121906.fb2 Das Erbe der Phaetonen - читать онлайн бесплатно полную версию книги . Страница 19

Das Erbe der Phaetonen - читать онлайн бесплатно полную версию книги . Страница 19

Am Ufer des Sees

Dieses Gewitter war das kürzeste, aber schrecklichste, das die Sternfahrer auf dem unerforschten Planeten erlebten.

Es gab Augenblicke, in denen sie zweifelten, ob der Schiffskörper die ununterbrochen herniederprasselnden Blitze und die schreckliche Wucht der Regengüsse aushalten würde, von denen das ganze Schiff erbebte. Noch nie hatten die Elemente derart gewütet.

Bei jedem Donnerschlag — und sie folgten einander fast ohne Pause — schlitterte das gewaltige Raumschiff so heftig, daß alle fürchteten, es werde sich sogleich auf die Seite legen und wie ein Strohhalm, den der Wirbelsturm vor sich her treibt, das Ufer hinabgleiten.

Die Außenatmosphäre verwandelte sich in ein einziges elektrisches Meer. Alle Anlagen des zentralen Steuerpultes, die nach draußen Verbindung besaßen, versagten. Das Schiff „erblindete“, wurde „taub“. Zum Glück war es Toporkow gelungen, die Außenantenne beizeiten zu bergen. Das berechtigte zu der Hoffnung, daß die Funkanlagen wenigstens nicht zerstört werden würden.

An den erstbesten Gegenstand geklammert — Hauptsache, er war befestigt und hielt! — , warteten die Besatzungsmitglieder stumm auf das Ende des Chaos. In den zwölf Minuten, die das Gewitter währte, dachte keiner von ihnen an sich und was ihn erwartete, falls das Schiff umschlagen würde. Alle weilten in Gedanken an der Seite ihrer Genossen im Wald.

Das hundert Tonnen schwere Raumschiff trotzte mühsam der Gewalt des Unwetters. Was aber mochte aus dem kleinen, leichten Geländewagen und den beiden Insassen geworden sein? Bot ihnen der Wald, auf den sie sich verlassen hatten, als sie ihre gefährliche Fahrt begannen, genügend Schutz?

Quälend langsam verstrichen die Sekunden, die Minuten …

Das gewaltige Schiff schütterte und wankte. Das Gewitter schien kein Ende zu nehmen.

Wenn später jemand daran zurückdachte, daß ihnen kurze zwölf Minuten wie träge Stunden vorgekommen waren, wunderte er sich. Aber genauso war es gewesen.

Kaum war das Gewitter mit der für die Venus üblichen Plötzlichkeit abgezogen, erscholl in allen Räumen des Raumschiffes die bestimmte und äußerlich ruhige Stimme Melnikows. Er hatte sein Pult die ganze Zeit nicht verlassen, um nötigenfalls, wenn es am Boden zu gefährlich wurde, mit dem Schiff sofort starten zu können.

„Sofort die Geräte und Apparaturen der Funkkabine, des Observatoriums und der Räume im Achterschiff prüfen und mir ihren Zustand melden“, befahl er. „Die Genossen Knjasew und Wtorow machen den zweiten Geländewagen fahrfertig und halten sich bereit, um nötigenfalls dem anderen Wagen zu Hilfe zu kommen. Stepan Arkadjewitsch stellt ein Rettungskommando zusammen. Igor Dmitrijewitsch — so schnell wie möglich Funkverbindung mit Belopolski und Balandin herstellen. Ich bin am Steuerpult.“ Während Melnikow auf die Ausführung seiner Befehle wartete, kontrollierte er mit Hilfe der Geräte den allgemeinen Zustand des Schiffes. Er wußte schon, daß der zentrale Bildschirm nicht funktionierte. Aber wie sah es mit den anderen aus?

Systematisch drückte er nacheinander auf die Kontrollknöpfe und verfolgte gespannt die Antworten, die ihm die Lämpchen am Pult und die Aufzeichnungsstreifen der Registriergeräte gaben.

Der Schiffskörper sowie die Mechanismen der Stoßdämpfer und Tragflächen waren unversehrt geblieben. Die ausfahrbare Antenne hatte ebenfalls keinen Schaden genommen. Aber alle Horchgeräte, Außenbildschirme und Radarprojektoren wiesen Schäden auf.

Das war unerfreulich, doch keineswegs beängstigend. Saizew und Toporkow würden alles in ein, zwei Tagen wieder instand setzen.

Ungeduldig wartete Melnikow auf die Meldungen. Es war nicht seine Art, zur Eile zu drängen. Er wußte, daß seine Kameraden keine Zeit verlieren würden.

Er wirkte völlig ruhig. Nur Olga hätte wohl an seinem verdunkelten Blick und den betont gemächlichen Bewegungen seinen wahren Zustand erkannt. Sogar dem aufmerksam beobachtenden Paitschadse, der in die Zentrale kam, um zu melden, daß die astronomischen Geräte gebrauchsfähig geblieben seien, fiel nichts auf.

„Laß mich an Stelle Andrejews fahren“, bat er. „Ich mache mir Sorgen um Konstantin Jewgenjewitsch.“ „Das geht nicht“, antwortete Melnikow und setzte nach kurzem Besinnen mit gesenkter Stimme hinzu: „Es kann alles mögliche geschehen. Ich darf nicht zulassen, daß außer dem Kommandanten auch noch der einzige Astronom von Bord geht.

