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Bis zum Sonnenuntergang blieben noch zehn Stunden Zeit, und auch danach würde es nicht sofort ganz finster werden. Die Venus dreht sich so langsam um ihre eigene Achse, daß sich die Abenddämmerung sehr in die Länge zieht. Nacht konnte es im Grunde erst in fünfzig Stunden werden. Diese Zeit galt es zu nützen.
Kaum war die „SSSR-KS 3“ an ihrem neuen Standplatz angelangt, da gingen Melnikow und Korzewski von Bord, um das Ufer zu untersuchen und festzustellen, ob der Geländewagen eingesetzt werden könnte. Würde eine Exkursionsgruppe die anderthalb Kilometer bis zu den Stromschnellen zu Fuß zurücklegen, setzte sie sich der Gefahr aus, von einem Gewitter überrascht zu werden. Melnikows Vermutung, man könne sich unter den Gewölben des Waldes vor den Regengüssen schützen, bedurfte erst einer Prüfung.
Die beiden Sternfahrer überzeugten sich mühelos davon, daß der Boden am Ufer fest genug war. Es bestand keine Gefahr, daß der Geländewagen mit seinen Raupenketten versinken würde. Unter dem orangebraunen Grasteppich lag eine feste Sandschicht. Ob dies gewöhnlicher Sand war, blieb vorerst ungewiß, aber eins stand fest — die Expeditionsmitglieder konnten den Geländewagen benutzen. Und das war im Augenblick die Hauptsache.
Ganz in der Nähe hielten sich die unbekannten Bewohner der Venus auf, die allem Anschein nach sehr kräftig und an die Finsternis der Nacht gewöhnt waren.
Wie würden sie sich den Eindringlingen gegenüber verhalten?
Wenn sie, wie Melnikow annahm, Wilde waren, mußte mit feindseligen Handlungen von ihrer Seite gerechnet werden. Die Astronauten beabsichtigten aber nicht, von der Waffe Gebrauch zu machen. Sollten sie überfallen werden, würden ihnen die Geländewagen sicheren Schutz bieten.
Um die für die Nacht vorgesehene Arbeit zu leisten, standen den Männern öftere Ausflüge von Bord bevor. Außerdem waren sie fest entschlossen, die Herren dieses Planeten näher kennenzulernen. Das ließ sich nur nachts einrichten. Eine Exkursion zu den Stromschnellen und vielleicht auch noch zum See barg aber bei völliger Finsternis große Gefahren in sich. Sumpfiges Gelände, das bei den häufigen Regenfällen etwas ganz Natürliches gewesen wäre, hätte die Lösung dieser Aufgabe noch erschwert.
Doch der Uferstreifen glich nicht im geringsten einem Sumpf.
Er war fest und offenbar trocken.
„Ich halte das für ganz gewöhnlichen Sand“, erklärte Korzewski. „Und er liegt in einer sehr dicken Schicht. Andernfalls würde er nicht das ganze Regenwasser aufsaugen können.“ „Diese Eigenschaft besitzt nicht nur Sand“, antwortete Melnikow. „Das Ufer fällt vom Wald nach dem Wasser zu ab. Das meiste Regenwasser kann also in den Fluß abfließen, und nur den Rest nimmt der Boden auf.“ „Das könnte auch sein“, pflichtete ihm der Biologe bei.
An Bord zurückgekehrt, meldeten sie Belopolski das Ergebnis ihrer Erkundung. Dieser ließ sofort einen Geländewagen fahrfertig machen. Eine halbe Stunde später stand das eine Kettenfahrzeug schon vor der unteren Luftschleuse.
Das Raumschiff hatte Geländewagen verschiedener Größe an Bord. Es wurde beschlossen, zur ersten Ausfahrt den leichtesten und schnellsten zu nehmen.
