121906.fb2 Das Erbe der Phaetonen - читать онлайн бесплатно полную версию книги . Страница 11

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Ein rätselhafter Fund

Die Kosmonauten durften mit Recht sagen: „Wir haben es geschafft!“ Überraschend hatte die Venus ihnen einen natürlichen Hafen geboten, der gegenüber jener Flußmündung, die Kamow und seine Begleiter beim vorigen Venusflug gesehen hatten, viele Vorzüge besaß.

Auf dem Fluß hätte man gegen die Strömung kämpfen müssen — in der Bucht gab es keine. Der Fluß wäre völlig deckungslos gewesen — in der Bucht schützten hohe steile Felsen das Schiff sicher gegen Sturm und Wellenschlag. Seewärts war die Bucht durch eine weit vorspringende felsige Landzunge geschützt. Von welcher Seite der Wind auch wehen mochte, das Wasser in diesem Fjord würde ruhig bleiben.

Es fehlte eigentlich nur noch der Sonnenschein, und man hätte die Gegend sogar schön nennen können. Ein dünner Nebel stieg von den dunkelblauen Wassern auf, und die Männer fühlten sich wie an einem frühen Sommermorgen auf der Erde. Das braune Steilufer krönte eine dichte Wand aus Gewächsen und mächtigen Bäumen, die seltsame Formen und alle Schattierungen von Orange, Rot und Gelb aufwiesen. Die Baumstämme waren rosafarben — ein für das Auge der Erdbewohner befremdlicher Anblick —, und ein dichtes Netz von Lianen umrankte sie. So sah es jedenfalls von weitem aus. Allem Anschein nach war dieser Wald schwer zugänglich.

Statt blauen Himmels spannte sich eine düstere, von Blitzen durchzuckte dicke Wolkendecke über Fjord und Wald. Und an Stelle hellen Sonnenlichts herrschte trüber Dämmerschein, der die Umrisse verwischte und die Landschaft sonderbar durchsichtig erscheinen ließ.

Der Fjord lag in jener Zone des Planeten, in der der Morgen gerade erst graute, aber das Bild würde sich auch bei Tage nicht ändern. Es mochte ein bißchen heller werden, weiter nichts. Die kilometerdicke Wolkenschicht, die die Strahlen des Tageslichts nur spärlich durchsickern ließ, verlieh der Venus sogar am Mittag nur die Helligkeit eines Abends auf der Erde.

Die Gelehrten wußten bereits, daß auf der Schwester der Erde ständig Winde wehten, die sich bisweilen zum Orkan steigerten. Aber der hundert und mehr Meter hohe Wald wirkte eigenartig starr. In den Wipfeln war nicht die geringste Bewegung wahrzunehmen. Wie versteint standen die orangeroten Baumriesen. Ebenso unbeweglich schienen auch die gelben Sträucher, die dicht bei dicht die rosafarbenen Stämme umdrängten.

Wäre nicht die Bewegung des Wassers und des Nebels gewesen, das Land hätte tot gewirkt, als sei es von einem geistesgestörten Künstler, der alle Farben der Pflanzenwelt verwechselte, auf den bleigrauen Himmel gemalt. Nirgends prangte das den Menschen der Erde so vertraute Grün.

„Ich glaube, als wir damals mit ‚KS 2‘ hier waren, haben sich die Wipfel der Bäume geregt“, sagte Paitschadse.

„Ich erinnere mich genau, daß der Wind die Baumkronen wiegte“, bestätigte Melnikow. „Denken Sie doch an meinen Film.“ Belopolski hob verständnislos die Schultern.

„Entweder steht hier eine andere Baumart“, sagte er, „oder wir haben uns damals getäuscht. Ich kann mich nicht darauf besinnen, ob im Film eine Bewegung des Waldes zu sehen war.

Die,KS 2‘ hat ihn sehr schnell überflogen.“ Je länger die Sternfahrer durch die Bullaugen des Observatotiums die Umgebung betrachteten, desto eigenartiger wirkte sie.

