121906.fb2 Das Erbe der Phaetonen - читать онлайн бесплатно полную версию книги . Страница 16

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Die Welt unter Wasser

Minuten vergingen, bis der Professor endlich wieder reden konnte.

„Was ist denn das?“ fragte er verdattert.

„Die Enträtselung der Herkunft des Lineals“, antwortete Melnikow. „Der endgültige Beweis, daß es auf der Venus vernunftbegabte Wesen gibt, die auf einer niederen Entwicklungsstufe zu stehen scheinen. Auf die Hypothese von dem unbekannten Raumschiff müssen wir nun verzichten.“ „Aber wo sind sie, diese vernünftigen Geschöpfe? Warum sehen wir sie nicht?“ „Weil wir überhaupt noch nichts gesehen haben. Sie müssen dort irgendwo sein.“ Melnikow wies auf den Wald. „Im Schutz dieser Baumriesen konnte sich Leben entwickeln, und wie wir sehen, hat es sich auch tatsächlich entwickelt. Hier werden wir die ‚Menschen‘ der Venus, höchstwahrscheinlich Wilde, finden.“ „Wie kommen Sie auf den Gedanken?“ entgegnete Balandin.

„Das Lineal…“ „Was beweist es denn?“ unterbrach ihn Melnikow. „Die Fähigkeit zu linearer Einteilung finden wir schon bei den wildesten Stämmen Afrikas. Das ist noch keine Zivilisation. Sehen Sie sich lieber diese Stämme an. Sie sind ganz primitiv gefällt, die Zweige abgebrochen, nicht abgehackt worden. So arbeiten Geschöpfe, die Säge und Beil nicht kennen, aber über große Körperkraft verfügen.“ „Aber solch ein Lineal kann man doch nicht ohne Werkzeug machen!“ Der Professor gab sich nicht geschlagen.

„Die Australier stellten mit Steinmessern ein solch treffsicheres Wurfgerät wie das Bumerang her. Ein flaches Brett zu schneiden ist bedeutend einfacher.“ „Die Australier und Afrikaner besaßen aber keine Lineale.“ „Richtig! Doch wir sind nicht auf der Erde, sondern auf einem anderen Planeten. Man kann nicht mechanisch die Geschichte des Erdmenschen auf die Venus übertragen.“ „Anscheinend haben Sie sich eine bestimmte Meinung gebildet“, sagte Balandin, „und zwar schon, bevor wir von Bord gingen. Was hat Sie dazu bewogen?“ „Na, ganz so war es nicht“, antwortete Melnikow. „Zunächst hatte ich bloß erst meine Vermutungen. Ich kann meinen Gedankengang in wenigen Worten schildern. Als wir feststellten, daß wir auf einem Fluß und nicht auf einer Bucht fuhren, mußte ich an die im Wasser schwimmenden Bäume denken, die wir bei unserer vorigen Expedition gesichtet hatten. Warum waren sie jetzt verschwunden? Weder auf dem Fluß noch auf dem Ozean, in den der Fluß ja mündet und in den er die Bäume hinaustreiben müßte, sind welche zu entdecken. Ich vermutete daher, daß stromaufwärts ein Hindernis sein müsse, das die Stämme aufhält.“ „Völlig logisch“, bestätigte Balandin.

„Aber an solch einem Hindernis“, fuhr Melnikow fort, „hätte sich in mehreren tausend Jahren eine riesige Menge Baumstämme ansammeln müssen. Unter der Last immer neuer, stromabwärts treibender Stämme hätten sie im Wasser versinken und schon seit geraumer Zeit den Fluß aufstauen und unterbrechen müssen. Aber das war nicht geschehen. Ich habe mir einzureden versucht, daß wir nur zufällig keinen Stämmen begegnet waren.

Aber warum gab es ausgerechnet in der Mündung des Flusses keine, wo die Kraft der Strömung doch am geringsten ist?“ „Ja, das ist schwer zu verstehen.“ „Danach dachte ich zum erstenmal an ein künstliches Flößen von Holz. Ich verwarf die Vermutung zwar sogleich wieder, doch immer häufiger befiel mich dieser ‚törichte‘ Gedanke.

Haben Sie die Zweige beachtet, die uns unterwegs begegnet sind? Sie schwammen nicht einzeln, sondern in Haufen. Als hätte jemand jeweils einen Armvoll in den Fluß geworfen.

Zweige trieben im Fluß, aber keine Stämme. Schließlich stand es für mich beinahe fest, daß wir ein künstliches Hindernis zu Gesicht bekommen würden, das die Bäume aufhält Als wir dann hier vor den Stromschnellen stoppten, schienen sich meine Erwartungen aber doch nicht zu erfüllen. Ich hielt die Felsen im Fluß zunächst für ein natürliches Hindernis.“ „Wirklich?“ Balandin blickte Melnikow verdutzt an.

