121906.fb2 Das Erbe der Phaetonen - читать онлайн бесплатно полную версию книги . Страница 10

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Die Schwester der Erde

Durchschnittlich einhundertundacht Millionen Kilometer von der Sonne entfernt, das sind zweiundvierzig Millionen Kilometer weniger als die Erde, zieht majestätisch der zweite Planet des Sonnensystems seine Bahn. Von unseren Vorfahren wurde er nach der Göttin der Schönheit und der Liebe Venus genannt.

In Ausdehnung und Masse der Erde fast gleich und ihr am nächsten gelegen, trägt dieser Planet seinen poetischen Namen mit Recht. Keiner funkelt schöner am irdischen Himmel, wenn ihn der Morgen rosig überhaucht, als er.

Die Städter sehen die Venus allerdings meist des Abends, und da wirkt sie nicht ganz so schön. Bemerkenswert erscheint, daß der Planet in einigen arabischen Ländern den ganz anderen Namen Luzifer erhielt. Was die Araber bewog, die strahlende Schöne so zu nennen, ist schwer zu verstehen.

Den Astronomen gab die Venus wohl ein noch größeres Rätsel auf als der Mars. Ihre Oberfläche konnte von der Erde aus nicht beobachtet und untersucht werden, weil Wolken sie ständig verhüllten. Die einen Wissenschaftler nahmen daher an, daß Weltraumfahrer auf der Venus weder Meere noch Wälder, sondern nur von vulkanischem Staub bedeckte Steinwüsten vorfinden würden; andere vermuteten dort ausgedehnte Moore. Die Anhänger Gawriil Adrian Tichows schließlich, der die Idee des Vorhandenseins von Leben im Weltall verfocht, behaupteten: Auf der Venus gibt es Leben, wenn natürlich auch nicht in derselben Form wie auf der Erde. Sie erklärten, die Forscher würden dort keine grünen Wälder erblicken; die Pflanzenwelt auf der Schwester der Erde müßte infolge des heißen Klimas vielmehr orangefarben und rot sein, sind doch auch auf der Erde, in den Tropen, viele Pflanzen rot. Und nicht nur in den Tropen. An den heißen Quellen Kamtschatkas, wo die Temperatur achtzig Grad erreicht, wuchern purpurrote und grellrote Algen, und der Rand dieser Quellen ist mit orangefarbenen und gelben Moosen bedeckt.

Das Leben paßt sich allen Umweltbedingungen an. Es behauptet sich ebenso im hypertropischen Klima der Venus wie im äußerst rauhen Klima des Mars.

Mit Hilfe der Radioastronomie war festgestellt worden, daß die Temperatur der Oberfläche des Planeten nahezu hundert Grad betrage, aber das mußte geprüft werden. Es galt auch, die Dauer eines Tages und vieles andere genauer festzustellen.

Der Umfang der bevorstehenden Arbeit war groß, das Raumschiff aber durfte sich laut Plan nicht länger als achtundvierzig Tage — natürlich Erdentage — auf der Venus aufhalten.

All das hatte Belopolski auf einer Versammlung der Schiffsbesatzung dargelegt.

Nun näherte sich „SSSR-KS 3“ seinem Ziel. Bis zur Bahn der Venus waren noch ungefähr dreiundeinehalbe Million Kilometer zurückzulegen. Das kam etwas mehr als vierundzwanzig Fahrstunden gleich.

Das Raumschiff flog bereits nicht mehr geradeaus, mit gezogenen Gasrudern beschrieb es im Weltenraum eine gigantische Kurve und bog in die Bahn des Planeten ein. Die Triebwerke waren etwas gedrosselt. Dadurch entstand sogleich wieder eine schwache Schwerkraft. Nichts konnte mehr frei in der Luft schweben, die Backbordseite zog alle Gegenstände innerhalb des Schiffes gleichsam an sich.

Belopolski und Melnikow wachten abwechselnd am Steuerpult. Die automatischen Steuervorrichtungen führten das Schiff auf den vorgeschriebenen Kurs, aber trotzdem mußte alles überprüft und stündlich der Standort ermittelt werden.