Es war unfaßbar, daß dies tatsächlich ein Wald, also ein Reich der Pflanzen, sein sollte. Allzu unbeweglich und leblos sahen alle diese Sträucher und Bäume aus. Durchs Fernglas war zu erkennen, wie regellos die Zweige wuchsen, die im übrigen wie verbogene Röhren aussahen und keine Blätter, sondern verschiedenfarbige längliche Knollen trugen. Die Baumstämme waren von der Wurzel bis zur Krone beinahe gleich stark, etwa einen Meter im Durchmesser, was bei derart hohem Wuchs noch mehr verblüffte. Die gelben Büsche sahen wie eine kompakte Masse aus, und sogar durch die starken Ferngläser konnte man keine Zweige unterscheiden. Überall hingen wundersam verschlungene Lianen; sie waren armstark und purpurfarben mit schwarzen Ringen; dadurch erinnerten sie an bestimmte Korallenarten. Mit ihren biegsamen Leibern wanden sie sich um die rosafarbenen Stämme und die roten und orangefarbenen Zweige.

„Was halten Sie von alledem?“ fragte Paitschadse, während er das Fernglas absetzte und sich Korzewski zuwandte.

„Das ist das Reich von Aktinien, von Blumentieren, Korallpolypen also“, erwiderte der Biologe.

Man hätte schwerlich einen treffenderen Vergleich ersinnen können. Die Bäume der Venus glichen tatsächlich ungewöhnlich großen Korallen, jenen schlauchähnlichen Lebewesen, die auf der Erde in den warmen Äquatorialgewässern leben.

„Und die gelben Sträucher erinnern an Schwämme“, warf Melnikow ein.

Professor Balandin lächelte.

„Verhielte es sich so“, sagte er, „dann gäbe es auf der Venus keine Gewächse, und wir wären in das Reich von Lebewesen verschlagen worden.“ „Das könnte wahrhaftig so sein“, erklärte Belopolski ernst.

„Wenn wir bedenken, daß die Gewächse auf der Venus nach der Spektralanalyse Sauerstoff aufnehmen und Kohlensäure abgeben, was bekanntlich Lebewesen zu tun pflegen, so ist das gar nicht verwunderlich.“ „Nein!“ rief Melnikow aus. „Auf der Venus gibt es richtige Bäume. Ich entsinne mich genau. Ich bin davon überzeugt. Am Ufer des Flusses, den wir beide gesehen haben, wuchs ein lebendiger Wald.“ „Boris hat recht“, stellte Paitschadse fest.

„Wir sind also auf eine neue Gattung gestoßen. Es wäre sehr schön, wenn es sich so verhielte. Je mehr Neues wir auf der Venus finden, desto besser!“ „Wann werden wir von Bord gehen?“ fragte Korzewski ungeduldig.

„Sobald Stepan Arkadjewitsch die Analyse beendet hat.“ Doktor Andrejew, der Chefarzt — Korzewski war sein Assistent —, hatte schon damals, als er sich an den Vorbereitungen zur Fahrt von „SSSR-KS 2“ beteiligte, beschlossen, Sternfahrer zu werden. Er wollte sich aber so nützlich wie möglich machen, und da er gute Kenntnisse auf dem Gebiet der Chemie besaß, studierte er noch mehrere Jahre diese Wissenschaft und wurde schließlich nicht nur als Arzt, sondern auch als Chemiker in die Besatzung aufgenommen. Nach der Landung in der Bucht waren Luftproben genommen worden, und Stepan Arkadjewitsch stellte nun eine quantitative und qualitative Analyse her.

Die Zusammensetzung der Atmosphäre der Venus war bereits nach der Rückkehr von „SSSR-KS 2“ auf die Erde bestimmt worden. Aber das Ergebnis mußte noch einmal geprüft werden, da unmittelbar auf der Oberfläche des Planeten schwere Gase auftreten konnten, die es in einigen hundert Meter Höhe, wo bei der ersten Fahrt die Proben entnommen worden waren, nicht gab. Ohne diese Vorsichtsmaßnahme wollte Belopolski das Schiff nicht verlassen, obwohl das bereits erwiesene Vorhandensein von Formaldehyd in jedem Fall das Tragen von Spezialgasmasken verlangte.

Korzewski mußte sich mit Geduld wappnen. Und nicht nur er, Andrejew duldete keine Hast in ernsten Dingen, und alle wußten, daß er die Resultate der Analyse erst nach zwei- oder auch dreimaliger Überprüfung bekanntgeben würde.

Die Uhr des Raumschiffes zeigte auf halb eins, also jene Zeit, zu der sie jeden Tag mit der Erde in Funkverbindung traten.

