121906.fb2 Das Erbe der Phaetonen - читать онлайн бесплатно полную версию книги . Страница 12

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Die Koralleninsel

Wäre ein fremdes Tier zu den Männern ins Boot gesprungen, hätten sie sich wahrscheinlich nicht so sehr gewundert. Ein Lebewesen war sogar auf der Venus, wo man nicht damit rechnete, hochorganisiertes Leben zu finden, noch etwas Verständliches, denn es konnte hier trotz allem möglicherweise doch existieren.

Aber ein totes Stück Holz, dem ein Unbekannter die Form des vertrauten Meßinstrumentes gegeben hatte — das war ein unwiderleglicher Beweis für das Vorhandensein von Vernunft und völlig unerklärlich. Daß die Schwester der Erde nicht von vernunftbegabten Geschöpfen bevölkert war, schien unwiderleglich bewiesen. Der Planet hatte ein zu extremes Klima, als daß sich Leben hätte entwickeln können, welches dem auf der Erde glich. „SSSR-KS 2“ hatte keine Spuren vernunftgelenkter Tätigkeit und keine Beweise für menschliches Leben auf der“!

Venus gefunden. Die Besatzung von „SSSR-KS 3“ hatte bislang ebenfalls nichts gesehen, was auch nur entfernt an bewußtes Leben erinnerte. Auch die leidenschaftlichsten Optimisten hatten auf der Venus lediglich die Existenz von niederen Formen der Tierwelt für möglich gehalten.

Und da hielt Wtorow nun einen Gegenstand in der Hand, der von einem hohen geistigen Entwicklungsstand zeugte. Ein Holzlineal beweist die Fähigkeit, Holz zu bearbeiten, beweist das Vorhandensein von Werkzeug für eine solche Bearbeitung, beweist mathematisches Können, das Bedürfnis, Körpergrößen zu messen, und folglich einen gewissen Grad wissenschaftlicher Kenntnisse.

„Vielleicht ist ein anderes Raumschiff auf der Venus gewesen?“ äußerte Korzewski mutmaßend.

Ein derartiger Gedanke tauchte bei allen auf, sobald sie sich davon überzeugt hatten, daß sie wirklich ein Lineal und kein Stück Holz vor sich hatten.

Aber was für ein Raumschiff könnte die Venus erreicht haben?

Die Expedition von William Jenkins war noch auf dem Mars.

Sie hatte auf dem Weg dorthin die Venus nicht besuchen können.

Die englischen, französischen und schwedischen Raumschiffe hatten alle auf der Erde geankert, als „SSSR-KS 3“ seine Fahrt antrat, und über den Bau von Raumschiffen in anderen Ländern war nichts bekanntgeworden.

Belopolski nahm Wtorow das Lineal aus der Hand und betrachtete es aufmerksam.

„Das ist nicht auf der Erde gemacht worden“, sagte er. „Die Einteilung entspricht keinem auf der Erde gebräuchlichen Maßsystem. Wir kennen die Maßeinheit nicht, die der Herstellung dieses Instruments zugrunde liegt. Wenn Kosmonauten das Lineal verloren haben, so sind sie nicht von der Erde gekommen.“ Seine Begleiter sahen sich schweigend an.

Nicht von der Erde?!

Hatten etwa Bewohner einer anderen Welt den Planeten besucht? Vielleicht lag ihr Schiff immer noch auf der Venus? Das Lineal schwamm in einer Bucht, in die es die Meereswellen nicht hineingetragen haben konnten. Also befand sich dieses Raumschiff vielleicht ganz in der Nähe.

Alle drehten sich fast gleichzeitig zum Ufer um, als erwarteten sie, aus dem orangeroten Dickicht würde sogleich ein fremdartiges Geschöpf heraustreten, ein Besucher von einem anderen Planeten.

Doch die Umgebung lag unverändert, niemand kam, und nichts rührte sich auf dem steilen Hang.

An Bord des Raumschiffes hatten die Genossen anscheinend diese Unterhaltung mitgehört, aber sie konnten sich kein Bild daraus machen. Melnikow fragte, was vorgefallen sei, und ihm wurde ausführlich berichtet.

Niemand dachte an die weitere Erforschung der Bucht. Das Boot kehrte um. Alle fieberten vor Ungeduld, den überraschenden Fund gründlich zu untersuchen und genau zu bestimmen, woraus er hergestellt war. Das Lineal schien aus Holz zu sein, aber das mußte genau geprüft werden.

Die Prozedur der Einschleusung in das Schiff kam den vier Männern diesmal quälend lang vor.