Die übrigen Mitglieder der Besatzung legten in den Kajüten und Korridoren bereits die provisorischen Fußböden aus, erwarteten die Sternfahrer doch auf der Venus die gewohnten Bedingungen der Schwerkraft. Die Räume sollten so eingerichtet sein, daß sie während des anderthalbmonatigen Aufenthaltes auf der Schwester der Erde möglichst viel Bequemlichkeit boten.

Neunzehn Tage und Nächte waren schon seit dem denkwürdigen Morgen vergangen, an dem „SSSR-KS 3“ den Raketenflugplatz verlassen und die schwere und gefährliche Fahrt angetreten hatte. In dieser verhältnismäßig kurzen Zeit hatten die Expeditionsmitglieder viel erlebt und erlitten. Die sechsund- 91 dreißig Stunden auf der Arsena und besonders der tragische Tod Orlows waren an keinem spurlos vorübergegangen. Die Männer hatten sich verändert. Vor allem war das bei jenen zu spüren, die zum ersten Mal an einem interplanetaren Flug teilnahmen.

Einige, zum Beispiel Romanow, Knjasew und Wtorow, hatten beim Start von der Erde noch keine klaren Vorstellungen dessen besessen, was sie erwartete. Die Raumfahrt, der Besuch des Asteroiden und die Erforschung der Venus waren in ihrer Vorstellung romantisch verklärt gewesen. Inzwischen hatten sie die Kehrseite gesehen und die rauhe Wirklichkeit kennengelernt.

Der Sieg über die Natur fällt dem Menschen nicht in den Schoß, er wird in zähem, verderbendrohendem Kampf errungen. Diesem und jenem hatten die ersten Tage des Fluges viele schwere Minuten gebracht. Die Unendlichkeit des leeren Raumes, in dessen Mitte unbeweglich das winzige Raumschiff zu hängen schien, das Fehlen eines sichtbaren Haltes, die Verwirrung der Begriffe „oben“ und „unten“ sowie die Schwerelosigkeit selbst — all das hatte stark auf das Gemüt gewirkt, und gut die Hälfte der Besatzung war von der „Kosmonautenkrankheit“ befallen worden.

Mit Beginn der zweiten Hälfte der Fahrt änderte sich das.

Die Raumschiffbesatzung reifte zu einem Forscherkollektiv, das vom gleichen Denken, Fühlen und Streben beseelt war, und jeder einzelne verstand bis ins Letzte, was der von ihm gewählte Beruf verlangte und welche Gefahren er mit sich brachte.

Alle hatten Orlows schreckliches Ende miterlebt, aber keiner bedauerte, daß er sein Leben dem hohen Ziel geweiht hatte.

Am 9. Juli, genau zweiundzwanzig Uhr dreißig, stimmte die Flugkurve von „SSSR-KS 3“ genau mit der Bahn der Venus überein, das Raumschiff nahm sozusagen die Verfolgung des Planeten auf, der hunderttausend Kilometer vor ihm mit einer Geschwindigkeit von rund fünfunddreißig Sekundenkilometern flog. In fünf Stunden und dreiunddreißig Minuten würde das Schiff die Schwester der Erde eingeholt haben.

Durch die runden Fenster des Observatoriums und auf den Bildschirmen war die Venus als ungewöhnlich großer Halbmond zu sehen. Beinahe elfmal größer als der Mond am Himmel der Erde. Die von der Sonne beschienene Hälfte des Planeten leuchtete grell mit ihrem schneeweißen Wolkenschleier. Deutlich zeichnete sich auch die Nachtseite vor den Sternen ab; sie verdeckte diese und sandte einen schwachen Lichtschimmer aus, der dem Schimmern der oberen Schichten der Erdatmosphäre ähnelte, aber bedeutend stärker war. Zwischen Licht und Schatten lag ein Dämmerstreifen. Dort züngelten von Zeit zu Zeit grelle Flammen und zuckten Blitze.

„Was wir dort sehen, ist das Polarlicht der Venusatmosphäre“, erklärte Belopolski. „Dank der Nähe zur Sonne muß diese Erscheinung hier bedeutend eindrucksvoller sein als auf der Erde.“ „Von der Venus aus betrachtet, muß das Polarlicht ja zauberhaft aussehen“, sagte Melnikow.

