121906.fb2 Das Erbe der Phaetonen - читать онлайн бесплатно полную версию книги . Страница 13

Das Erbe der Phaetonen - читать онлайн бесплатно полную версию книги . Страница 13

Luftaufklärung

So lag also die „SSSR-KS 3“ am Ufer einer Koralleninsel, die bei Ebbe aus den Fluten emportauchte.

Auf der Erde, die anderthalbmal so weit von der Sonne entfernt ist wie die Venus, erreicht die Flutwelle an einigen Stellen, zum Beispiel in der Fundybucht in Nordamerika, zwischen NeuSchottland und Neu-Braunschweig, einundzwanzig Meter Höhe.

Freilich wird sie hauptsächlich durch den Mond ausgelöst, dessen Anziehungskraft sie merklich beeinflußt, jedoch die Nähe zur Sonne mußte bei der Venus das Fehlen eines Trabanten reichlich wettmachen. Nach Belopolskis und Balandins Meinung konnte die Flut auf der Venus achtzig Meter Höhe betragen.

Wenn daher zu Beginn der Nacht im Gefolge der Sonne, die sich dem westlichen Horizont zuneigte, die Flutwelle die Insel erreichen würde, dürften nur noch die Wipfel der höchsten Korallenbäume aus den Wassern des Ozeans ragen, alles andere aber untertauchen.

Die Meeresgewächse und Seetiere, die gegenwärtig auf dem Trockenen lagen, würden dann erwachen, um Nahrung suchend ihr eigentliches Leben zu führen. Und wenn der Tag sie wieder an die Luft versetzte, würden sie in den Zustand einer eigenartigen Anabiose, die dem Winterschlaf einiger Tiere und Pflanzen ähnelte, zurückverfallen, Balandin und Korzewski gelangten einmütig zu diesem Schluß.

Schon über hundert Stunden, beinahe fünf Erdentage, lag das Schiff nun auf der Venus. Die wissenschaftliche Arbeit, auf die sich alle auf der Erde und unterwegs so gründlich vorbereitet hatten, entfaltete sich allmählich.

Trotz des ganz natürlichen Wunsches, möglichst gut und vollständig das zu erforschen, was noch nie ein Mensch erforscht hatte, trieb jedoch der Gedanke an die Erde die Besatzungsmitglieder zur Eile an.

Alle fühlten sich durch die Unterbrechung der Funkverbindung bedrückt. Das Bewußtsein, daß die Angehörigen auf der Erde unter schrecklicher Ungewißheit litten, war quälend. Unablässige Arbeit half am besten, mit der zermürbenden Sehnsucht fertig zu werden. Andrejew mußte sich oft an Belopolski oder Melnikow wenden, damit der festgesetzte Ablauf des Tages und vor allem der Nacht eingehalten wurde. Die Besatzung war zu bestimmten Stunden verpflichtet, sich schlafen zu legen, aber fast täglich versuchte jemand, gegen diese Regel zu verstoßen.

Außerhalb des Schiffes herrschte „ewiger“ Tag, neblige Dämmerung, die kein einziger Sonnenstrahl durcheilte. Fast stündlich wurde diese Tagähnlichkeit durch die totale Finsternis tobender Gewitter abgelöst. Bei einigen Expeditionsmitgliedern tiaten die ersten Anzeichen von Nervosität auf. Andrejew und Korzewski führten obligatorische therapeutische Maßnahmen durch, denen sich alle ohne Ausnahme jeden Tag unterziehen mußten. Besonders häufig versuchten Toporkow, Knjasew und Wtorow, der die Lianenumarmung übrigens gut überstanden hatte, sich vor diesen Maßnahmen zu drücken, aber die Kommandanten des Schiffes schritten energisch dagegen ein. Die Gesunderhaltung gehörte zu den wichtigsten Aufgaben. Belopolski und Melnikow, die sich selbst ausgezeichnet fühlten, kamen als erste in die Klinik und gaben damit den anderen ein Beispiel.