Sobald sich die Außentüren geschlossen hatten, begann ein Luftfilter zu arbeiten. Die aus der Kammer abgesaugte Luft wurde in einen Doppelbehälter geleitet, der Spiritus nebst einer Beimischung von Schwefelsäure enthielt, und kehrte, nachdem sie noch einen Filter mit aktivierter Kohle durchlaufen hatte, von Formaldehyd gereinigt in die Kammer zurück. Diese Operation dauerte zehn Minuten. Anschließend mußten die Kombinationen, die Helme und die Spezialschuhe ausgezogen und in einen hermetisch verschließbaren Kasten gelegt werden. Dann wurde abermals die Luft fünf Minuten lang gefiltert. Erst nach diesen Vorsichtsmaßnahmen konnten die Türen geöffnet werden und durfte man das Innere des Schiffes betreten.

Die ganze Besatzung versammelte sich im Laboratorium.

Belopolski legte das Lineal auf den Tisch.

Früher waren Meteoriten lange Zeit das einzige gewesen, was an außerirdischen Objekten wissenschaftlich untersucht werden konnte. Seitdem die Epoche der interplanetaren Flüge angebrochen war, hatten die Wissenschaftler auch zahlreiche Objekte anderer Art erhalten: Gesteinsproben, die auf dem Mond gesammelt worden waren, Proben der Flora und Fauna des Mars.

Nicht mehr der zufällige Absturz eines Meteoriten, sondern die planmäßige, bewußte Arbeit des Menschen lieferte nunmehr das Material zum Studium des Lebens im All.

Aber noch nie hatte ein Mensch einen Gegenstand in seinen Händen gehalten, der auf einem anderen Planeten hergestellt worden war.

Es wäre denkbar gewesen, daß das Stück Holz durch ein Zusammentreffen unwahrscheinlicher Umstände irgendwo abgesplittert war und dabei die Form eines langgestreckten Rechtecks, eines Lineals angenommen hatte. Aber kein Zufall konnte auf den Rand eines solchen Rechtecks ebenmäßige, voneinander gleich weit entfernte Maßzeichen eingetragen haben. Das konnte nur ein vernünftiges Geschöpf tun, das wenigstens mit den Anfangsgründen der Mathematik vertraut war.

„Wie merkwürdig“, sagte Knjasew, „daß wir, kaum daß wir die Venus betreten haben, sogleich auf ein neues Geheimnis stoßen.“ Es war in der Tat merkwürdig. Als hätte jemand absichtlich das Lineal weggeworfen, um die Gäste darauf aufmerksam zu machen, daß der Planet seine eigenen Herren habe und bewohnt sei.

„Ich bin trotzdem davon überzeugt, daß es auf der Venus keine vernünftigen Wesen gibt“, sagte Belopolski.

„Aber woher ist dann dieses Lineal gekommen?“ Konstantin Jewgenjewitsch zuckte die Achseln. „Das weiß ich ebensowenig wie Sie.“ „Ist das ärgerlich!“ sagte Toporkow. „Wenn wir Funkverbindung hätten…“ Niemand antwortete, aber alle beseelte der gleiche Gedanke.

Der geheimnisvolle Fund würde auf der Erde eine Sensation auslösen. Doch da die Verbindung abgerissen war, konnte niemand etwas davon erfahren, bevor das Schiff zurückkehrte.

Saizew maß sorgsam die Abstände zwischen den angezeichneten Maßstrichen. Sie waren einunddreißig und ein viertel Millimeter voneinander entfernt.

Belopolski hatte recht — ein solches Längenmaß gab es auf der Erde nicht. War dies nun die grundlegende Maßeinheit, die bei den Herstellern des Lineals galt, oder war es nur das Teil einer größeren? Niemand wußte es zu sagen.

Balandin und Andrejew wurden beauftragt, den Fund zu untersuchen. Sie machten sich sogleich an die Arbeit.

„Versuchen Sie festzustellen, wie lange das Lineal im Wasser gelegen hat“, bat Belopolski.

Die Sternfahrer beschlossen, die unterbrochene Erkundung fortzusetzen. An Stelle Balandins wurde Toporkow der Gruppe zugeteilt.

Da das Steilufer so hoch und offenbar in seiner ganzen Ausdehnung unzugänglich war, kamen Belopolski und Melnikow überein, das Raumschiff dicht ans Ufer zu bugsieren. Das würde keine Schwierigkeiten bereiten; das Wasser war tief genug, und die Kraft der Elektromotoren von zwei Booten reichte aus, sogar solch ein gewaltiges Schiff ins Schlepp zu nehmen.

Romanow und Knjasew stiegen durch verschiedene Luftschleusen aus und gingen in die Boote. Der eine fuhr zum Bug des Schiffes, der andere zum Heck. Sie befestigten an eigens zu diesem Zweck, angebrachten starken Ringen Schlepptrossen und ließen auf ein Kommando vom Steuerpult her ihre Motoren gleichzeitig mit voller Kraft laufen.

