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Die ganze Besatzung von „SSSR-KS 3“ war in der Funkkabine versammelt.
Toporkow saß am Empfänger, bereit, sobald der verfluchte Regen aufhörte, die Funkverbindung mit dem Flugzeug wiederaufzunehmen.
In den Lautsprechern knatterte es pausenlos, manchmal so stark, daß alle glaubten, der Empfänger würde es nicht aushalten. Die Geräte zeigten an, daß die Außenluft gefährlich mit Elektrizität gesättigt war. Das Raumschiff befand sich gleichsam inmitten eines ungeheuren, nicht enden wollenden Blitzes.
Das Donnergepolter war sogar in der Funkkabine zu hören, obwohl sie im Innern des Schiffsrumpfes lag.
„Sollten wir die Antenne nicht doch lieber einziehen?“ schlug Saizew vor.
Toporkow schüttelte verneinend den Kopf.
Schon vor fünfzig Minuten hatte das Gewitter die Insel zugedeckt, und noch immer war nicht abzusehen, wann es endlich aufhören würde. Solch ein heftiges Unwetter hatten sie noch nie erlebt.
Äußerlich ruhig saß Belopolski neben Toporkow und sah alle Augenblicke nach der Uhr.
Sehr selten ließ jemand ein Wort fallen und — verstummte wieder, weil niemand antwortete. Die Gedanken der Sternfahrer waren in weiter Ferne, dort, wo das einsame Flugzeug mit ihren beiden Genossen in der Luft schwebte, durch die Regenwand von Insel und Schiff abgeschnitten.
Wo war die Maschine? Wie weit vom Schiff entfernt? Sie wußten es nicht. Vielleicht erstreckte sich das Gewitter in beiden Richtungen über Hunderte von Kilometern? Die Zeit verging quälend langsam. Dann endlich war die Front abgezogen.
Toporkow schaltete die Sendeanlage ein. Obwohl das Prüfgerät noch eine außerordentlich starke Ionisierung der Luft anzeigte, begann er, auf der vereinbarten Funkwelle Melnikow zu rufen. Wenn sich freilich Melnikow und Wtorow allzuweit von der Insel entfernt hatten, konnte die Verbindung nicht zustande kommen.
Minuten vergingen, nichts.
Die wütenden Donnerschläge verhallten. Im Äther trat völlige Stille ein. Der Zeiger des lonometers sank auf Null, die Luft war frei von Elektrizität.
„Hier spricht das Raumschiff! Wo seid, ihr? Wo seid ihr?
Antwortet! Hier spricht das Raumschiff!“ „Sofort das zweite Flugzeug montieren!“ befahl Belopolski.
„So schnell wie möglich!“ Außer Toporkow stürzten alle zur Tür.
„Paitschadse, Andrejew und ich bleiben an Bord. Konstantin Wassiljewitsch, sorgen Sie dafür, daß die Maschine schnellstens startklar wird!“ „Selbstverständlich!“ antwortete Saizew.
„Hier spricht das Raumschiff! Wo seid ihr? Antwortet! Antwortet!“ „Wenn das Flugzeug zu weit entfernt ist“, sagte Andrejew, „könnte zwischen ihm und uns ein Gewitter stehen, das die Funkwellen aufhält.“ „Wieviel Luft haben die beiden?“ fragte Paitschadse.
„Sie reicht für zwei Menschen vierundzwanzig Stunden.“ „Hier spricht das Raumschiff! Wo seid ihr?…“ Stunden vergingen.
Kurze Gewitter zwangen die fünf Männer mehrmals, die Arbeit am zweiten Flugzeug einzustellen. Die Montage der Tragflächen dauerte an sich schon nicht weniger als zwölf Stunden, diese erzwungenen Unterbrechungen aber reizten die ohnehin gespannten Nerven bis zum äußersten. Der stets ruhige und ausgeglichene Saizew fluchte wie ein Besessener, wenn er warten mußte, bis es wieder aufklarte.
Belopolski schickte zur Unterstützung auch noch Andrejew und Paitschadse. An Bord blieben nur zwei Mann. Das war ein grober Verstoß gegen die Vorschriften, die bei Raumfahrten zu beachten waren.