Belopolski wollte sich die Stromschnellen und die Holzstapel am Ufer persönlich ansehen, aber weil er nicht zur gleichen Zeit wie Melnikow das Schiff verlassen durfte, sollte ihn Professor Balandin begleiten. Weder er noch Konstantin Jewgenjewitsch verstanden, mit der Filmkamera umzugehen. Deswegen gab Wtorow ihnen Fotoapparate mit.
„Machen Sie soviel Aufnahmen wie möglich!“ bat er. „Jedes Foto ist von unschätzbarem Wert!“ „Ja, ja, das wissen wir.“ Balandin lächelte. „Ich verspreche Ihnen, daß ich den ganzen Film verknipse.“ „Vielleicht wäre in dem Wagen noch ein Plätzchen frei?“ Wtorow sah den Kommandanten bittend an.
„Sie werden noch zur rechten Zeit hinauskommen“, entgegnete Belopolski barsch. „Diese Fahrt wird nicht die letzte sein.“ Wie immer verzögerten Gewitter die Abfahrt. Die Kosmonauten hatten sich schon an die häufigen Regengüsse gewöhnt, wenngleich ihre Geduld diesmal hart auf die Probe gestellt wurde. Drei Stunden lang löste ein Gewitter das andere ab und raubte ihnen kostbare Zeit. j Aber die erzwungene Verzögerung brachte auch einen gewissen Nutzen. Sie überzeugten sich davon, daß der absichtlich im Freien abgestellte Geländewagen dem Druck der Wassermassen standhielt und die Männer sich in ihm gegen die Gewitter schützen konnten. Während sie in den kurzen Pausen zwischen den Gewittern vom Observatorium aus das Gelände beobachteten, stellten sie auch fest, daß Melnikows Vermutung zutraf. Das Wasser floß entsprechend dem natürlichen Gefälle zum Fluß ab; es bestand keine Gefahr, daß der Boden ringsum sich in einen Sumpf verwandeln würde.
Sobald Toporkows Barometer anzeigte, daß die Luft keine Elektrizität mehr enthielt, verließen Belopolski und Balandin ohne Zögern das Schiff und setzten sich in den Geländewagen.
Er war so niedrig, daß sie die individuelle Sprechfunkanlage mit akustischen Verstärkern vertauschen mußten. Die Antennen ihrer Gasschutzanzüge paßten nicht in den Wagen hinein.
Bis zu den Stromschnellen fuhren sie ganz langsam. Melnikow und Korzewski hatten nur die nächste Umgebung erkundet, und Konstantin Jewgenjewitsch war deswegen sehr vorsichtig.
Sie legten die anderthalb Kilometer in einer Viertelstunde zurück und hielten unmittelbar neben einem Holzstapel.
Balandin erkannte sofort, daß seit ihrem ersten Besuch niemand die Stapel angerührt hatte. Die Stämme lagen noch genauso angeordnet wie vorher. Er sah auch jenen Stamm, von dem er sich ein Stück abgeschnitten hatte.
Belopolski nickte wortlos, als der Professor ihm seine Beobachtungen mitteilte, öffnete den Wagenschlag und trat ins Freie.
Die rätselhaften Stapel sahen zwar noch genauso aus wie vorher, aber der Fluß hatte sich völlig verändert. Als das Unterseeboot hier ans Ufer gekommen war, hatte er sich wasserreich und ungebärdig tosend durch die Enge aus mächtigen Felsblöcken gezwängt. Jetzt am Abend aber herrschte an dieser Stelle beinahe Stille. In einer Breite von etwa fünfzig Metern versperrten oberhalb der Felsblöcke Baumstämme dicht bei dicht den Fluß. Die Strömung hatte sie so eng aneinandergepreßt, daß man über sie wie über eine Brücke vom Südufer zum Nordufer gelangen konnte.
„Das bestätigt unsere Vermutung“, sagte Balandin. „Die Venusbewohner arbeiten nachts.“ Eingehend betrachtete Belopolski das Wehr. Um besser sehen zu können, stieg er auf den einen Holzstapel. Von oben konnte er genau die Anordnung der riesigen Steine erkennen.
