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Mit leichter Schlagseite und zur Hälfte im Wasser versunken, lag das Flugzeug sechzig Meter vom Ufer entfernt. Richtiger gesagt, nicht das Flugzeug, sondern sein Rumpf.
Als es aufklarte, schoben Melnikow und Wtorow das Plastedach auseinander und atmeten durch ihre Gasmasken die Außenluft. Das war sparsamer, als den kostbaren Sauerstoffvorrat aufzubrauchen, der so lange wie möglich aufgehoben werden mußte. Es blieb ungewiß, wann ihnen die anderen zu Hilfe eilen würden. Das Unterseeboot hatte auf seiner Fahrt zwar vorläufig nirgends Aufenthalt gehabt, aber keiner konnte sich dafür verbürgen, daß dies auch weiterhin so bleiben würde.
Jeden Augenblick konnte es auf unerwartete Hindernisse stoßen.
Eine Sandbank, von weitem nicht zu erkennen, hatte den beiden Fliegern das Leben gerettet. Die Schwimmer waren im letzten Augenblick auf die Sandbank aufgelaufen, als scheinbar nichts mehr den verhängnisvollen Zusammenstoß mit den Felsen verhindern konnte, die von drei Seiten die schmale Bucht um‘ gaben.
Alles war innerhalb weniger Sekunden geschehen.
Die beiden Astronauten hatten schon Abschied vom Leben genommen, als sie ein schrecklicher Stoß gegen die Vorderwand der Kabine schleuderte. Melnikow schnitt sich die Stirn am Steuer auf, Wtorow schlug gegen die Instrumententafel, und der zersplitternde Helm zerschnitt ihm Kinn und Wangen.
Mit blutüberströmten Gesichtern standen sie wieder auf und verstanden immer noch nicht, was vor sich gegangen war. Sie wußten nur, daß sie lebten.
Nachdem sie sich gegenseitig verbunden hatten, hielten sie Umschau.
Regungslos lag das Flugzeug auf einer Sandbank im ruhigen Wasser der Bucht. Die Schwimmer hatten sich tief in den Sand gebohrt, und dadurch hatte sich die Maschine trotz des plötzlichen Abbremsens nicht überschlagen können. Das Schwimmergestänge war gebrochen, die Steuerung zerschellt, alle Trossen gerissen.
Die Felsen ringsum schienen aus Granit zu sein. Dunst, der vom Wasser aufstieg, verdeckte die Einzelheiten, aber die Astronauten sahen deutlich Gras oder etwas Grasähnliches, das gelbbraun gefärbt war und an den Steilhängen wuchs. Ein Stück weiter ins Land hinein erhoben sich die Wipfel von Bäumen, von richtigen Bäumen, keinen Korallen. Sie hatten Zweige und Blätter und wiegten sich im Wind. Die hohen Uferfelsen machten es unmöglich, Form und Farbe der Stämme zu erkennen.
„So schnell wie möglich mit dem Schiff Verbindung aufnehmen“, sagte Melnikow. „Mit eigener Kraft kommen wir hier nicht heraus.“ Schweigend wies Wtorow auf das Funkgerät.
Es bot einen traurigen Anblick. Zerschlagen glitzerten die Scheiben der Apparaturen, zerrissen hingen die Drähte heraus.
Bei näherer Untersuchung stellte Melnikow fest, daß der Generator sich losgerissen hatte und nicht mehr funktionierte.
Melnikows Miene verdüsterte sich.
„Ich bin kein Funker“, sagte er. „Sie auch nicht. Aber wenn wir die Funkverbindung nicht wiederherstellen, sind wir erledigt. Der Sauerstoff reicht nur noch für vierundzwanzig Stunden.“ „Der Kommandant wird das andere Flugzeug ausschicken, um uns zu suchen.“ „Es muß erst montiert werden, und das kostet viel Zeit.“ Melnikow verstummte und setzte erst nach geraumer Weile leise hinzu: „Auch wissen sie dort nicht, wohin wir geflogen sind.“ Wtorow entsann sich. Er hatte selbst an das Schiff gefunkt, daß ihr Flugzeug Kurs Süd nähme, um einem Gewitter auszuweichen. Daß sie später nach Westen abgedreht hatten, konnte nicht mehr gemeldet werden. Wo würden die Männer vom Raumschiff sie also suchen? Natürlich südlich von der Insel.
Das ist der Tod! dachte Wtorow niedergeschlagen.
„Also ist alles aus?“ fragte er so ruhig wie möglich, aber seine Stimme zitterte verräterisch.
„Warum so voreilige Schlüsse ziehen? Wir werden kämpfen!
Geben Sie mir den Ersatzteilkasten für das Funkgerät!“ „Sie glauben …“ „Wir haben nichts zu glauben. Wenn wir das Sendegerät nicht reparieren, bedeutet das unser Ende. Also müssen wir es um jeden Preis reparieren. Darauf kommt es an!“ „Wir werden es versuchen“, sagte Wtorow. Die Worte und vor allem der Ton, in dem Boris Nikolajewitsch sprach, gaben ihm neue Hoffnung. Ohne Zeit zu verlieren, begannen sie zu arbeiten.
