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»Du hast doch sicher nichts dagegen, wenn ich mal einen Blick da hineinwerfe, oder?« fragte Azzie.
Rognir hatte eine ganze Menge dagegen, aber da ein Zwerg kein ernstzunehmender Gegner für einen Dämon ist, entschied er sich für zuvorkommendes Verhalten statt unangebrachter Tapferkeit.
»Tu dir keinen Zwang an.«
Azzie leerte den Sack aus. Er stieß die Rubine beiseite, die Rognir in Burma gesammelt hatte, ignorierte die kolumbianischen Smaragde sowie die südafrikanischen Diamanten mitsamt ihren zukünftigen finsteren Auswirkungen und hob einen kleinen zylinderförmigen rosafarbenen Stein auf.
»Für mich sieht das wie Felixit aus«, stellte er fest. »Würde es dir etwas ausmachen, wenn ich es mir für eine Weile ausleihe?«
Da ihm kaum etwas anderes übrig blieb, zuckte Rognir die Achseln. »Solange du nicht vergißt, es mir später wieder zurückzugeben.«
»Mach dir deswegen keine Sorgen«, sagte Azzie, drehte sich um und wollte verschwinden. Dann betrachtete er noch einmal die auf dem Boden verstreuten kostbaren Steine. »Hör mal, Rognir«, meinte er, »für einen Zwerg scheinst du ganz in Ordnung zu sein. Was hältst du davon, wenn du und ich einen kleinen Handel eingehen?«
»Woran hast du gedacht?«
»Ich habe da eine bestimmte Sache vor. Im Augenblick kann ich nicht viel darüber verraten, aber es hat etwas mit der bevorstehenden Jahrtausendfeier zu tun. Ich brauche das Felixit und deine Edelsteine, denn ohne Geld kann ein Dämon nichts machen. Wenn ich die erwartete Unterstützung von den Hohen Mächten des Bösen bekomme, werde ich dir das Darlehen zehnfach zurückzahlen können.«
»Aber ich wollte diese Edelsteine nach Hause bringen und meinem Haufen hinzufügen«, sagte Rognir. Er bückte sich und begann, die Steine aufzusammeln.
»Du besitzt doch bestimmt schon einen ziemlich großen Haufen, nicht wahr?«
»Oh, nichts wofür man sich schämen müßte«, erwiderte Rognir mit der Selbstgefälligkeit eines Zwergs, dessen aufgehäufte Reichtümer es mit den besten aufnehmen konnten.
»Warum überläßt du mir dann nicht diese Steine? Der Haufen, den du zu Hause hast, ist doch jetzt schon ganz schön groß.«
»Das hält mich nicht davon ab, mir zu wünschen, daß er noch größer wird!«
»Natürlich nicht. Aber wenn du diese Steine deinem Haufen hinzufügst, wird dein Geld nicht für dich arbeiten. Wenn du es dagegen bei mir investierst, dann wird es arbeiten.«
»Geld, das für mich arbeitet? Was für eine seltsame Vorstellung! Ich wußte gar nicht, daß Geld arbeiten sollte.«
»Es ist ein Konzept der Zukunft, und es ist sehr vernünftig. Warum sollte Geld nicht arbeiten? Alles und jeder andere muß arbeiten.«
»Das ist ein gutes Argument«, räumte Rognir ein. »Aber welche Sicherheit habe ich, daß du dein Wort halten wirst? Alles, was ich habe, ist dein Versprechen, daß ich mich auf dein Wort verlassen kann, wenn ich dein Angebot annehme. Nehme ich es dagegen nicht an, habe ich immer noch alle meine Edelsteine.«
»Ich kann das Angebot unwiderstehlich attraktiv für dich machen«, sagte Azzie. »Anstatt mich an die im Bankgeschäft üblichen Konditionen zu halten, werde ich dir deinen Gewinn im voraus auszahlen.«
»Meinen Gewinn? Aber ich habe doch noch gar nicht bei dir investiert.«
»Das ist mir klar. Deshalb werde ich dir als Anreiz schon jetzt die Jahreszinsen zahlen, die du erhältst, wenn du bei mir investier st.«
»Und was muß ich dafür tun?«
»Öffne einfach die Hände.«
»Also, na gut«, gab Rognir nach, der – wie die meisten Zwerge – der Aussicht auf einen Gewinn nicht widerstehen konnte.
»Hier, für dich«, sagte Azzie. Er gab Rognir zwei der kleineren Diamanten, einen Rubin mit winzigen Verunreinigungen und drei vollkommene Smaragde.