Leonid Nikolajewitsch ist ja nicht mehr da.“ Daß der verunglückte Orlow in diesem Augenblick erwähnt — wurde, ließ Paitschadse zusammenzucken. Forschend blickte er den Freund an.

„Meinst du wirklich?“ Melnikow wandte sich ab. „Stepan Arkadjewitsch ist Arzt und du nicht. Die beiden könnten verletzt sein.“ Bald darauf meldete Saizew, daß die Räume im Achterschiff, in denen die Treibstoffvorräte lagerten, sowie die Triebwerke und Düsen völlig unbeschädigt seien. Toporkow schwieg noch.

Nachdem Melnikow noch einige Minuten gewartet hatte, schaltete er den internen Bildschirm ein und verband sich mit der Funkkabine.

Toporkow saß, die Ellbogen aufgestützt und den Kopf in die Hände gelegt, vor dem Sender. Seine ganze Haltung drückte Niedergeschlagenheit aus. Als er das Anrufsignal vernahm, drehte er sich zum Bildschirm um und sagte: „Entschuldigen Sie, Boris Nikolajewitsch! Ich habe ganz vergessen, Ihnen zu melden. Die Funkgeräte sind in Ordnung.

Demoliert ist nur die Lokationsvorrichtung. Aber das wissen Sie wohl schon.“ „Ja“, antwortete Melnikow. „Haben Sie Verbindung?“ „Vorläufig nichts zu machen. Die Ionisation der Luft ist noch zu stark. Die Funkwellen dringen nicht durch.“ „Lassen Sie nicht locker. Sobald sich die Möglichkeit ergibt, funken Sie! Und machen Sie sich keine unnötigen Sorgen!“ setzte Melnikow hinzu. „Ich nehme an, daß das Gewitter im tiefen Wald, wo der Geländewagen steht, ungefährlich ist.“ „Meinst du wirklich?“ fragte Paitschadse, nachdem der Bildschirm abgeschaltet war.

Melnikow wich einer Antwort auf diese direkte Frage aus.

„Was für eine Analogie der Ereignisse!“ sagte er. „Nicht wahr, Arsen? Auf dem Mars verloren Belopolski und ich die Verbindung zu dir und Sergej Alexandrowitsch, und danach wußten wir drei nicht, was aus Kamow geworden war. Auf dem Mond riß zunächst die Verbindung mit mir ab, als ich in den Spalt gefallen war, und dann auch mit Toporkow. Hier auf der Venus habt ihr eine Zeitlang nicht gewußt, was aus Wtorow und mir geworden war. Und nun Belopolski und Balandin …“ „Es kann nicht anders sein“, antwortete Paitschadse, „und wird immer wieder vorkommen …“ „Beiß dir auf die Zunge!“ Melnikow lächelte gequält.

Außer Toporkow fanden sich nach und nach alle Besatzungsmitglieder in der Zentrale ein. Knjasew meldete, der Geländewagen zwei stünde einsatzbereit an der Luftschleuse.

„Welchen habt ihr genommen?“ „Den mittleren, den Fünfsitzer.“ „Recht so. Konstantin Jewgenjewitschs Wagen kann beschädigt sein.“ Aller Augen verfolgten unablässig den Zeiger des Elektrobarometers. Entgegen aller Erfahrung brauchte er diesmal lange, bis er den Nullpunkt erreichte.

Es wurde immer offensichtlicher, daß das abgezogene Gewitter sich von den bisherigen unterschied.

„Vielleicht sollten wir lieber den Spuren des anderen Wagens folgen und nicht auf die Funkverbindung warten?“ schlug Andrejew vor.

„Auf keinen Fall“, antwortete Melnikow kurz.

Endlich hatte sich die Luft wieder gereinigt. Die Männer in der Zentrale hörten, wie Toporkow zu funken begann.

„Geländewagen! Geländewagen! Antwortet!“ So vergingen lange, lange Minuten. Schließlich konnte Melnikow sich nicht länger zur Geduld zwingen.

„Fahren Sie los, Stepan Arkadjewitsch!“ sagte er.

Erfreut stürmten Andrejew, Knjasew und Wtorow hinaus.

Melnikow seufzte.

„Wenn den beiden nichts zugestoßen ist, wird Konstantin jewgenjewitsch meine Entscheidung als voreilig mißbilligen.

Aber ich bringe es einfach nicht fertig, länger zu warten.“ „Wir haben genug gewartet“, beruhigte ihn Paitschadse. „Du handelst richtig.“ Alexander Knjasew fuhr mit höchster Geschwindigkeit zu den Stromschnellen. Die drei Mann in dem großen Kettenfahrzeug wußten, daß ihre Genossen in der Nähe der Holzstapel in den Wald abgebogen waren. Dem jungen Mechaniker war nicht bange, daß er den Weg verfehlen konnte. Er fürchtete nur, der Weg würde für ihren Wagen, der bedeutend größer als der andere war, nicht breit genug sein. Auf der Erde hätte ihm das Leine Sorgen bereitet. Wie ein mächtiger Panzer hätte sich der Geländewagen durch jeden Wald einen Weg gebahnt. Aber auf der Venus mit ihren gigantischen Bäumen konnte sich das als unmöglich erweisen.