„Es kann kein Zweifel bestehen“, sagte er im Hinuntersteigen, „dies ist ein künstliches Wehr. Aber wenn man die Anwendung technischer Hilfsmittel bei seinem Bau für ausgeschlossen hält, muß man zugeben, daß nur außerordentlich starke Geschöpfe eine derartige Anlage haben errichten können.“ „Das war auch Boris Nikolajewitschs Meinung.“ „Die Frage ist nur, warum sie errichtet wurde.“ „Offenbar brauchen diese Geschöpfe Holz“, erklärte Balandin.
„Und die Bäume, die hier stehen, können sie nicht fällen. Sie sehen ja selber, was für Riesen das sind.“ „Es wäre die einzige Erklärung.“ Belopolski nickte. „Das Holz wird von einer Stelle, die stromauf liegen muß, hierhergeflößt. Und dann wird es zu dem See hinüberbefördert. Wir haben doch Stapel am Seeufer gesehen. Aber wozu brauchen sie soviel Holz? Hier liegen doch Tausende Stämme“, setzte er hinzu und wies auf den Fluß. „Und man darf kühn behaupten, daß ebenso viele an jedem Venustag oder nach unserer Zeitrechnung alle drei Wochen geflößt werden. Das ist es, was ich nicht verstehe. Na, wir werden es erfahren, wenn wir die Venusbewohner besuchen, und zwar dort, wo sie wohnen.“ „Ich denke, ihre Behausungen werden im Wald, am Ufer des Sees liegen.“ „Im Wald?“ „Ja. Oder vermuten Sie sie woanders?“ „Fahren wir doch einmal an den See“, schlug Belopolski, der Antwort ausweichend, vor.
„Durch den Wald?“ „Natürlich. Wenn die langen Stämme vom Fluß zum See geschleift werden, muß dort eine Schneise sein.“ „Wir können sie ja suchen“, antwortete der Professor lakonisch.
Er hielt eine Exkursion dieser Art für sehr gefährlich und meinte, sie sollten dazu lieber mit dem stärkeren Geländewagen, und zwar nicht nur mit einem, sondern wenigstens mit zweien, fahren. Aber er behielt seine Gedanken für sich. Er wollte um keinen Preis von Belopolski das gleiche hören, was ihm schon Melnikow entgegnet hatte. Diese vier Männer, Kamow, Paitschadse, Belopolski und Melnikow, waren Menschen besonderer Art. In ihrem besonnenen Mut lag etwas, was der Alltagsvernunft Schweigen gebot. Im stillen hoffte der Professor, daß sie keine Schneise fänden, die breit genug wäre.
„Es ist nicht gefährlich“, sagte Belopolski, als habe er die Gedanken des Genossen gelesen. „Die Venusbewohner sind auf jeden Fall Lebewesen der Nacht.“ „Also — dann — los!“ Sie setzten sich in den Geländewagen. Balandin teilte dem Schiff durch Funkspruch ihre Absicht mit. Melnikow, der den Funkspruch aufnahm, machte keine Einwände. Er bat nur, die beiden Männer sollten Verbindung mit dem Raumschiff halten.
Sie brauchten nicht lange zu suchen. Die vermutete Schneise begann ganz in der Nähe, neben den Stapeln, und sie war für das bewegliche Raupenfahrzeug breit genug.
Bei den ersten Bäumen hielt Belopolski an.
Ein gewundener Pfad führte in das Dickicht des Waldes hinein und zog sich emsig zwischen den gigantischen Stämmen dahin. Das schwache Licht des Tages, richtiger des Abends, drang nicht durch das dichte Laub hindurch, so daß bereits zehn Schritt voraus nichts zu erkennen war. Der Weg verschwand im Dunkel.
Erregt spähte Balandin die Schneise entlang. Hier waren die Herren des unerforschten Planeten gegangen, seine natürlichen Herren, so wie die Menschen die natürlichen Herren der Erde sind. Geschöpfe, mit Vernunft begabt und zielstrebiger Arbeit fähig, werden allzeit und allerorten Gebieter der Natur sein.