Es wurde in wahnsinnigem Tempo gearbeitet. Alle wußten genau, daß Melnikow, wenn er sehr weit abseits geflogen war, die Insel ohne Funkverbindung auf dem unendlichen Ozean nicht würde finden können. Eine Funkverbindung war immer noch nicht zustande gekommen.
Sie fürchteten sich vor dem Gedanken, daß alles aus sei und ihre beiden Kameraden längst den Tod gefunden hätten. Die fehlende Funkverbindung erklärten sie sich mit Gewitterfronten.
Die letzte Meldung vom Flugzeug hatte besagt, daß es Kurs Süd einschlage. Also würde man in dieser Richtung suchen müssen. Vorher aber mußte erst die Montage abgeschlossen, ein günstiger Moment abgewartet und dann endlich gestartet werden. Und wohin?
Nach Süden! sagten sich die Männer im stillen und unterdrückten den Gedanken, daß „Süden“ ein äußerst ungenauer Begriff sei Würden sie die kleine Maschine finden, wo man keine tausend Meter weit sehen konnte und dauernd manövrieren mußte, um dem Platzregen auszuweichen — es wäre ein reiner Zufall. Aber ihnen blieb nichts als die Hoffnung auf einen solchen Zufall. Solange nicht die verhängnisvollen vierundzwanzig Stunden abgelaufen waren, würde keiner den Versuch aufgeben, die Genossen zu retten.
Nach fünf Stunden Arbeit war die eine Tragfläche bereits montiert. Falls keine Gewitter dazwischenkamen, würde die Maschine zwei Stunden eher startklar sein.
Zwei Stunden! Unter solchen Umständen war dies sehr viel!
Die Natur der Venus erbarmte sich anscheinend ihrer Gäste.
Die Arbeit verlief ohne Unterbrechungen. Die Gewitter umgingen die Insel.
Belopolski und Toporkow lösten sich am Mikrofon ab, riefen unaufhörlich Melnikow und lauschten gespannt auf Antwort.
Aber die Stille im Äther wurde nur durch nahe oder ferne Gewitterstörungen unterbrochen.
„Wenn Gewitter die Funkverbindung behindern“, sagte Toporkow, „können sie doch keine lückenlose Front bilden. Zumindest zeitweise müßten Schneisen aufbrechen.“ Belopolskis Miene verdüsterte sich. Immer häufiger kam ihm der Gedanke, Melnikow und Wtorow seien verunglückt. Er wußte, daß die Männer draußen ihre Kräfte für eine nahezu aussichtslose Aktion einsetzten, konnte sich aber nicht entschließen, den Befehl zur Einstellung der Arbeit zu erteilen. Theoretisch konnten Melnikow und Wtorow noch sechzehn Stunden leben. Niemand sollte sagen dürfen, daß sie vom Schiff ihre Pflicht nicht bis zum letzten erfüllt hätten.
Wo sind der Kraft eines Menschen Grenzen gezogen, wenn er einen Freund zu retten sucht? Wo liegt die Grenze seiner Leistungsfähigkeit, seines Willens und seiner Ausdauer? Zum Umfallen müde, montierten die sieben Männer am Flugzeug die zweite Tragfläche. Die Hände wollten das Werkzeug nicht mehr halten, die Augen konnten die Einzelteile kaum noch unterscheiden, aber die schweren Metallstücke gelangten dennoch gleichsam von selbst an Ort und Stelle.
Nach neun Stunden und zwanzig Minuten meldete Balandin mit bis zur Unkenntlichkeit heiserer Stimme, die Maschine stehe zum Start bereit.
„Lassen Sie mich und Saizew fliegen!“ „Auf keinen Fall!“ entgegnete Belopolski. „Schieben Sie das Flugzeug ins Wasser. Toporkow wird fliegen. Außer Knjasew und Romanow haben alle an Bord zurückzukehren.“ Er schaltete die Sprechanlage aus, ohne auf die Einwände des Professors zu hören.