„Die Lebensbedingungen auf der Venus sind so ungewöhnlich für uns“, erklärte Andrejew denjenigen, die an der Notwendigkeit derartiger Maßnahmen zweifelten, „daß sich ganz unbemerkt ein Leiden einschleichen kann. Das Nervensystem entscheidet alles. Wenn es in Ordnung ist, bleiben den Menschen viele Unannehmlichkeiten erspart.“ „Ich bin so gesund wie noch nie“, sagte Toporkow.

„Reden Sie sich nicht heraus! Sie sind hier nicht auf der Erde.“ Die nähere Umgebung des Raumschiffes war schon gründlich untersucht worden, und die Kühlschränke bargen umfangreiche Kollektionen von Mustern der Fauna und Flora der Insel. Die Sternfahrer hatten sich mit der Heimtücke der Venusbewohner vertraut gemacht, und der beinahe tragisch ausgelaufene Zwischenfall wiederholte sich nicht mehr.

Von Tag zu Tag verlor das Betreten des Ufers an Gefährlichkeit. Je höher die unsichtbare Sonne über den Horizont stieg, desto deutlicher sah man das Leben ersterben. Immer langsamer bewegten sich die vermeintlichen Lianen, Bänder und Aktinien.

Man mußte ganz dicht an sie herantreten, um noch Reaktionen hervorzurufen, die aber auch von Stunde zu Stunde matter wurden. Die Natur schlief vor den Augen der Erdbewohner gleichsam ein. Auch durch die häufigen Regengüsse wurde sie nicht lebendiger, wie dies am frühen Morgen noch der Fall gewesen war. Unerschrocken drangen die Wissenschaftler tiefer in das Dickicht des wundersamen Waldes ein.

Vor den Gewittern mußten sie sich nach wie vor in acht nehmen. Aber dank Toporkow schwanden auch die Schrecken dieser Gefahr fast völlig. Igor Dmitrijewitsch hatte die elektrischen Eigenschaften der Gewitterfronten untersucht und festgestellt, daß die Ionisierung der Luft, die ihn im Zusammenhang mit dem Geheimnis des Radioechos besonders interessierte, lange Zeit vor einem Gewitter begann und zunahm, je mehr es sich näherte. Das brachte ihn auf den Gedanken, die Ionisierung als Wettervorhersage zu nutzen. Er baute mit Saizews Hilfe ein einfaches Gerät, ein elektrisches Barometer, von dem man das Nahen eines Gewitters schon eine Viertelstunde vorher mit großer Genauigkeit ablesen konnte.

Solch ein Gewittermelder konnte gar nicht hoch genug eingeschätzt werden. Er gab den Wissenschaftlern buchstäblich die Hand frei.

Belopolski ließ sofort mehrere solcher Barometer anfertigen.

Sie wurden auf dem zentralen Steuerpult, in der Funkkabine und in den Luftschleusen aufgestellt.

Von nun an wußten die Sternfahrer stets, wann ein Gewitter heraufzog. Sobald das Gerät erhöhte Ionisierung der Luft anzeigte, wurde vom Schiff aus ein Warnsignal abgegeben, und alle, die sich am Ufer aufhielten, eilten darauf schleunigst in die Luftschleusen.

Die entsetzlichen Regengüsse überraschten nicht ein einziges Mal ein Expeditionsmitglied außerhalb des Schiffes.

Die Temperatur der Außenluft stieg unaufhaltsam. Am fünften Tag zeigte das Thermometer siebzig Grad plus an. Der Dunst, der vom Wasser aufstieg, verwandelte sich allmählich in Nebel. Die Astronauten mußten ihre Kühlanzüge anziehen.

Bemerkenswert war, daß diese Anzüge sehr leicht und einlach waren. Die auf der Venus in großen Mengen anfallende Kohlensäure diente nämlich als Kühlmittel. Das Absinken der Temperatur innerhalb des Anzuges wurde mit Hilfe der Kompressionsmethode durch Verdunsten der Kohlensäure erreicht.