Der Riesenwal bewegte sich langsam von der Stelle und schwamm majestätisch auf das nahe Ufer zu. Als er genug Fahrt machte, wurden die Trossen ausgehakt, und die Boote entfernten sich ein gutes Stück. Das Schiff fuhr bedächtig. Aber es war so massig, daß es mit Wucht gegen den Steilhang stieß. Zwei Wellen rollten durch die Bucht, und am gegenüberliegenden Ufer rauschte schäumende Brandung auf.

Die Bordmechaniker, Saizew und Knjasew, ergriffen die günstige Gelegenheit. Als sie den mit einem Geländer versehenen Landesteg herangeschleppt hatten, schlüpften sie mit der Expeditionsgruppe zusammen in die Ausgangsschleuse, um den Steg auch selber auszubringen. Wenigstens für kurze Zeit wollten sie gleich den anderen ihren Fuß auf den Boden der Venus setzen.

Als alle ihre Kombinationen angezogen und den Helm aufgesetzt hatten, stellte Belopolski die traditionelle Frage, ob die Luftzufuhr funktioniere.

Die Tür öffnete sich.

Sträucher und Bäume waren jetzt so nahe, daß jeder sogleich Einzelheiten entdeckte, die ihm vorher nicht aufgefallen waren.

Während die Mechaniker mit Wtorows Hilfe den Landesteg auszubringen versuchten, musterten Belopolski, Korzewski und Toporkow forschend die Umgebung.

Die ursprüngliche Vermutung, daß der Wald der Venus schwer zugänglich sei, erwies sich als richtig. Wie eine bequeme Allee erschienen die tropischen Urwälder der Erde im Vergleich mit dem chaotischen Dickicht aus Büschen, Lianen und Bäumen, zwischen denen sich am Boden ein dicker Teppich blutroter bandähnlicher Gewächse mit meterlangen, sehr scharfen Dornen breitete.

Überall drängten sich durch diesen Teppich sonderbare fleischige Röhren, an denen bunte Fransen hingen.

Genau gegenüber der Ausgangsschleuse stand ein großer Busch. Es war sogleich klar, daß dieses gelbe Gewächs nichts mit den Pflanzen der Erde gemein hatte. Für sein Äußeres paßte am besten der Name, den Melnikow ihm gegeben hatte: Es war ein gigantischer Schwamm, und er hatte wie die Schwämme auf der Erde einen porösen Leib mit zahlreichen kleinen Öffnungen, zwischen denen nach allen Seiten Nadeln abstanden.

Die Baumstämme hatten keine Rinde. Glatt und zartrosa getönt, schienen sie fast durchsichtig zu sein. Wie auf einem Aquarell ging das Rosa der Stämme unmerklich in das Rot und Orange der Zweige über. Die grellroten biegsamen Lianen mit ihren schwarzen Ringen wirkten aus der Nähe nicht mehr glatt.

Ihre porigen Körper waren mit zahllosen Öffnungen versehen.

Plötzlich umklammerte Korzewski den Arm Belopolskis.

„Sehen Sie — dort!“ Er wies auf den Stamm des nächsten Baumes.

Die grellrote Liane, die die unteren Zweige des Riesen fest umschlungen hielt, bewegte sich kaum merklich. Es sah aus, als zöge sich der lange, elastische Leib des Korallenaspidiums gleichmäßig zusammen und atme wieder ein.

„Das kommt durch den Wind“, raunte Belopolski.

Der Biologe schüttelte verneinend den Kopf.

„Hier gibt es keinen Wind“, flüsterte er.

Die Mechaniker und Wtorow unterbrachen die Arbeit am Landesteg. Gespannt beobachteten die Astronauten ihre fremde Umgebung.

„Das ist ja Leben! Überall wimmelt es von Leben!“ stieß Korzewski atemlos hervor.

Alle sahen nun, daß der Wald voller Bewegung war.

Die zahllosen angeblichen Lianen atmeten, und auch die bunten Fransen an den seltsamen Röhren schwangen sich wiegend hin und her. Von Zeit zu Zeit hoben sich langsam einige ihrer Härchen wie Fühler, die Beute suchten. Im Innern der rosafarbenen Stämme stiegen dunkle Punkte nach oben wie etwa im Wasser eine Kette von Luftbläschen. Die roten Bänder, die sich am Boden breiteten, regten sich ebenfalls. Manchmal schien elektrischer Strom in ihnen zu pulsen — krampfhaft zuckten dann ihre Stacheln, und die Bänder krümmten sich wie im Schmerz und erstarrten alsdann wieder in der neuen Lage.

„Dort kann kein Mensch gehen“, erklärte Wtorow.

Der Boden, dem all diese eigentümlichen Gewächse entsprossen, war gar nicht zu sehen. Bis zum Rand des Steilhanges breitete sich der lebende Teppich.