Das letzte Radiogramm war aufgegeben worden, als „SSSRKS 3“ vor genau vierundzwanzig Stunden auf die Bahn der Venus einschwenkte. Die Expeditionsmitglieder fühlten es ihren Landsleuten auf der Erde nach, mit welcher Ungeduld sie nun auf die nächste Nachricht warteten. Wußte man doch auf der Erde, daß das Raumschiff hatte landen wollen. Höchstwahrscheinlich hatten sich zu dieser Stunde die Angehörigen der Expeditionsmitglieder, die Wissenschaftler, alle Mitarbeiter des Kosmischen Instituts und Kamow in der Funkstation eingefunden.

Die erste Funkmeldung von der Venus war ein großes Ereignis, und es nahm nicht wunder, daß alle Besatzungsmitglieder außer Andrejew, der seine Arbeit nicht unterbrechen wollte, um die Erlaubnis baten, dabeisein zu dürfen. Toporkow versuchte zu protestieren, aber Belopolski griff ein, und er mußte dem allgemeinen Wunsch stattgeben.

Alle konnten in der kleinen Funkkabine nicht Platz finden; der kugelförmige Raum war durch den eingelegten provisorischen Fußboden, der ihn waagerecht halbierte, noch enger geworden. Saizew, Knjasew, Romanow und Wtorow mußten vor der offenen Tür im Korridor stehenbleiben.

Die Expeditionsmitglieder hatten das Radiogramm, das in Form eines Berichtes an den Direktor des Kosmischen Instituts und den Präsidenten der Akademie der Wissenschaften der UdSSR gehalten war, gemeinsam zusammengestellt und unterschrieben.

Igor Toporkow schaltete das Mikrofon ein. Diesmal verbot ihm niemand, alle Energiereserven einzusetzen. Eine Sendung durch die Venusatmosphäre hindurch war um vieles schwieriger als eine Sendung aus dem Raum. Da zudem keiner den genauen Standort des Schiffes im Verhältnis zur Sonne anzugeben wußte, konnte der Funker sich nicht einmal dafür verbürgen, daß die Antenne im richtigen Winkel eingestellt war. Paitschadse und Belopolski taten alles in ihren Kräften Stehende, um die Erdrichtung für Toporkow zu ermitteln, aber die dicke Wolkenschicht gestattete nur eine ungefähre Orientierung.

Genau fünf Minuten vor eins Moskauer Zeit sagte Toporkow laut und wohlakzentuiert ins Mikrofon hinein: „Hier spricht das Raumschiff!.. Hier spricht das Raumschiff,SSSR-KS 3‘!..

Antworten! Bitte, antworten!.. Ich gehe auf Empfang!“ Die stark gebündelten Radiowellen nahmen seine Stimme auf und trugen sie über neunzig Millionen Kilometer interplanetaren Raumes hinweg bis zur fernen Erde. Fünf Minuten später sollten sie die sogenannte Himmelsstation, einen Erdtrabanten, erreichen und von dort über einen Verstärker weiter nach Kamowsk eilen.

Sobald dann auf dem gleichen Weg, aber in entgegengesetzter Richtung eine menschliche Stimme die Entfernung von der Erde zur Venus überbrückte, würde zum ersten Mal in der Geschichte ein Gespräch zwischen zwei Planeten Wirklichkeit geworden sein. Der Genius Alexander Popows und Konstantin Ziolkowskis hätten einen neuen glänzenden Sieg errungen.

Die zehn Sternfahrer waren darauf vorbereitet, die üblichen, quälend langen Minuten auf Antwort zu warten.

Plötzlich. Keine fünf Sekunden waren vergangen, erklang im Lautsprecher eine Stimme … Toporkows Stimme.

„Hier spricht das Raumschiff … Hier spricht das Raumschiff ‚SSSR-KS 3‘!.. Antworten! Bitte, antworten!.. Ich gehe auf Empfang!“ Ehe die ‚Männer begriffen hatten, was geschehen war, erklang aufs neue, allerdings schon bedeutend leiser, dieselbe Stimme.

„Hier spricht das Raumschiff!.. Hier spricht das Raumschiff ‚SSSR-KS3‘!..“ Das wiederholte sich mehrere Male. Immer leiser.

Dann wurde es still.

Erbleichend griff der Ingenieur instinktiv nach den Stöpseln, sah jedoch im selben Augenblick die Sinnlosigkeit seines Versuches ein, winkte hoffnungslos ab und blickte flehentlich Belopolski an, als könnte der ihm helfen.