Ein Gewitter, das aufzog, störte sie nicht. Durch das massive Plastedach geschützt, wechselten sie bei elektrischem Lampenlicht die zerstörten Teile der Funkanlage aus. Sie brauchten nur mechanisch die neuen Teile an dieselbe Stelle zu setzen, von der sie die beschädigten entfernten, und äußerst behutsam die zerrissenen Leitungen wieder zu flicken. Verwechselten sie dabei einen Draht mit einem anderen, wäre ihre ganze Arbeit umsonst.
Dankbar dachten sie an Toporkows Unterricht in Funktechnik, an dem auf Belopolskis Weisung alle Besatzungsmitglieder von „SSSR-KS 3“ hatten teilnehmen müssen. Ohne diese kluge Voraussicht des Expeditionsleiters hätten sie nicht einmal jene allgemeine Vorstellung von der Arbeitsweise eines Senders und eines Empfängers gehabt, die ihnen jetzt unschätzbaren Dienst erwies.
Sie nahmen gar nicht wahr, daß ein Gewitter nach dem anderen über das Flugzeug hinwegzog, und wunderten sich sehr, als sie entdeckten, daß seit Beginn ihrer Arbeit bereits neun Stunden vergangen waren.
Die Funkanlage war repariert. Aber würde sie funktionieren?
Minutenlang zögerten sie mit dem Einschalten.
Die beiden Männer wußten genau, daß ein Mißerfolg für sie den Tod bedeutete. Wenn ihnen in dem kompliziert verflochtenen Schaltschema ein Fehler unterlaufen war, würden sie nicht in der Lage sein, ihn aufzuspüren und zu beseitigen.
Die Genossen werden bestimmt alles daransetzen, uns zu finden, dachte Melnikow. — Sie haben wahrscheinlich inzwischen das zweite Flugzeug montiert. Ein paar Stunden werden sie uns südlich der Insel suchen. Erst wenn sich erweist, daß wir dort nicht sind, werden sie in andere Himmelsrichtungen fliegen.
Vielleicht entdecken sie dann dieses Festland und schließlich auch uns? Aber wieviel Zeit werden sie dazu brauchen? Unsere Luft reicht noch für fünfzehn, sechzehn Stunden. Und selbst wenn sie uns entdeckt haben, kann das Flugzeug in der schmalen Bucht nicht wassern. Es wird umkehren und dann erst das Unterseeboot hierher auslaufen müssen. Das dauert abermals mindestens fünf Stunden. Wenn wir nicht zu zweit wären — einer allein konnte es dreißig Stunden aushalten. Ich muß Wtorow retten, er ist jünger als ich …
Nicht ganz so ausführlich und besonnen, aber ähnlich dachte im selben Augenblick auch Wtorow.
Es ist eine arithmetische Rechnung, sagte er sich im stillen. — Boris Nikolajewitschs Leben ist wertvoller als meins. Wenn das Funkgerät nicht funktioniert, nehme ich mir das Leben. Die Pistole steckt in der Tasche.
Sie sahen einander lächelnd an — mit der gleichen Absicht, die eigenen Gedanken vor dem andern zu verbergen.
„Also — versuchen wir es!“ sagte Melnikow.
„Das Zögern führt zu nichts.“ Als sich der Generator mit einem trockenen Knacken einschaltete, schloß Wtorow unwillkürlich die Augen. Tanjas Gestalt stand ihm so klar vor Augen, daß er glaubte, ihren warmen Atem auf seiner Wange zu spüren. Seine Hand schob sich in die Tasche der Kombination und befühlte den kalten Stahl der Schußwaffe.
„Ich höre, Boris, ich höre! Wo bist du?“ Die Stimme Belopolskis … Warum antwortet er sofort? Hat Melnikow denn etwas gesagt? — Wtorow schlug die Augen auf.
Boris Nikolajewitschs ruhige Stimme klang in der Kabine des gestrandeten Flugzeugs wie ein Aufruf zum Leben.
Langsam, als traute er seinen Ohren nicht, zog Wtorow die Hand aus der Tasche.
Ihm wurde schwindlig. Er hätte am liebsten mit voller Brust die reine Meeresluft eingeatmet. Aber draußen war ja keine reine Luft, sondern die gasgeschwängerte des unbekannten Planeten.
„Ich glaube, daß nur das Unterseeboot…“ Das Lämpchen am Indikator erlosch, der Satz brach ab. Eine Gewitterfront, die sich zwischen sie und die Insel schob, zerriß die Funkverbindung.
„Ich habe offengestanden bezweifelt, daß es uns gelingt“, sagte Melnikow. „Ich dachte, wir würden es nicht fertigbringen, den Sender instand zu setzen.“ „Ich auch“, antwortete Wtorow leise.
Melnikow sah ihm ins bleiche Gesicht und zuckte zusammen.
Das war doch nicht möglich!
Wahrhaftig! Wtorow hatte für ihn zweifellos das gleiche tun wollen wie er für Wtorow. Melnikow packte das unwiderstehliche Verlangen, diesen Prachtjungen mit dem reinen Herzen zu umarmen. Er tat es nicht. Wtorow brauchte nie zu erfahren, was in ihm vor sich ging.
