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»Ich werde nicht wiederkommen«, versicherte Scrivener.
Azzie erwog kurz, ihn zu fragen, ob er darauf wetten wollte, entschied aber, daß das unter den gegebenen Umständen unangemessen gewesen wäre.
»Wir werden diese Erinnerungen aus Ihrem Gedächtnis löschen müssen«, erklärte er Scrivener. »Sie verstehen schon, wir können nicht zulassen, daß Leute wie Sie auf die Erde zurückkehren und jede Menge Geschichten erzählen.«
»Ist mir recht«, entgegnete Scrivener. »Es gibt hier sowieso nichts, woran ich mich gerne erinnern würde. Obwohl davor, im Fegefeuer, da habe ich so einen blonden Sukkubus kennengelernt…«
»Behalten Sie’s für sich«, knurrte Azzie, ergriff Scrivener am Arm und schob ihn zum Tor in der Wand, das in die anderen Bereiche der Hölle und letztendlich zu jedem anderen Ort und umgekehrt führt.
KAPITEL 2
Azzie und Scrivener durchschritten das Eisentor in den Eisenwänden und folgten der sich in Spiralen emporwindenden Straße, die durch die äußeren Vororte des Fegefeuers führt, eine aus bodenlosen kreuzförmigen Abgründen und verblüffend hohen Gipfeln bestehende Landschaft, genau wie Fuseli sie gemalt hat. Dämon und Mensch wanderten endlos dahin. Der Weg war einfach zu begehen, so wie es für die Straßen in der Hölle typisch ist, aber der Marsch war auch langweilig, denn die Hölle ist das Reich der Freudlosigkeit.
»Ist es noch sehr weit?« fragte Scrivener nach einer Weile.
»Ich bin mir nicht sicher«, gestand Azzie. »Diese Gegend hier ist neu für mich. Eigentlich sollte ich überhaupt nicht hier sein.«
»Genau wie ich«, erwiderte Scrivener. »Daß ich ab und zu in ein todesähnliches Koma falle, ist noch lange kein Grund für Ihren Sensenmann, mich wegzuschleppen, ohne vorher die entsprechenden Untersuchungen durchzuführen. Ich sage Ihnen, das war Schlamperei. Und warum sollten Sie nicht hier sein?«
»Ich war für bessere Aufgaben vorgesehen«, sagte Azzie. »Ich hatte gute Noten im Thaumaturgie-College. War beim Abschluß unter den drei Besten in meiner Klasse.«
Er verzichtete darauf, Scrivener zu erzählen, daß seine gesamte Klasse bis auf drei Schüler von einem plötzlichen Einbruch des Guten aus südlicher Richtung ausgelöscht worden war. Ein verrücktes metaphysisches Unwetter, das bis auf Azzie und zwei weitere Kommilitonen, die offensichtlich eine natürliche Immunität gegen gute Ausstrahlungen besaßen, alle anderen getötet hatte. Und dann war da diese Pokerrunde gewesen…
»Also, warum sind Sie hier?« hakte Scrivener nach.
»Ich arbeite meine Spielschulden ab«, erklärte Azzie. »Ich konnte nicht zahlen, also mußte ich meine Zeit ableisten.« Er zögerte einen Moment lang und fügte dann hinzu: »Ich spiele nun mal für mein Leben gern.«
»Ich auch«, sagte Scrivener in einem Tonfall, in dem ein Anflug von Bedauern mitklang.
Eine Weile wanderten sie schweigend dahin. Irgendwann fragte Scrivener: »Was wird jetzt mit mir geschehen?«
»Wir werden Sie in Ihren Körper zurückversetzen.«
»Wird mit mir danach auch alles in Ordnung sein? Einige Leute, die von den Toten wiederauferstehen, sind hinterher ganz komisch. Zumindest habe ich das gehört.«
»Ich werde da sein und auf Sie aufpassen. Ich werde solange bei Ihnen bleiben, bis ich sicher bin, daß Sie in Ordnung sind.«
»Gut zu hören«, erwiderte Scrivener. Er schwieg erneut, bevor er sich wieder zu Wort meldete. »Aber wenn ich aufwache, werde ich natürlich nicht wissen, daß Sie da sind, nicht wahr?«
»Natürlich nicht.«
»Dann kann mich das auch nicht beruhigen.«
»Wenn Sie leben, kann Sie überhaupt nichts beruhigen«, sagte Azzie gereizt. »Jetzt kann ich es Ihnen ja sagen. Nur wenn Sie tot sind, können Sie das würdigen.«
Sie gingen weiter. Wieder verging längere Zeit. »Wissen Sie, ich kann mich überhaupt nicht an mein Leben auf der Erde erinnern«, klagte Scrivener schließlich.