„Ja, im ersten Augenblick. Dann fiel mir ein sonderbarer Umstand auf. Der Fluß ist in seiner ganzen Länge sehr breit. Die,SSSR-KS 2‘ stieß damals ein wenig nördlich von hier auf ihn und verfolgte seinen Lauf noch weiter nach Norden. Bis zu den Bergen, wo er entspringt, verengt sich der Fluß nirgends so sehr wie an dieser Stelle. Einzig und allein hier treten die Ufer so dicht zusammen. Und gerade hier, wo auch jeder Ingenieur der Erde empfehlen würde, einen Staudamm zu bauen, steht dieses Wehr.“ „Das ließe sich auch anders erklären“, widersprach Balandin.

„Der Fluß kann in mehreren tausend Jahren viele Steine von den Bergen talwärts getragen haben. Und weil das Flußbett sich hier verengt, haben sie sich an dieser Stelle abgelagert.“ „Nehmen wir an, es verhält sich so“, antwortete Melnikow.

„Allerdings erscheint es kaum glaubhaft, daß die Strömung, selbst wenn sie noch so stark ist, solche Felsblöcke hierherbefördern konnte. Wir beide haben uns das Wehr von oben angesehen, vom Ufer aus. Ist Ihnen dabei nichts Ungewöhnliches aufgefallen?“ „Eigentlich nicht. Es sind gewöhnliche Stromschnellen.“ „Da irren Sie sich, Sinowi Serapionowitsch! Diese Stromschnellen sind ganz ungewöhnlich. Kommen Sie, wir werden einmal auf diesen Stapel steigen und genauer hinschauen.“ Balandin maß den dichten Wald, der ganz nahe war, mit einem skeptischen Blick.

„Aber wenn nun die Besitzer des Holzes plötzlich erscheinen?“ sagte er.

„Ich würde sie brennend gern sehen. Aber sie werden sich nicht blicken lassen. Darüber habe ich mir schon meine Meinung gebildet. Ich werde es Ihnen nachher erläutern.“ Mühelos kletterten sie auf die fest gestapelten Stämme. Von oben konnten sie die Stromschnellen vortrefflich überblicken.

„Ich bin einfach blind gewesen“, stieß Balandin plötzlich hervor. „Das ist ja klarer als klar!“ „Sie haben es vorher nicht gemerkt, weil Ihnen der Gedanke daran fern lag. Ich war darauf vorbereitet und entdeckte es deshalb sofort.“ Ungestüm schossen die Wasser des Flusses zwischen den riesigen Steinen hindurch, die alle annähernd gleichgroß waren.

Damit nicht genug — Balandin sah, daß die Steine nicht kreuz und quer durcheinanderlagen, sondern in drei Reihen schachbrettartig angeordnet.

„Durch dieses Wehr schlüpft kein einziger Stamm hindurch“, stellte Melnikow fest. „Wir können dieses Hindernis nicht mehr Stromschnellen nennen. Es ist ein Wehr, ein sehr primitives zwar, aber doch ein Wehr, ein Bau, der ingenieurmäßig vorgeplant wurde. Es ergibt sich also folgendes Bild: Viele hundert Kilometer stromaufwärts besteht der Wald aus kleineren Bäumen einer anderen Art als derjenigen, die hier wächst. Deswegen werden die Bäume dort gefällt, mit der Flußströmung befördert und hier an Land gezogen und zu Brettern verarbeitet. All das, wohlgemerkt, mit bloßer Hand. Was für eine schwere und undankbare Arbeit wird dabei geleistet, bloß um Nutzholz zu gewinnen, von dem es hier auch jede Menge gibt. Aber die hiesigen Bäume sind zu groß, als daß sie von diesen unglücklichen Geschöpfen gefällt werden könnten.“ „Die Steine für das Wehr sind wahrscheinlich nicht vom Gebirge, sondern von der Küste geholt worden“, warf Balandin ein. „Aber mit welchen Mitteln hat man sie transportiert? Sie sind doch unwahrscheinlich schwer!“ „Und wie ist die Cheopspyramide erbaut worden? Auch beinahe mit bloßen Händen. Die Stromschnellen, richtiger — das Wehr ist vielleicht in Hunderten von Jahren entstanden. So, nun wollen wir wieder hinuntergehen, sonst überrascht uns noch ein Gewitter.“ „Sie versprachen, mir zu erläutern, warum die Bewohner des Waldes nicht hervorkommen würden“, sagte Balandin, während sie hinabstiegen.