„Sieh nur, Gennadi!“ Er duzte ihn, ohne sich dessen bewußt zu sein. „Unsere Maschine hat keine Tragflächen mehr.“ Tatsächlich waren beide Tragflächen, anscheinend unter der Last der Regengüsse, abgebrochen und verschwunden. Wann dies geschehen war und warum sie das Gepolter und das Knakken des brechenden Metalls nicht gehört hatten, wußte sich weder der eine noch der andere zu erklären.
„Ich habe den Eindruck, das Flugzeug ist tiefer ins Wasser gesunken“, sagte Wtorow.
Er wunderte sich nicht im geringsten darüber, daß Melnikow plötzlich so freundschaftlich mit ihm redete. Er fand es natürlich, daß der Kommandant als der Ältere ihn beim Vornamen nannte. Bloß warum hatte er das früher nicht getan?
„Ich habe nicht nur den Eindruck“, erwiderte Melnikow, „ich bin davon überzeugt. Der Sand saugt den Rumpf in sich hinein.“ Er sagte das so selbstverständlich, daß Wtorow nicht wagte, die sich aufdrängende Frage zu stellen: Was wird geschehen, wenn das Flugzeug ganz im Wasser versinkt? Sie hatten kein Boot bei sich, um an Land zu fahren. Ihr Schlauchboot hatte in der einen Tragfläche gelegen und war mit ihr hinweggespült worden.
Nach zwei Stunden teilte Belopolski ihnen mit, daß das Unterseeboot ausgelaufen sei.
Die Stunden des Wartens zogen sich in die Länge.
Die Kabine sank langsam, aber unaufhaltsam tiefer. Das Wasser reichte schon bis zum Rand des Plastedaches. Oft zog Regen herauf, und die Wucht der Wassermassen drückte das Flugzeug noch tiefer in den Sand. Bald mußten die beiden Männer das Plastedach wieder schließen und statt der gefilterten Außenluft wieder mit Hilfe der Sauerstoffballons atmen, weil sonst das Wasser in die Kabine gedrungen wäre. Es stieg schon mehrere Zentimeter über die Bordwand.
„Schade, daß wir keine Taucheranzüge bei uns haben“, sagte Melnikow.
Sobald es aufklarte, betrachteten sie prüfend durch die Ferngläser das Ufer, das sie von drei Seiten umgab. Sie hatten zweifellos richtige Bäume, gigantische Vertreter der Pflanzenwelt, vor sich. Das Laub war hellorange gefärbt.
Ein heftiger Windstoß fegte durch die Bucht. Die Wasseroberfläche kräuselte sich, das Gras am Ufer wippte, stärker wiegten sich die Kronen der Bäume.
„Ein ganz anderes Bild als die Insellandschaft“, sagte Wtorow. „Dort herrscht Totenstille, hier regt sich Leben. Es fehlen bloß noch Vögel.“ „Sieh dir einmal das Laub an.“ Melnikow wies mit der Hand auf das Ufer. „Dort — etwas ganz Merkwürdiges! Wie können sich Blätter bei solchen Regengüssen halten?“ „Sie sind wahrscheinlich anders gebaut als die Baumblätter auf der Erde.“ „Sicherlich. Die müssen wir uns auch noch ganz genau ansehen.“ Ein kurzes, aber schweres Gewitter unterbrach die Unterhaltung. Beim Rauschen des Regens, beim Einschlagen der Blitze und beim Donner konnten sie einander nicht verstehen.
Brodelnder Schaum bedeckte die Kabine.
Als es wieder aufklarte, sahen sie, daß das Plastedach kaum noch aus dem Wasser ragte. Noch ein, zwei Gewitter, und die Wasser der Bucht würden über ihnen zusammenschlagen.
„Jetzt wird es Zeit, daß das Boot kommt“, meinte Wtorow.
„Es wird zur rechten Zeit da sein.“ Am Funkgerät flammte ein Lämpchen auf. Toporkow meldete sich.
„Wie ist die Lage?“ Melnikow kam seinem Genossen zuvor, der schon antworten wollte.
„Keine besonderen Veränderungen“, sagte er hastig.
„Und das Absacken?“ „Verläuft normal. Keine ernsten Gefahren.“ „Ich habe schon lange keine Verbindung mehr mit dem U-Boot“, sagte Toporkow. „Wo steht es?“ „Fünfzig Kilometer von hier.“ Man hörte Igor Dmitrijewitsch tief atmen.
„Wir machen uns große Sorgen um euch.“ „Dazu haben Sie nicht den geringsten Grund.“ Abermals brach die Verbindung ab. Der Funkverkehr auf der Venus gestaltete sich äußerst launisch.
„Warum machen Sie den Genossen etwas vor?“ fragte Wtorow. „Wäre es nicht besser, die Wahrheit zu sagen?“ Melnikow blickte Wtorow schweigend an, als studiere er sein Gesicht.
„Ich weiß aus eigener Erfahrung“, sagte er langsam, „daß es bedeutend schwerer fällt, einen Kameraden in Not zu wissen, als selbst in Not zu sein. Die Genossen an Bord können außer dem, was sie bereits unternommen haben, nichts für uns tun.