»Machen Sie sich deswegen keine Sorgen. Es wird Ihnen alles wieder einfallen.«
»Ich glaube allerdings, daß ich verheiratet war.«
»Schön.«
»Aber ich bin mir nicht sicher.«
»Sie werden sich an alles erinnern, sobald Sie wieder in Ihrem Körper sind.«
»Und wenn nicht, was dann? Was, wenn ich unter Gedächtnisverlust leide?«
»Sie werden in Ordnung sein«, versicherte Azzie.
»Schwören Sie das bei Ihrer Dämonenehre?«
»Aber sicher«, log Azzie mit Leichtigkeit. Er hatte einen Sonderkurs im Ablegen von Meineiden absolviert und sich als äußerst begabt erwiesen.
»Sie würden mich doch nicht belügen, oder?«
»Hey, vertrauen Sie mir«, gab Azzie zurück und benutzte damit das Hauptmantra, mit dem man selbst die mißtrauischsten und störrischsten Zeitgenossen besänftigen kann.
»Sie verstehen bestimmt, warum ich ein bißchen nervös bin«, sagte Scrivener. »Ich meine, wiedergeboren zu werden.«
»Nichts, weswegen Sie sich schämen müßten«, beruhigte ihn Azzie. »So, da sind wir.«
Satan sei Dank, fügte er unhörbar hinzu. Es machte ihn nervös, sich über einen längeren Zeitraum mit Menschen zu unterhalten. Sie konnten endlos um die Dinge herumreden! Die Dämonenoberen hatten einen Orientierungskurs in Menschlicher Wankelmütigkeit an der Dämonenuni angeboten, aber es war ein Wahlfach gewesen, und Azzie hatte sich nicht die Mühe gemacht, es zu belegen. Damals war ihm Betrügerische Dialektik sehr viel interessanter erschienen.
Nicht weit entfernt erblickte er die vertrauten scharlachroten und hellgrünen Streifen der Nordgrubenambulanz. Der Wagen hielt ein paar Meter vor ihnen an, und ein Sanitätsdämon stieg aus, ein Bursche mit obeliskförmigen Augen und einer Schweineschnauze. Er unterschied sich grundlegend von Azzie, der ein Fuchsgesicht hatte, rotes Haar, spitze Ohren und bemerkenswert blaue Augen. Leute mit einem Faible für Dämonen hätten ihn als recht attraktiv bezeichnet.
»Ist das der Kerl?«
»Das ist er«, bestätigte Azzie.
»Bevor Sie irgend etwas tun«, sagte Scrivener, »würde ich gerne wissen…«
Der Sanitätsdämon mit der Schweineschnauze streckte einen Arm aus und berührte eine Stelle an Scriveners Stirn. Scrivener verstummte mitten im Satz. Seine Augen wurden glasig.
»Was haben Sie mit ihm gemacht?« fragte Azzie.
»Ihn in den Ruhemodus versetzt«, sagte der Sanitätsdämon. »Jetzt wird es Zeit, ihn loszuschicken.«
Azzie hoffte, daß mit Scrivener alles in Ordnung sein würde. Es ist immer beunruhigend, wenn ein Dämon einem im Kopf herumpfuscht.
»Woher wissen Sie, wohin Sie ihn schicken müssen?« erkundigte er sich.
Der Sanitätsdämon öffnete Scriveners Hemd und zeigte Azzie den Namen und die Adresse, die purpurrot in die Haut eintätowiert waren. »Es ist die Kennmarke des Teufels«, erklärte er.
»Entfernen Sie die Tätowierung, bevor Sie ihn zurückschicken?«