In der Funkkabine trat bedrückendes Schweigen ein. Es gab keinen Zweifel — die Erde konnte die Stimme der Venus nicht hören. Die Funkverbindung war abgebrochen. Im Zweikampf zwischen menschlicher Technik und den Naturgewalten hatte diesmal die Natur den Sieg davongetragen. Und obwohl dieser Sieg nur vorübergehend war, fiel es den Menschen schwer, sich damit abzufinden.

Die Möglichkeit, wieder zu starten, die Venusatmosphäre zu verlassen und von jenseits ihrer Grenzen der Erde zu berichten, schied aus. Es war für das Schiff in der schmalen Bucht nicht so einfach, zum Start zu wenden. Die Steilufer und der hundert Meter hohe Wald störten. Es würde viel Zeit kosten, die Gegend in eine Art Raketenstartplatz zu verwandeln, von dem eine Maschine mit den Ausmaßen von „SSSR-KS 3“ starten konnte. Desgleichen war es nicht möglich, die kleinen, an Bord mitgeführten Düsenflugzeuge zu verwenden. Sie waren nicht für große Höhen gebaut und konnten daher die schwere Last der Funkstation sowie die massive Antenne nicht in die oberen Schichten der Atmosphäre befördern.

Es blieb den Männern nichts anderes übrig, als sich dem Schicksal zu beugen. Die Menschen auf der Erde würden von dem Raumschiff nichts wieder hören, bevor nicht die Arbeiten auf der Venus beendet waren und das Schiff die Rückreise angetreten hatte. Freunde und Angehörige waren zu quälender Ungewißheit verdammt.

„Haben Sie die ganze Energie eingeschaltet?“ fragte Belopolski in das Schweigen hinein.

Seine Stimme klang nüchtern und ruhig wie immer. Ihm beleitete anscheinend nur die technische Seite der Frage Sorgen.

„Ja, auch die letzten Reserven.“ Igor Dmitrijewitsch stieß einen schweren Seufzer aus.

Belopolskis Miene verdüsterte sich, aber er sagte nichts mehr.

Alle schwiegen.

Paitschadse machte dem drückenden Schweigen ein Ende.

„Laßt den Kopf nicht hängen, Freunde!“ sagte er. „Die Genossen auf der Erde werden sich schon denken können, warum sie nichts von uns hören. Mit diesem unerfreulichen Umstand haben wir ja schon vorher gerechnet.“ Die Unterbrechung der Funkverbindung konnte diejenigen, die auf der Erde Nachricht von dem Raumschiff erwarteten, tatsachlich nicht sonderlich überraschen. Wie Paitschadse sagte, hatte man schon vor dem Start damit gerechnet. Die Erfahrungen im Funkverkehr zwischen dem Mond und den Erdtrabanten hatten längst gelehrt, daß sich die Radiowellen mitunter sträuben, ionisierte Schichten zu durchlaufen, wie sie in der Atmosphäre durch Sonneneinstrahlung geschaffen werden. Bei verstärkter Sonnentätigkeit war die Verbindung mit den Himmelsstationen ausgefallen. Die Heaviside-Schicht, die sich neunzig bis hundertdreißig Kilometer über der Erdoberfläche befindet, bildet eine schwer durchdringbare Barriere; nur Ultrakurzwellen können sie überwinden und in den interplanetaren Raum gelangen. Und auch diese nur mit Hilfe von Richtantennen. Es galt als wahrscheinlich, daß auf der Venus, die der Sonne bedeutend näher ist als die Erde, die Sonneneinstrahlung noch weitaus aktiver war und in der dortigen Atmosphäre eine mächtige ionisierende Schicht bildet, die sogar für Ultra-Hochfrequenzwellen unüberwindlich sein konnte — trotz der ganzen Kraft der Generatoren, die „SSSR-KS 3“ mit sich führte. Manche, besonders Toporkow, glaubten, es würde dennoch glücken, aber die Skeptiker hatten recht behalten. Als die Radiowellen auf die unsichtbare Hülle stießen, mit der die Sonne die Schwester der Erde umgibt, wurden sie, kaum daß sie die Antenne des Raumschiffes verlassen hatten, auf die Venus zurückgeworfen, die sie abermals hinaufstrahlte. So umkreisten die Wellen, allmählich schwächer werdend, mehrmals den ganzen Planeten, bis die Energie erschöpft war.