Was soll ich ihnen sagen? Daß das Boot frühestens in einer Stunde hier sein kann, wissen sie selber. Daß wir endgültig ins Wasser absinken werden, wenn noch zwei Platzregen kommen, und es dann bedeutend schwieriger sein wird, uns zu finden?
Daß jedes neue Gewitter ebensolange anhalten kann wie jenes, dem wir unsere jetzige Lage verdanken?“ Er versank in ein längeres Schweigen. Dann erklärte er ruhig: „Die Wahrheit ist immer gut, aber um die Freunde nicht zu beunruhigen, muß sie manchmal geopfert werden. Sie sollen ruhig denken, bei uns sei die Lage unverändert.“ „Sie halten unsere Rettung noch für fraglich?“ Melnikow lächelte.
„Du kennst selber den ‚lieblichen‘ Charakter der Venus. Bevor wir nicht im Boot sitzen, bin ich von nichts überzeugt. Immerhin haben wir jetzt unvergleichlich mehr Chancen als vor der Instandsetzung des Funkgerätes. Aber auch da war noch kein Grund zum Verzweifeln.“ „Aber wenn wir nicht hätten funken können?“ „Dann wäre unsere Lage ernst geworden.“ Die letzte Stunde des Wartens zog sich besonders in die Länge.
Balandin teilte mit, daß der Radarprojektor fünfzehn Kilometer voraus festes Land anzeige. Das konnte nur jenes Land sein, vor dem das Flugzeug lag. Das Boot hielt geraden Kurs darauf.
Noch zwanzig Minuten vergingen, in denen über der Bucht kein Regen niederging; und das Boot kam schon ganz nahe. Das Funkorientierungssignal wurde abgestellt, es wurde nicht mehr gebraucht.
„Jetzt wird uns also die Chance gegeben, von der Sie gesprochen haben“, sagte Wtorow vergnügt.
Ohne zu antworten, beugte Melnikow stell hastig zum Mikrofon vor.
„Sinowi Serapionowitsch!“ „Ich höre.“.
„Tauchen Sie nicht auf! Legen Sie sich auf Grund! Ein mächtiges Gewitter zieht auf!“ Über die Wipfel des Waldes schob sich immer höher und schneller eine breite schwarze Wand. An den vielen Blitzen und an dem lauter werdenden Gepolter des Donners erkannte Wtorow, daß dies kein kurzes, sondern ein langes Unwetter war.
Die Enden des Wasservorhanges verbargen sich in nebliger Ferne.
„Halte die Ohren steif, Gennadi!“ sagte Melnikow. „Das wird die letzte und schwerste Prüfung.“ Vierzig Minuten wüteten ringsum die entfesselten Naturgewalten. Die zwei Männer im Flugzeug sahen über sich nur weißen Schaum. Gedämpft drangen die Donnerschläge zu ihnen.
Das konnte nur daran liegen, daß die Kabine unter die Wasseroberfläche abgesunken war.
Für Melnikow und Wtorow stand es daher fest, daß sie nach diesem Gewitter den Himmel nicht mehr erblicken würden.
Aber nachdem die Gewitterfront endlich abgezogen war, nahmen sie zu ihrer großen Verwunderung keine Veränderung ihrer Lage wahr. Das Wasser stand ebenso hoch wie vorher.
Vierzig Minuten hatten die Wassermassen auf die Kabine getrommelt, aber sie war keinen Zentimeter tiefer gesunken.
„Wie ist das zu erklären?“ fragte Wtorow verdutzt.
„Wahrscheinlich liegen wir jetzt auf festem Grund.“ Das war die einzige und anscheinend auch richtige Erklärung.
Nun drohte ihnen keine Gefahr mehr, und sie konnten in Ruhe noch ein paar Stunden warten, solange die Sauerstoffvorräte reichten. Aber das erübrigte sich, das Boot lag schon ganz in ihrer Nähe.
„Sie haben recht gehabt, Boris Nikolajewitsch“, sagte Wtorow. „Wenn wir die Wahrheit gesagt hätten, wären alle unnötig in Sorge gewesen.“ „Merke es dir!“ erwiderte Melnikow. „Oberster Grundsatz: Bevor du an dich denkst, denke immer an die anderen! — Das kannst du immer brauchen und ist bei Raumfahrten Gesetz.
Folge diesem Gesetz, und du wirst nie einen Fehler machen.“ „Ich werde Ihre Worte nicht vergessen“, sagte der junge Ingenieur tief bewegt.
Nach wenigen Minuten hatte das Warten ein Ende.
Nicht weit von ihnen wurde plötzlich das Wasser aufgewühlt, und der durchsichtige Rücken des Unterseebootes hob sich aus den Fluten. Man konnte nur staunen, wie geschickt Saizew das Boot durch den völlig unbekannten Ozean der Venus gesteuert und sich dabei nur nach den Funkorientierungssignalen gerichtet hatte.
Das Luk wurde geöffnet, und den Gasschutzhelm auf dem Kopf, beugte sich Professor Balandin heraus. „Genossen ihr seid ja schon untergegangen!“ sagte er über das Sprechfunkgerät.