„Es ist nur eine Vermutung, und zwar eine höchst fragwürdige. Ich habe mir überlegt, daß ein Tag und eine Nacht auf der Venus annähernd drei Wochen bei uns auf der Erde entsprechen. Also dauert ein Tag hier ungefähr zweihundertfünfzig Stunden und eine Nacht ebenso lange. Der Fluß mißt über zweitausend Kilometer in der Länge. Das Holz braucht sehr viel Zeit, um von der Quelle bis hierher zu treiben. Wir haben damals die schwimmenden Bäume entdeckt, als früher Morgen war. Jetzt ist Tag, und es sind keine zu sehen, oder besser noch nicht zu sehen. Sie schwimmen sicher irgendwo stromauf, noch ein Stück vor dem Wehr und werden erst gegen Abend hier eintreffen. Andererseits haben wir die Bewohner der Venus bisher kein einziges Mal gesehen. All das zusammen genommen, führt zu dem Schluß, daß die Venusleute bei Nacht arbeiten, wenn es nicht so heiß ist. Vielleicht sind sie überhaupt Geschöpfe, die nur bei Nacht lebendig werden und am Tage schlafen. Ich habe das Gefühl, diese Deutung könnte zutreffen“, schloß Melnikow.

Balandin überlegte.

„Es spricht einiges für Ihre Auffassung. Jetzt ist ungefähr Mittag und die Luft auf achtzig, neunzig Grad erhitzt. Es dürfte kaum anzunehmen sein, daß Lebewesen bei einer derartigen Hitze zu arbeiten vermögen. Sie haben wahrscheinlich in der Tiefe der Wälder Schutz gesucht, wo es kühler ist.“ Die Worte des Professors klangen zögernd. Melnikow bemerkte es.

„Sie scheinen nicht recht daran zu glauben?“ „Ich muß es glauben“, erwiderte Balandin. „Habe ich doch den Beweis vor Augen. Aber wenn ich offen sein soll — ich verstehe nicht, wie jemals Menschen auf der Venus entstehen konnten. Der Mensch erscheint als eine Schöpfung der Natur nicht sofort in vollendeter Gestalt. Er ist das Produkt der langen Entwicklung weniger vollkommener Organismen, die sich in Millionen und aber Millionen Jahren vollzieht. Das Leben hat in der Regel im Wasser seinen Ursprung und wechselt erst später aufs Land. Aber wie haben sich schwache und unentwickelte Geschöpfe hier auf dem Trockenen halten können?

Die klimatischen Bedingungen sind auf diesem Planeten sogar jetzt noch ungünstig. Früher waren sie noch schlechter. Und selbst wenn sich die Keime des Lebens dennoch auf dem Festland halten konnten — warum gibt es dann keine Tiere? Der Mensch oder ein ihm annähernd ähnliches Geschöpf kann nicht das einzige Lebewesen sein. Das widerspricht den Gesetzen der Biologie.“ „Ja…“ Melnikow nickte. „Was Sie sagen, überzeugt. Also wird uns hier ein zweites Rätsel aufgegeben. Die Schwierigkeiten wachsen von Stunde zu Stunde. Aber es wird Zeit, zum Raumschiff zurückzukehren. Unser Ausflug war äußerst ergebnisreich, und die Rätsel müssen wir alle gemeinsam lösen.“ Nach wie vor zeigten sich am Himmel keine Gewitterfronten, und die Männer konnten in aller Ruhe „Exponate“, Gesteinsproben und anderes sammeln. Balandin schnitt mit seinem Ultraschalldolch ein Stück von einem Baumstamm und mehrere Zweige mit Dornen ab.

„Es gilt zu ermitteln, wann die Stämme hier angelangt sind und wie lange sie im Wasser trieben“, sagte er. „Das wird uns helfen, festzustellen, ob unsere Vermutung stimmt oder nicht.“ Melnikow nahm mehrere Büschel Gras mit, gelbes, braunes und weißes. Außerdem wurden einige Zweige von einem Strauch und ein großes Stück Rinde von einem der gigantischen Bäume eingepackt.

Mit dieser Beute beladen, kehrten sie zu dem Unterseeboot zurück und trafen gerade in dem Augenblick ein, als Saizew meldete, die Luft weise zunehmende Ionisation auf.

Sobald alle an Bord gestiegen und die Luken hermetisch verschlossen waren, befahl Melnikow, abzulegen und zu tauchen.

Von Nordwesten her zog eine riesige Gewitterwolke herauf.

Die Prozedur der Einschleusung wurde bereits unter Wasser durchgeführt.