„Igor Dmitrijewitsch, starten Sie! Kein anderer ist zur Zeit in der Lage, diese Aufgabe zu übernehmen. Sie kommen als einziger in Frage. Ich habe in Boris Nikolajewitschs Abwesenheit nicht das Recht, das Schiff zu verlassen.“ „Ich werde alles tun, was ich kann“, antwortete der Ingenieur und verließ die Kabine.
Belopolski blieb allein. Er wußte, daß Toporkow nicht warten würde, bis die anderen an Bord zurückgekehrt waren, sondern sofort zum Flugzeug gehen würde. Der Kommandant war sich der ungeheuren Verantwortung bewußt, die er auf sich lud, indem er das Raumschiff von jeglicher Besatzung entblößte.
Auf einem fremden Planeten kann alles mögliche geschehen.
Doch er brachte es nicht fertig, anders zu handeln.
Wäre es nicht um Melnikow gegangen, hätte Konstantin Jewgenjewitsch vielleicht Besonnenheit gewahrt. Keiner außer Kamow wußte, wie sehr sich der wortkarge, rauhbeinige Wissenschaftler mit seinem jungen Freund verbunden fühlte. Melnikow stand Belopolski nahe wie ein leiblicher Sohn.
Während Belopolski in regelmäßigen Zeitabständen über Funk das verschollene Flugzeug rief, beobachtete er am Bildschirm, was im Fjord vor sich ging. Gleichzeitig behielt er den Zeiger des Ionometers im Auge.
Aber die Gewitterfronten, die den Männern soviel Kummer bereitet hatten, schienen sich verabredet zu haben, die Insel zu meiden. Das günstige Flugwetter hielt an.
Durch Nebelschwaden hindurch sah Belopolski verschwommen Toporkows Boot durch den Fjord fahren, während das andere Boot dem Raumschiff zusteuerte. Seine Weisung war befolgt worden. Die fünf Genossen, die das Flugzeug montiert hatten, kehrten zurück. Romanow und Knjasew würden, nachdem sie Toporkow beim Start geholfen hatten, auf dessen Boot zurückfahren.
Belopolski sah, wie eine winzige Gestalt im Flugzeug verschwand, das sich augenblicklich in Bewegung setzte, mit zunehmender Geschwindigkeit übers Wasser glitt und in die Luft stieg. Von Herzen dankbar, dachte er an den unerschrockenen Piloten, der kühn den Gefahren entgegenstürmte, um Boris und seinen Begleiter zu retten. Weit vorgebeugt, folgte sein Blick der Maschine, bis sie sich in einen kaum wahrnehmbaren Punkt verwandelt hatte und inmitten des bleigrauen Himmels verschwand.
Es könnte sein, daß auch er nicht wiederkommt! durchfuhr es den Kommandanten. — Was für ein entsetzlicher Gedanke!
Vielleicht quälten ihn die Einsamkeit und das Bewußtsein, daß in den nächsten zwanzig Minuten niemand die Kabine betreten würde? Vielleicht verlangte die stundenlange nervliche Belastung eine Entspannung? Vielleicht taten auch die Jahre das Ihrige?… Belopolski ließ plötzlich den grauen Kopf auf die Arme sinken und weinte.
Was würden die Kameraden sagen, wenn sie in diesem Augenblick ihren Kommandanten sähen, den sie den Eisernen nannten?
Im Lautsprecher meldete sich eine Stimme. Ruckartig richtete Belopolski sich auf.
Eine Anfrage von Toporkow? … Nein, es war nicht Toporkows Stimme …
„Raumschiff! Raumschiff! Hier spricht Melnikow! Hier spricht Melnikow! Antwortet!“ Fassungslos ob des überraschenden Glücks schaltete Belopolski den Sender ein.
„Ich höre, Boris, ich höre! Wo bist du?“ „Unsere Maschine liegt vor einer unbekannten Küste, westlich von euch. Eine Blitzeinwirkung hat die Triebwerke zerstört.