„Wir holen euch sofort an Bord.“ „Sie können sich Zeit lassen“, antwortete Melnikow. „Die Kabine sinkt nicht tiefer.“ Saizew, der auch herauskam, begrüßte die Freunde lebhaft winkend.
„Wenn ihr noch tiefer gesunken wäret oder wenn Wellengang gewesen wäre, hätten wir euch gar nicht bemerkt.“ Weil alle das Nahen eines neuen Gewitters befürchteten, wurde schleunigst ein Schlauchboot ausgebracht, und Saizew ruderte zu dem Wrack.
Der Ingenieur trug eine wasserdichte Kombination ohne Kühlvorrichtung und hatte daher das Gefühl, er säße vor einem Hochofen. Die auf achtzig Grad erhitzte Luft, die durch den Filter der Gasmaske strömte, versengte ihm schier das Gesicht und erschwerte das Atmen.
Ohne sich zu besinnen, sprang Saizew ins Wasser, suchte tastend die Strebe de «Stabilisators und befestigte daran eine Trosse.
„Anziehen!“ rief er, während er wieder ins Boot kletterte und zur Seite fuhr.
Die anderthalbtausend Pferdekräfte, die in den beiden Motoren steckten, zogen das Flugzeug mühelos aus dem sandigen Grab. Es schnellte nach einigen Sekunden an die Oberfläche und wurde längsseit an das Unterseeboot gezogen.
„Herzlich willkommen!“ rief Balandin scherzend und umarmte die Geretteten.
„Sie haben Ihre Aufgabe glänzend gelöst“, sagte Melnikow, „ich danke Ihnen!“ Als erstes wurde die Meldung an das Raumschiff gefunkt, daß die Rettungsaktion geglückt sei. Alle freuten sich, daß die Funkverbindung zustande kam.
„Was sollen wir mit dem Flugzeug machen?“ fragte Melnikow.
„Kann es nicht an Land gebracht werden?“ „Unmöglich. Ringsum sind Felsen, die beinahe senkrecht ins Meer abfallen!“ „Also müssen Sie es liegenlassen.“ Die Männer nützten die Pause bis zum nächsten Gewitter und räumten das Wrack restlos aus. Der nächste Regen würde die leere Kabine mit dem offenen Dach versenken.
„Schade um die Maschine!“ sagte Melnikow. „Aber es ist nicht zu ändern.“ „Wollen wir nicht einmal an Land gehen?“ schlug Wtorow vor.
„Das ist an dieser Stelle gefährlich. Die Felsen sind zu steil.
Wir werden versuchen, eine Stelle zu finden, an der wir, falls ein Gewitter aufzieht, ins Boot flüchten können.“ „Wir müssen sofort zum Schiff zurückfahren“, erklärte Balandin auf einmal. „Sie sind verwundet.“ „Ach, nichts weiter als Schrammen“, entgegnete Melnikow.
„Wir denken schon gar nicht mehr dran.“ Der Professor wollte nicht nachgeben. Nur mit Mühe und Not gelang es Melnikow und Wtorow, ihn zu überreden, daß er Belopolski nichts von den tatsächlich unbedeutenden Verletzungen der beiden meldete. Balandin gab sich erst dann zufrieden, als er sie untersucht und die dilettantischen Verbände durch sachgemäße ersetzt hatte.
„Konstantin Jewgenjewitsch wird mir das übelnehmen“, sagte er nachdenklich.
„Das verantworte ich.“ Melnikow beruhigte ihn. „Warum sollen wir Zeit vergeuden. Wir liegen vor einem unbekannten Land und müssen es erforschen.“ Es wurde beschlossen, an der Küste entlangzufahren und festzustellen, ob dies eine Insel oder ein Festland sei. Belopolski riet ihnen, Kurs Nord zu halten. Seiner Meinung nach war die „SSSR-KS 2“ damals nördlicher geflogen und der von ihr gesichtete Fluß mußte ebendort gesucht werden.
„Wenn Sie einen Fluß entdecken“, sagte er, „haben Sie den Beweis, daß das Melnikow-Land ein Kontinent ist.“ „Melnikow-Land“ hatte er gesagt.
Aufgetaucht, lief das Boot aus der Bucht aus und ging auf Kurs Nord.
Das Ufer zog sich beiderseits bis zum Horizont. Soweit das Auge reichte, war es dicht bestanden mit einem Wald gigantischer orangeroter Bäume. Stellenweise reichte der Wald bis dicht an das Wasser heran, stellenweise trat er weiter zurück und bildete Lichtungen, auf denen gelbes und braunes Gras wuchs. Zu Füßen der Bäume breitete sich undurchdringliches Dickicht. Ob dies Sträucher oder junge Bäume der gleichen Art waren, ließ sich nicht bestimmen.
Aus Vorsicht wurde das Boot in zweihundert, dreihundert Meter Entfernung von der Küste gehalten. Dort herrschte schon ziemlich starker Wellengang, und das Schlingern störte beim Beobachten, aber damit mußte man sich abfinden. Saizew fürchtete, er könnte sonst auf eine Sandbank laufen.