„Sie wollten doch ein Gewitter am Ufer abwarten…?“ Balandin konnte sich diese spöttische Bemerkung nicht versagen.

Melnikow antwortete nur mit einem Achselzucken.

Die Funkverbindung mit dem Schiff wurde hergestellt, als das Boot den Fluß schon hinter sich gelassen hatte und auf die hohe See hinausfuhr. Melnikow schilderte Belopolski ausführlich ihre Beobachtungen. Wie nicht anders zu erwarten, erregten die Neuigkeiten im Raumschiff großes Aufsehen. Die Fragen hagelten nur so. Die U-Boot-Fahrer hörten, wie Korzewski, dicht am Mikrofon stehend, um die Erlaubnis bat, nach Rückkehr des Bootes sogleich selbst zu den Stromschnellen fahren zu dürfen, und wie Belopolski antwortete: „Wir werden mit dem Raumschiff dorthin fliegen.“ Die Funkorientierungssignale erreichten die Männer im Boot sehr unregelmäßig. Trotzdem hielt Saizew einen geraden Kurs ein. Balandin und die anderen Genossen konnten nun, da besondere Eile nicht mehr geboten war, nach Herzenslust das Leben im Ozean beobachten. Sie fuhren sehr langsam und stoppten des öfteren.

Der Ozean der Venus wimmelte von Lebewesen. Über vierzig verschiedene Arten zählte der Professor. Viele von ihnen konnten fotografiert werden.

Voraus im hellen Scheinwerferlicht rührte sich nichts. Alle Lebewesen verließen schleunigst den Lichtkorridor. Aber achteraus und mittschiffs schwammen die Fische dicht an das Boot heran, weil sie offenbar von dem unbekannten bewegten Gegenstand angezogen wurden, den sie wohl für ein neues Tier hielten. Wenn plötzlich das Scheinwerferlicht aufflammte, erstarrten sie für einen Augenblick und verschwanden dann hastig ins Dunkel. In diesen Augenblicken konnten die Männer sie betrachten.

Die meisten Meeresbewohner glichen in ihrer Gestalt den Fischen der Erde.

„Darüber braucht man sich nicht zu wundern“, sagte Balandin. „In dem gleichartigen Milieu haben sich gleichartige oder fast gleichartige Organismen entwickeln müssen. Die Natur beschreitet stets den einfachsten Weg.“ „Warum fürchten sich diese Tiere so vor dem Licht?“ fragte Wtorow.

„Auch das ist zu verstehen. Es kann gar nicht anders sein“, antwortete der Professor. „Auf der Erde dringt das Sonnenlicht in das Wasser der Meere bis zu vierhundert Meter Tiefe ein.

Hier herrscht sogar unmittelbar an der Oberfläche fast völliges Dunkel. Die Sehorgane der Venusfische müssen bedeutend empfindlicher sein als die der Fische auf der Erde. Das Licht tut ihnen weh und erschreckt sie.“ Die Forscher entdeckten zahlreiche kleine schnelle Fische mit bläulichen Schuppen, nahe Verwandte der irdischen Weberfischchen. Matt phosphoreszierend jagten zwischen ihnen lange schmale Körper dahin, die Balandin auf der Erde als Myxine[1] klassifiziert hätte. Die Astronauten entdeckten mehrere Lebewesen, die den Rochen der Erde verblüffend glichen: Seeadler, deren Schwimmflossen Flügelgestalt besaßen und deren Schwanz dünn und lang war, sowie gleichsam zusammengeknüllte störähnliche Rochen. Einmal erblickten sie beim Aufflammen des Scheinwerferlichts unmittelbar vor sich ein stumpfes Maul, das Ebenbild eines gewöhnlichen Rundmaules — allerdings mit drei anstatt mit zwei Augen. Ein andermal starrte sie der häßliche, mit scharfen Zähnen bewehrte Kopf eines „Chauliods“ an, auch er mit drei Augen besetzt.

„Großartig, wie überlegt die Natur arbeitet!“ rief Balandin begeistert. „Auf der Erde und auf der Venus schafft sie einander ähnliche Wesen, die dem Leben im Wasser angepaßt sind.