Gleich beim ersten Stapel bog Knjasew, ohne einen Augenblick zu zögern, zum Wald ab.

Weder er noch seine Kameraden beachteten die rätselhaften Balkenhaufen oder den Fluß mit den zahllosen Baumstämmen, die sich an der kaum weniger rätselhaften Felssperre stauten.

Was sie vorher so sehr interessiert hatte, schien nun für sie gar nicht zu existieren. All ihre Gedanken waren darauf gerichtet, so bald wie möglich die Genossen zu finden und sich zu überzeugen, daß sie das schreckliche Gewitter überlebt hatten.

Andrejews Blicke streiften immer wieder die Instrumententasche. Er überlegte, ob er alles mitgenommen habe, was er in diesem oder jenem Fall brauchen würde.

Vieles war möglich. Das Fahrzeug konnte beschädigt und die Insassen durch Formaldehyd und Kohlensäuregas vergiftet sein.

Durch Blitzschlag konnten beide sich Brandwunden zugezogen haben. Der Geländewagen konnte umgestürzt sein, wobei Balandin und Belopolski Quetschungen oder sogar Knochenbrüche erlitten.

Wtorow hielt ständig Verbindung mit dem Raumschiff. Belopolski aber antwortete immer noch nicht. Nach Toporkows Meinung war das Funkgerät des Geländewagens unbrauchbar geworden.

„Ich fürchte, sie haben vergessen, die Antenne einzuziehen, als das Gewitter sie überraschte“, sagte Igor Dmitrijewitsch, „und der Blitz ist in die Antenne eingeschlagen.“ Wenn es so war, kommt die Hilfe zu spät! dachte Andrejew.

Kaum hatte der Geländewagen den Waldrand erreicht, entdeckten die Insassen auch schon eine Schneise. Ohne zu zögern, bog Knjasew unerschrocken ein. Die Breite des Weges war mehr als ausreichend. Doch zur Vorsicht drosselte Knjasew die Geschwindigkeit bis auf zehn Stundenkilometer.

Im dichten Ufergras hatten sie keine Spuren bemerkt. Das wunderte sie nicht — der Regen hatte sie wahrscheinlich getilgt.

Aber auch im Wald waren keine Spuren zu erkennen.

Die Schneise zog sich fast schnurgerade ins Innere des Waldes. Weit voraus erhellte der Scheinwerfer den Weg. Der dunkelbraune Boden, dem jede Grasdecke fehlte, wies keine Feuchtigkeit auf, was äußerst befremdlich wirkte, weil der Platzregen erst vor kurzem aufgehört hatte. Der Boden war völlig trocken.

Als sie zurückblickten, sahen sie, daß die Raupenketten ihres Wagens eine tiefe Spur hinterließen. Warum war die Spur des anderen Wagens nicht zu sehen?

„Ob wir nicht auf dem falschen Weg sind?“ fragte Andrejew.

„Vielleicht haben die beiden einen anderen benützt?“ „Konstantin Jewgenjewitsch hat mitgeteilt, daß die Schneise genau gegenüber dem einen Stapel anfängt“, erwiderte Knjasew. „Es ist kaum anzunehmen, daß hier zwei Wege fast nebeneinander her fuhren.“ „Aber warum sehen wir dann keine Spuren?“ „Die hat der Regen weggespult.“ Stepan Arkadjewitsch wiegte zweifelnd den Kopf. Er entsann sich der Belopolskischen Meldung, die Schneise sei schmal und gewunden. Diese aber war breit und gerade.

Was tun? Umkehren und den anderen Weg suchen? Aber wenn sich der Zeitverlust als verhängnisvoll erwies? Wenn nun die Spuren tatsächlich ausgewaschen waren und der Boden das Regenwasser völlig aufgesogen hatte? Wer wußte, was für Eigenschaften der Boden der Venus besaß? Belopolski konnte sich geirrt haben, als er kurz die gefundene Schneise beschrieb.

Außerdem war Stepan Arkadjewitsch nicht ganz sicher, daß er sich im fraglichen Sinne geäußert hatte.

Andrejew bat Toporkow, Melnikow ans Mikrofon zu holen, er wolle sich mit ihm beraten. Boris Nikolajewitsch hatte gerade die Funkkabine verlassen. Als er wieder zurückkam, hatte das Kettenfahrzeug schon eine beträchtliche Strecke zurückgelegt.

„Nehmen Sie mit Bestimmtheit an, daß der Weg zu dem See führt?“ fragte Melnikow, nachdem er sich Andrejews Zweifel angehört hatte.

„Höchstwahrscheinlich fuhrt er zum See. Wir haben am Wegland Stämme liegen sehen, deren Zweige ebenso abgebrochen waren wie bei den Stämmen am Fluß. Diese Stämme liegen am Rand der Schneise in annähernd gleichem Abstand voneinander und sind offenbar mit Absicht so hingelegt worden.“ „Wie tief sind Sie in den Wald eingedrungen?“ „Ungefähr fünfhundert Meter.“ „Dann hat es keinen Sinn, umzukehren. Erst wenn Sie den anderen Wagen am See nicht vorfinden, suchen Sie die zweite Schneise.“ „Gut.“ Wachsende Besorgnis ließ Knjasew schneller fahren. Der Weg war erstaunlich glatt. Wie eine Parkallee auf der Erde.

Nur zweimal stießen sie auf sanfte Kurven.