Wenn Gewitter kamen, tauchte das Boot mit gestoppten Maschinen und wartete ab. Diese Viertelstunden benutzten die Männer, um die Flora und Fauna unter Wasser zu studieren.
Aber sie war äußerst kärglich. Das Scheinwerferlicht fiel nur auf rötliche Algen und grellrote Moose, die jeden Vorsprung überzogen, sowie auf zahlreiche Steine, die auf dem sandigen Grund lagen. Weder Fische noch Mollusken waren zu entdecken.
Gab es hier tatsächlich keine, oder hatten sie sich nur verzogen, als das Boot erschien und das Scheinwerferlicht aufflammte? Wer konnte diese Frage beantworten?
„Wir haben aber doch mit eigenen Augen im Ozean Lebewesen gesehen …?“ Balandin konnte es nicht fassen.
„Ganz so war es wohl doch nicht“, stellte Saizew berichtigend fest „Wir haben keine gesehen, sondern glaubten, welche zu sehen. Vielleicht waren es gar keine Tiere, sondern schwimmende Pflanzen.“ Der Professor war mit dieser Auslegung nicht einverstanden.
„Haben Sie vergessen, daß diese vermeintlichen Pflanzen, sobald sie angeleuchtet wurden, ins Dunkle flüchteten, was hingegen für Tiere, die an Finsternis gewöhnt sind, völlig natürlich ist?“ Wie dem auch sein mochte — vor dieser Küste ließen sich weder Tiere noch schwimmende Pflanzen blicken.
Stunde um Stunde fuhr das Unterseeboot gen Norden. Die Funkverbindung mit dem Raumschiff wurde nur durch Gewitter hin und wieder unterbrochen.
Der Landschaftscharakter änderte sich nicht. Schier endlos breitete sich der Wald, der stets gleich aussah, er verdeckte den ganzen westlichen Horizont. Das Ufer war gleichbleibend hoch und abschüssig. Dann und wann erhoben sich kleine Höhenzüge, auf denen ebenfalls Bäume wuchsen. Nicht die geringste Spur eines anderen, nichtpflanzlichen Lebens war zu entdecken.
Schon über vierundzwanzig Stunden hatte keiner der Sternfahrer ein Auge zugetan, aber so merkwürdig es auch war — nicht im Boot, sondern auf dem Raumschiff dachte man daran, daß die Tauchbootfahrer müde sein müßten. Es war Doktor Andrejew. Er verlangte kategorisch, sie sollten eine „Nachtruhe“ einlegen.
Melnikow unterstützte diese Forderung. Bereitwillig erklärten sich alle einverstanden. Das Boot tauchte und legte sich auf Grund.
Erst jetzt fühlten alle, wie körperlich und seelisch erschöpft sie waren. Sie schliefen neun Stunden ohne Unterbrechung. Dann tauchten sie erholt und mit frischen Kräften auf und fuhren weiter.
Der Wald nahm immer noch kein Ende.
Unvermittelt machte das Ufer einen Knick und wandte sich nach Nordwesten. Fern am Horizont kam ein anderes Ufer in Sicht, das parallel zu verlaufen schien.
„Eine Bucht“, sagte Balandin. „Werden wir hineinfahren?“ „Selbstverständlich.“ Melnikow nickte.
Die Bucht schnitt scheinbar sehr tief ins Festland. Ihre Ufer waren sogar mit dem Fernglas nicht deutlich zu erkennen.
Das Boot fuhr am Südufer entlang. Mehrmals mußte eines Gewitters wegen gestoppt und auf Tauchstation gegangen werden.
„Vielleicht ist dies gar keine Bucht, sondern eine Meerenge?“ sagte Saizew.
„Es könnte sein,“ Melnikow betrachtete unverwandt das gegenüberliegende Ufer, das merklich näherrückte. „Maschinen stop!“ Die Motoren verstummten, sacht hob und senkte sich der Bug.
„Seht doch mal zum Ufer!“ Alle stellten fest‘, daß das Boot nicht auf der Stelle liegenblieb, sondern langsam rückwärts getrieben wurde.
„Das ist keine Bucht und auch keine Meerenge, sondern ein Fluß“, verkündete Melnikow.
„Konstantin Jewgenjewitsch hat wie immer recht“, sagte Balandin. „Wir haben ein Festland vor uns.“ „Fahren wir doch weiter, stromaufwärts“, schlug Saizew vor.
„Das Ufer muß schließlich mal flacher werden, und dann können wir an Land gehen.“ Seine Vermutung erwies sich als richtig. Schon nach einer Stunde wurden die Ufer bedeutend niedriger und fielen nicht mehr so steil zum Wasser ab.
Nichts schwamm auf dem Wasser des Flusses. Nur manchmal trug die Strömung dem Boot Zweige entgegen.
Als sie fast vier Stunden stromaufwärts gefahren waren, übermittelten die Hydrographen ein fernes Dröhnen an das Steuerpult. Es klang so, als näherte das Boot sich einem Wasserfall.
Das Boot fuhr langsamer.
Die Ufer rückten immer näher zusammen. Der Fluß verengte sich, und die Strömung wurde reißender.