„Und wir haben gedacht, auf der Venus gäbe es kein Leben“, bemerkte Balandin, „aber sehen Sie nur — da liegt es vor uns…“ „Ich verstehe das nicht“, sagte Korzewski plötzlich. „Dies sind doch Seetiere, die im Wasser leben müßten. Sehen Sie sich die fleischigen Röhrchen mit dem Fühlerkranz an! Das sind haargenau irdische Aktinien. Ich bin überzeugt, daß sie eine Mundoffnung besitzen. Aber was für eine Nahrung können sie aus der Luft beziehen? Und diese langen Nadeln? Das sind typische Seetierorganismen. Und die Korallenbäume? Wir stehen sozusagen auf einem Meeresgrund, der sich plötzlich aus den Fluten gehoben hat. Auch die Schwämme — woher sollten sie auf dem Trockenen kommen? Vielleicht sind die Wolkenbrüche daran schuld?“ fragte er plötzlich sich selbst. „Nein, nein! Die würden nicht genügen. Diese ganze Gegend muß vor gar nicht langer Zeit noch von einem Ozean bedeckt gewesen sein.“ „Aber warum ist der Ozean plötzlich versiegt?“ fragte Toporkow.

Belopolski hatte die Brauen zusammengezogen und dachte angestrengt nach. Korzewskis Worte vom aufgetauchten Meeresgrund hatten in ihm einen Gedanken wachgerufen, der ihm aber sogleich wieder entschlüpft war, und er versuchte sich nun auf ihn zu besinnen. Toporkows Frage diente seinem Gedächtnis als Anstoß.

„Jetzt weiß ich es!“ rief er aus. „Ganz bestimmt ist es so! Es ist Ebbe eingetreten!“ erklärte er seinen Gefährten, die ihn verdutzt ansahen. „Die Sonne steht zur Zeit am östlichen Horizont. Sie hat die Ebbe bewirkt. In der Nacht wird dieses Ufer wieder von der Flut überspült werden.“ „Das klingt wie eine Entschlüsselung des Geheimnisses“, sagte Korzewski. „Eine derartige Deutung könnte vieles erklaren, denn die Nacht dauert auf der Venus sehr lange.“ „Also wird hier gegen Abend wieder Ozean sein?“ fragte Toporkow. „Was werden wir dann tun?“ „Es wird dunkel!“ rief Knjasew warnend.

Ein Gewitter nahte.

Alle zogen sich schleunigst in die Luftschleuse zurück, und Belopolski schloß die Tür. Kaum hatte er das getan, als heftiger Donnerschlag und Geknatter, die in ein gleichbleibendes Grollen übergingen, anzeigten, daß sich der nächste Regenguß über das Raumschiff ergoß.

„Die Gewitter lassen uns keine Ruhe“, sagte Belopolski.

„Wenn uns ein Gewitter unter freiem Himmel überraschen sollte, wird es uns schlecht ergehen.“ Niemand antwortete auf diese berechtigte Bemerkung Wtorows.

„Wo seid ihr?“ fragte Melnikow von der Zentrale aus.

„In der Luftschleuse. Wird es noch nicht wieder heller?“ „Nichts zu sehen. Die Bildschirme sind schwarz.“ Geduldig mußten die Männer das Ende des Gewitters abwarten. Es lohnte nicht, noch einmal die lange Prozedur über sich ergehen zu lassen, die mit dem Eintritt ins Schiffsinnere verbunden war. Das Gewitter konnte jeden Augenblick abziehen.

Tatsächlich war es zwanzig Minuten später vorüber. Die Tür wurde wieder geöffnet.

„Was mich am meisten wundert“, sagte Korzewski, „ist der Umstand, daß man nirgends Pfützen sieht. Eine derartige Sintflut müßte doch Spuren hinterlassen.“ „Die Pfützen könnten unter diesem roten Teppich stehen“, äußerte Toporkow unsicher. „Vielleicht ist dort ein richtiger Sumpf.“ Das Bild der Landschaft hatte sich nicht verändert, aber es fiel sofort auf, daß sich die vorher kaum wahrnehmbare Bewegung am Ufer verstärkt hatte. Häufiger atmeten die Lianen, schneller bewegten sich die Härchen der Aktinien, und krampfhafter wanden sich die Bänder am Boden.

„Ein weiterer Beweis dafür, daß die Heimat dieser Organismen das Wasser ist!“ Der Biologe triumphierte. „Sie haben sich nicht getäuscht, Konstantin Jewgenjewitsch!“ „Na, dann gehen wir einmal an Land!“ „Einen Augenblick!“ bat Wtorow, als er sah, daß Belopolski den Landesteg betreten wollte. „Erlauben Sie, daß wir Sie für alle Fälle anseilen.“ „Ja, das wäre angebracht.“ „Gennadi Andrejewitsch denkt als Alpinist immer an solchen Zauber“, sagte Toporkow lächelnd.