Bei der Landung sind wir auf eine Sandbank aufgelaufen, wobei die Schwimmer abbrachen. Wtorow und ich haben keine Verletzungen. Durch den Aufprall war der Generator unserer Funkanlage unbrauchbar geworden, wir haben ihn soeben repariert. Mit eigener Kraft können wir die Maschine nicht bewegen.“ „Toporkow ist mit dem zweiten Flugzeug gestartet, um euch zu suchen. Nehmt mit ihm Verbindung auf, und zwar auf eurer Welle. Reichen Luft und Lebensmittel?“ „Ich habe mitgehört“, schaltete sich Toporkow selber ein.
„Boris Nikolajewitsch! Geben Sie mir Funkorientierungssignal!“ „Es hat keinen Zweck, mit dem Flugzeug zu kommen“, antwortete Melnikow.„Kehren Sie um! Konstantin Jewgenjewitsch, lassen Sie Igor Dmitrijewitsch sofort umkehren. Wenn Sie es für möglich halten, schicken Sie uns das Unterseeboot.“ „Was heißt,Wenn Sie es für möglich halten‘?“ Belopolski war entrüstet. „Wir sind bereit, alles zu tun, um euch zu retten.
Aber habt ihr genug Sauerstoff?“ „Er reicht noch für vierzehn Stunden. Und ungefähr zwei Stunden können wir noch länger aushalten, wenn wir den Sauerstoff aus den Behältern der Gasmasken benutzen. Ich bin der Meinung, daß nur mit dem Unterseeboot…“ Jäh brach Melnikows Rede ab. Aufgeregt rief Belopolski ihn, aber vergebens. Die Verunglückten antworteten nicht mehr.
„Am westlichen Horizont steht wieder eine mächtige Gewitterfront“, meldete Toporkow.
„Kehren Sie sofort zurück! Brauchen Sie Funkorientierung?“ „Nein, ich sehe die Insel noch.“ Balandin trat ein. Der Professor sah erschöpft aus. Als er hereinkam, hörte er, wie der Kommandant Romanow und Knjasew die Weisung gab, sie sollten am Hangar Toporkow erwarten.
„Kommt das Flugzeug schon zurück? … So schnell?“ Nach Balandin traten Korzewski, Paitschadse, Andrejew und Saizew ein.
Belopolski schilderte den Genossen sein überraschendes Gespräch mit Melnikow. Dabei schaltete er die Sprechanlage ein, damit Romanow und Knjasew mithören konnten.
Die freudige Botschaft machte allen neuen Mut.
„Wird das Boot aus der Bucht auslaufen können?“ fragte Balandin besorgt.
„Das werden wir sofort feststellen“, antwortete Belopolski.
„Sascha!“ rief er. Den jungen Mechaniker nannten alle beim Vornamen.
„Ich höre“, antwortete Knjasew.
„Sobald die Maschine wieder im Hangar steht, fahren Sie zum Ausgang der Bucht und stellen fest, ob das Unterseeboot von hier aus in See stechen kann. Messen Sie die Tiefe.“ „Zu Befehl!“ „Wenn es aber nicht geht?“ fragte Korzewski.
„Dann sprengen wir die Felsen, die die Ausfahrt versperren“, antwortete Belopolski energisch, so wie ihn alle kannten. Von der Schwäche, die ihn soeben noch übermannt hatte, war nichts mehr zu spüren. „Mit dem Boot werden Sinowi Serapionowitsch und Konstantin Wassiljewitsch fahren.“ „Dann bitte ich die beiden Genossen mitzukommen“, sagte Andrejew. „Wie lange wird es dauern, bis das Boot seeklar ist?“ „Wenn wir keine Felsen sprengen müssen, anderthalb Stunden.“ „Das genügt, um sich etwas zu erholen. Kommen Sie, Stanislaw Kasimirowitsch! Wir werden uns bemühen, die U-BootFahrer wieder in einen normalen Zustand zu versetzen.“ Korzewski, Balandin und Saizew gingen mit Andrejew hinaus.
Toporkow landete glatt, und kaum stand das Flugzeug im Hangar, da fuhr das Motorboot schon zum Ausgang der Bucht.
Eine Fahrrinne für das Unterseeboot wurde gefunden und vermessen.