Natürlich waren Halbleiterbatterien, die bei kleinem Umfang in bedeutender Menge Elektroenergie erzeugen, für den Bau einer Kompressionsvorrichtung wie dieser, die sogar in einen kleinen Tornister paßte, Voraussetzung. Aber stets sind die Errungenschaften der Wissenschaft eng mit dem Niveau der Technik verknüpft.

Belopolski ließ beschleunigt eine Startbahn für Flugzeuge anlegen. Er wollte die Insel von oben betrachten und gleichzeitig versuchen, ein Festland ausfindig zu machen. Am Ufer der Insel hatte man Spuren entdeckt, die deutlich darauf hinwiesen, daß die Flut hier sehr hoch stieg. Das diente nach Balandins Meinung als Beweis für die Nähe eines Festlandes. Auf hoher See, fern von anderen Ufern, konnte die Flut nicht so hoch steigen.

Mit der Anlage einer Startbahn wurden Paitschadse, Wtorow, Romanow und Knjasew beauftragt. Saizew leitete die Arbeit.

Als Flugfeld konnte die Bucht dienen; die Düsenflugzeuge, die an Bord von „SSSR-KS 3“ mitgeführt wurden, waren alle Wasserflugzeuge. Es tauchte jedoch die Frage auf, wo sie montiert und vor allem wo sie untergestellt werden sollten. Auf dem Wasser würde das erste beste Gewitter ihre Tragflächen zerschmettern. Deshalb wurde beschlossen, einen geschützten Hangar zu bauen und ihn mit einer Vorrichtung zum Wassern der Flugzeuge vorm Start sowie zur Wiederaufnahme nach der Landung zu versehen.

Das war eine schwierige Aufgabe, wenn man die Höhe des Ufers und die unzähligen Schwammsträucher und Korallenbäume berücksichtigte. Aber Zähigkeit und Erfindergeist siegten.

Mit Flammenwerfern und mächtigen Ultraschallgeräten vernichteten sie auf einer Fläche von dreihundert Quadratmetern alles, was das Ufer bedeckte. Mit Stücken der Korallenbäume schütteten sie die zahlreichen Gruben zu. Über diesem Platz errichteten sie ein festes Dach, das an einigen Stammen befestigt wurde, die eigens zu diesem Zweck nicht gefallt worden waren.

Gezielte Sprengungen rissen einen Teil des Ufers ein, so daß ein schräger Hang entstand. Als sie dann noch eine Elektrowinde aufgestellt hatten, war der Flughafen fertig.

Zwar drückten Regengüsse das Dach noch mehrmals ein, und es mußte neu errichtet werden. Aber schließlich konnten selbst die schrecklichsten Gewitter dem Hangar nichts mehr anhaben.

Das Wasserflugzeug im Hangar unterzustellen war nun nicht mehr schwierig. Es wurde ans Ufer bugsiert und mit der Winde den Hang hinaufgezogen. An der Montage und Anbringung der Tragflächen beteiligten sich fast alle Besatzungsmitglieder.

Am sechsten Tag, dem 15. Juli, stand die Maschine startbereit.

Belopolski beauftragte Melnikow und Wtorow mit dem ersten Flug. Sie sollten die Insel aus der Luft fotografieren.

Balandin und Korzewski hatten während dieser Tage vergeblich versucht, Wassertiere zu fangen. Ihre Netze blieben leer.

Aber zweifellos gab es im Ozean der Venus schwimmende Lebewesen; denn sonst wäre das Verhalten der Aktinien und der anderen Organismen an Land schwerlich zu erklären gewesen.

Es blieb nur zu vermuten, daß alle diese Tiere mit der Ebbe auf die hohe See hinausschwammen.

Aber trotz des erfolglosen Fischfangversuches konnten die Sternfahrer mit den Ergebnissen ihrer Arbeit zufrieden sein. Sie hatten innerhalb von sechs Tagen Entdeckungen gemacht, die alle bisherigen Vorstellungen vom Leben auf diesem Planeten, zumindest was die Ozeane betraf, über den Haufen warfen. Die Korallen, die Schwämme und die vorerst noch rätselhaften „Bänder“ waren keine embryonalen Lebenskeime mehr, sondern voll ausgebildete Organismen mit einer komplizierten Struktur.

