser, eins für den Märchenprinzen, das andere für Prinzessin Rosenrot. Die Verantwortlichen der Versorgungsabteilung, die sich über eine Orakeleule mit ihm in Verbindung setzten, teilten ihm mit, daß sie im Augenblick nicht ein einziges Schloß zur Verfügung hätten. Azzie stritt sich mit ihnen herum und erklärte ihnen, daß dieser Auftrag absoluten Vorrang hätte und vom Hohen Dämonenrat persönlich abgesegnet worden sei. »Ja«, lautete die Antwort, »alle Aufträge haben Vorrang, und wir tun alles, was in unseren Kräften steht…«

Azzie beschloß, der Abteilung einen Besuch abzustatten, sich das Lager mit eigenen Augen anzusehen und vorsorglich alles beiseite zu schaffen, was er brauchen würde, sobald er bereit war, seinen Prinzen und seine Prinzessin zusammenzusetzen. Ja, es wurde Zeit, den Limbus aufzusuchen, diese nur schwer zu erklärende Region, in der all die übernatürlichen Ereignisse geboren wurden, die das Schicksal der Menschheit in die eine oder andere Richtung steuerten.

Und er würde die Augen auf seiner Suche nach einem geeigneten Kopf offen halten…

KAPITEL 7

Azzie brach mit einem Gefühl des Bedauerns auf. Er wußte, daß er sich nicht derartige sentimentale Gefühle wegen eines Stücks Land gestatten sollte, das ihm nur kurze Zeit gehören würde und auf dem er sich nur aufhielt, um eine bestimmte Aufgabe zu erfüllen. Trotzdem, die ganze Arbeit am Anwesen und den Feldern… Er hatte noch nie so viel von sich selbst in irgendeinen Ort eingebracht und zugesehen, wie er sich gemäß seinen Vorstellungen verwandelte. Das Chateau des Artes begann, sich irgendwie… wie ein Zuhause anzufühlen.

Und die Reise in den Limbus war nicht gerade gefahrlos. Es gab immer Schwierigkeiten beim Übertritt von einem Reich in ein anderes. Schon die Gesetze eines Reichs, zum Beispiel die der Erde, können nicht vollständig verstanden werden. Um wieviel schwerer waren da erst die seltsamen Gesetze zu verstehen, denen die Reisen zwischen den verschiedenen Existenzebenen unterworfen waren.

Glücklicherweise lief diesmal alles glatt. Azzie hatte die erforderlichen Vorbereitungen getroffen, die griechischen Worte gesprochen und die hebräischen Beschwörungen intoniert. Flammen loderten auf, und plötzlich befand er sich auf einer langgestreckten Ebene, die auf beiden Seiten von öden schwarzen Bergen gesäumt wurde. Der Himmel war weiß und heiß und gelegentlich von grünen Wirbeln durchzogen, als ob dort Dschinns im schnellen Formationsflug unterwegs wären.

Es ist äußerst mühsam, im Limbus von einem Ort zum anderen zu gelangen, da seine Ausdehnungen grenzenlos sind. Vernünftigerweise aber liegen einige der wichtigeren Einrichtungen nahe beieinander und erzeugen eine Art Sog, der Besucher anzieht. Außerdem gibt es die Rok-Fluglinie, derer sich Azzie bedienen konnte. Die riesigen Vögel sind auf der Erde schon seit langem ausgestorben. Nach dem Pleistozän hatten sie Schwierigkeiten, ihren Lebensunterhalt zu bestreiten. Durch ihre breiten Rücken aber eigneten sie sich an diesem Ort hervorragend für Dienstleistungen im Beförderungswesen.

Die Abteilung für Ausrüstung und Zubehör sah wie eine gewaltige Ansammlung von Lagerhäusern aus, die inmitten der Ebene gelegen war. Die Verantwortlichen hatten auf viel Raum bestanden. Die Stellfläche reichte aus, um dort alle Wohnzimmer der Erde unterzubringen, und es blieb noch genügend Platz für Küchen und Ställe. Eigentlich hatte man nie versucht, alle Lagerhäuser vollständig aufzufüllen. Der Anzahl der Dinge, die man vielleicht einmal benötigen könnte, wurde nur durch die menschliche Vorstellungskraft Grenzen gesetzt, und irgendwann würde im Zuge des ewig währendes Kampfes der unsichtbaren Mächte, die Menschheit zu verderben beziehungsweise zu erleuchten, alles einmal gebraucht werden. Man konnte nie im voraus wissen, wann irgendein Dämon einen thrakischen Speer aus den Jahr 55 nach Christ oder etwas ähnlich Ausgefallenes benötigte. Die Abteilung simulierte die meisten der angeforderten Dinge und verfügte über die phantasievollsten Szeneriedesigner, die es jemals gegeben hatte.