Das waren die einzigen Sätze, die die Kommandanten des Schiffes während der Stunden, in denen sie der Venus nachjagten, austauschten. Beide beobachteten angestrengt die Kontrollgeräte. Der Abstand zwischen dem Planeten und dem Raumschiff verringerte sich ständig. Die Landung rückte näher, ein schwieriges Manöver — sowohl auf der Venus als auch auf der Erde —, das höchste Konzentration und in jeder Bewegung Präzision erforderte.

Der Planet wurde größer und größer und verdrängte bald mit seinem Riesenleib alle anderen Sterne aus dem Blickfeld.

Voraus und zu beiden Seiten wälzte sich ein Meer von Wolken, unerträglich weiß auf der der Sonne zugewandten Seite — allmählich dunkler werdend und in Schwarz übergehend auf der anderen.

Am 10. Juli, vier Uhr morgens nach Moskauer Zeit, befand sich „SSSR-KS 3“ auf gleicher Höhe mit dem Planeten und drosselte die Geschwindigkeit, paßte sich seiner Bewegung an. Das Schiff flog in diesem Augenblick in den obersten, dünnen Schichten der Venusatmosphäre und setzte von dieser Höhe aus, abbremsend, zur Landung an.

Die Triebwerke arbeiteten mit voller Kraft, um eine Bruchlandung zu verhüten. Das Wolkenmeer kam näher.

Belopolski, Paitschadse und Melnikow wußten, welches Bild sich ihnen in einigen Minuten zeigen würde. Sie würden die Landschaft der Venus nie vergessen. Den übrigen Expeditionsmitgliedern war diese Landschaft durch einen Film vertraut, den Melnikow während des Fluges von „SSSR-KS 2“ gedreht hatte.

„Die Tragflächen!“ befahl Belopolski kurz, als die Wolkenmassen den Bildschirm mit weißem Nebel überzogen.

Melnikow drückte die notwendigen Kontaktknöpfe. Nach einigen Sekunden flammten blaue Lämpchen auf — die Tragflächen waren ausgefahren. Nachdem sich „SSSR-KS 3“ auf diese Weise in ein Düsenflugzeug verwandelt hatte, verringerte es abermals die Flughöhe und stieß durch die dicke Wolkendecke, an deren unterem Saum bereits aufflackernde Blitze matt zu erkennen waren.

Das Raumschiff flog nicht mehr im luftleeren Raum und mußte jetzt völlig anders gesteuert werden.

Vier Triebwerke, die an den Tragflächen angebracht waren, trugen es vorwärts. Manövriert wurde wie bei einem Flugzeug mit gewöhnlichem Leitwerk.

Vom Kommandanten eines Raumschiffes wurde verlangt, daß er auch in der Steuerung von Düsenflugzeugen erfahren war.

Belopolski hatte die Füße auf die Pedale gestellt und den Steuerknüppel ergriffen.

Es mochte befremden, daß ein Akademiker so sicher die schwere Arbeit eines Piloten verrichtete. Noch dazu in solch einem gigantischen Raumschiff. Aber das war nichts Besonderes.

Alle Besatzungsmitglieder von „SSSR-KS 3“, außer Professor Balandin, Andrejew und Wtorow, hatten eine Luftfahrtschule besucht, sich im Fliegen schwerer Maschinen gründlich geübt und besaßen das Pilotendiplom für Düsenflugzeuge.

Genau acht Minuten nach Beginn des Landemanövers tauchte „SSSR-KS 3“ aus den Wolken in eine unaufhörlich von Blitzen erhellte dichte Regenwand, die höchst bedrohlich aussah.

Der Bildschirm wurde dunkel. Jede Sicht verlor sich im Regen. Das Raumschiff schien in einem Ozean zu versinken.

Aber der Höhenmesser zeigte an, daß „SSSR-KS 3“ noch anderthalb Kilometer über der Venusoberfläche flog.