Kaum war das Boot zum Schiff zurückgekehrt, da regnete es wieder in Strömen. Dieselbe Gewitterfront, die Toporkow per Sprechfunk angekündigt hatte, belagerte die Insel. Aber keiner stellte die Arbeit ein. Das Unterseeboot wurde im Innern des Raumschiffes mit allem Notwendigen ausgerüstet. Durch bittere Erfahrung belehrt, richteten sich die Sternfahrer auf die ärgsten Unglücksfälle ein. Es wurde ein doppelter Lebensmittelvorrat für fünf Personen, berechnet auf eine Woche, verladen, desgleichen ein dreifacher Satz Sauerstoffbehälter und zusätzliche Akkumulatoren; sorgfältig wurden die Mechanismen und die Funkanlage geprüft. Auch Taucher- und Kühlanzüge wurden nicht vergessen. Toporkow stellte sein Ionometer auf das Zentrale Steuerpult.
Die Männer beeilten sich, aber jede Anlage, jedes Teil wurde dreifach geprüft.
Das Unterseeboot, das man eigens für die Fahrt auf der Venus gebaut hatte, war nicht groß — acht Meter lang und zweieinhalb Meter im Durchmesser. Der Rumpf bestand aus Plasteguß, der hart wie Stahl und durchsichtig wie Glas war. Mit vier mächtigen Scheinwerfern konnte die ganze Umgebung des Bootes beleuchtet werden. Zwei Schrauben, die von Elektromotoren getrieben wurden, konnten ihm eine Geschwindigkeit von fünfzig Stundenkilometern verleihen. Fast alle Teile der Ausrüstung waren aus Plaste gefertigt, was das Fahrzeug leicht und wendig machte. Die Errungenschaften der Plaste-Industrie, die sich in den letzten Jahren stürmisch entwickelt hatte, waren die Voraussetzung dafür, daß dieses Wunderwerk der Technik entstehen konnte.
Sobald das Gewitter abgezogen war, wurde die Funkverbindung mit dem gestrandeten Flugzeug wiederaufgenommen. Melnikow präzisierte die Angaben über die Lage des neuentdeckten Festlandes. Es befand sich seiner Berechnung nach hundertfünfzig Kilometer südwestlich der Insel. Sein Ufer erstreckte sich von Horizont zu Horizont, so daß das Unterseeboot es gewiß nicht verfehlen konnte. ‘ „Meiner Meinung nach ist es ein Festland“, erklärte Boris Nikolajewitsch. „Es könnte nichts schaden, wenn Sinowi Serapionowitsch auf dem Wege hierher das Ufer nördlich und südlich von uns näher untersuchte. Wir müssen genau feststellen, ob dies ein Festland oder eine Insel ist. Wir können mit bloßem Auge Wald sehen, und er besteht nicht aus Korallen.“ „In welchem Zustand befindet sich das Flugzeug?“ fragte Belopolski.
„Die Schwimmer sind abgebrochen, die Flügel weg. Ich fürchte, es ist völlig fluguntüchtig geworden.“ „Danach frage ich nicht. In welchem Zustand ist der Rumpf, in dem Sie sich aufhalten?“ „Er sackt allmählich ab. Wird anscheinend von dem sandigen Grund aufgesogen, und die Regengüsse tun das Ihrige.“ „Und da empfehlen Sie Balandin, er soll sich das Ufer ansehen!“ Melnikows Kaltblütigkeit begeisterte alle Besatzungsmitglieder.
Zwei Stunden später lag das Unterseeboot seeklar vor der hinteren Luftschleuse.
Balandin und Saizew kamen. Ein belebendes Sauerstoffbad, eine Stunde künstlicher Schlaf und Massage hatten sie erstaunlich verändert. Dank der helfenden Hand der Schiffsärzte war ihnen keine Spur von Müdigkeit anzumerken. Sie fühlten sich gekräftigt und energiegeladen.
„Sie fahren ohne Umwege zu Melnikow und Wtorow“, befahl ihnen Belopolski. „Halten Sie sich nirgends auf — was Ihnen unterwegs auch begegnen mag. Falls Boris Nikolajewitsch Ihnen nahelegt, Sie sollten sich mit irgendwelchen Untersuchungen abgeben, so verbiete ich, auf ihn zu hören.“ „Wer wird denn jetzt an Forschungsarbeit denken?“ staunte Balandin.