Vom Ende eines starken Seils umwickelt, das Wtorow in seinen muskulösen Händen hielt, schritt Belopolski über den Landesteg. Er blieb einen Augenblick stehen und überlegte, wohin er zuerst treten wollte. Behutsam setzte er den Fuß zwischen zwei rote Bänder. Dann tat er einen weiteren Schritt.

„Wasser ist nicht hier“, sagte er. Im selben Augenblick versank er auch schon in der Tiefe.

Das Seil spannte sich ruckartig. Wtorow wankte keine Sekunde. Mit wenigen Handgriffen zog er Belopolski auf den Steg zurück.

„Da sehen Sie, wozu solch ein Zauber gut ist“, sagte er spöttisch zu Toporkow.

Korzewski half Konstantin Jewgenjewitsch auf die Beine. Die Hose seiner Kombination war etwas beschmiert, aber völlig trocken. Also war Belopolski nicht ins Wasser gefallen.

„Meine Sohle ist auf der harten, schrägen, festen Oberfläche abgerutscht“, sagte er. „Ich glaube, der Boden ist hier porös.

Das erklärt, warum sich das Wasser nicht staut. Es läuft durch die Erdporen in die Bucht ab.“ „Lassen Sie mich einmal versuchen.“ „Nein, ich gehe.“ Er trat abermals an den Rand des Laufsteges und tastete mit der Spitze seines Elektrovibrators den Boden ab.

„Halten Sie gut fest!“ bat Toporkow besorgt.

Wtorow sah ihn grienend an.

Sicher, wenn auch sehr langsam, schritt Belopolski voran und untersuchte sorgfältig den Weg vor sich. Oft versank sein Vibrator in der Tiefe. Daran ließ sich erkennen, daß er auf einem unsichtbaren Pfad schritt, der zwischen Gruben von unbekannter Tiefe verlief. Vielleicht reichten sie gar bis zur Oberfläche der Bucht hinab.

Nachdem Belopolski sich sechs Schritt entfernt hatte, blieb er stehen und drehte sich zu seinen Gefährten um.

„Folgt mir und bindet euch alle an dem Seil fest. Tastet den Weg gehörig ab. Boris Nikolajewitsch!“ rief er.

„Ich höre“, antwortete Melnikow.

„Fahren Sie das Periskop aus! Beobachten Sie aufmerksam den Horizont und warnen Sie, falls eine Gewitterfront heraufzieht!“ „Sofort!“ Über dem Schiff stieg eine zwei Meter große Kugel auf. Sie erhob sich binnen Sekunden bis über die Kronen der rosa Bäume und wiegte sich am Ende einer dicken Trosse. Man sah, wie der Wind sie sogleich dem Ausgang der Bucht zutrieb.

„Wie ist die Sicht?“ fragte Belopolski.

„Tadellos.“ „Seien Sie nicht übervorsichtig! Verständigen Sie uns nur, wenn wirklich Gefahr droht!“ Melnikow gab keine Antwort.

„Hören Sie mich?“ „Natürlich, Konstantin Jewgenjewitsch.“ „Warum antworten Sie dann nicht?“ Belopolski lächelte über sich selbst. Er kannte den Charakter seines Schülers genau. Melnikow konnte Belehrungen dieser Art nicht leiden.

„Vorsicht!“ rief plötzlich Wtorow. „Ein Stachel!“ Aber Belopolski hatte es selber bemerkt.

Die scharfe Spitze des meterlangen Stachels eines Bandes, das unmittelbar vor ihm lag, zielte auf ihn. Diese langsame Bewegung der vermeintlichen Pflanze war unverkennbar ein Angriff.

Beinahe instinktiv schlug Belopolski mit dem Vibrator zu. Der seltsame Stachel zerbrach nicht, wie zu erwarten, in der Mitte, sondern flog als Ganzes ab. An der Stelle, an der er gesessen hatte, rannen aus dem roten bandähnlichen Körper schwarze Tropfen wie bei einem verletzten Tier das Blut.

Belopolski trat zu dem abgeschlagenen Stachel, hob ihn auf und warf ihn seinen Genossen zu, während er sprungbereit die anderen Stacheln beobachtete. Sobald er sich ihnen auf mehr als einen Meter näherte, zielten die dünnen Degen auf ihn, als wollten sie seinen Leib mit ihrer scharfen Spitze durchbohren, aber er brauchte nur ein wenig zurückzutreten — und sie nahmen ihre alte Stellung wieder ein. Auch die aktinienähnlichen Gewächse sträubten drohend ihre Härchen, sobald seine Hand nach ihnen griff. Der menschliche Körper schien die Venusbewohner anzuziehen, sie erkannten ihn als ein ihnen fremdes Wesen, das sie bereit waren zu packen.