Jedesmal, wenn das Radioecho die Antenne des Schiffes wieder erreichte, gab es das nicht beförderte Radiogramm zurück.

„Eins verstehe ich nicht“, sagte Toporkow, als er mit Belopolski allein war, „wie ist es zu erklären, daß wir das Echo so gut hören konnten? Die Laute hätten doch ineinanderfließen und das eine Echo hätte sich mit dem anderen mischen müssen.

Der Umfang der Venus beträgt doch bloß siebenunddreißigtausend Kilometer. Um diese Strecke zurückzulegen, braucht die Radiowelle eine zehntel Sekunde.“ „Darüber habe ich mir auch sofort Gedanken gemacht“, antwortete Belopolski. „Offenbar kommen die Radiowellen in der Atmosphäre der Venus sehr langsam vorwärts. Das ist ein neues Rätsel, das wir lösen müssen. Es mag Sie darüber hinwegtrösten, daß wir nicht mit der Erde sprechen können.“ „Aber wäre es nicht möglich …“ „Nein!“ entgegnete Belopolski schroff. „Wir dürfen nicht daran denken. Das Schiff darf jetzt nicht gestartet werden. Wir werden jeden Tag Radiogramme zur Erde schicken. Vielleicht gelingt es, durch glückliche Umstände trotzdem noch aus der Gefangenschaft auszubrechen.“ „Meinen Sie, die sitzen die ganze Zeit am Empfänger?“ Belopolski warf einen Blick auf Toporkow und verließ, ohne auf die Frage zu antworten, achselzuckend die Kabine.

Er hat recht, sagte sich der Ingenieur im stillen. Ich habe eine törichte Frage gestellt.

Die Unterbrechung der Funkverbindung war für die Menschen auf der Erde bedeutend qualvoller als für die Sternfahrer, die ja wußten, daß es auf der Erde kaum überraschende Zwischenfälle geben würde, für die Erde aber konnte das Schweigen des Schiffes bedeuten, daß auf der Venus eine Katastrophe eingetreten war. Waren bislang in der Funkstation die Empfänger nur zu den vereinbarten Stunden besetzt, wurde nun pausenlos gewacht. Anders konnte es nicht sein.

Sobald Andrejew das Ergebnis seiner Analyse ermittelt und Belopolski mitgeteilt hatte, konzentrierten sich aller Gedanken aiif die Entsendung der ersten Erkundungsgruppe. Aus Vorsicht sollte sie nur aus vier Mann bestehen: Belopolski, Balandin, Korzewski und natürlich Wtorow mit seiner Filmkamera.

Die Luftanalyse war wenig trostreich. Es gab so viel Kohlensäure und Formaldehyd, daß von einem Aussteigen ohne Atemmaske nicht die Rede sein konnte.

Die Temperaturmessung der Außenluft während des Fluges hatte unterschiedliche Ergebnisse erbracht. Von vierzig bis zu zweiundneunzig Grad über Null. An der Oberfläche der Bucht zeigte das Thermometer dreiundfünfzig Grad Wärme an. Wahrscheinlich würde die Temperatur im Laufe des Tages steigen, aber vorläufig konnten die Männer noch ohne ihre Kühlanzüge auskommen.

Belopolskis Gruppe sollte die Ufer untersuchen und feststellen, ob ein Geländewagen eingesetzt werden könnte, außerdem sollte sie die eigentümliche Vegetation ergründen.

Die Atemmasken, die eigens für den Aufenthalt in der Venusatmosphäre nach einem kombinierten Filter- und Isolierverfahren konstruiert worden waren, boten ausreichenden Schutz. Ein Filter aus dem Salz des schwefelsauren Natrons reinigte die Luft von Kohlenoxydgasen und Formaldehyd. Ein Behälter, den jeder Forscher auf dem Rücken trug, reicherte die Luft außerdem mit Sauerstoff an, der jedoch dank diesem Verfahren in verhältnismäßig geringer Menge gebraucht wurde.

Der Helm war eine durchsichtige Quarzhaube, die hermetisch mit dem Kragen der Kombination abschloß. In den Helm waren ein Mikrofon, ein Lautsprecher sowie eine winzige automatische Apparatur zum Luftgeben und zur Ableitung der Atemrückstände eingebaut.