Rognir nahm sie entgegen und betrachtete sie unschlüssig. »Aber sind das denn nicht meine?«
»Natürlich! Das ist dein Gewinn!«
»Aber die haben mir doch schon vorher gehört!«
»Ich weiß. Aber du hast sie mir geliehen.«
»Habe ich das? Ich kann mich nicht daran erinnern.«
»Du erinnerst dich doch daran, daß du den Gewinn akzeptiert hast, den ich dir angeboten habe, nicht wahr?«
»Natürlich. Wer würde schon einen Gewinn ablehnen?«
»Du hast dich ganz richtig entschieden. Aber dein Profit beruht darauf, mir die Steine zu leihen, um daraus Profit zu schlagen. Jetzt hast du ein paar davon zurückbekommen. Und trotzdem schulde ich dir immer noch diejenigen, die ich dir gerade zurückgegeben habe, wie den ganzen Rest. Sie sind die erste Rate. In einem Jahr wirst du alle zurückbekommen. Und du hast bereits den Gewinn eingestrichen.«
»Ich bin mir da nicht so sicher«, murmelte Rognir nachdenklich.
»Vertrau mir«, sagte Azzie. »Du hast eine kluge Investition getätigt. Es war mir ein Vergnügen, Geschäfte mit dir zu machen.«
»Warte einen Moment!«
Azzie nahm die restlichen Steine und das Stückchen Felixit an sich, verschwand und tauchte auf der Erdoberfläche wieder auf. Dämonen verfügen unter anderem natürlich auch über die Fähigkeit, ganz plötzlich zu verschwinden, was ihnen allgemein ein Talent für theatralisches Auftreten verleiht.
KAPITEL 6
Es war schon lange her, seit Azzie Rom besucht hatte. Die Stadt erfreute sich besonderer Beliebtheit unter Dämonen und war seit jeher ein bevorzugtes Ausflugsziel sowohl für Einzelreisende als auch für Gruppen von hundert und mehr Personen mit Frauen und Kindern unter der Führung von dämonischen Reiseleitern, die Wissenswertes über dieses und jenes zu berichten wußten. An interessanten Dingen herrschte kein Mangel. Ganz oben auf der Liste der Sehenswürdigkeiten standen die Friedhöfe. Die Lektüre der Grabinschriften bereitete jede Menge Spaß, und die hohen dunklen Zypressen und antiken moosüberwucherten Monumente verliehen den Friedhöfen ein angenehm melancholisches Flair, das zur inneren Besinnung einlud. Und auch in diesen Tagen war Rom ein aufregender Ort, was nicht nur an den ständigen Ernennungen und Exkommunizierungen diverser Päpste lag, sondern auch an den sich bietenden Gelegenheiten, dazu beizutragen, daß alles noch ein wenig schlimmer wurde.
Und besonders aufregend war, daß dies die Zeit der Jahrtausendwende war, das Jahr 1000 A.D. Otto III war Kaiser des Heiligen Römischen Reiches, und es gab eine große Rivalität zwischen seinen deutschen Gefolgsleuten und den Italienern, die die einheimischen Kandidaten unterstützten. Die römischen Adligen erhoben sich regelmäßig gegen Otto, und immer wieder kam es zu Überfällen und Tumulten. Nach Einbruch der Dunkelheit war es auf den Straßen für die Menschen nicht mehr sicher, und selbst bei Tag drohten allerlei Gefahren. Horden gesetzloser Söldner machten die Gegend unsicher, und wehe dem Mann oder der Frau, die ihnen in die Hände fielen.
Azzie schwebte mit der Abenddämmerung ein, als sich die Sonne gerade anschickte, in der Adria zu versinken, und die Kuppeln und Türme Roms leuchten ließ, während sich über die Terrakottadächer bereits die Nacht herabsenkte. Er flog im Tiefflug über die verwinkelten Straßen hinweg und sank noch tiefer, um eine Runde über das Forum und das Colloseum zu drehen und den Anblick in angemessener Form zu genießen. Dann stieg er wieder in die Höhe und segelte zum Palatin. Hier lag ein ganz besonderer Friedhof, der Narbozzi, und das war auch der Ort, an dem die Dämonen seit unerdenklichen Zeiten ihre jährlichen Pokerrunden veranstalteten. Mit etwas Glück würde das Spiel auch dieses Jahr wieder hier stattfinden.