Belopolski vergrößerte die Geschwindigkeit, er wollte die Gewitterfront so schnell wie möglich durchqueren. Er hatte nicht vergessen, daß „SSSR-KS 2“ in einem ähnlichen Wolkenbruch binnen Sekunden siebenhundert Meter zur Seite geschleudert worden war und beinahe in den Ozean gestürzt wäre. Die Vorsicht gebot, das Raumschiff nicht unnötig lange dem Einwirken dieser ungeheuren Regengüsse auszusetzen.

Der Höhenmesser zeigte an, daß es, wenn auch langsam, abwärts ging.

Plötzlich schien es, als habe jemand den Bildschirm mit einem Schwamm abgewischt, die Wassermassen verschwanden. Vor den Augen der Besatzung breitete sich das Panorama eines endlosen Ozeans.

Melnikow beugte sich vor und betrachtete mit tiefer Bewegung das vertraute Bild, das so oft in seiner Erinnerung aufgetaucht war.

Bleigraue Wellen mit langen weißen Schaumkronen, darüber dunkle, zerfetzte Wolken, schwarze Gewitterwände, vom Zickzack der Blitze zerrissen, und alles grau in grau im trüben Dämmerschein.

Nichts hatte sich in diesen acht Jahren verändert. Im Leben eines Planeten ist ein Jahrhundert kürzer als eine Sekunde im Leben des Menschen. Die Natur braucht sich nicht zu beeilen — vor ihr liegt die Ewigkeit.

Einen Augenblick fühlte Melnikow sich in die Vergangenheit zurückversetzt. Er wähnte, nicht „SSSR-KS 3“, sondern „SSSRKS 2“ fliege über den finsteren Ozean der Venus. Wenn er sich umdrehte, würde er das konzentrierte Gesicht Kamows erblikken, der sich über das Steuerpult beugt, würde die sicheren Bewegungen seiner Hände verfolgen können, die die zahlreichen Kontaktknöpfe und Hebel der Steuerung bedienen …

Wie kompliziert und schwierig war es damals, ein Raumschiff durch die unbekannte Atmosphäre eines fremden Planeten zu führen! Wieviel Mut und Entschlossenheit wurden damals vom Kommandanten verlangt! Auf Schritt und Tritt lauerte Unbekanntes. Sogar der kaltblütige Belopolski, dem Angst fremd war, hatte damals vorgeschlagen, den Planeten, der die Menschen so ungastlich empfing, zu verlassen. Diesmal aber …

Melnikow blickte zu Konstantin Jewgenjewitsch hinüber. Der Kommandant des Raumschiffes saß ruhig zurückgelehnt in seinem Sessel und beobachtete gespannt, aber ohne Bangen den Bildschirm. Er brauchte nichts zu befürchten. Die Venus war keine rätselhafte Unbekannte mehr. Er führte das Raumschiff zu einem im voraus bestimmten Punkt, den es nur noch zu finden galt. Unbekannte Hindernisse existierten nicht. Die Gewitterfronten, die für „SSSR-KS 2“ noch gefährlich gewesen waren, bedrohten das neue Raumschiff nicht mehr. „SSSR-KS 3“ flog durch sie hindurch, ohne vom Kurs abzuweichen. Vervollkommnete Geräte zeichneten ein vollständiges Bild des Fluges und alles dessen, was sich vor ihnen befand.

Mit märchenhafter Schnelligkeit war die Technik des Raumschiffbaus in kurzer Zeit weit vorangeschritten. Zwischen dem Erstling „SSSR-KS 1“, mit dem Sergej Alexandrowitsch als erster Mensch einen Flug über die Grenzen der Erde hinaus unternommen hatte, und „SSSR-KS 3“ bestand bereits ein Unterschied wie zwischen dem Aeroplan Bleriots und den modernen Düsenflugzeugen. Damals war das Hauptproblem noch die Treibstoffversorgung während der Fahrt, von ihr hing alles ab.

Inzwischen war das kein Problem mehr. Die stürmische Entwicklung der Atomtechnik hatte den Erforschern des Kosmos Energievorräte in die Hand gegeben, die zehn Jahre zuvor noch völlig unbekannt gewesen waren und deren Vorhandensein in der Natur viele für unmöglich gehalten hatten. Vor gar nicht langer Zeit hatte man noch geglaubt, man könne nicht ohne große künstliche Erdtrabanten auskommen, auf denen die Weltraumschiffe vor dem weiteren Flug tanken müßten. Aber niemand dachte jetzt mehr daran. So schwer die Raumschiffe auch sein mochten, sie flogen ohne Zwischenlandung von den Raketenflugplätzen der Erde in den Raum, konnten auf jedem beliebigen Planeten landen und erneut von dort starten, ohne Treibstoffmangel befürchten zu müssen.