Das majestätische Bild des unberührten Waldes — gigantische Bäume, deren Stämme wie riesige Säulen emporstiegen, die undurchdringliche Kuppel der Zweige und Blätter, das dichte Unterholz, wunderlich verflochten mit dem fahlen Gras — all das nahmen die Männer kaum wahr. Sogar Wtorow griff kein einziges Mal nach der Kamera, er hatte sie völlig vergessen.

Angestrengt blickten sie nach vorn und versuchten, wenigstens die Andeutung einer Spur zu finden, eine Kleinigkeit, die bewiese, daß vor ihnen ein Kettenfahrzeug den gleichen Weg gefahren wäre. Aber sie entdeckten nichts.

Allmählich wurden sich alle darüber einig, daß sie den falschen Weg gewählt hatten. Und hätte Melnikow ihnen nicht einen bestimmten Rat erteilt, den alle drei als Befehl auffaßten, wären sie wahrscheinlich umgekehrt.

Dabei wären sie überzeugt gewesen, richtig und vernünftig zu handeln, obwohl gerade die Umkehr sie und ihre Genossen vom Raumschiff dazu verurteilt hätte, nie etwas über das Schicksal der beiden Vermißten zu erfahren, die sie doch retten wollten.

Der Zufall hatte sie auf eine gerade und breite Schneise geführt, auf der ihr Geländewagen schnell vorwärts kam, und er verschaffte ihnen auch die Möglichkeit, sehr bald die schreckliche Wahrheit zu erfahren.

Doch das wußten sie noch nicht und konnten es auch noch nicht wissen.

Wäre jemand von der Besatzung der „SSSR-KS 3“ während des Gewitters über den Wald geflogen, hätte sich ihm ein seltsames und für einen Erdenbürger völlig unerklärliches Bild geboten.

Bei einem ersten flüchtigen Blick aus der Vogelperspektive konnte man meinen, der Wald des fremden Planeten unterscheide sich nicht von dem der Erde. Abgesehen natürlich von seiner Farbe und gigantischen Höhe. Dem aufmerksamen Beobachter jedoch konnten mehrere wesentliche Besonderheiten nicht entgehen. Vor allem fiel auf, daß die Bäume des Waldes einander völlig glichen, etwas, was auf der Erde nie vorkommt, weiter reichten alle Baumkronen bis zu ein und derselben Höhe, als wären sie mit der Schere eines Riesengärtners beschnitten, und Zweige und Blätter wurden nicht, wie auf der Erde, von oben nach unten dichter und kräftiger, sondern von unten nach oben. Das Laub war besonders auffällig. Jedes Blatt erreichte, zu einem Rohr zusammengerollt, eine Länge von mehreren Metern. Der heftige Wind konnte den Blättern fast gar nichts anhaben, sie bewegten sich kaum. Bei näherem Hinsehen konnte man auch die Ursache dafür erkennen. Jedes Blatt war nicht nur durch einen, sondern durch zwei Stiele, die an seinen gegenüberliegenden Enden saßen, mit dem Zweig verbunden, was ihnen mehr Halt gab. Auch waren Stiele und Blätter oft mehrere Zentimeter dick.

In dem dichten Dach des Waldmassivs gab es kein einziges „Fenster“, durch das der Blick hätte ins Innere fallen können.

Das undurchdringliche Astgewölbe entzog alles den neugierigen Augen.

Wie ein riesiger gepflasterter Platz von orangeroter Farbe, fast regungslos und gleichsam in ewiger Ruhe erstarrt, sah der Wald der Venus von oben aus.

Sobald aber ein düsteres Gewitter aufzog, änderte sich das Bild. Je näher es kam, desto lebhafter wurde es. Die aufgerollten Blätter entfalteten sich, zuerst langsam, dann immer schneller, um den nahenden Regen abzufangen. Man konnte glauben, sie kämpften miteinander und versuchten, sich gegenseitig möglichst viel freien Raum zu nehmen. Jedes Blatt schien sich über seine Nachbarn legen zu wollen, die wiederum den gleichen Wunsch hegten.

Rasch veränderte sich so das Aussehen des Waldes. In nichts erinnerte er noch an den Wald der Erde. Eine glatte, glänzende Fläche breitete sich nach allen Seiten und glich von oben einem bunten Parkettfußboden.

Das farbenprächtige Feuerwerk aber, das Balandin und Belopolski vor kurzem im Wald beobachtet hatten, war aus der Vogelperspektive gar nicht zu sehen. Die Blätter, die sich in ihrer ganzen Breite entrollt hatten, verbargen es unter sich.

Wälzte sich nun eine mächtige Regenwand auf den Wald zu, neschah etwas geradezu Unfaßbares.

Die „SSSR-KS 3“ hatte nur mit knapper Not dem Ansturm der Wassermassen standgehalten, auch die Tragflächen von Melnikows Flugzeug waren seinerzeit unter dem Wasserdruck wie Pappflügel abgebrochen. Aber die Blätter der Venusbäume, ein weicher, pflanzlicher Stoff also, widerstanden mühelos dem schrecklichen Angriff. Binnen Sekunden entschwand das orangerote „Parkett“ den Blicken. An seiner Statt tobte ein brodelndes Meer, das sich über schäumende Kaskaden zu den Ufern des Flusses und des Waldsees ergoß.