Die anderen schilderten ihm Melnikows Unterhaltung mit Belopolski. Der Professor schüttelte nur mit dem Kopf.
Die Befürchtung, es könne bald ein längeres Gewitter aufziehen, trieb die U-Boot-Fahrer zur Eile. Sie mußten wenigstens das Riff, das die Ausfahrt aus der Bucht verengte, bei klarem Wetter umschiffen. Wenn sie erst auf hoher See waren, konnten sie tauchen und brauchten die Unwetter nicht mehr zu fürchten.
Eine sorgfältig gezeichnete Karte von der Fahrrinne des Fjordes wurde Saizew übergeben.
Die Kosmonauten waren nun beinahe völlig beruhigt. An der Stabilität des Unterseebootes war nicht zu zweifeln. Es würde die hundertfünfzig Kilometer lange Strecke innerhalb von drei Stunden zurücklegen und sich unterwegs nach den Funksignalen des Flugzeuges orientieren. Selbst wenn man auf unvorhergesehene Hindernisse stoßen sollte, deren Überwindung drei Stunden zusätzlich kostete, würden Melnikow und Wtorow rechtzeitig aus dem Flugzeugwrack gerettet werden.
Auf Belopolskis Anfrage hin war ihm berichtet worden, der Rumpf sinke in der Stunde fünf bis sechs Zentimeter, aber das Wasser könne nicht in die hermetisch verschlossene Kabine eindringen.
Die außerordentliche Erschöpfung der Besatzung forderte nun mit Macht ihr Recht. Nachdem das Unterseeboot abgelegt hatte, suchten alle außer Belopolski und Toporkow ihre Kabinen auf, um sich auszuruhen: Im Schiff trat völlige Stille ein.
„Legen Sie sich auch ein bißchen aufs Ohr“, sagte Belopolski zu Toporkow. „Ich wecke Sie in drei Stunden.“ „Und Sie?“ „Ich bin nicht so müde wie die anderen.“ Eintönig summten im Lautsprecher die Orientierungssignale.
Von Zeit zu Zeit wechselte Belopolski einige Worte mit Melnikow oder mit Balandin, wenn nicht gerade Gewitter die Verbindung störten.
Vorerst verlief alles glatt. Das Boot näherte sich auf dem vorgesehenen Kurs seinem Ziel.
Das Unterseeboot hatte die gewundene Fahrrinne zwischen den Klippen hinter sich gelassen und wurde von der Dünung erfaßt. Je weiter es sich vom Ufer entfernte, desto mehr schlingerte das leichte Gefährt. Bald wurde es auf den Kamm einer Meereswoge hinaufgetragen, bald stürzte es wieder in die Tiefe.
Die Besatzung konnte sich, solange das Ufer nahe war, noch nicht zum Tauchen entschließen, weil sie fürchtete, auf ein Korallenriff zu stoßen. Erst als das Echolot große Tiefe anzeigte, öffnete Saizew, der am Steuerpult saß, die Tauchtanks.
Das Boot schlüpfte unter die Wasseroberfläche. Das trübe Tageslicht der Venus, an das die Männer sich schon gewöhnt hatten, wurde von undurchdringlicher Finsternis abgelöst. In einer Tiefe von zehn Metern hörte das Schlingern völlig auf.
Ein Scheinwerfer wurde eingeschaltet. Ein mächtiger Lichtstrahl bohrte sich in das Wasserdickicht vor ihnen. Durch die Plastewand hindurch waren huschende Schatten zu sehen, die spurlos verschwanden, sobald sich das Boot ihnen näherte.
„Das sind ganz bestimmt Fische!“ stieß Balandin erregt hervor. „Wenn wir doch wenigstens einen von nahem sehen könnten!“ „Maschinen stop!“ rief er, als er im Scheinwerferlicht ganz nahe einen langgestreckten Körper vorüberhuschen sah.
„Lassen wir uns durch nichts ablenken“, empfahl Saizew.