Aber auf der Erde haben die Fische zwei Augen und hier, wo es bedeutend dunkler ist, gibt sie ihren Geschöpfen drei. Das ist einfach großartig!“ Neben Wasserbewohnern, deren Gestalt an entsprechende Arten der Erde erinnerte, entdeckten die Kosmonauten auch solche, die nichts mit irdischen Arten gemein hatten. Durchsichtig und kaum wahrnehmbar, schwammen seltsame Kugeln umher. Andere Fische wieder waren so flach, daß man sie nur von der Seite erkennen konnte. Ihr Körper schien nur aus einer Außenhaut zu bestehen. Oft stießen die Männer auf noch seltsamere Geschöpfe; sie erinnerten in ihrer Form an Gymnastikhanteln, und ihre Kugeln leuchteten verschiedenfarbig, blau und grün, grün und weiß, weiß und grellrot. Aus den Tiefen des Ozeans stiegen endlos lange, wunderliche Schlangen mit quadratischen Köpfen senkrecht auf. Wenn der Lichtstrahl sie erfaßte, ringelten sie sich augenblicklich zusammen und sanken wie ein Stein in die Tiefe.

Weit voraus, wohin das Scheinwerferlicht nicht mehr reichte, waren kurz aufflackernde, verschiedenfarbige Lichter zu sehen, aber es gelang nicht, ihnen näher zu kommen. Sogar wenn die Scheinwerfer abgeschaltet wurden, blieben sie dem Boot fern.

„Ich mußte einmal im Taucheranzug aussteigen“, erklärte Balandin.

„Das wird Ihnen niemand erlauben“, antwortete Melnikow.

„Wir haben diese leichten Anzüge nur mitgebracht, weil wir den Venusozean für unbewohnt hielten. Aber hier ist es zu gefährlich.“ Tatsächlich zeigten sich des öfteren ungeheuer große Fische, die offenbar zur Gattung der Raubfische gehörten. Ihre elastischen starken Leiber mit den riesigen Schwimmflossen schossen mit einer solchen Geschwindigkeit vorüber, daß keiner sie richtig ansehen konnte. Als einer dieser Fische das Boot streifte, schlingerte es dadurch eine ganze Weile sehr heftig. Über diesen Zusammenstoß verblüfft, verharrte der Fisch sekundenlang regungslos, so daß die Forscher seinen mit Reißzähnen gespickten Rachen und den fünf Meter langen Rumpf genau betrachten konnten, der wie beim Katzenhai gefleckt war.

„Wenn ein Taucher einem solchen Fisch begegnet, ist er erledigt“, sagte Saizew.

Der Meeresgrund hob sich dann und wann, und an diesen Stellen konnten die Männer auch die Bewohner des Meeresgrundes studieren. Im Gegensatz zu den Fischen flüchteten diese Lebewesen nicht, und man konnte sie, wenn das Boot stoppte, beobachten, solange man wollte.

Hier wuchsen unübersehbare Mengen von Aktinien, Korallenbüschen und verschiedenfarbigen Wasserpflanzen. Zwischen ihnen wimmelte es von Tieren.

Die Sternfahrer erblickten sonderbare phantastische Sterne, die aus mehreren, gleichsam miteinander verwachsenen Schlangen bestanden. Sie krochen auf dem Meeresgrund umher, wobei sie ihre sieben oder acht quadratischen Köpfe hin und her schüttelten. An den Seiten dieser Köpfe ragten lange Auswüchse hervor, und wie Laternen glommen verschiedenfarbige Lichter darauf. Überall bewegten sich pausenlos grellrote, schwarzgestreifte „Seile“, sie wanden sich hin und her.

„Das sind doch die ‚Lianen‘, die mich gepackt haben, als wir den ersten Tag hier waren!“ sagte Wtorow.

„Ja, sie sehen ebenso aus“, bestätigte Balandin. Außer den „Lianen“ entdeckten sie auch die schon bekannten „Bänder“ wieder. Ihre spitzen Dornen wirkten wie lebend. An einigen hingen, frisch gefangen und wie an Bratspießen zappelnd, Fische.

„Wenn wir doch das Licht nicht einzuschalten brauchten!“ Der Professor seufzte. „Dann würden wir sehen, wie diese vermeintlichen Pflanzen jagen. Aber unser Scheinwerfer vertreibt das ganze Wild.“ „Wir haben doch den Radarschirm“, erinnerte Saizew.

„Ich fürchte, er wird wenig helfen.“ „Versuchen wir es trotzdem I“ Der Professor behielt recht. Als das Scheinwerferlicht erloschen war und blaßgrün das Rechteck des Schirms aufleuchtete, erblickten sie darauf nur verschwommene Schatten. Nichts war deutlich zu erkennen.

„Was wir brauchten, wäre kein Radargerät, sondern ein Ultraschallbildschirm“, sagte Saizew.

„Wer konnte voraussehen, daß wir dergleichen brauchen würden! Niemand hat geglaubt, daß es im Ozean der Venus Leben gibt.“ Es geschah zum erstenmal, daß der Expedition, die so sorgfältig und wohlüberlegt ausgerüstet worden war, ein Gerät fehlte.