Mochten sich die Venusbewohner vorerst auch noch auf einem niederen geistigen Niveau befinden, mochten sie primitiv sein und mit primitiven Methoden arbeiten, mochte ihnen auch noch das technische Denken fehlen — das änderte nichts.
Vielleicht werden die Venusbewohner vom Instinkt geleitet?
dachte Balandin. — Vielleicht entspricht ihre Arbeit mit den Bäumen der unserer Biber? Vielleicht ist es gar keine schöpferische, sondern mechanische Arbeit?
Aber er verstand sehr wohl, daß alle diese spitzfindigen Schlüsse durch die Tatsache widerlegt wurden, daß sie auf der Koralleninsel ein Lineal gefunden hatten. Es konnte nur den Venusbewohnern gehören. Kein Tier vermag ein Meßinstrument herzustellen. Hier wird mathematisches Denken verlangt. Zumindest primitives. Und mathematische Begriffe können nicht in ein Hirn gelangen, dem die Fähigkeit fehlt, logische Schlüsse zu ziehen. Die Logik ist ein Privileg des Menschen.
„Nein, es müssen wohl doch Menschen sein“, sagte der Professor.
Belopolski schien seinen Gedankengang zu verstehen. Vielleicht hatte er genauso gedacht.
„Das Lineal schließt jeden Zweifel aus“, antwortete er.
„Haben Sie sich übrigens den Boden genau angesehen? Boris Nikolajewitsch hat anscheinend recht, wenn er meint, die Regenfälle könnten uns im Wald nicht gefährlich werden.“ „Woraus schließen Sie das?“ „Haben Sie nicht gesehen, wie das Gras im Wald niedergetreten worden ist? Aber vom Wald zu den Stapeln führen keine Spuren. Unter freiem Himmel hält also der Regen das Gras frisch, im Wald aber vermag er es nicht.“ Belopolski legte den ersten Gang ein, und der Geländewagen fuhr langsam an. Der Weg war gerade breit genug, dauernd mußten die Steuerungshebel betätigt werden.
Je tiefer der Wagen in den Wald eindrang, desto dunkler wurde es. Dichtes Unterholz, mit weißem Gras verflochten, schob sich immer näher an das Raupenfahrzeug heran. Die riesenhaften Stämme, die säulengleich das orangerote Gewölbe trugen, strebten himmelwärts, so weit das Auge reichte. Der Geländewagen hatte kaum die erste Kurve durchfahren, da schienen die Bäume hinter ihm zusammenzurücken. Das Ufer entschwand den Blicken der beiden Männer. Wohin sie auch blickten, überall erhob sich eine dunkelrote Mauer, die mit kirschroten Flecken betupft und unten von einem orangeweißen Streifen gesäumt war.
Belopolski und Balandin schwiegen. Sie waren erregt und fühlten sich etwas beklommen angesichts des unzugänglichen, jungfräulichen Waldes, durch den dieser einzige Weg führte, den ihnen noch unbekannte, aber verwandte Geschöpfe gebahnt hatten. Denn sie waren ihnen verwandt, so wie alle denkenden Wesen des unendlichen Weltalls miteinander verwandt sind.
Es dauerte keine Minute, da war es so dunkel, daß der Scheinwerfer eingeschaltet werden mußte.
Blendend hell, aber fremd und unpassend wirkte das elektrische Licht in diesem Wald. Hunderte, vielleicht sogar Tausende Jahre standen die Waldriesen, und nie hatte ein Sonnenstrahl sie berührt. An die Finsternis gewöhnt, mußten sie sich über die unerwünschte und dreiste Beleuchtung, die ihre Jahrhunderte währende Ruhe störte, empören.
Aber Pflanzen empfinden ja nichts.