„Wir müssen sehr vorsichtig sein“, sagte Belopolski. „Vielleicht sind sie giftig.“ Nun betraten auch die drei übrigen Astronauten, einer nach dem anderen, das Ufer. Wtorow ging als letzter. Er wurde von Saizew und Knjasew gehalten, die auf Belopolskis Befehl an der Schwelle der Luftschleuse zurückblieben. Toporkow rutschte aus, aber seine Kameraden hielten ihn mühelos fest.

Korzewski trat zu Belopolski. Die Augen des Biologen blitzten vor Freude.

„Es sind Lebewesen! Lebewesen!“ rief er immer wieder zutiefst bewegt. „Sie machen Jagd auf uns. Verstehen Sie? Sie sind gewohnt, die Beute zu erlegen, sobald sie sich ihnen nähert. Daraus geht hervor, daß es im Wasser dieses Ozeans Lebewesen gibt, die sich bewegen … schwimmen. Verstehen Sie, was das heißt?“ „Sehr gut sogar“, erwiderte Belopolski.

„Hier, passen Sie auf!“ Korzewski ergriff die Fransen einer Aktinie. Im selben Augenblick wanden sich die elastischen Härchen um seine Hand und zogen sie zu einer sich auftuenden kreisrunden Öffnung.

„Sehen Sie, dieses Lebewesen hat einen Mund wie die Aktinien der Erde!“ rief der Biologe entzückt.

Er dachte nicht daran, sich zu wehren, und ließ die Pflanze, die vielleicht sogar ein Tier war, seine Hände immer tiefer in sich hineinsaugen. Belopolski packte den Wissenschaftler, der vor Begeisterung ganz außer sich war, an der Schulter und riß ihn zurück.

„Seien Sie doch vernünftig“, sägte er mit gewohnter Ruhe, „das ist doch keine Aktinie wie auf der Erde.“ Korzewski blickte ärgerlich auf die abgerissenen Härchen, die sich wie widerwillig langsam lösten und zu Boden sanken.

„Wir müssen eine mit an Bord nehmen“, sagte er.

„Nehmen Sie, soviel Sie wollen, aber geben Sie gut acht!“ Belopolski schlug den nächstgelegenen Stachel ab und hielt seine Spitze vor eine andere Aktinie. Die kleinen Haare ergriffen den Stachel sofort und führten ihn zu der mundähnlichen Öffnung.

Alle verfolgten gespannt, was nun geschehen würde.

Nach einer Minute hielt der Gelehrte nur noch das Ende des Stachels in der Hand. Alles übrige war verschwunden.

„So, ich denke, das dürfte Ihnen genügen! Wer garantiert, daß mit Ihrer Hand nicht das gleiche geschehen wäre?“ „Wahrhaftig… Das ist ja …“ Der Biologe war betroffen.

Es stand fest, daß die Aktinien auf der Venus ganz anders gebaut waren als ihre Geschwister auf der Erde. Belopolski versuchte das in seiner Hand verbliebene Stück des Stachels zu zerbrechen, aber es gelang ihm nicht. Er war hart wie Eisen.

Trotzdem hatte dieses sonderbare Gewächs, das so zerbrechlich und weich aussah, den Stachel mühelos zerkleinert.

„Ich nenne sie Actinaria ferrumus“, verkündete Korzewski feierlich.

Da das Seil nicht lang war, konnten sich die Männer nicht weit vom Schiff entfernen. Außerdem mußten sie besonders vorsichtig sein. Die Gewitter waren noch nicht gründlich studiert, jedes barg Lebensgefahr. Ob es einem unbewehrten Menschen gelingen konnte, der Wucht der Wassermassen standzuhalten, war nicht erwiesen.

Aber auch wenn sie sich nicht weit entfernten, gab es genug zu erkunden. Unter Wahrung größter Vorsicht sammelten die Forscher mehrere Stacheln und lösten mit Hilfe ihrer Ultraschalldolche drei Aktinien und ein bedeutendes Stück eines der seltsamen roten Bänder vom Boden. All das trugen sie in die Luftschleuse.

Als nächstes untersuchte Korzewski gründlich den ersten Baum, dem sie sich näherten.

„Er zeigt typische Korallenstruktur“, erklärte er. „Es wäre schön, wenn wir einen Zweig mitnehmen könnten.“ Wtorow spähte nach oben. Die ersten Äste setzten bereits in geringer Höhe an, und der Baum war dicht mit Lianen umrankt.

„Darf ich es versuchen?“ fragte er Belopolski.

Konstantin Jewgenjewitsch musterte zweifelnd den Stamm, der so glatt war, als hätte ihn jemand poliert.