„Wenn es Seetiere sind, werden sie nachher auch noch da sein, und wir können sie auf der Rückfahrt genauer ansehen. Jetzt gibt es für uns nur eine Aufgabe: Wtorow und Melnikow retten.
Wir wissen nicht, was uns noch erwartet. Am besten erfüllen wir gewissenhaft unseren Auftrag. Wir dürfen uns unterwegs nicht aufhalten.“ „Sie haben recht, Konstantin Wassiljewitsch“, antwortete der Professor beschämt. „Ich war unbesonnen, entschuldigen Sie.
Geben Sie volle Fahrt voraus.“ „Dazu ist es noch zu früh.“ Kaum hatte das Unterseeboot die Südspitze der Koralleninsel umschifft, als auf dem Bildschirm des Lokators ein Nebelstreif auftauchte. Saizew legte das Ruder herum. Der Bug schwenkte mehr nach Westen. Der Streif auf dem Bildschirm wurde schmaler und durchsichtiger. Als er sich in einen dünnen Strich verwandelt hatte, der grünlich fluoreszierte, wurden die beiden Motoren auf äußerste Fahrt gebracht. Wie ein Pfeil schoß das Boot seinem Ziel entgegen.
Auf der Erde leitet das Wasser die Funksignale in der Regel schlechter als die Luft. Auf der Venus verhält es sich anders. Die Ionisation im Bereich der Gewitterfronten, die jeden Funkverkehr unterbricht, wirkt sich auf die Leitfähigkeit des Ozeans nicht aus. Daher hatte Melnikow auf Toporkows Anweisung die Antenne seines Flugzeuges ins Wasser getaucht, und die Orientierungssignale waren, wenn auch abgeschwächt, ständig auf dem Bildschirm des Bootes zu sehen. Das gleichzeitig ausgestrahlte akustische Orientierungssignal war dagegen kaum zu hören und verstummte zeitweilig vollends.
Der Bootskörper erwärmte sich allmählich durch die hohe Geschwindigkeit, aber Saizew fuhr deswegen nicht langsamer.
Die Lokationsgeräte teilten beruhigend mit, daß keine Hindernisse voraus waren.
Das Fahrtempo machte es unmöglich, backbord oder steuerbord noch etwas zu erkennen. Professor Balandin war eigentlich froh darüber. Es fiel ihm schwer, achtlos an der Meereswelt der Venus vorüberzufahren, in die der Mensch zum erstenmal eingedrungen war. Wenn er nach vorn spähte, sah er, wie sich weit voraus am Ende des Lichtkorridors, den der Scheinwerfer erzeugte, manchmal etwas bewegte. Gestalten ließen sich nicht erkennen, aber es waren bestimmt Lebewesen; sie verschwanden augenblicklich wieder in der unbeleuchteten tiefen See. Durch die Bordwände spürte man geradezu, daß sich in dem finsteren Wasser etwas regte. Verschwommene Schatten kamen so nahe heran, daß ihre Umrisse beinahe zu erkennen waren. Verschiedenfarbige Punkte flammten auf und erloschen wieder.
Mühsam unterdrückte Balandin den Wunsch, alle Scheinwerfer einzuschalten und das Wasser ringsum zu beleuchten. Er durfte der Versuchung nicht nachgeben und sich von der Erfüllung des vordringlichen Auftrages nicht ablenken lassen.
Nach der Rettung der verunglückten Genossen würde Zeit genug sein, alles zu beobachten. Jetzt gab es nur eins: vorwärts!
Nichts als vorwärts!
An der mehrmaligen Unterbrechung der Funkverbindung mit dem Raumschiff merkten die U-Boot-Fahrer, daß ein Gewitter nach dem anderen über dem Ozean tobte. Sie beeinträchtigten aber nicht die Stille im tiefen Wasser.
Die erste Stunde war vergangen. Fünfzig Kilometer hatte das Boot bereits zurückgelegt. Die grüne Linie auf dem Bildschirm wurde allmählich immer klarer. Das Millimeterband des Radarprojektors zeigte an, daß seine Suchstrahlen noch nirgends auf Land gestoßen waren. Das Boot raste mit unverminderter Geschwindigkeit weiter.