Die Wassermassen prallten also an der Waldkuppel ab, sie durchschlugen sie nicht und konnten die Wurzeln der Bäume nicht netzen; diese nährten sich entweder von der Feuchtigkeit, die die Blätter aufnahmen, oder vom Grundwasser.

So erklärte sich auch der Umstand, daß der Boden in den Waldschneisen trocken blieb.

Als erster kam Belopolski wieder zu sich.

Er schlug die Augen auf, sah aber nichts. Ringsum herrschte Düsternis. Minutenlang blieb er liegen, ohne sich zu rühren.

Krampfhaft versuchte er sich zu erinnern, wo er sich befand und was ihm widerfahren war. Da kam ihm zum Bewußtsein, daß ein anderer auf ihm lag, und er nahm scharfen Ozonduft und Brandgeruch wahr.

Seinen rechten Arm konnte er bewegen; fast mechanisch langte er nach dem vertrauten Hebel des Luftschlauches und legte ihn herum.

Der Sauerstoffstrahl brachte sogleich Klarheit in seine Gedanken. Tief atmete er das belebende Gas ein und schloß den Hahn wieder.

Behutsam kroch er unter Balandin hervor, der offenbar immer noch ohnmächtig war: Er wurde nun hellwach. Deutlich stand ihm wieder vor Augen, wie das Gewitter angefangen, die Feuersäule sich aufgerichtet und auf ihren Wagen gestürzt hatte. Besorgt befühlte er im Dunkeln die Instrumententafel.

Er drehte den Hauptschalter — welch eine Freude! Die Lampen, die Akkumulatoren und das Leitungsnetz waren nicht beschädigt! Helles Licht erstrahlte in der Kabine.

Ein Blick auf das Funkgerät genügte, um zu wissen, was mit ihm geschehen war. Empfänger und Sender, die in ein und demselben Gehäuse steckten, hatten sich in eine formlose Masse ausgeglühten und teilweise geschmolzenen Metalls verwandelt.

Kein Zweifel — in die Antenne, die sie einzuziehen vergaßen, hatte der Blitz eingeschlagen.

Eine unverzeihliche Fahrlässigkeit! dachte Belopolski. — Ein Wunder, daß wir überhaupt noch leben!

Im selben Augenblick wurde ihm klar, daß er das vorläufig nur von sich sagen konnte; sein Begleiter lag regungslos am Boden und gab kein Lebenszeichen von sich.

Balandin hatte näher am Funkgerät gesessen und war deswegen vielleicht stärker getroffen worden. Rasch, aber vorsichtig drehte Belopolski den Professor auf den Rücken.

Das Gesicht totenbleich, die Augen eingefallen, die Lippen blau angelaufen — war er etwa tot? …

Funken konnte Belopolski nicht mehr. Er hatte keine Möglichkeit, mit dem Raumschiff zu sprechen und den Rat des Arztes zu erbitten. Ein Sprechfunkgerät hatte er nicht mitgenommen.

Belopolski tat das erste beste, das ihm in den Sinn kam. Er knöpfte Balandins Kragen auf, schob dem Genossen den Schlauch des Sauerstoffbehälters zwischen die Lippen und drehte den Hahn weit auf. Dann holte er eine Flasche aus dem Sanitätskasten und flößte Balandin etwas Alkohol ein.

Diese einfache Maßnahme wurde von Erfolg gekrönt. Die bläuliche Färbung der Lippen verlor sich, und es röteten sich die Wangen des Ohnmächtigen, weil das Blut wieder in Bewegung kam. Nach bangen Minuten schlug er die Augen auf und stöhnte.

„Haben Sie Schmerzen?“ „Der Kopf … und die Beine.“ Belopolski warf einen Blick auf die Beine des Professors und erschauerte. Bis zu den Knien war die Hose der Kombination völlig verbrannt. Man erkannte die versengten Unterschenkel, die über und über mit Brandblasen bedeckt waren.

Belopolski gab sich Mühe, sein Entsetzen zu verbergen, und sagte so ruhig wie möglich: „Ich werde Sie sogleich verbinden.

Eine schwere Verbrennung.“ Er wußte, wie man sich in derartigen Fällen zu verhalten hatte. Alle Besatzungsmitglieder konnten Erste Hilfe leisten, ein Sanitätskasten lag hinten im Wagen.

Schnell schnitt er die zerfetzten Hosenbeine von der Kombination des Professors ab und legte ihm einen Pikrinverband an; dann half er dem Genossen in den Sitz.

„Die Schmerzen sind sehr stark“, sagte Balandin. „Aber das macht nichts. Im Raumschiff bringen sie mich schnell wieder auf die Beine.“ Belopolski nahm seinen Platz ein.

„Es konnte schlimmer kommen“, sagte er düster. „Wir sind nur durch ein Wunder am Leben geblieben.“ „Es war meine Schuld.“ Der Professor hatte schon das verbrannte Funkgerät gesehen. „Ich hätte an die Antenne denken müssen.“ „Jetzt ist es zu spät, Vorwürfe zu machen. Wir müssen schleunigst aus dem Wald heraus.“ Belopolski sah auf die Uhr und stellte staunend fest, daß sie höchstens eine Viertelstunde bewußtlos gewesen waren. Er hatte sich gemerkt, wann die Bäume anfingen zu leuchten.