„Die Lianen werden mir helfen“, setzte Wtorow hinzu.

„Aber nicht so hoch klettern“, entschied der Expeditionsleiter.

„Brechen Sie den ersten besten dünnen Zweig ab. Beeilen Sie sich! Es kann wieder ein Gewitter kommen. Dann würde es Ihnen auf dem Baum schlecht ergehen!“ „Es ist keine Gewitterfront in der Nähe“, sagte Melnikow.

„Stellen Sie sich mir auf die Schulter“, schlug Korzewski vor.

Wtorow übergab Belopolski seinen Filmapparat und ergriff, nachdem er auf Korzewskis Schulter geklettert war, die Liane, die sich um den unteren Zweig geschlungen hatte.

Im nächsten Augenblick geschah etwas, womit keiner gerechnet hatte.

Kaum hatten Wtorows Hände das grellrote Tau umklammert, als es sich blitzschnell vom Ast loswand und mit seinem langen elastischen Ende durch die Luft schnellte. Binnen drei Sekunden war Wtorow gefesselt. Völlig hilflos und unfähig, eine Hand oder ein Bein zu bewegen, hing der Ingenieur zu Häupten seiner Genossen, die durch diesen überraschenden Angriff der vermeintlichen Pflanze völlig verdattert waren.

Toporkow riß sich das hinderliche Sicherungsseil vom Leib und schwang sich Korzewski auf die Schultern. Mit der Spitze seines Spezialdolches fuhr er über den Leib der tückischen Liane.

Wie ein Rasiermesser zerschnitt der Ultraschall den pflanzlichen Räuber. Der Gefesselte fiel in die ausgebreiteten Arme Belopolskis. Durch den Helm hindurch sah man, daß Wtorow kaum noch atmen konnte, weil ihn die Liane, die seinen Brustkorb immer noch umspannte, so würgte. Die Männer versuchten vergeblich, die Fesseln mit den Händen zu lösen. Erst mit dem Ultraschalldolch gelang es, die Ringe zu zerschneiden und den Brustkorb zu befreien. Die Kombination war, wie sich herausstellte, an vielen Stellen zerrissen.

„Er muß schleunigst an Bord!“ rief Korzewski erschrocken und legte seine Hände Wtorow um den Hals, als wollte er ihn erwürgen. Durch die Risse konnte die mit Formaldehyd vergiftete Luft der Venus unmittelbar in den Helm eindringen.

Belopolski ergriff das Seil und schnitt ein langes Stück ab. Mit diesem Stück wurde der Kragen der Kombination umwickelt.

„Haben Sie sich nichts gebrochen?“ fragte Korzewski.

„Anscheinend nicht“, antwortete Wtorow. „Diese Ungeheuer haben eine unheimliche Kraft. Mir tun sämtliche Knochen im Leibe weh.“ „Aber laufen können Sie?“ „Natürlich.“ Als Wtorow die Luftschleuse erreicht hatte, gab er Toporkow die Hand.

„Ich danke Ihnen, Igor Dmitrijewitsch!“ „Vielleicht kommt es auch mal anders! Heute rette ich Ihnen das Leben und morgen Sie mir.“ Selbst als vor einigen Stunden alle an Bord geeilt waren, um das gefundene Lineal zu untersuchen, erschien ihnen die Prozedur des Einschleusens nicht so quälend lang wie jetzt. Besorgt beobachteten sie Wtorows Gesicht und fürchteten, Anzeichen einer Vergiftung darin zu entdecken, weil zweifelhaft war, daß der aus dem Seil gefertigte Kragen hermetisch schloß.

„Wie fühlen Sie sich?“ fragte Korzewski alle Augenblicke.

„Ich habe Kopfschmerzen.“ „Nehmen Sie einen besonderen Geruch wahr?“ „Ja, einen sehr starken und unangenehmen.“ „Also ist doch etwas Formaldehyd eingedrungen!“ Im Raumschiff wußten die Genossen schon, was geschehen war. Stepan Arkadjewitsch wartete an der Luftschleuse mit der Instrumententasche für Erste Hilfe. Balandin und Paitschadse hielten eine Trage bereit.

Wie groß auch die Sorge um die Gesundheit des Kameraden sein mochte, so wurde die vorgeschriebene Desinfektion doch peinlich genau beachtet.

Von der inneren Schleusenkammer aus konnte man nur mit der Zentrale sprechen. Die Männer, die sich im Korridor eingefunden hatten, wußten also nicht, was hinter der Tür vor sich ging. Als sie sich endlich öffnete, sahen sie, daß Wtorow von Saizew und Knjasew getragen wurde.

„Er ist vor drei Minuten ohnmächtig geworden“, erklärte Belopolski.