Eine Miniaturfunkstation trug jeder am Gürtel, eine starre Antenne auf dem Rücken neben dem Sauerstoffbehälter. Sie war absichtlich ziemlich lang gehalten und endete über dem Kopf.

Die Schuhsohlen waren mit Metallplatten benagelt, von denen elastische Drähte zum Anzug führten und am Fuß der Antenne endeten. Die Entfernung zwischen Antenne und Erdleitung, genau ein Millimeter, diente als Spannungsschutz. Der Spezialanzug schützte den Menschen weitgehend davor, vom Blitz getroffen zu werden.

Die Expeditionsmitglieder hatten schon auf der Erde ein Spezialtraining für den Aufenthalt auf der Venus absolviert. Sie hatten bei hoher Temperatur übungsweise gearbeitet. Daher fürchteten sie sich nicht vor der tropischen Hitze, die sie draußen erwartete.

Auch Ultraschalldolche waren nicht vergessen worden, mit denen man leicht und schnell Lianen und andere Hindernisse organischer Natur beseitigen konnte, wenn sie den Weg versperrten; außerdem rüsteten sich die vier Mann mit dicken Tauen und Bergstöcken aus, die zugleich als Elektrovibratoren dienten — sie brauchten bloß durch einen Draht mit der Batterie des Funkgeräts verbunden zu werden. Ebenso wie am Raumanzug war oben am Helm ein kleiner Scheinwerfer angebracht, für den Fall, daß man auf eine dunkle Höhle stieß. Die Nacht drohte nicht so überraschend hereinzubrechen wie auf der Arsena; die Bucht war gerade erst in den Bereich des Tages gerückt, und vor anderthalb Erdenwochen würde es nicht Abend werden.

So ausgerüstet, gingen die vier Sternfahrer in die Luftschleuse.

„Sind die Anzüge in Ordnung?“ fragte Belopolski. „Die Luftzufuhr?“ „Normal“, antworteten alle der Reihe nach.

„Anfrage an die Steuerzentrale! Wie steht‘s mit dem hermetischen Türverschluß?“ „Zeigt Grün“, antwortete Melnikow — er meinte die Farbe des Kontrollämpchens.

„Und die Treppe?“ „Ist ausgefahren.“ „Ich öffne!“ Die zweiflügelige Tür verschwand nach beiden Seiten. Sogar durch das dicke Gewebe der Kombination hindurch spürten die Männer, wie ihnen feuchtheiße Luft entgegenschlug. Eine Dunstwolke wälzte sich in die Schleusenkammer.

Dicht unter dem Ausgang plätscherte das Wasser des Fjordes, in dessen dunkler Tiefe sich verschwommen die Umrisse seltsamer Gebilde, Pflanzen oder Felsenklippen, abzeichneten. Durch den Helm hindurch waren von allen Seiten bald nahe, bald ferne ohrenbetäubende Donnerschläge zu hören. Von Zeit zu Zeit mußten die Männer vor grellen Blitzen, die in der Nähe einschlugen, die Augen schließen. In hundert Meter Entfernung zeichnete sich das ersehnte Ufer ab, ein hoher Steilhang, den malerisch der orangerote Wald krönte.

„Auf der Arsena wären wir mit einem Satz an Land gewesen“, sagte Wtorow.

Niemand antwortete auf die humorige Bemerkung. Voll verhaltener Erregung betrachteten die Sternfahrer stumm die Landschaft, die sich vor ihnen breitete.

Unterhalb der Luftschleuse öffnete sich die Tür eines Hangars, in dem ein Elektro-Motorboot hing. Es hatte ein durchsichtiges Plastedach, das sich beim Einstieg auseinanderschob.

Wtorow setzte die Treppe an, und die vier Mann gingen an Bord des kleinen Wasserfahrzeugs, das bequem acht Passagiere aufnehmen konnte. Vom Steuerpult aus wurden die Haltetrosse gefiert, und das Boot glitt behende ins Wasser.

Sogleich hielt Balandin seine Hand, die in einem dünnen Handschuh steckte, ins Wasser. Er empfand es weder als warm noch als kalt, also glich die Wassertemperatur annähernd der Körpertemperatur des Menschen. Das Thermometer bestätigte dies; es zeigte 37,2 Grad an. Der Professor füllte vorher bereitgestellte Flaschen und verschloß sie sorgfältig mit Glaskorken.

Korzewski übernahm die Aufgaben des Maschinisten. Er schaltete den Motor ein, und das Boot löste sich langsam vom Schiff.