Er knipste die Innenbeleuchtung aus und schaltete in der Annahme, die Schneise würde unter Wasser stehen, die Scheinwerfer ein. Aber die Schneise war ebenso trocken wie vor dem Gewitter.

„Merkwürdig!“ sagte er. „Nimmt der Boden das Wasser so schnell auf? Es hat doch erst vor höchstens fünf Minuten aufgehört zu regnen …“ „Vielleicht hat es noch gar nicht angefangen?“ „Aber warum hört man dann keinen Donner und sieht keine Blitze, und warum leuchten die Bäume nicht mehr? Nein, das Gewitter ist abgezogen. Klarer Fall. Und es war ein sehr kurzes Gewitter.“ „Wenn ich mich recht entsinne, hatte Boris Nikolajewitsch uns eine mächtige Gewitterfront angekündigt.“ „Ja, aber ich weiß genau, wie spät es war.“ Balandin zog die Stirn kraus, weil seine Beine heftig schmerzten, und zuckte mit den Schultern. „Die Rätsel nehmen kein Ende“, sagte er. „Eins jagt das andere.“ Belopolski startete den Motor. Wie immer arbeitete er geräuscharm und ohne zu stottern. Nur an den Geräten konnte man ablesen, daß der mächtige Motor lief; im Innern des Wagens spürte man nicht das geringste Zittern.

Das Gebüsch, das den Weg von beiden Seiten bedrängte, machte auf den ersten Blick einen zerbrechlichen Eindruck. Niemand wäre auf den Gedanken gekommen, daß es stählernen Raupenketten ernsthaften Widerstand leisten könnte. Aber es zeigte sich ein weiteres Mal, wie unklug es ist, die Natur eines anderen Planeten mit irdischen Maßstäben zu messen. Die zerbrechlichen Gewächse waren, wie sich herausstellte, unüberwindlich. Sie krümmten sich zwar unter dem Druck des Geländewagens zusammen, ließen ihn aber keinen Schritt vorwärts kommen. Seine Ketten drehten sich auf der Stelle.

Endlich sah Belopolski ein, daß er den Versuch, hier zu wenden, aufgeben mußte. Es gab nur eins: an den See fahren, der nicht weit sein konnte, und dort am Ufer wenden. Im Rückwärtsgang auf der schmalen gewundenen Schneise zu fahren hätte viel Zeit gekostet. Höchste Eile tat aber not — Balandin mußte so schnell wie möglich an Bord gebracht werden.

„Es bleibt uns nichts anderes übrig, als weiterzufahren …“ „Machen Sie sich meinetwegen keine Sorgen“, sagte Balandin.

„Die Schmerzen sind auszuhalten. Wir führen unsere Exkursion bis zu Ende durch.“ „Leider geht es wirklich nicht anders.“ Das Kettenfahrzeug fuhr weiter. Der Weg wand sich wie zuvor, bald nach rechts, bald nach links. Sie konnten nur im Schneckentempo fahren.

„Ich kann mir nicht vorstellen“, sagte Balandin plötzlich, „wie die Venusmenschen hier die langen Stämme befördern. Möglicherweise werden sie diese senkrecht tragen.“ „Das könnte auch sein.“ „An Bord werden die Genossen nicht wissen, was sie von unserem Schweigen halten sollen. Boris Nikolajewitsch wird sicherlich den anderen Geländewagen ausschicken, um unseren Spuren zu folgen.“ „Außer unserem Wagen kommt kein anderer durch die Schneise“, entgegnete Belopolski. „Sie ist zu schmal.“ Plötzlich glitzerte dicht vor ihnen Wasser. Noch eine kleine Kurve — und der Wagen hatte den Waldrand erreicht. Vor ihnen breitete sich der spiegelglatte Waldsee, das Ziel ihrer Fahrt Das mit dichtem gelbem Gras bewachsene Ufer war an dieser Stelle nicht breiter als dreißig Meter. Nach Osten trat der Wald bedeutend weiter vom Wasser zurück. Ganz nah vor sich erblickten die beiden Männer die rätselhaften Holzstapel. Es waren vier, gleich breit und gleich hoch angelegt, stumme Zeugen dafür, daß ihre Besitzer sich auf lineare Maßeinteilung verstanden. Es war unmöglich, derart viele Baumstämme zufällig so präzise zu stapeln.

So eilig Belopolski es auch hatte — er stoppte unwillkürlich.

Ganz in der Nähe mußten sich die vernunftbegabten Bewohner dieses Planeten aufhalten. Von hier aus zogen sie bei Nacht zum Fluß, um zu unbekanntem Zweck die nächste Ladung Baumstämme zu holen.

Das ist gar kein See. Richtiger gesagt — nicht das, was wir sonst darunter verstehen! hatte Belopolski vor wenigen Stunden zu seinen Genossen gesprochen.

Nun war er mehr denn je von der Richtigkeit dieser Ansicht überzeugt. Dies war kein See. Es war eine Stadt, in der eine große Gruppe der Venusbewohner sich angesiedelt hatte. Die Geschöpfe, deren heimatliches Element das Wasser war, hatten gerade solch ein stehendes Gewässer bevorzugt, weil hierher keine Raubtiere aus dem Ozean dringen konnten. Auf dem riesigen Festland des Planeten gab es zweifellos Hunderte, vielleicht auch Tausende solcher Seestädte. Wer weiß, vielleicht bildeten sie alle gemeinsam einen Staat mit eigenen Gesetzen, eigenen Sitten und einem eigenen Lebensstil, die sich von denen der Erde unterschieden.