Ob man wollte oder nicht — man mußte zu dem bisherigen Verfahren der Beobachtung zurückkehren.

Aufmerksam betrachteten die Männer kleine Eidechsen, die sich unter den Wasserpflanzen verborgen hielten. Sie besaßen entfernte Ähnlichkeit mit Hatterias, Brückenechsen — bloß, daß sie nicht grün, sondern blau waren —, mit Gekkos, Agamiden, gehörnten Phrini oder Schlangenköpfen.

„Tja, die Venus ist tatsächlich eine Schwester der Erde“, stellte Melnikow fest. „Wie sehr sich ihre Bewohner ähneln!“ An einer Stelle stießen sie auf eine riesige Ansammlung von gepanzerten Tieren, in denen sie sogleich Verwandte der irdischen Schildkröten erkannten. Sie waren verschieden groß; während einige einen Durchmesser von einigen Zentimetern aufwiesen, maßen andere zwei und drei Meter. Langsam bewegten sie sich auf vier äußerst langen Gliederfüßen vorwärts. Ihre Panzer waren verschieden getönt, vom Zartrosa bis zum Dunkelrot. Es sah so aus, als bewegten sich lebende kleine Gartenlauben, deren Dächer auf vier Pfosten stünden, auf dem Grund.

Die Schildkröten taten, als bemerkten sie das Unterseeboot gar nicht, das über ihnen hing, aber sie hüteten sich, ihre Köpfe zu zeigen.

Melnikow riet, einen Augenblick das Licht auszuschalten. Die List führte zum Erfolg. Als nach einigen Minuten der Scheinwerfer wieder aufflammte, konnten die Männer gerade noch die dreiäugigen Köpfe sehen, die sogleich wieder unter den Panzern verschwanden.

Nachdem die Sternfahrer dieses Manöver mehrmals wiederholt hatten, wußten sie, daß sich diejenigen Schildkröten, die keinen runden, sondern einen ellipsoiden Panzer trugen, anders benahmen als die übrigen. Beim Aufleuchten des Scheinwerfers konnte man feststellen, daß sie sich auf die Hinterbeine gestellt und das Boot offenbar im Dunkeln gemustert hatten. Sie erinnerten mit ihren langen Vorderbeinen, die wie Arme herabhingen, und mit ihren dreieckigen und dreiäugigen Schädeln entfernt an häßliche Affen. Sobald das Licht anging, fielen die sonderbaren Tiere wieder auf den Meeresgrund zurück, versteckten sich in ihren Panzern und glichen dann nur noch roten, regungslosen Hügeln. Kein einziges Mal erhob sich eines dieser Geschöpfe, wenn es hell war.

Ein zweites Mal wurde der Radarschirm eingeschaltet. Nachdem die Männer den Funkstrahl auf äußerste Schärfe eingestellt hatten, wurde das Bild ziemlich klar.

Die vier Männer erkannten deutlich, wie sich drei längliche Schatten bei Eintritt der Dunkelheit flugs erhoben. Die verschwommenen Konturen ihrer Schädel bewegten sich hin und her, neigten sich wie bei einer Unterhaltung zueinander. Ein langer Gliederarm hob und senkte sich wieder.

„Er hat auf uns gezeigt“, flüsterte Balandin aufgeregt. „Kein Tier ist einer derartigen Geste fähig.“ „Meiner Meinung nach war das bloß eine bedeutungslose Bewegung mit der Pfote“, entgegnete Saizew. „Sie übertreiben, Sinowi Serapionowitsch.“ „Sehen Sie genauer hin!“ Aber die Schildkröten machten keine Bewegung mehr, die man als Handbewegung hätte deuten können. Beinahe eine Stunde beobachteten die Astronauten diese Tiere, ohne das Licht einzuschalten. Ein vierter Schatten gesellte sich zu den dreien. Dann verschwanden alle vier.

Der Scheinwerfer flammte auf. Nirgends waren mehr ellipsoide Panzer zu sehen. Wie zuvor krochen behäbig die runden Lauben auf dem Grund dahin und schienen sich nicht um das Boot zu kümmern. Jedoch die seltsamen Geschöpfe, die auf den Hinterbeinen zu stehen verstanden, waren fort.

„Wo können sie sich versteckt haben?“ überlegte Balandin verständnislos. „Und warum sind sie geflüchtet? Da sie auf zwei Beinen laufen können, heißt das…“ „Woher wollen Sie wissen, daß sie gehen können?“ unterbrach ihn Saizew. „Wir haben sie stehen sehen, das stimmt, aber daraus kann man doch nicht…“ „Sie haben überhaupt keine Phantasie!“ Balandin ärgerte sich.