Wtorow spähte emsig durch den Sucher seiner Kamera und filmte den historischen Augenblick: Die erste Expedition auf der Venus bricht auf.

Zwanzig Meter vom Ufer entfernt stoppte das Boot. Das Ufer fiel steil zum Wasser hin ab. Nirgends war eine Stelle zu entdecken, an der man hätte an Land gelangen können. Ganz oben waren die Ränder der gelben Büsche zu sehen, die auch vom Boot aus wie eine dichte, schwammige Masse wirkten. Über ihnen reckten sich die Stämme der Bäume himmelwärts; die Wolken schienen ihre reglosen Wipfel zu berühren.

Blendend hell zuckte ein Blitz auf und schlug am gegenüberliegenden Ufer ein; ohrenbetäubender Donner rollte über den Wald dahin. Die vier Forscher konnten gerade noch das Plastedach zusammenschieben, als auch schon ein ungeheurer Regenguß herniederprasselte. Eine Gewitterfront, wie das Raumschiff sie soeben erst durchflogen hatte, zog über der Bucht herauf und tauchte alles mit Augenblickes Schnelle in völlige Finsternis.

Das Schiff, das Ufer, der Himmel — alles entschwand den Blicken. Die Männer sahen weder das Wasser noch das Boot, sahen einander selber nicht mehr. Sie fühlten nur, wie ihr Boot unter der Last der stürzenden Wassermassen erbebte. Falls das Plastedach dem Ansturm des Wassers nicht standhielt, mußte das Boot augenblicklich untergehen.

Fast gleichzeitig flammten die Scheinwerfer an den Helmen Belopolskis und Balandins auf. Ihr Licht fiel auf gurgelnden, weißen Schaum rings um das Boot und auf die Sturzbäche des Wolkenbruches, der ununterscheidbar mit einem ungestümen Wasserfall verschmolz, der sich dicht neben ihnen von der Höhe des Ufers in die Bucht ergoß.

„Fahren Sie mit dem Boot etwas vom Ufer weg“, sagte Belopolski.

In seiner Stimme schwang nicht die geringste Erregung. Diesen Mann schien die gefahrliche Lage, in die sie geraten waren, nicht im geringsten zu beunruhigen.

Korzewski befolgte die Weisung, das Boot entfernte sich ein großes Stück vom Wasserfall.

„Wenn es uns nur nicht in den Ozean hinaustreibt“, bemerkte Wtorow.

„Hier ist ja kein Wind“, erwiderte Balandin.

„Als wir damals mit,KS 2‘ hierherflogen“, erklärte Belopolski im Ton eines Lektors, „stießen wir auf eine Gewitterfront von eintausend Kilometer Mächtigkeit. Wenn diese hier genauso ist, kann sie ein paar Stunden dauern. Dann müßten wir unter der Bordwand unseres Raumschiffes Schutz suchen.

Wenn es aber nur eine kleine Gewitterfront ist, haben wir sie bald überstanden. Auf der Venus sind die meisten Gewitterfronten nicht groß. Deshalb werden wir lieber vorerst hier bleiben und abwarten.“ „Wird das Plastedach halten?“ „Es ist für solche Belastung berechnet. Wenn es bis jetzt gehalten hat, wird es auch den Rest überstehen. Gefahr droht uns nicht.“ „Warum ruft uns niemand vom Schiff?“ fragte Balandin.

„Das ist doch sehr merkwürdig, Boris Nikolajewitsch!“ sagte er nachdrücklich.

Es erfolgte keine Antwort.

„Vielleicht ist keiner auf der Station“, sagte Korzewski unschlüssig.

„Das ist ganz ausgeschlossen. Genosse Melnikow!“ rief der Professor noch einmal.

Abermals Schweigen.

„Sie hören uns nicht!“ „Sie müssen uns hören!“ Lang anhaltendes Donnergrollen von erschütternder Gewalt unterbrach das Gespräch, als wäre selbst der Himmel der Venus in tausend Stücke zersprungen und wollte sogleich auf das feste Land stürzen. Wie ein märchenschönes Feuerwerk erhellten Dutzende von Blitzen gleichzeitig die Bucht mit flackerndem Licht. Ganz nahe vor dem Boot erhob sich inmitten einer Regenwand der riesenhafte Leib des Raumschiffes, auf dem wie ein feuriges Netz die Flammen von Entladungen zuckten, als ergössen sich nicht die Fluten eines Wasserregens, sondern eines elektrischen Regens auf die Bordwände.