Minutenlang musterten die Kosmonauten schweigend den See, gleichsam in der Erwartung, daß plötzlich einer seiner Bewohner an Land stiege.

„Wir fahren zurück!“ sagte Belopolski energisch.

Jedoch, ganz im Banne gespannter Erwartung und ins Schauen vertieft, hatten sie völlig den heimtückischen Charakter des Planeten vergessen, auf dem sie sich befanden. Gerade wollte Belopolski die Hände auf die Steuerhebel legen, als dichte Nebel plötzlich das matte Abendlicht in die undurchdringliche Finsternis der Nacht verwandelte. Eine unbemerkt herangezogene Regenwand schüttete ihre Wassermassen auf das blinkende Fahrzeug der Eindringlinge.

Der Geländewagen stand unmittelbar am Waldrand, und ehe die beiden es sich versahen, ergoß sich von den Baumkronen ein mächtiger Wasserfall auf sie hernieder. Die Männer errieten bloß, was geschah, weil das rasende Getöse des herabstürzenden Wassers das wilde Rauschen des Regens und die Donnerschläge übertönte.

Der Geländewagen war aus Plaststoffen hergestellt, die die Festigkeit von Stahl besaßen. Aber Belopolski wollte den Wagen nicht unnütz gefährden, startete den Motor und fuhr vom Waldrand weg an den See heran.

Im Scheinwerferlicht erkannten die beiden, daß sich das Ufer in eine brodelnde Flut verwandelt hatte, in der die RaupenLetten ihres Fahrzeugs versanken.

„Ein Wunder, daß der Regen die Stapel nicht in den See spult“, sagte Balandin.

„Sie sind wahrscheinlich gut abgestützt.“ Die Astronauten hatten so oft auf der Venus Gewitter erlebt, daß sie am Charakter des Regens deren Stärke erkannten. Sie wußten sogleich, daß dieses zu den schwächeren, aber ausgedehnten gehörte, die gewöhnlich eine halbe Stunde, eine ganze Stunde oder auch länger dauerten.

Unmittelbar drohte ihnen keine Gefahr, doch Belopolski geriet ernstlich in Sorge. Eine halbe Stunde warten — das konnte für seinen Begleiter, der dringend ärztlicher Hilfe bedurfte, schwere Folgen haben. Der Professor ertrug die Schmerzen mit Haltung und jammerte nicht, aber Konstantin Jewgenjewitsch sah, wieviel Kraft ihn das kostete.

Belopolski drehte die Scheinwerfer nach hinten. Aber er erblickte bereits wenige Schritte hinter dem Wagen nichts als einen einzigen gigantischen Wasserfall. Hinter dieser tosenden Wand lag der schmale Zugang zu dem Waldweg. Es war aussichtslos, ihn in diesem Chaos aus Wasser und Finsternis zu suchen.

Zehn lange Minuten blieb die Lage unverändert. Der ohrenbetäubende Lärm, das Rauschen des Wasserfalls und des Regens, die in der Nahe grellen, jenseits der Wasserwand aber trüben Blitze — all das hatten sie schon viele Male gesehen, und es nötigte ihnen keine besondere Achtung mehr ab. Sie warteten ungeduldig auf das Ende und waren überzeugt, das Gewitter werde ebenso überraschend abziehen, wie es sie überfallen hatte. So war es bisher immer gewesen, an ein solches Finale waren sie gewöhnt, und so würde es auch diesmal kommen.

Die Venus hatte es sich aber anscheinend in den Kopf gesetzt, ihnen eine neue Überraschung zu bereiten, ihnen ein übriges Mal zu beweisen, daß sie vieles zu bieten hatte, was den Menschen der Erde noch nie begegnet war.

Belopolski und Balandin beobachteten staunend, daß der Regen diesmal abflaute — im allgemeinen endete er plötzlich.

Sie erlebten ein Gewitter ganz anderer Art. Es jagte nicht ungestüm über sie hinweg, sondern hielt sich lange, wurde aber immer schwächer. Seltener und leiser polterte der Donner, seltener und matter zuckten die Blitze. Die Finsternis wich einem trüben Dämmerschein. Unvermittelt lief das Wasser vom Ufer ab und befreite das Seegras. Minuten vergingen, und die Männer stellten verdutzt fest, daß sie nichts weiter als einen ganz gewöhnlichen Wolkenbruch erlebt hatten, wie sie ihn von der Erde her kannten. Eine Zauberkraft schien sie blitzschnell von der Venus in die Heimat versetzt zu haben.

Es wurde so hell, daß sie das Ufer des Sees, auf dessen Oberfläche in dichter Folge winzige Fontänen emporschossen, überschauen konnten.

„Genießen Sie das Erlebnis in vollen Zügen!“ sagte Belopolski. „Die Überraschungen nehmen kein Ende.“ „Ich hätte nie gedacht, daß wir auf der Venus einen gewöhnlichen Regen erleben würden.“ „Wenn das Gewitter auch vorüber ist, bedeutet das für uns noch keine Erleichterung.“ Belopolski wies nach hinten auf den Wald.

Der Wasserfall, der von den Wipfeln herabstürzte, hörte nicht auf. Er war bloß nicht mehr so ungestüm und stürmisch.