Ungefähr drei Kilometer fuhr das Boot noch vorsichtig weiter. Das Gedröhn wurde immer lauter. Schließlich erblickten die Männer seinen Ursprung.
Eine Barriere aus riesigen Felsblöcken versperrte den Fluß, der an dieser Stelle höchstens dreihundert Meter breit war.
Brüllend schoß das Wasser zwischen den Felsblöcken hindurch und tanzte in tausend schäumenden Strudeln. Sprühender Gischt verhüllte die nähere Umgebung mit Nebelschleiern.
„Gewöhnliche Stromschnellen“, murrte Melnikow.
Die Genossen hörten aus seinen Worten die Enttäuschung.
Was hatte er zu sehen gehofft?
„Damit ist unsere Flußfahrt zu Ende“, sagte Balandin. „Hier kommen wir mit unserem Boot nicht hindurch.“ „Ich finde, wir können gerade hier am besten an Land gehen.
Was meinen Sie dazu, Boris Nikolajewitsch?“ fragte Saizew.
„Ja, gerade hier“, antwortete Melnikow und betonte besonders das letzte Wort.
Er schien sehr unzufrieden zu sein.
Saizew steuerte auf das Nordufer zu, das bedeutend flacher als das Südufer war. Die Maschinen machten nur noch langsame Fahrt, so daß das Boot von der Strömung stark abgetrieben wurde.
Der Wald reichte fast bis an den Fluß, nur ein schmaler Wiesenhang trennte ihn vom Wasser.
„Zwei Mann gehen an Land“, sagte Melnikow. „Sinowi Serapionowitsch und ich. Den Filmapparat nehme ich selber mit“, setzte er hinzu, als er sah, daß Wtorow etwas einwenden wollte.
Gennadi Andrejewitsch seufzte nur tief. Zu seinem Kummer beherrschte der Stellvertretende Expeditionsleiter die Kunst des Filmens ausgezeichnet. Er mußte sich stillschweigend fügen.
Es gelang, das Boot dicht ans Ufer zu fahren. Für ein Schiff, das nicht mehr als anderthalb Meter Tiefgang hatte, bedeutete das keine Schwierigkeit.
„Behalten Sie das Barometer im Auge“, sagte Balandin. „Sobald es Ionisation anzeigt, warnen Sie uns sofort!“ „Machen Sie sich keine Sorgen! Wir verständigen Sie rechtzeitig. Aber entfernen Sie sich nicht so weit vom Boot.“ Durch das Doppelluk stiegen Balandin und Melnikow ins Freie. Das Ufer war so nahe, daß man mühelos hinüberspringen konnte. Bevor die Männer den Sprung wagten, sahen sie sich den Strand genau an.
„Scheint kein Schlamm zu sein“, sagte Melnikow. „Aber legen Sie mir für alle Fälle das Sicherungsseil an. Ich springe als erster.“ „Das wird am besten sein.“ Balandin nickte.
Melnikow sprang. Er versank bis zu den Knöcheln, und unter dem Gras hervor spritzte Wasser. Er trat schnell zur Seite und ging zu einer trockenen Stelle.
„Springen Sie, Professor!“ „Einen Augenblick!“ sagte auf einmal Wtorow über Sprechfunk. „Warten Sie doch, Boris Nikolajewitsch!“ sagte er vorwurfsvoll. „Wenn Sie schon meine Funktion übernehmen, dann üben Sie sie richtig aus. Filmen Sie Sinowi Serapionowitsch, wie er an Land springt!“ „Beruhige dich!“ erwiderte Melnikow. „Ich bin doch gerade deswegen als erster gesprungen.“ Er lachte im stillen, weil er in Wahrheit die Kamera auf seiner Brust ganz vergessen hatte, und beeilte sich, den heiligen Wunsch des Kameramannes der Expedition zu erfüllen.
Die gigantischen Bäume, deren Wipfel in den Himmel zu reichen schienen, waren nun so nahe, daß die Männer sie genau betrachten konnten.
Sie hatten nichts mit den Korallenbäumen gemein, die auf der Insel wuchsen! Es waren richtige Bäume, riesenhafte Vertreter der Pflanzenwelt. Die Stämme, die am Boden bis zu drei Meter Durchmesser hatten, waren von einer glatten rötlichen Rinde mit dunkelroten Flecken bedeckt. Die Äste trugen lange Blätter und setzten so hoch an, daß man nicht hinaufgelangen konnte. Zwischen den Bäumen wucherte orangefarbenes Gebüsch, das sich mit einem besonderen totenbleichen und mannshohen Gras verflocht. Die Zweige der Sträucher waren mit Dornen gespickt.
Den beiden Kosmonauten fiel sofort eine Eigenart dieser Bäume auf, die sie von den irdischen Arten unterschied. Während die Bäume auf der Erde, bildlich gesprochen, „auf einem Bein“ standen, besaßen die Bäume der Venus deren mehrere.
Fünf, sechs und bisweilen noch mehr Stämme vereinigten sich in einer Höhe von dreißig, vierzig Metern über dem Boden und verzweigten sich erst dann in größerer Höhe, wobei sie wunderliche Gewölbe bildeten.