Der Narbozzi-Friedhof, der sich über viele Hektar der hügligen Nordseite des Palatin ausbreitete, war mit Marmorsarkophagen, steinernen Kreuzen und Familiengruften bedeckt. Azzie schlenderte die grasbewachsenen Pfade des Narbozzi entlang, die sich immer deutlicher vor seinen Augen abzeichneten, je tiefer die Sonne sank. Dämonen sehen in der Nacht besser als am Tag, weil die Nacht ihr natürliches Medium ist. Der Friedhof war groß, und Azzie hatte ein wenig Angst, daß er die Stelle, an der das Spiel stattfand, übersehen könnte. Hoffentlich nicht. Er hatte sein Glücksamulett in Form von Rognirs Felixit zur Sicherheit in ein Pergament eingewickelt, das ein Zeichen König Salomons trug. Und in seinem Beutel steckten Rognirs Edelsteine, sein Einsatz für das bevorstehende Spiel.
Er eilte dahin, und schon bald wich die Dämmerung endgültig der Nacht. Am Himmel erschien ein abnehmender Sichelmond, und Sirius, der Hundestern, glühte rot, ein günstiges Omen für das Böse. Aus den nahe gelegenen Sümpfen klang das Zirpen der Grillen und das Quaken der Frösche herüber. Azzie fragte sich schon, ob er den falschen Friedhof aufgesucht hatte – zu dieser Zeit hielt Rom den Weltrekord an Friedhöfen von hohem antiquarischem Interesse. Es würde ihn zu viel Zeit kosten, jeden einzelnen zu überprüfen, und er besaß nicht einmal eine vollständige Liste aller Friedhöfe.
Gerade wollte er sich für seine mangelnde Vorbereitung verfluchen – er hätte sich mit dem Komitee für Übernatürliche Veranstaltungen in Verbindung setzen sollen, um den genauen Austragungsort des Spiels zu erfahren –, als er ein Geräusch hörte, das beruhigend unmenschlich klang. Er folgte dem Geräusch, und es löste sich in Gelächter auf, das aus dem Ostteil des Narbozzi kam, jenem Abschnitt, der in der Antike unter dem Namen ›der Verfluchte‹ bekannt war. Als er sich ihm näherte, konnte er hören, wie Flüche ausgestoßen wurden, und dann vernahm er das gewaltige kesselpaukenartige Gelächter Newzejoths, eines der größten Dämonenfürsten, dessen Stimme unverkennbar war. Azzie flog eilig in die entsprechende Richtung.
Die Dämonen hatten ihr Lager in einer flachen Senke zwischen dem großen Marmorsarkophag von Romulus und dem jüngeren Grab von Pompejus aufgeschlagen, in einem kleinen Hain, der von einem Ring Stechpalmen umgeben war. Obwohl sie erst vor wenigen Stunden angekommen waren, wies die Umgebung bereits deutliche Spuren von Chaos und Unrat auf, den charakteristischen Anzeichen für dämonische Zusammenkünfte. Riesige Fässer mit Jauche waren als Erfrischung bereitgestellt worden. Hier und dort brannten Feuer, und Küchengehilfen brieten Körperteile von Menschen der unterschiedlichsten Nationen über glühender Holzkohle.
Azzie wurde von den anderen Dämonen willkommen geheißen. »Helles oder dunkles Fleisch?« fragte ihn ein Sukkubus. Aber Azzie hatte keine Zeit, um zu essen, auch wenn die jungen Menschen, die goldbraun geröstet an den Spießen steckten, köstlich zu sein schienen.
»Wo findet das Spiel statt?« erkundigte er sich.
»Gleich da drüben«, erwiderte der Sukkubus. Soweit Azzie es anhand ihres Nasenrings und der nach hinten gedrehten Füße beurteilen konnte, handelte es sich um eine indische Dämonin. Sie lächelte ihn verführerisch an. Sie war wirklich schön, doch Azzie war im Augenblick weder nach einem erotischen Abenteuer zumute noch verspürte er Appetit, denn die Spielleidenschaft hatte ihn gepackt, und er hastete zu den Spielern.
Die kartenspielenden Dämonen hatten einen Kreis gebildet, der von Fackeln und Talgkerzen erhellt wurde, die aus widerlichen wachsartigen Substanzen bestanden. Der innere Kreis war von einem weiteren Ring Dämonen umgeben, die das Spiel verfolgten und die einzelnen Züge kommentierten. Als Azzie eintraf, wurde gerade um einen hohen Einsatz gespielt. Im Pot waren etliche Goldmünzen, ein paar Silberdenare und ein menschlicher Torso von beträchtlichem Wert, da noch Blut aus den Arm- und Beinstümpfen tropfte. Die letzten Einsätze wurden getätigt, und ein kleiner Dämon mit einem Kugelbauch, dürren Armen und Beinen und einer langen Nase (dem Rentierpullover nach zu schließen ein Lappe) gewann das Spiel und den gesamten Pot.