Schon drei Stunden lang flog „SSSR-KS 3“ über dem Venusozean, aber nirgends kam Land in Sicht. Vielleicht befand sich das Festland, das von der ersten Expedition entdeckt worden war, zur Zeit auf der Nachtseite des Planeten? Das schien möglich, und ob es auf der Venus weitere Kontinente gab, wußte keiner. Unbekannt war auch, wie lange die Venus für eine Drehung um die eigene Achse brauchte und wieviel Stunden demnach ein Venustag und eine Venusnacht dauerten. Womöglich währte die Nacht über den orangeroten Wäldern des Kontinents noch Wochen. In diesem Fall mußte ein anderer Landeplatz gesucht werden. Aber gab es einen andern? Vielleicht war das seinerzeit von „SSSR-KS 2“ gesichtete Festland das einzige auf der Venus? …

Melnikow und Belopolski lösten sich ab. Jetzt führte Boris Nikolajewitsch das Schiff, und Belopolski ruhte sich aus, bereit, zu jeder beliebigen Sekunde dem Piloten beizustehen. Wie lange sie noch fliegen mußten, wußten sie nicht. Sich auf die Wellen inmitten des Ozeans herabzulassen, ohne das Ufer zu sehen, war unsinnig. Um jeden Preis mußte festes Land gefunden werden.

Das Raumschiff flog die ganze Zeit geradlinig nach Westen, um die Sonne zu überholen. Zwar war das Gestirn durch die dicke Wolkendecke nicht zu erkennen, aber die empfindlichen Photometer, die außen am Rumpf angebracht waren, meldeten dem Kommandanten, daß die Kraft des Tageslichtes sich nicht verringerte und das Schiff demzufolge den Dämmerungsgürtel voraus noch nicht erreicht hatte.

Paitschadse und Balandin kamen in die Kabine. Die Expeditionsleitung beriet.

„Wenn sich kein Festland zeigt, können wir ja noch ein Stück in den Dämmerungsgürtel hineinfliegen“, sagte Belopolski.

„Zu wenden und zurückzufliegen wäre auf jeden Fall zwecklos“, pflichtete ihm Balandin bei. „Selbst wenn es hinter uns Festland gibt, würde es uns wenig nützen. Das, was man den östlichen Teil des Planeten nennen könnte, taucht ja allmählich in Nacht.“ „Vielleicht sollten wir am besten nach Norden oder Süden abdrehen?“ schlug Melnikow vor.

„Das können wir immer noch machen“, erwiderte Belopolski.

„Wir befinden uns auf derselben Breite, auf der wir vergangenes Mal geflogen sind. Unsere Aufgabe ist es, die Mündung eines bestimmten Flusses zu finden. Erst wenn das unmöglich sein sollte, werden wir den Kurs ändern.“ „Im äußersten Fall“, sagte Paitschadse, „bleiben wir in der Luft, bis das Festland die Nachtseite verläßt.“ „Sie vergessen, daß die Atmosphärentriebwerke nicht allzu lange arbeiten können.“ „Was sollen wir aber tun?“ „Auf dem Ozean können wir jedenfalls nicht landen“, stellte Balandin fest. „Soweit man urteilen kann, ist der Wind sehr stark; unter uns tobt ein Sturm.“ „Auch wenn man den pausenlosen Regen berücksichtigt, muß man zu dem Schluß kommen, daß unser Schiff auf dem Ozean die denkbar schlechtesten Bedingungen erwarten“, pflichtete ihm Melnikow bei.

Abermals verstrichen zwei Stunden, aber nichts änderte sich.

Nach wie vor breitete sich unter dem Schiff die unendliche See. Oft mußten Gewitterfronten durchflogen werden, dann wallte undurchdringlicher Nebel vor dem Bildschirm, und nur die Apparate zeigten an, daß voraus immer noch kein Land war.