„Einen solchen Baum kann kein Wirbelsturm entwurzeln“, sagte Melnikow sinnend. „Aber wir haben von der,KS 2‘ aus doch schwimmende Bäume gesehen.“ „Vielleicht sind sie stromaufwärts nicht so grandios?“ Melnikow ging langsam auf die Stromschnellen zu.
Balandin merkte, daß sein Begleiter mit einem Gedanken rang, der ihm keine Ruhe ließ, und beschloß, ihn bei nächster Gelegenheit zu fragen.
Von der Stelle, an der das Boot festgemacht hatte, war es bis zu den Stromschnellen ein gutes Stück zu laufen. Der Professor glaubte, sie würden, falls es gewitterte, das Boot nicht so schnell erreichen, und sagte es Melnikow.
„Ich denke, wir würden es schaffen. Toporkows Barometer zeigt eine Viertelstunde vorher an, wenn ein Gewitter aufzieht.
Und falls wir es nicht schaffen…“ Melnikow wies mit der Hand auf den Wald, der ganz nahe war. „Schauen Sie sich an, wie dicht die Stamme beieinanderstehen. Sie bilden gemeinsam mit den Ästen ein undurchdringliches Dach. Meiner Meinung nach kann man sich unter ihnen vor den Wolkenbrüchen schützen.“ „Und wenn nicht?“ Melnikow blieb stehen und sah Balandin an.
„Wenn Sie das Risiko fürchten“, sagte er schroff, „dann kehren Sie an Bord zurück.“ „Mir scheint, ich habe Ihnen keine Veranlassung gegeben, mich für einen Feigling zu halten!“ Der Professor war beleidigt.
„Das habe ich nicht gesagt. Aber die Auffassung der Menschen vom Vernünftigen ist verschieden. Wir müssen demnächst den Wald gründlich untersuchen. Den Geländewagen können wir dazu nicht gebrauchen, wie Sie sehen. Also müssen wir zu Fuß in ihn eindringen. Einer muß als erster erproben, ob der Wald Schutz vor Gewittern bietet oder nicht. Ich will es tun.
Aber Sie haben wohl recht — ich sollte mich lieber allein der Gefahr aussetzen. Gehen Sie zurück!“ „Ich lasse Sie nicht allein“, sagte Balandin bestimmt.
„Nun — dann gehen wir weiter.“ Konstantin Jewgenjewitsch würde ein solches Experiment nicht billigen, dachte Balandin, während er Melnikow folgte.
Sie erreichten eine kleine Anhöhe, von der aus die Stromschnellen gut zu überblicken waren.
Stromaufwärts verbreiterte sich der Fluß wieder. Schier ins Unendliche erstreckte sich die öde Wasserwüste.
Melnikows Blick heftete sich auf das gegenüberliegende Ufer.
„Dort vorn am Ufer, an den ersten Steinen … sehen Sie dort nichts?“ Der Professor spähte in die angegebene Richtung. Er hatte nicht so scharfe Augen wie Melnikow. Trotzdem entdeckte er einen orangeroten Hügel, der vor dem dichten Wald schlecht zu erkennen war.
„Das ist sicherlich eine Gruppe von Büschen“, sagte er.
„Keinesfalls. Das ist ganz etwas anderes. Gehen wir an Bord zurück.“ Ohne auf Antwort zu warten, kehrte Melnikow um. Er hatte es sehr eilig.
Bestimmt wollte er ans andere Ufer fahren. Und tatsächlich, kaum waren die beiden wieder an Bord, da befahl Melnikow, noch ehe er durch das Luk geschlüpft war, Saizew solle auf die andere Seite des Flusses fahren.
Am südlichen Ufer wuchs ebenfalls Wald. Der mit gelbbraunem Gras bewachsene Uferstreif wirkte jedoch bedeutend breiter, und der Waldrand schien weiter vom Fluß entfernt zu sein. Alles war hier weiträumiger und völlig trocken. Der Hügel, den die beiden Männer vom anderen Ufer aus gesehen hatten, entpuppte sich von nahem als ein Haufen übereinandergestürzter Bäume.
Das waren aber nicht jene Giganten, aus denen der Wald bestand, sondern dünne gerade Stämme mit Ästen, an denen keine Blätter, sondern lange rote Dornen wuchsen.
„Damit hätte sich der Kreis meiner Beobachtungen denn geschlossen“, sagte Melnikow in einem Ton, der aufhorchen ließ.
Und erst in diesem Augenblick sah Balandin, was ihm zunächst nicht aufgefallen war.
Es war kaum zu glauben, verblüffend und einfach unerklärlich! Und doch war es kein Wunder, sondern reale Wirklichkeit.
Die Bäume lagen geordnet mit den Spitzen in einer Richtung.
Die Männer standen nicht vor einem Haufen Baumstämme, sondern vor einem Stapel. Auf der dem Fluß zugekehrten Seite stützten ihn in den Boden gerammte Pfähle aus unbehauenen, gewaltsam abgebrochenen Stämmen der gleichen Art.
Am Waldrand erblickte Balandin einen zweiten Stapel…
Orangefarbene Stämme. Sie waren bereits entästet.