In dem strengen weißen Licht traten die Bäume, die Sträucher und das seltsam reglose, bleiche Gras plastisch und deutlich aus dem Dunkel hervor.
Nicht die geringste Bewegung … Totenstille…
Wie ein gewundener Korridor zog sich der geheimnisvolle Weg in die Ferne.
Vorsichtig fuhr der Geländewagen weiter. Die tiefen Spuren seiner Raupenketten drückten der Venuslandschaft einen irdischen Stempel auf.
Was werden die Bewohner des Planeten über diese für sie unerklärlichen Spuren denken, wenn sie bei Einbruch der Nacht den vertrauten Weg entlangkommen? Werden sie ihre Bedeutung verstehen? Ist der Gedanke für sie überhaupt faßbar, daß Bewohner einer anderen Welt die Venus besucht haben? Oder können sie sich, weil der Sternenhimmel ihres Planeten immer von einem Dickicht nie auseinandertretender Wolken verhüllt ist, gar nicht vorstellen, daß es außer der ihren noch andere Welten gibt und daß sie nicht die einzigen vernünftigen Wesen im All sind?… Wie können sie überhaupt die Existenz des Alls ahnen, wenn keiner von ihnen je die Sonne oder die Sterne gesehen hat? … Sie werden vielleicht die Spuren des Kettenfahrzeugs für die Spuren eines unbekannten Tieres halten. Selbst wenn sie solchen Tieren bisher nie begegnet sind, wird dieser Gedanke sich aufdrängen.
Professor Balandin malte es sich bildlich aus… In nächtlicher Finsternis beugen sich riesengroße Schatten über die Spuren, machen sich gegenseitig auf sie aufmerksam und reden in einer fremden Sprache miteinander. Forschend richten sich ihre Augen in das Waldesdickicht, um das unbekannte wilde Tier zu suchen.
Er stellte sie sich als Zweibeiner vor mit Augen, die im Dunkeln wie Raubtieraugen grünlich funkeln.
Wenn nun plötzlich die Herren des Waldes aus dem Dunkel treten? Geschöpfe, die imstande sind, mit bloßen Händen (oder dem, was ihnen als Hand dient) Felsbrocken zu bewegen und Bäume umzubrechen. Wenn sie nun vor dem Scheinwerferlicht gar keine Angst haben?
Was wird es ihnen ausmachen, den Gelandewagen umzukippen, die Scheiben einzuschlagen und die Türen aufzureißen?
Wurde es den Männern da noch gelingen, die Kameraden durch Funkspruch zu verständigen?
Balandin warf unwillkürlich einen Blick auf das Funkgerät, um sich zu überzeugen, daß es in Ordnung war.
Ruhig leuchtete das grüne Lämpchen des Indikators in der dunklen Kabine. Da flammte neben ihm ein rotes Lämpchen auf — ein Anruf.
„Ich höre“, sagte Belopolski in alltäglichem Tonfall.
„Ein Gewitter zieht auf“, teilte Melnikow mit. „Und wie es scheint — ein schweres.“ „Von welcher Seite?“ „Von Norden. Es ist noch weit entfernt.“ „Beobachten Sie es. Sobald es am Fluß anfängt zu regnen, benachrichtigen Sie uns.“ „Gut.“ Sekundenlanges Schweigen. Dann fragte Melnikow: „Wo befinden Sie sich?“ „Im Wald.“ „Wollen Sie nicht lieber umkehren?“ „Wir schaffen es nicht bis zum Schiff. Es wird interessant und wichtig sein zu prüfen …“ Belopolski kam nicht dazu, den Satz zu beenden. Das rote Lämpchen am Funkgerät erlosch, die Verbindung war unterbrochen.
„Anscheinend zieht eine außerordentlich mächtige Gewitterwand auf“, sagte er. „Toporkows Barometer zeigt ein Gewitter fünfzehn Minuten vorher an. So schnell ist die Verbindung noch nie abgebrochen. Also muß die Luft schon sehr stark ionisiert sein.“ Belopolskis Stimme verriet nicht die geringste Erregung. Er redete wie gewöhnlich, als hielte er ein Selbstgespräch.