Und die unbekannten Fische, die ihnen als Nahrung dienten, mußten auf einer noch höheren Stufe der Evolution stehen.

Die Korallen und Schwämme auf der Venus glichen denen auf der Erde, aber über diesen auf den ersten Blick merkwürdig scheinenden Umstand wunderten sich weder Balandin noch Korzewski. Das Wasser im Ozean war gewöhnliches Wasser und unterschied sich nicht von dem Meerwasser der Erde. Auf Planeten, die einander nahe waren, mußte das Leben in annähernd gleicher Weise entstehen und konnte bei den niederen Formen sogar miteinander identisch sein. Der sehr schwache Formalingehalt in den Gewässern der Venus konnte die Entfaltung des Lebens nicht behindern.

Das größte Rätsel, für das sich vorläufig keine wissenschaftliche Erklärung fand, blieben die seltsamen Eigenschaften der grellroten Lianen. Sie gehörten zweifellos zur Pflanzenwelt, erinnerten aber dadurch, daß sie bewußt auf Berührung reagierten, an Tiere. Es gelang den Forschern, zwei dieser vermeintlichen Lianen vom Stamm zu lösen, ohne sie zu zerstückeln, und in einem Behälter mit Spiritus zu verschließen. Die rätselhaften Pflanzentiere sollten auf der Erde gründlich studiert werden.

Selbstverständlich beschäftigte auch das geheimnisvolle Lineal nach wie vor die Gedanken der Expeditionsmitglieder und verursachte hitzige Streitgespräche. Daß es künstlich entstanden war, konnte nicht bezweifelt werden. Folglich gab es entweder vernunftige Lebewesen auf der Venus, oder solche Wesen hatten vor der Landung von „SSSR-KS 3“ die Venus besucht. Die letztere Vermutung wurde von Melnikow und Korzewski unterstutzt. Professor Balandin dagegen behauptete, das Lineal sei von Bewohnern der Venus hergestellt und verloren worden.

„Wir werden ihnen auf dem Kontinent sicher begegnen“, sagte er.

Belopolski äußerte seine Zweifel nicht, und daher erfuhr niemand seine Gedanken.

Überall versuchten die Astronauten Spuren vernünftiger Lebewesen zu entdecken, aber sie fanden nichts. Anscheinend war die Insel nie bewohnt gewesen. Wenigstens nicht in der Gegend, in der das Schiff lag. Alle, die den Gedanken verfochten, daß die Venus bewohnt sei, setzten große Hoffnung auf die vorbereitete Luftaufklärung. Vielleicht würde es vom Flugzeug aus gelingen, Spuren vernunftgelenkten Schaffens zu entdecken, die sich auch über die letzte Überflutung der Insel durch den Ozean hinweg erhalten hatten. Das Lineal konnte nicht vom Himmel gefallen sein, jemand mußte es hergestellt und verloren haben, mochte das auch schon ein Jahr zurückliegen — es war geschehen und bezeugte unwiderleglich das Wirken von Vernunft.

„Auf der Insel kann es keine Bauwerke geben“, widersprach ihnen Korzewski, „und zwar deshalb nicht, weil sie zu bestimmten Zeiten regelmäßig im Wasser versinkt. Allem Anschein nach ist die Venus für die Herausbildung vernünftigen Lebens ungeeignet. Für mich steht jedenfalls fest, daß dieser Planet keine vernunftbegabten Bewohner besitzt. Das Lineal haben Kosmonauten verloren.“ „Dann müßten wir Spuren von der Landung eines Raumschiffes finden.“ „Es kann weit von hier gelandet sein.“ „Und wie ist dann das Lineal in die Bucht geraten?“ „Die Wellen der Flut und der Wind haben es hierhergetrieben.“ „Wenn tatsächlich von einem anderen Planetensystem aus ein Raumschiff hierhergeflogen ist“, sagte Balandin, „dann hätte es auch unsere Erde angesteuert.“ „Nicht unbedingt“, entgegnete Melnikow, „es ist nicht so einfach, einen Planeten zu finden, noch dazu solch einen kleinen.