Das Gewitter schien noch heftiger zu werden.

Das Boot begann krampfhaft zu zittern, und die Männer merkten, daß es allmählich tiefer sank. Die wild tosenden und schäumenden Wasser stiegen immer höher an der Bordwand empor, bis gegen den unteren Rand des Plastedaches.

Plötzlich schoß am metallenen Vorsteven eine blaue Flamme empor. Sie ballte sich zu einem leuchtenden Kugelblitz und zerbarst, blaue Funkenkaskaden ins Dunkel sprühend, mit ohrenbetäubendem Gepolter.

In die sekundenlange Stille hinein, die dem folgte, sagte Wtorow plötzlich: „Jetzt weiß ich es!“ Niemand reagierte darauf. Von der drohenden Gewalt der Elemente umklammert, harrten die Männer schweigend der kommenden Minuten. Das Boot war noch tiefer gesunken, als zöge es eine unsichtbare Hand auf den Meeresgrund.

Und plötzlich, wie im Film, wenn eine Szene von einer anderen abgelöst wird, war das Gewitter vorübergeeilt. Verhallender Donner grüßte abschiednehmend aus der Ferne, und der dunkle Regenvorhang verzog sich rasch und verschwand hinter dem Wald am anderen Ufer. Alles sah wieder so aus wie vorher. Sogar der vom Steilhang herabstürzende Wasserfall versiegte schlagartig.

Das Boot schnellte in die Höhe, als freue es sich, daß es einer drückenden Last ledig war, und wiegte sich auf den sanften Wellen des Fjordes. Man hätte glauben können, die Sonne wäre aufgegangen, so hell wurde es im Gegensatz zu der eben noch herrschenden Finsternis.

„Sehen Sie nur — hier, was mit dem Kompaß geschieht!“ rief Balandin.

Der Zeiger auf dem Zifferblatt zuckte krampfartig nach allen Richtungen.

„Es war ein Magnetsturm“, sagte Belopolski.

Wie zur Bestätigung seiner Folgerung tanzte der Zeiger noch mehrmals hin und her und beruhigte sich allmählich, indem er sich wieder in Richtung auf den Magnetpol der Venus orienr tierte.

„Jetzt weiß ich es“, sagte Wtorow zum zweiten Male. „Die Ursache für das Funkecho muß in den elektrischen Eigenschaften der Gewitterfronten gesucht werden.“ „Da haben Sie völlig recht“, bestätigte Toporkow per Sprechfunk vom Schiff aus. „Unsere Meßgeräte haben während des Gewitters eine ungewöhnliche Ionisierung angezeigt.“ „Alles in Ordnung?“ fragte Melnikow.

„Wenn das Gewitter nicht so schnell aufgehört hätte, wäre wohl nicht alles in Ordnung“, erwiderte Balandin. „Dann wären wir auf Grund gegangen.“ „Das Boot kann nicht sinken“, beruhigte ihn Belopolski trocken.

Zweifellos war die Funkverbindung infolge des Gewitters unterbrochen worden. Die Radiowellen hatten die ionisierte Luft und den elektrisch geladenen Regen nicht durchdringen können.

„Auf der Venus gewittert es dauernd“, sagte Toporkow. „Wir werden häufig Gelegenheit haben, diese sonderbare Erscheinung zu studieren, und wir werden auch das Rätsel des Echos lösen.“ Es gab keine Garantien dafür, daß die Stille lange dauern würde. Jeden Augenblick konnte ein neues Unwetter heraufziehen. Aber niemand dachte daran, an Bord zurückzukehren.

Das Boot setzte seine Fahrt fort, und alle suchten nach einer Stelle, an der man an Land gehen könnte. Aber soviel sie auch umherspähten — nirgends war an eine Landung zu denken. Das Steilufer zeigte sich überall unzugänglich.

Da beugte sich Korzewski, der das Boot steuerte und weniger nach dem Ufer sah, plötzlich weit vor und legte das Ruder hart backbord.

„Was ist los?“ fragte Belopolski.

Wortlos wies der Biologe auf einen Gegenstand, der im Wasser schwamm.

Wtorow hielt die Hand außenbords und zog ein langes, flaches Brett aus dem Wasser.

Es war — ein Lineal mit einer Maßeinteilung.