Balandin gab keine Antwort. Was sollte er auch antworten?
Sie würden es tatsächlich nicht mehr schaffen, an Bord zurückzukehren. Es blieb ihnen nichts anderes übrig, als sich auf die Festigkeit ihres Fahrzeugs und auf den Schutz der Baumkuppel zu verlassen.
Das Kettenfahrzeug fuhr langsam weiter.
Im Licht seiner Scheinwerfer sah man immer die gleichen Bäume, den gleichen Wald. Der Weg beschrieb wunderliche Zickzacklinien, verengte sich aber nicht. Nach wie vor schob sich eine Mauer aus Sträuchern, die mit weißem Gras verwoben waren, bis dicht ans Fahrzeug.
So vergingen zehn Minuten.
Plötzlich hielt Belopolski an. Einen Augenblick spähte er forschend in den Wald, dann streckte er den Arm aus und stellte die Scheinwerfer ab.
„Schauen Sie nur!“ sagte er beinahe flüsternd.
Nach dem hellen Licht fand Balandin, es herrsche besonders tiefe Finsternis. Er schloß sekundenlang die Augen.
„Schauen Sie nur!“ sagte Belopolski ein zweites Mal. „Was ist das?“ Der Professor blickte nach vorn und nach beiden Seiten, sah aber nichts. Dunkel ringsum.
„Wohin soll ich sehen?“ fragte er und erkannte nicht einmal seinen Gefährten. „In welche Richtung?“ „Wohin Sie wollen“, antwortete Belopolski. „Es ist überall!“ „Was für ein,Es‘?“ Keine Antwort.
Balandin fühlte, daß sein Genosse ganz unter dem Eindruck einer Erscheinung stand, die er selbst noch nicht wahrgenommen hatte. Erst allmählich gewöhnten sich seine Augen an die Dunkelheit.
Da merkte er auf einmal, daß es gar nicht stockfinster war.
Immer klarer unterschied der Professor die Stämme der Baume. Ein seltsam zitterndes Licht beleuchtete sie. Es wurde immer heller, aber nirgends war die Quelle jenes Lichts zu entdecken.
Balandin überzeugte sich mit einem Blick durchs Plastedach, daß die Kronen der Bäume im Dunkel verschwanden. Angestrahlt wurden nur die Stämme. Die Sträucher und der Weg waren ebenfalls nicht zu sehen.
Dann bemerkte er, daß die Stämme verschieden beleuchtet wurden. Von den einen war nur der untere Teil, von anderen die Mitte und von einigen nur die rechte oder die linke Hälfte zu sehen, während die andere Hälfte unsichtbar blieb.
Verblüfft musterte der Professor den Wald und wußte nicht, wie er sich diese Erscheinung erklären sollte.
„Sie leuchten aus sich heraus!“‘ Der Gedanke kam ihm ganz plötzlich.
„Ja, das Licht kommt aus den Stämmen selbst“, antwortete Belopolski. „Aber es ist ein sonderbares Licht. Es macht nur die Stämme der Bäume sichtbar, beleuchtet aber keine anderen Gegenstände. Doch nein…, ich kann undeutlich einen Strauch erkennen.“ Hat Konstantin Jewgenjewitsch aber Augen! dachte Balandin.
— Wie konnte er bloß das schwache Licht bemerken, als die Scheinwerfer noch eingeschaltet waren?
Die Bäume wurden noch deutlicher sichtbar. Im Innern der Stämme schien eine unerklärliche Flamme, deren Liehe‘die Rinde durchdrang, immer stärker entfacht zu werden und zu lodern. Stellenweise ging das rosige Licht in dunkleres Rot über.
Das flimmernde Leuchten wurde so stark, daß es den Augen weh tat.