Doktor Andrejew schlug vor, die Kräfte durch ein Frühstück zu stärken. Während der ganzen Fahrt gehörte die Verpflegung der Expeditionsmitglieder zu seinen Obliegenheiten. Das war weder anstrengend, noch kostete es viel Zeit. Die Vorratskammern des Raumschiffes bargen, sortiert, numeriert und in Spezialpakete verpackt, alle notwendigen Lebensmittel. Man brauchte nur eins nach dem andern herauszunehmen und, falls notwendig, den Inhalt im Thermostat zu erwärmen. Zehn Minuten — und Frühstück, Mittagessen oder Abendbrot waren fertig. Auch Abwasch belastete die Sternfahrer nicht, weil es kein Geschirr gab; unter den Bedingungen der Schwerelosigkeit erübrigte sich die Benutzung von Tassen und Tellern. Die Metall- und Plastebehälter, Schachteln und Büchsen wurden zusammen mit den Essenresten im Elektroofen beseitigt und die Asche hinausgeschüttet.

Auch jetzt wieder bereitete Andrejew schnell alles vor, doch seine Mühe war vergebens. Nur Toporkow, Saizew und Korzewski folgten der Einladung. Den übrigen hatte die Aufregung den Appetit verdorben. Belopolski und Melnikow gaben dem hartnäckigen Drängen des Arztes schließlich nach und tranken etwas Schokolade. Dann nahmen auch sie wieder ihren Platz am Steuerpult ein.

Ein und derselbe Gedanke beunruhigte die Expeditionsmitglieder. Wenn sich auf jener Seite der Venus, die zur Zeit der Sonne zugekehrt war, kein festes Land fand, konnte eine sehr unangenehme Lage eintreten. Den Berechnungen der Astronomie zufolge waren Tag und Nacht auf der Venus äußerst lang, keinesfalls kürzer als zwei, drei Wochen. Wieviel Zeit würde da vergehen, bis die Umdrehung des Planeten das Festland zutage förderte! Vielleicht war es auf dem Kontinent gar erst vor kurzem Nacht geworden?

So stark die atmosphärischen Triebwerke des Raumschiffes auch waren, sie konnten nicht mehr als vierzig Stunden ohne Unterbrechung laufen. Wenn in dieser Zeit keine Landung möglich war, blieb nur ein Ausweg: Das Schiff müßte die Atmosphäre der Venus wieder verlassen und sich nach Erreichen des interplanetaren Raumes vorübergehend in einen Sputnik der Venus verwandeln. Diese Aussicht fand niemand verlockend, da kostbare Zeit verlorenging, die für die Forschungsarbeiten vorgesehen war. Ganz zu schweigen davon, daß ein abermaliger Durchbruch durch die Atmosphäre große Gefahren mit sich brachte.

Für die Männer an Bord verstrich die Zeit in quälender Eintönigkeit. Stunde um Stunde flog das Schiff, tausend Meter unter sich das tosende Meer und über sich den gleichbleibend düsteren Himmel, aus dem sich immer wieder heftige Regengüsse auf das Meer ergossen. Bisweilen stießen sie auf große Flächen dichten Nebels, daß es der Besatzung vorkam, als flöge das Schiff abermals in den Wolken. Mehrmals ließen grelle Blitze Himmel und Meer in unmittelbarer Nähe des Schiffes miteinander verschmelzen, und durch die stählernen Wände des Schiffsleibes war das schreckliche Gepolter der elektrischen Entladungen zu hören.

Das erhabene Bild der Elementargewalten, die hier in der größeren Sonnennähe um ein vielfaches stärker waren als auf der Erde, drängte jedem Kosmonauten unwillkürlich die Frage auf: Wie wird es uns ergehen, wenn wir nach der Landung aussteigen? Werden die Erdenmenschen in den Händen der feindlichen Venusnatur nicht wie Spielzeug sein? Werden sie nicht vom Blitz verbrannt, von Regengüssen hinweggespült und von der giftigen Atmosphäre dahingerafft werden, sobald sie das schützende Schiff verlassen? Vielleicht wartete die Venus noch mit Dutzenden unbekannter Gefahren auf, um mit den fremden Eindringlingen abzurechnen, die ihr der Schwesterplanet geschickt hatte?