Sie sind zufällig auf die Venus gestoßen, haben die Erde nicht bemerkt und dann den Rückflug in ihre Heimat angetreten.“ Alle diese Auseinandersetzungen waren im Grunde völlig zwecklos. Beide Seiten konnten mit gleichviel Grund annehmen, sie hätten recht. Das Rätsel des Lineals ließ sich nicht lösen, bevor der Planet nicht eingehend erforscht war.

Ähnlich wie Belopolski zog auch Paitschadse es vor, zu schweigen. Wenn er geradezu gefragt wurde, gab er ausweichende Antworten wie: „Das mag schon sein“ oder „Das ist kaum anzunehmen.“ Am Sechzehnten sollte der erste Probeflug über der Insel unternommen werden. Die Männer warteten, bis es für Venusverhältnisse etwas aufklarte, dann schoben sie das Flugzeug ins Wasser.

Melnikow saß am Steuerknüppel, Wtorow hatte sich in einen Passagiersessel gesetzt. Die Triebwerke heulten auf, und der silbergleißende Vogel glitt, einen Schaumstreif hinter sich herziehend, über die spiegelglatten Wasser und erhob sich in die Lüfte.

Auf Wtorows Bitte hin kreiste Melnikow einmal über dem Fjord. Gennadi Andrejewitsch wollte das Schiff fotografieren, wie es unten am Ufer lag. Die lange stählerne Zigarre mit der komplizierten Richtantenne, die das Vorschiff überragte, war deutlich zu erkennen. Toporkow sandte jeden Tag Funksprüche an die Erde, und die Antenne wurde gar nicht mehr eingefahren.

Nebel behinderte die Sicht. Trotzdem konnte man noch viele Einzelheiten der Landschaft erkennen. Melnikow dachte daran, daß sie in ein paar Tagen die Insel nicht mehr von oben würden betrachten können. Der Dunst, der von der Wasseroberfläche aufstieg, verdichtete sich von Stunde zu Stunde.

Um die Genossen unten auf dem Schiff zu grüßen, schaukelte das Flugzeug mit den Tragflächen, dann stieg es auf dreihundert Meter. Von dieser Höhe aus konnte man die ganze Insel gut überblicken. Sie hatte die Form eines fast rechtwinkligen Dreiecks.

Der Wind trieb nach wie vor düstere Wolken vor sich her, überall wälzten sich schwarze Regenwände und zuckten Blitze.

Vom Schiff aus wurde gefunkt, daß Gewitterfronten noch nicht in bedrohlicher Nähe seien, sich aber von allen Seiten der Insel zu nähern schienen.

Das Flugzeug flog an der Küste entlang. Zur Linken breitete sich der mit weißen Wellenkämmen bedeckte unendliche Ozean, zur Rechten der orangerote vermeintliche Wald, hinter dem wiederum die Wasserebene schimmerte.

Das Ufer sah die ganze Zeit gleich aus. Hoch, abschüssig, von Korallenbäumen gekrönt. Viele Buchten schnitten ins Land. Sie waren gewöhnlich sehr schmal und erinnerten an Erdspalten.

Die Geschwindigkeit war zu groß, als daß die beiden Männer im Flugzeug Einzelheiten hätten ausmachen können. Ein Hubschrauber wäre für ihre Zwecke nützlicher gewesen, aber mit solchen speziell zur Geländeerkundung geeigneten Maschinen war die Expedition nicht ausgerüstet; es wäre für einen Hubschrauber auch allzu gefährlich gewesen, mit einer Gewitterfront zusammenzutreffen. Seine relativ geringe Wendigkeit und Geschwindigkeit sowie die langen Blätter seiner Luftschrauben konnten ihm leicht zum Verhängnis werden. Ein schnelles, manövrierfähiges Düsenflugzeug ohne Luftschraube war unter den Bedingungen der Venus am sichersten.

Als die Maschine die Südspitze der Insel erreicht hatte, drehte Melnikow auf Kurs Nordwest und folgte weiter den Windungen der Inselküste.