Saizew lachte. „Dafür haben Sie zuviel. Sogar erstaunlich viel für einen Wissenschaftler.“ „Diese Schildkröten müssen wir nach allen Regeln studieren“, sagte Melnikow. „Ich hatte auch den Eindruck, daß die eine auf das Boot sozusagen gezeigt hat.“ „Studieren! Aber wie sollen wir sie studieren, wenn sie nicht da sind?“ „Wir werden noch einmal hierher zurückkehren.“ „Wenn wir die Stelle wiederfinden“, bemerkte Balandin niedergeschlagen.

„Ich werde Sie jederzeit wieder hierherbringen. Was mir an Phantasie fehlt“ — Saizew schmunzelte —, „ersetzen die Navigationsinstrumente.“ „Nehmen Sie Kurs auf die Insel!“ warf Melnikow ein, als er merkte, daß der Professor ernstlich böse wurde. „Fürs erste genügt es. Konstantin Jewgenjewitsch ist sehr unzufrieden.“ Belopolski hatte tatsächlich schon mehrmals gefunkt, das Boot solle sich nicht länger unterwegs aufhalten. Es wurde im Raumschiff mit Ungeduld erwartet.

Saizew schaltete die Motoren auf äußerste Kraft voraus.

Nach anderthalb Stunden lief das Boot durch die Fahrrinne, die man nun schon kannte, in den Fjord ein und machte am Raumschiff fest. Belopolski, Paitschadse und Toporkow empfingen die Expedition an der Tür der Luftschleuse.

„Was ist denn mit Ihnen geschehen?“ fragte der Kommandant, als er sah, daß Melnikow und Wtorow den Kopf verbunden hatten. „Warum ist mir nicht gemeldet worden, daß die beiden verletzt sind?“ „Wir haben ja gar keine Wunden, sondern nur Schrammen“, antwortete Melnikow.

„Sofort ins Lazarett!“ „Es ist doch nichts Ernstes.“ „Das wird Stepan Arkadjewitsch entscheiden. Sinowi Serapionowitsch, ich muß mich sehr wundern! Wie konnten Sie das zulassen? Sie hatten die beiden sofort zum Schiff bringen müssen!“ Balandin wies mit dem Blick auf Melnikow und hob vielsagend die Schultern.

„Das Unterseeboot muß in den Hangar gebracht werden. Für den Fall, daß ein Gewitter aufzieht“, sagte Saizew.

„Das machen wir schon. Jetzt — ab ins Lazarett! Und dann wird geschlafen!“ Aber der Professor weigerte sich hartnäckig, seine Kajüte aufzusuchen. Er wollte vorher das Stück Holz und die Zweige untersuchen, die er von dem Stapel an den Stromschnellen mitgebracht hatte. Er wollte mit Andrejews und Korzewskis Hilfe feststellen, wann der Baum gefällt worden war und wie lange er im Fluß gelegen hatte. Die Errungenschaften der Botanik und der organischen Chemie sowie das Vorhandensein eines Elektronenmikroskops im Labor berechtigten zu der Hoffnung, daß man auf all diese Fragen eine Antwort finden würde.

„Voraussetzung ist allerdings, daß die Bäume der Venus in ihrem Bau denen der Erde verwandt sind“, sagte Balandin zu Belopolski. „Und ich glaube, daß dies der Fall ist.“ „Versprechen Sie mir, daß Sie mich wecken, sobald die Analyse fertig ist“, bat Melnikow. „Sonst bleibe ich hier und warte.“ „Geh schon, geh!“ Paitschadse drängte ihn zur Tür. „Wir wecken dich natürlich.“ Die Laboruntersuchung dauerte mehrere Stunden. Sobald sie beendet war, lud Belopolski alle in die Rote Ecke ein. Verständlicherweise ließ niemand auf sich warten.

„Das Holz, aus dem der Stamm besteht“, begann Balandin, „weist einige Besonderheiten auf, ist aber im allgemeinen dem der Bäume auf der Erde verwandt. Wir nehmen an, daß man mit großer Wahrscheinlichkeit sagen kann, der Baum ist vor über achthundert Stunden von der Wurzel getrennt worden. Der Zustand der Holzfasern an der Bruchstelle und im Innern führt zu einem derartigen Schluß.“ „Wieviel mehr Stunden als achthundert schätzen Sie?“ fragte Paitschadse.

„Stanislaw Kasimirowitsch nimmt an, es werden etwa achthundert bis achthundertfünfzig Stunden seit dem Fällen vergangen sein.“ Paitschadse wechselte einen Blick mit Belopolski.

„Warten Sie“, sagte er. „Ich werde gleich einmal rechnen.