All das ging den Expeditionsteilnehmern durch den Kopf, während sie auf dem Bildschirm die entfesselten Elemente beobachteten.

„Ich hätte nie gedacht, daß die Natur der Venus so ungastlich ist, obwohl ich es durch den Film hätte wissen sollen“, gestand Romanow, der mit Toporkow zusammen in der Funkkabine wachte. „Könnten wir bei solch einem Unwetter überhaupt von Bord gehen?“ Igor Dmitrijewitsch sah ihn an und schmunzelte.

„Wir müssen, also werden wir gehen!“ sagte er. „Wenn Ihnen klar gewesen wäre, was Sie auf dieser Fahrt erwartet, hätten Sie sich wohl nicht gemeldet, was?“ „Ich habe keine Angst“, entgegnete der junge Geologe gekränkt.

„Aber ich bin sicher, daß Sie Angst haben. Und ich habe auch Angst. Wissen Sie, was Boris Nikolajewitsch immer wieder sagt?Es kommt nicht darauf an, daß man keine Angst hat, sondern darauf, daß man mit ihr fertig wird.‘“ „Na ja, Boris Nikolajewitsch …“ „Wieso?“ unterbrach ihn Toporkow. „Ist er aus einem anderen Holz geschnitzt? Er ist ein Mensch wie Sie und ich. Grübeln Sie nicht über die Gefahren, dann haben Sie auch keine Angst.

Hier geht es zu wie im Krieg. Alle gruselt‘s, aber jeder handelt.“ „Ich habe wirklich keine Angst, Igor Dmitrijewitsch“, begann Romanow, aber ausgerechnet in diesem Augenblick flammte ein gigantischer Blitz auf und schien direkt in den Schiffsrumpf einzuschlagen. Ohrenbetäubendes Krachen drang aus dem Lautsprecher, und das Schiff zitterte merklich.

Romanow wich unwillkürlich vom Bildschirm zurück.

„Entschuldigen Sie!“ sagte Toporkow. „Aber versuchen Sie nicht, mir einzureden, daß Ihnen dabei nicht bange wird. O nein!

Kosmische Flüge sind schrecklich!“ „Wenn es etwas zu tun gilt…“ „Das ist etwas anderes. Wir wissen, wozu wir uns verpflichtet haben. Wenn man an Ihnen gezweifelt hätte, wären Sie nicht in die Besatzung eingereiht worden.“ Zu Beginn der achten Stunde, die das Schiff über dem Meer flog, zeigten die Photometer an, daß das Licht allmählich schwächer wurde. Das Schiff hatte den Dämmerungsstreifen erreicht.

Achteraus im Osten neigte sich die Sonne dem Horizont zu.

Dank der geringen Geschwindigkeit, mit der sich der Planet um seine eigene Achse drehte, hatte „SSSR-KS 3“ die Sonne mühelos überholt.

Nach wie vor wurden nirgends Ufer eines Kontinents gesichtet. Belopolski beschloß, noch eine Stunde Kurs West zu halten.

Sollte sich dann immer noch kein festes Land zeigen, würde das Schiff den Dämmerungsstreif auf entgegengesetztem Kurs verlassen und im Norden oder Süden weitersuchen.

Es wurde allmählich immer dunkler.

Die Geräte des Steuerpultes boten die Möglichkeit, blind zu fliegen, aber es wäre sinnlos gewesen, in den Bereich der finsteren Nacht einzudringen. Das Schiff konnte bei Dunkelheit ohne vorschriftsmäßig ausgerüstete Raketenflughäfen nicht landen.

Als Melnikow, der gerade das Schiff führte, schon auf Gegenkurs drehen wollte, ertasteten die Radiowellen des Lokators im letzten Augenblick festes Land. Die gerade Linie auf dem Kontrollstreifen, die acht Stunden lang angezeigt hatte, daß weit und breit nur Ozean war, sprang steil in die Höhe und hüpfte dann, die Unebenheiten des noch fernen Landes wiedergebend, ungefähr auf gleicher Höhe weiter.