Das durchsichtige Plastedach bot für das Fotografieren kein Hindernis, und Wtorow machte eine Aufnahme nach der anderen. Der Wind kam nun von vorn. Seine Stärke ließ sich am Sinken der Fluggeschwindigkeit ablesen.

Als weißer Streifen war in der Tiefe die Brandung zu erkennen. Die vom Wind gepeitschten Wellen stürmten grimmig gegen das Steilufer und zerschellten zu diamantenem Staub.

Das gewiß sehr laute Tosen der Brandung war durch das Dröhnen der Triebwerke natürlich nicht zu hören.

Bald mußte der Kurs abermals geändert werden. Diesmal nach Nordosten. Die Landschaft änderte sich nicht, und nirgends entdeckten die beiden Männer etwas Neues. Überall bot sich ihnen ein und dasselbe Bild.

Nach fünfzehn Minuten hatte das Flugzeug die Insel umflogen. Dann überquerte es sie mehrmals von Norden nach Süden, von Osten nach Westen und in umgekehrter Richtung.

Aber nichts war zu erspähen, was auch nur im entferntesten an eine künstliche Anlage erinnert hätte.

Die Korallensiedlung inmitten des Ozeans lag völlig vereinsamt und war offenbar unbewohnt. Wenn es auf der Venus bewußtes Leben gab, dann mußte es anderenorts gesucht werden.

Melnikow wollte schon zum Schiff zurückfliegen, da meldete Toporkow, das Ionometer steige steil an, und anscheinend ziehe ein mächtiges Gewitter herauf.

„Die Ionisierung nimmt schnellstens zu“, wurde vom Schiff übermittelt, „sie ist bedeutend stärker als gewöhnlich. Ihr müßt äußerst vorsichtig sein.“ Melnikow musterte den Horizont. Tatsächlich schob sich von Nordwesten her eine breite schwarze Bank heran. Schnell wachsend und voll zuckender Blitze, schien sie die Insel stürmen zu wollen.

Es durfte nicht gezögert werden. Noch fünf, sechs Minuten, und das Gewitter würde die Insel zudecken. An eine Landung war nicht zu denken. Das hieße das Flugzeug der Vernichtung preisgeben. Der Regen wurde herniederprasseln, bevor sie im Hangar Schutz gefunden hätten.

Melnikow gab Vollgas. Mit Überschallgeschwindigkeit raste die Maschine nach Süden und stieg zugleich zu den Wolken empor. Sollte es nicht gelingen, dem Gewitter zu entfliehen, so blieb noch der Ausweg, größere Höhen zu erreichen.

Rasch näherte sich der schwarze Streifen dem Flugzeug, aber Melnikow erspähte weit voraus schon das Ende der Wand. Sich im Blindflug in die Wolken schlagen wollte er nicht. Er drehte etwas nach Osten ab, wich so vor dem Gewitter aus und gewann Zeit.

Buchstäblich in letzter Sekunde gelang es ihm, der Front zu entrinnen.

Die tückische Wasserwand schoß dicht hinter dem Schwanz des Flugzeuges vorüber. Wie immer auf der Venus hatte auch diese Gewitterfront scharfe, gleichsam geschnittene Grenzen.

Wäre der Wind nicht gewesen, so hätte man wohl wenige Schritte neben einem Wolkenbruch stehen und trotzdem trocken bleiben können.

Nachdem Melnikow sich überzeugt hatte, daß die Gefahr an ihnen vorübergegangen war, drosselte er die Geschwindigkeit und drehte nach Westen ab.

Die Insel hatte sich ihren Blicken längst entzogen. Sie waren allein inmitten der unendlichen Räume des fremden Planeten.

Allein in einem kleinen zerbrechlichen Apparat, den die entfesselten Naturgewalten in wenigen Augenblicken zerschmettern konnten. Die Funkverbindung mit dem Raumschiff war mit Einsetzen des Gewitters abgebrochen.

Wtorow fühlte sich schrecklich einsam.