Wortlos klappte Andrejew seine Tasche auf.

„Legen Sie ihn auf den Fußboden“, ordnete Korzewski an.

Die beiden Ärzte beugten sich über den Verunglückten. Nach einer Minute schlug Wtorow die Augen wieder auf, und Andrejew ließ ihn ins Lazarett bringen.

„Halb so schlimm“, antwortete er auf Belopolskis Frage, „er wird bald wieder ganz gesund sein.“ Romanow und Knjasew als die Stärksten trugen die Trage.

Durch das Raumschiff zu laufen, noch dazu mit einer Last, war sehr schwierig. Die „Klinik“, wie man im Scherz das Krankenzimmer nannte, befand sich zum Glück im gleichen Korridor.

„Die Venus beschenkt uns großzügig mit Überraschungen“, sagte Saizew. „Was wird nun weiter geschehen?“ „Was hat die Untersuchung des Lineals ergeben, Sinowi Serapionowitsch?“ fragte Belopolski den emsigen Balandin.

„Es besteht zweifellos aus Holz“, antwortete der Professor.

„Die Art des Holzes können wir nicht feststellen.“ „Kein Wunder!“ „Aber wir können mit Sicherheit sagen, daß es sehr lange im Wasser gelegen hat. Meiner Meinung nach mindestens ein Jahr.“ „Mindestens ein Jahr“, wiederholte Belopolski sinnend. „So!

Das Lineal ist also vor einem Jahr hier ins Wasser gefallen?“ „Es ist anzunehmen.“ „Dann brauchen wir nicht nach seinen Besitzern zu suchen.

Innerhalb eines solch langen Zeitraumes kann es von der anderen Halbkugel des Planeten hierhergebracht worden sein.“ „Und wenn Astronauten es verloren haben, so hat ihr Schiff die Venus längst wieder verlassen“, setzte Melnikow hinzu.

„Astronauten?“ Belopolski zuckte die Achseln. Damit gab er zu verstehen, daß er nicht sonderlich an einen Besuch der Venus durch Bewohner einer anderen Welt glaubte.

„Ist das Periskop noch ausgefahren?“ fragte er.

„Natürlich nicht.“ „Wir werden es noch einmal ausfahren. Kommen Sie mit ans Pult, Sinowi Serapionowitsch!“ Der Ballon mit der Fernsehkamera stieg abermals über dem Raumschiff auf. Der Bildschirm zeigte den Ozean. Die Kamera wendete langsam, und die Wasserebene wurde von dem orangeroten Wald abgelöst.

„Fahren Sie das Periskop noch höher aus!“ Melnikow betätigte den entsprechenden Mechanismus. Es war zu merken, daß der Ballon stark nach Osten abgetrieben wurde.

Trotzdem verbreiterte sich der Horizont weiter.

„Ich habe es ja gewußt!“ sagte Belopolski. „Sehen Sie!“ Der Sucher des Periskops hatte sich in diesem Augenblick nach Norden gewandt, und fast gleichzeitig bemerkten Balandin und Melnikow in der Ferne einen dunklen Streifen, Wasser!

Ebensolche Streifen zeigten sich im Westen und Süden.

„Wir sind auf einer Insel“, sagte Belopolski. „Als Stanislaw Kasimirowitsch sagte, die Bäume am Ufer seien in Wirklichkeit Korallen, glaubte ich gleich, daß wir nicht festes Land, sondern eine Koralleninsel vor uns haben, die nur tagsüber bei Ebbe an die Oberfläche tritt. Bei Nacht ist dies hier Meeresgrund. So leuchtet auch ein, warum hier keine richtigen Pflanzen wachsen, wie sie auf der Venus zu finden sein müßten, sondern nur Meeresorganismen. Wir müssen unbedingt festes Land finden und dorthin fliegen.“ „Die Insel ist gar nicht so groß“, bemerkte Balandin. „Es ist sogar verwunderlich, daß wir nicht vor unserer Landung bemerkt haben, daß dies eine Insel ist.“ „Es war damals bedeutend dunkler als jetzt“, antwortete Melnikow. „Und der Horizont war mit Gewitterfronten verhangen.“ „Aber trotzdem ist die Insel viel ausgedehnter als die größten Korallenbauwerke auf der Erde“, fuhr der Professor fort.

„Allerdings sind auch die Korallen selber, sofern es welche sind, unvergleichlich viel größer als die Korallen der Erde. Auf jeden Fall müssen wir die Insel, ehe wir sie verlassen, gründlich studieren.“ „Unbedingt!“ stimmte Belopolski zu. „Schon deswegen, weil wir diese Gegend nicht so bald verlassen werden. Das Schiff kann nirgends zum Starten gewendet werden. Es wird bis zum Abend hier bleiben, das heißt — anderthalb Wochen.“