Es war noch einigermaßen hell. Das Festland mußte in wenigen Minuten zu erkennen sein — vorausgesetzt natürlich, daß es nicht bloß eine Insel war. Aber auch eine Insel konnte sich zum Landen eignen.

„Wie es scheint, haben wir im letzten Augenblick doch noch gewonnen“, sagte Belopolski.

„Abwarten“, antwortete Melnikow zurückhaltend. „Dem Lokator nach zu urteilen, liegt das Land genau voraus.“ Abermals geriet das Schiff in eine Gewitterfront, die jede Sicht unmöglich machte, und drohte so das Festland zu verfehlen. Melnikow setzte die Geschwindigkeit herab. Das war nicht ganz ungefährlich; die Wucht der gigantischen Wolkenbrüche konnte das Schiff in die Tiefe reißen. Aber das Risiko mußte eingegangen werden. Vielleicht war die Gewitterfront nicht breit?

Tatsächlich hatte das Schiff das Gewitter binnen drei Minuten hinter sich gelassen. Vor den Augen der Besatzung erstreckte sich ein orangeroter Streif.

Wenn dies eine Insel war, dann augenscheinlich eine sehr große, die sich für Landung und längeren Aufenthalt durchaus eignete. Das Schiff befand sich nun genau auf der Grenze von Tag und Nacht, und bald würde der Tag, der lange Tag der Venus anbrechen.

Melnikow drehte ab nach Süden. Während er auf hundert Meter Flughöhe ging, musterte er forschend das Uferrelief und suchte, von allen Besatzungsmitgliedern unterstützt, ein geeignetes Terrain.

Professor Balandin bemerkte als erster eine schmale Bucht, die sich tief ins Land schnitt und rings von steilen Bergen eingefaßt war, auf denen riesige Bäume wuchsen. Er meldete es dem Kommandanten. In dieser windgeschützten Bucht mußte das Wasser ganz ruhig sein.

Als das Schiff sich der Bucht näherte, sahen die Sternfahrer, daß sie zweihundert Meter breit war und mindestens einen Kilometer tief ins Land hinein reichte. Es war ein vorzüglicher Hafen.

Melnikow sah den Kommandanten an.

„Landen!“ befahl Belopolski. „Es ist ungewiß, wo und wann wir anderes Land finden.“ Das Schiff beschrieb einen weiten Halbkreis und setzte zur Landung an.

Die Triebwerke verstummten, und im Gleitflug strich „SSSRKS 3“ dicht über die Wasseroberfläche, warf vor seinem spitzen Bug schäumende Wogen auf, tauchte allmählich tiefer ein und glitt auf seinem flachgestuften Rumpf wie ein gigantisches Boot dahin. Die Tragflächen wurden eingefahren, und der langgestreckte zigarrenähnliche Schiffskörper kam hundert Meter vom Ufer entfernt zur Ruhe.

Sekundenlang verharrten alle Besatzungsmitglieder auf ihren Plätzen. Eine ganz besondere Stille schien eingetreten. Sacht wiegte sich das Schiff. Dann stürmten alle zur Steuerzentrale.

Unter einmütigem Beifall umarmten sich die beiden Kommandanten. „Freunde“, sagte Belopolski. „Die erste Hälfte unserer Fahrt, die schwierigste, liegt hinter uns. Wir haben unser Ziel erreicht.,SSSR-KS 3‘ ist auf der Venus gelandet. Ich möchte Ihnen allen danken! Wir denken in dieser glücklichen Stunde aber auch an diejenigen, die uns durch ihre Arbeit auf der Erde zu diesem Glück verholfen haben, an die Erbauer unseres herrlichen Schiffes. Ihnen sei Ehre und Ruhm! Voller Dankbarkeit denken wir an unseren Lehrer und Freund Sergej Alexandrowitsch Kamow. Er steht nicht an unserer Seite, aber in Gedanken ist er bei uns. Wir sind auf der Venus! Doch — nicht alle, die von der Erde starteten, haben sie erreicht. Um unsern Erfolg hat sich auch unser Leonid Nikolajewitsch verdient gemacht.

Ehren wir das Andenken unseres gefallenen Genossen durch eine Minute des Schweigens.“