Nun war alles aus!

Nie würden sie die Insel und das Schiff wiedersehen. Eine der Gewitterfronten, die überall, wohin sie auch blickten, sichtbar waren, würde über sie herfallen, und die Wellen des Ozeans wurden über dem zerschellten Flugzeug zusammenschlagen — kein Mensch erfuhr je, wo sie beide ihr Grab gefunden hatten.

Er beugte sich instinktiv zu Melnikow vor, dem einzigen unter Millionen Erdenmenschen, der sein Los teilte.

Sie waren allein! … Niemand würde ihnen zu Hilfe kommen!

Der breite Rücken des Piloten bewegte sich nicht. Melnikows behandschuhte Hände hielten sicher das Steuer. Er wandte den Kopf, spähte zum Horizont, und durch das Schauglas seines Helmes sah Wtorow die ruhigen Züge des Gefährten, die auch nicht den Schatten einer inneren Unruhe verrieten.

Da fühlte Wtorow, wie ihm jählings das Blut ins Gesicht schoß. Er schämte sich seiner kleinmütigen Gedanken. Was für ein Sternfahrer war er, wenn die erstbeste Schwierigkeit ihn aus dem Gleichgewicht warf? Das Gewitter würde von der Insel abziehen und die Funkverbindung wiederhergestellt werden.

Und selbst wenn es sehr weit abgeirrt war, konnte das Flugzeug mit Hilfe der Funkorientierung den Rückweg finden.

Nachdem Melnikow fünf Minuten Kurs West geflogen war, wendete er. Er wollte sich nicht zu weit von der Insel entfernen.

Im Norden war der ganze Horizont von Regen verhangen.

Von Süden her wälzte sich wieder eine Gewitterfront heran.

Das Flugzeug stieg noch ein Stück. Wenn die beiden Fronten zusammenstießen, gab es für die Maschine keinen anderen Ausweg als die Flucht in größere Höhe.

Sie flogen schon über vierzig Minuten. Wie lange wird es noch über der Insel regnen? Zwanzig Minuten oder vielleicht eine geschlagene Stunde? … Melnikow fiel ein, daß sie vor acht Jahren auf der Venus eine tausend Kilometer mächtige Gewitterwolke gesichtet hatten. Wer weiß — vielleicht war diese hier noch größer.

Die beiden Gewitterfronten wälzten sich, einen viertel Kilometer voneinander entfernt, nebeneinander her, und in dem engen Korridor zwischen ihnen patrouillierte mit gedrosselten Triebwerken von Osten nach Westen und von Westen nach Osten das Flugzeug mit den beiden Menschen.

Abermals vergingen fünfzehn Minuten.

Der Horizont im Norden schien nie mehr aufklaren zu wollen. Im Westen verschwand die Wolke nach wie vor hinter dem Ozean. Ihr Ende war nicht abzusehen.

„Das ist aber wirklich Pech!“ sagte Melnikow. „So viele Tage sind die Regengüsse von kurzer Dauer gewesen, aber ausgerechnet jetzt kommt solch ein Koloß geflogen. Gennadi Andrejewitsch, wir werden wohl in den Wolken Schutz suchen müssen.“ Wtorow gab keine Antwort.

Der Korridor wurde immer enger. Die Gewitterwolken näherten sich einander. Gleich würden sie zusammenstoßen und das Flugzeug mit wütenden Wassermassen überschütten. Sie durften nicht länger zögern.

Melnikow riß das Steuer an sich. Die fügsame Maschine hob die spitze Nase himmelwärts. Ein Augenblick, und Wolkenmassen hatten sie verschlungen. Mit hellwachen Sinnen behielt Melnikow die Blindfluggeräte im Auge.

Er steuerte die Maschine steil nach oben, um den Gewitterwolken zu entgehen, ihrer wäßrigen Umarmung zu entschlüpfen.

Aber es war schon zu spät. Die Fronten vereinigten sich.

Melnikow und Wtorow errieten es, als weißliche Dämmerung den dichten Nebel ablöste. Sie merkten, daß die Maschine unter dem Druck des Wassers, das sich auf sie ergoß, in die Tiefe sackte.