Achthundertfünfzig. So! Das entspricht fünfunddreißig unserer Tage. Es müßte also, anders ausgedrückt, am 12. Juni geschehen sein.“ „Um Mitternacht“, sagte Belopolski.

„Wissen Sie etwa schon, wie lang ein Kalendertag auf der Venus ist?“ Balandin staunte.

„Ja. Gestern genau vierzehn Uhr einunddreißig war Mittag.“ „Wie haben Sie das ohne Sonne festgestellt?“ „Mit Hilfe von Fotografien. Arsen Georgijewitsch hat jeden Tag Infrarotaufnahmen des Himmels gemacht. Auf ihnen kann man deutlich die Stellung der Sonne erkennen und die Dauer eines Tages ablesen. Ein Venustag entspricht dreiundzwanzig Erdentagen. Auf diese Weise läßt sich ermitteln, daß der Baum ungefähr vor anderthalb Venustagen gegen Mitternacht umgebrochen worden ist.“ „Haben Sie auch feststellen können, wann er aus dem Wasser gezogen wurde?“ fragte Saizew nach längerem Schweigen.

„Das läßt sich nicht so genau bestimmen. Die Bäume, die am Ufer liegen, werden oft naß durch den Regen. Zum Glück ist das untersuchte Stück von einem Stamm geschnitten worden, der unten lag. Wir nehmen an, daß er mindestens acht, neun‘Erdentage auf dem Trockenen gelegen hat.“ „Und der Fluß hat ihn einen ganzen Venustag auf seinem Rücken getragen?“ „Das leuchtet mir nicht ganz ein“, sagte Balandin. „Die Strömung fließt so schnell, daß ein Stamm nicht so lange brauchen kann, um das Wehr zu erreichen.“ „Meiner Meinung nach ist alles ziemlich klar“, erklärte Belopolski. „Boris Nikolajewitsch hat recht. Die Venusbewohner verlassen ihre Zufluchtsstätten selten und arbeiten nur nachts.

Die Bäume sind in der vorhergehenden Nacht gefällt und ins Wasser geworfen worden. Sie sind bei Tage stromabwärts getrieben und von dem eigens dazu bestimmten Wehr aufgehalten worden. In der nächsten Nacht hat man sie herausgeholt und gestapelt. Das ist vor Sonnenaufgang geschehen. Heute. Man darf annehmen, daß in der nächsten Nacht, die in fünf Erdentagen anbricht, das gestapelte Holz abtransportiert und an seiner Stelle anderes gestapelt werden wird.“ „Wenn sich alles tatsächlich so verhält“, sagte Korzewski, „dann müssen wir nachts hierherkommen, um die Venusbewohner zu sehen.“ „Das werden wir auch tun“, antwortete ihm Belopolski. „Unser Arbeitsprogramm verlangt, daß wir uns auf der Nachtseite des Planeten aufhalten. Sobald es Abend wird, fliegen wir zum Kontinent und landen in der Nähe der Stromschnellen.“ „Werden wir innerhalb von fünf Tagen eine Startbahn geschaffen haben?“ fragte Saizew. „Damit unser Raumschiff starten kann, müßten wir einen Teil der Korallenbäume an der Westküste vernichten und die Steilküste selbst erheblich abtragen.“ „Das erübrigt sich. Heute sind die ersten Anzeichen der nahenden Flut beobachtet worden. Gegen Abend wird der Wasserstand um achtzig Meter gestiegen, werden die Korallenbäume mehr als bis zur Hälfte überspült sein. Übrigens, Boris Nikolajewitsch, wird die Flut bis zu den Stromschnellen reichen?“ „Ich glaube kaum.“ Melnikow schüttelte den Kopf. „Sinowi Serapionowitsch und ich haben auf der Rückfahrt die Strömungsgeschwindigkeit und die Entfernung von der Seeküste gemessen.

Das Ergebnis beweist, daß das Wehr zweihundert Meter über dem Meeresspiegel liegt.“ „Und“ — wir werden am Flußufer landen können?“ „Auf dem südlichen Ufer bestimmt. Der Wiesen streifen zwischen Wald und Fluß genügt völlig.“ „Also wird das Schiff am 22. Juni, in fünf Tagen, die Insel verlassen“, sagte Belopolski. „Wir werden so nahe wie möglich an das Wehr heranfliegen. Hoffen wir, daß wir dort das Rätsel der vernunftbegabten Geschöpfe auf der Venus lösen.“


  1. Myxine gehöre» zur Gattung der Inger. Rundmäulige, aalähnliche, aber flossenlose Tiere, die sich in andere Fische einbohren und sie bis auf Haut und Skelett auffressen.