Gespannt beobachteten Balandin und Saizew die vom Scheinwerfer beleuchtete Wasserwüste. Es war nicht ausgeschlossen, daß sie auf Hindernisse stießen, vor denen der Lokator sie nicht warnte. Beispielsweise auf Schlinggewächse, die für die Funkwellen sozusagen durchsichtig waren und sie deshalb nicht zurückwarfen. Wer konnte wissen, welche Überraschungen der fremde Planet dem Menschen noch zu bieten hatte?
Balandins Gedanken kamen nicht los von den Rätseln der Venus. Er mußte darüber sprechen.
„Die Venus“, sagte er, „hat längst das Stadium der ursprünglichen Entstehung des Lebens durchlaufen. Ebenso wie auf der Erde hat sich dabei das Leben auch hier im Meer entwickelt.
Die Teilung der Organismen in Pflanzen- und Tierreich ist abgeschlossen. Wir dürfen mit Recht annehmen, daß die Pflanzen bereits an Land gestiegen sind und sich den widrigen klimatischen Bedingungen angepaßt haben. Aber haben die Tiere ein Gleiches getan? Oder leben sie noch im Wasser? In Anbetracht der Länge von Tag und Nacht sowie der hohen Tagestemperatur auf dem Land neige ich zu der Auffassung, daß die Tiere im Ozean geblieben sind, wo sie gleichmäßigere Lebensbedingungen finden. Aber das Lineal, das wir gefunden haben, widerlegt eine derartige Folgerung. Ach, dieses vermaledeite Lineal!
Es läßt mir keine Ruhe. Es birgt das Geheimnis des Lebens auf der Venus, und solange dieses Geheimnis nicht gelüftet ist, können wir nichts als feststehend betrachten, so einleuchtend es auch erscheinen mag.“ „Sie lehnen also entschieden die Theorie ab, daß hier ein anderes Raumschiff gelandet ist?“ fragte Saizew.
Balandin maß ihn mit einem seltsamen Blick.
„Sagen Sie, Konstantin Wassiljewitsch“, fragte er nach kurzem Schweigen, „gehören zu Ihren Geräten auf dem Schiff Holzlineale?“ „Natürlich nicht!“ „Sie benutzen also vollkommenere Meßgeräte?“ „Selbstverständlich.“ „Weshalb sollen wir also annehmen, Astronauten eines anderen Planeten, deren Technik keinesfalls auf einem niedrigeren Stand als unsere sein könnte, benutzten solch ein primitives und ungenaues Meßgerät?“ „Wahrhaftig — ein richtiger Gedanke!“ sagte Saizew erstaunt.
„Warum hat bloß keiner beachtet, daß dieses Lineal ja äußerst primitiv ist?“ „Ich finde diesen Gedanken auch richtig. Übrigens hat ihn Arsen Georgijewitsch zuerst geäußert, und Sie selber haben ihn darauf gebracht.“ „Ich? Nicht daß ich wüßte …“ „Nicht direkt! Als wir heute das Flugzeug montierten, machten Sie zu Paitschadse eine Bemerkung, als der den Durchmesser einer Öffnung mit einem Lineal maß. Mit einem genauen Lineal, das aus Metall, nicht aus Holz gefertigt war. Sie sagten zu ihm, daß es für solche Zwecke doch einen Stangenzirkel gäbe.“ „Das stimmt.“ Saizew schmunzelte. „So war es.“ „Und darauf sagte Paitschadse zu mir, das Lineal habe allem Anschein nach niemand auf die Venus mitgebracht. Es sei hier hergestellt worden, von einem ‚Menschen‘, einem Geschöpf also, das Vernunft besitzt, obwohl es uns vielleicht nicht ähnelt. Vernunft aber, die mathematischer Erkenntnis fähig sei, stelle eine sehr hohe Entwicklungsstufe in der Evolution der Materie dar.
Doch wo sind Spuren vom Wirken dieser Vernunft? Außer diesem einen Lineal sind keine zu finden.“ „Wir werden sie finden!“ „Ganz recht — sie müssen gefunden werden. Wie ich schon gesagt habe, liegt darin das Geheimnis des Lebens auf der Venus.“