„Das dürfte wohl das Ende sein“, sagte Melnikow. „Wir hätten eher auf große Höhe gehen sollen. Fertigmachen! Kurz bevor wir in den Ozean geschleudert werden, werfen Sie die Tragflächen ab! Das ist unsere letzte Chance.“ Das Flugzeug war so konstruiert, daß es in ein hermetisch verschlossenes Boot verwandelt werden konnte. Man brauchte nur einen Hebel zu ziehen, und die Tragflächen sowie das Fahrgestell lösten sich vom Rumpf, der ebensowenig sinken konnte wie ein leichtes Schlauchboot. Die gigantischen Wellen würden ihn natürlich wie einen Holzspan hin und her werfen. Trotzdem war dies, wie Melnikow sagte, eine Chance. Die letzte.

„Wir werden uns mit hoher Geschwindigkeit ins Wasser bohren“, sagte Wtorow.

„Abwarten!“ erwiderte Melnikow rauh.

Die Triebwerke arbeiteten mit voller Kraft. Das Flugzeug zog einen langen feurigen Schweif hinter sich her, der sogar durch den strömenden Regen hindurch zu sehen war. Es stemmte sich mit aller Gewalt gegen die Last der Wassermassen, aber der Zeiger des Höhenmessers sank unaufhaltsam und schnell.

Das Flugzeug würde mit arbeitenden Triebwerken beinahe senkrecht in den Ozean stürzen.

Gespannt beobachtete Melnikow den Höhenmesser. Er wußte, daß das Düsentriebwerk abgestellt werden mußte, bevor die Maschine in den Wellen versank, weil sie andernfalls explodieren würde. Aber er wollte es noch nicht abstellen, um bis zuletzt die Auftriebskraft zu nutzen, die die Fallgeschwindigkeit bremste.

Sie waren noch zweihundert Meter über dem Ozean.

Ein schrecklicher Schlag rüttelte am Flugzeug. Das ohrenbetäubende Gepolter einer elektrischen Entladung … eine grelle Stichflamme…

Die Triebwerke blieben stehen.

Wie zum Hohn hörte ausgerechnet in diesem Augenblick das Gewitter auf. Die unheilverkündenden Wolken zogen ab.

Der letzte Blitz des abziehenden Gewitters hatte in die Düsentriebwerke eingeschlagen! Hilflos trudelte das Flugzeug, kippte vornüber und schoß wie ein Pfeil in die Tiefe.

Melnikow verlor nicht die Nerven. Energisch handhabte er das Steuer und fing das Flugzeug dreißig Meter über dem Wasser ab.

„Tragflächen abwerfen?“ rief Wtorow.

„Noch nicht! Wie müssen noch tiefer gehen.“ Sacht schwebte die Maschine im Gleitflug in die Tiefe. Gischt riesiger Wogen besprühte die Schwimmer der Maschine.

Eine Minute verging. Eine zweite … Sie flogen immer noch.

Das Gewitter war abgezogen, aber die Funkverbindung noch nicht wiederhergestellt. Über der Insel schien es immer noch zu regnen.

Der Wind riß die Wellenkämme ab. Sprühender Gischt verhängte die Sicht wie Nebel.

Zäh hielt sich die Maschine in der Luft.

Plötzlich legte sich die Bewegung des Wassers. Die tosenden Wogen glätteten sich. Beinahe reglos dehnte sich unter den Tragflächen die See. Der Nebel verflog.

„Land in Sicht!“ rief Wtorow verzweifelt.

Bedrohlich nahe, wie vom Meeresgrund emporgestiegen, reckte sich dem Flugzeug ein unbekanntes, felsiges Ufer entgegen.

Melnikow riß instinktiv den Steuerknüppel an sich. Aber die Maschine konnte sich ohne Triebwerke nicht mehr erheben.

Die Katastrophe war unvermeidbar.

Schon wasserte die Maschine und raste, auf den Schwimmern gleitend, geradewegs auf die Felsen zu …