Plötzlich sah es aus, als ob sich der ihnen am nächsten befindliche Baum mit einem zitternden Netz blendend weißer Fäden überzog. Wie Rinnsale weißglühenden Metalls flossen sie den Stamm entlang und verschwanden im Boden.
Darauf erlosch das Licht des Baumes schlagartig. Die soeben noch grellrote Säule entzog sich den Blicken und war vor dem leuchtenden Hintergrund der anderen Bäume nur noch als schwarze Silhouette zu erkennen. Nach einer Weile jedoch flammte das innere Leuchten abermals auf, zuerst rosig, dann immer mehr in Rot übergehend.
Der geheimnisvolle Vorgang wiederholte sich immer häufiger, bald mit dem einen, bald mit dem anderen Baum. Es schien, als versuche jemand, das in den Stämmen lodernde Feuer zu löschen, doch es loderte nach wenigen Augenblicken stets aufs neue mit gewachsener Kraft wieder empor.
„Gut, daß unser Wagen nicht aus Metall gebaut ist“, sagte Belopolski leise. „Und dabei ist das noch nicht das Gewitter, sondern erst sein Präludium.“ Balandin hatte gerade das gleiche gedacht. Es war klar, daß diese ganze Phantasmagorie durch die Elektrisierung der Luft hervorgerufen wurde. Die Rinde der Bäume leitete offenbar den Strom weiter. Diesem Umstand mußte man es wohl zuschreiben, daß die Stämme leuchteten. In der Baumrinde sammelte sich Elektrizität, und sie entlud sich in die Erde, sobald die Konzentration zu groß wurde.
Was für eine Rinde war das, die über solch ungewöhnliche Fähigkeiten verfügte?
„Wieder ein Rätsel mehr“, sagte der Professor.
Belopolski kam nicht dazu, Antwort zu geben.
Durch den Wald ergoß sich grelles Licht. Die Zweige und Blätter hoch über ihnen, die bislang nicht zu erkennen gewesen waren, leuchteten schneeweiß auf. Jeder einzelne Grashalm, jeder Zweig an den Sträuchern zeichnete sich ab. In diesem strahlenden Glanz ging das rote Licht der Stämme unter. Zur gleichen Zeit krachte ein fürchterlicher Donnerschlag, als wären samtliche Bäume des Waldes zugleich gefällt worden.
Halb betäubt, bedeckten die beiden Männer das Gesicht mit den Händen. Sie sahen aber noch, wie sich der ganze Glanz der Kuppel ihnen zu Häupten pfeilgeschwind in eine einzige Feuersaule verwandelte und auf das Dach des Geländewagens stürzte.
Sogar durch die geschlossenen Lider fühlten sie, wie es im Wagen unerträglich hell wurde. Sie hörten ein heftiges Knakken, das von einem zweiten, weitaus schrecklicheren Donnerschlag übertönt wurde.
Ehe der Professor das Bewußtsein verlor, bemerkte er noch starken Ozongeruch. Ein letzter Gedanke flackerte in seinem zerrütteten Hirn auf: die Antenne!
Belopolski erhob sich halb von seinem Sitz, beugte sich krampfhaft vor, gleichsam bemüht, das Gleichgewicht zu halten, und schlug dann lang auf den Boden der Kabine. Über ihn fiel wie leblos Balandin …
Das strahlende Gewölbe wurde noch gleißender, noch blendender. Aber die beiden Männer sahen und hörten nichts mehr.
Triumphierend krachten Donnerschläge, als feierten sie ihren Sieg über die irdischen Eindringlinge. Durch das Gewölbe der Baumkronen stießen grelle Blitze ins Dickicht und flossen, in zahllose Rinnsale verzweigt, die Baumstämme hinab. Rot leuchtend flammten die Baumriesen auf und erloschen wieder.
Fern erscholl, allmählich wachsend und anschwellend, dumpfes Grollen.
Über dem Ort, an dem mit verbrannter Antenne der Geländewagen stand, zog der wütende Venusregen auf.