Zwischen dem Geländewagen und dem Wald hing ein durchsichtiger Wasservorhang, durch den verschwommen Bäume und Sträucher zu erkennen waren. So dünn diese Sperre indes auch sein mochte, der schmale Zugang zu dem Waldweg blieb dennoch unsichtbar.

„Wir müssen versuchen, ihn zu finden“, sagte Belopolski.

„Dieser Regen kann Stunden dauern.“ Energisch ergriff er die Steuerhebel. Er langte nach dem Starterknopf und — erstarrte, die Augen betroffen auf den dunstverhangenen See gerichtet.

Augenblicklich vergaß auch Balandin seine quälenden Schmerzen im Bein und beugte sich mit dem ganzen Oberkörper weit vor — dicht am Ufer bewegte sich etwas Dunkles im Wasser, dann erhob es sich und kam heraus.

Durch das dichte Netz der Regenfäden sahen die Männer die verschwommene Silhouette eines riesenhaften formlosen Körpers. Er schien über drei Meter groß zu sein. Das gespenstische Halbdunkel machte es unmöglich, Genaueres zu erkennen.

Der Professor wollte schon die Hand ausstrecken, um den Scheinwerfer einzuschalten, aber Belopolski hielt seine Hand fest.

„Das erübrigt sich!“ flüsterte er. „Erschrecken Sie ihn nicht!

Das sind sie!“ Atemlos vor Erregung sahen die Astronauten, wie dem ersten Venusbewohner ein zweiter folgte. Dann stiegen nacheinander noch drei weitere aus dem Wasser.

Fünf nebelhafte Gestalten trotteten auf das Fahrzeug zu.

„Sie sehen uns“, stieß Balandin mit erstickter Stimme hervor.

„Natürlich sehen sie uns“, gab Belopolski sonderbar ruhig zur Antwort.

Drei Schritte trennten die Venusbewohner von den Menschen.

Nun waren deutlich die dicken Beine, der mächtige ellipsoide Leib und der dreieckige Kopf des ersten dieser Geschöpfe zu erkennen. Die übrigen vier gingen um den Wagen herum, sie wollten ihn offenbar von allen Seiten umstellen.

Was dachten sie von diesem Fahrzeug? Wofür hielten sie es?

Die langsamen Bewegungen der Kolosse wirkten auf die beiden Menschen wie eine Drohung. Es gab nur noch eins: fliehen, nichts als fliehen!

Alles geschah in Sekundenschnelle.

Belopolski erwachte aus seiner Erstarrung und griff nach den Bedienungshebeln. Aber es war schon zu spät. Die Venusianer stürzten sich auf den Geländewagen.

Er wurde mit einem einzigen Ruck hochgehoben. In verhängnisvoller Weise bestätigte sich die Vermutung der Menschen, daß die Venusbewohner ungeheuer stark seien.

Mit einer verzweifelten Anstrengung langte Belopolski nach dem Starterknopf und schaltete den Motor ein.

Die Raupenketten zitterten, rührten sich aber nicht von der Stelle.

Was bremste sie? Waren die Venusianer etwa stärker als der Motor?

Auf ihren Händen trugen die fünf rätselhaften Wesen die anderthalb Tonnen schwere Maschine schnell zum See.

„Leben Sie wohl, Sinowi Serapionowitsch“, flüsterte Belopolski.

„Leben Sie wohl!“ raunte der Professor. „Das ist das Ende…“ Eine Minute zu spät Andrejew, Knjasew und Wtorow erfuhren erst über Funk von den Genossen im Raumschiff, daß ein Gewitter tobte. Sie hörten es zwar donnern, aber auf die Schneise, die ihr Geländewagen befuhr, fiel nicht ein Tropfen Regen.

Wie Toporkow berichtete, war das Gewitter ganz überraschend aufgezogen. Das Barometer hatte es vorher nicht angekündigt. Mehr noch — die Funkverbindung wurde diesmal nicht unterbrochen. Regen deckte zwar Wald und Schiff zu, aber man konnte mit dem Geländewagen sprechen wie bei klarem Wetter.

Das hatten sie auf der Venus noch nie erlebt. Der Planet schien absichtlich seinen Gästen zwei für sie neue Arten von Gewitter vorzuführen: erst ein außerordentlich stark mit Elektrizität geladenes und nun eines von genau entgegengesetzter Art.

„Ich weiß nicht, was ich davon halten soll“, sagte Igor Dmitrijewitsch.

„Tragen Sie dieses Rätsel unter Nummer achtzehn ein“, gebot Wtorow in spöttischem Ton.

„Was heißt denn hier achtzehn?“ Toporkow seufzte tief. „Das nimmt und nimmt kein Ende!“ Die von Balandin und Belopolski beobachteten Lichteffekte fehlten bei diesem Gewitter. Die drei Männer wunderten sich natürlich nicht darüber, sie wußten und ahnten ja nicht einmal etwas von dieser Erscheinung. Sie wunderten sich über etwas anderes. Ihnen war mitgeteilt worden, daß über ihnen ein Gewitter tobe, das dann in einen gewöhnlichen Regen überging, aber im Wald blieb es nach wie vor völlig trocken. Auch die Besatzungsmitglieder, die an Bord geblieben waren, teilten die Verständnislosigkeit.

„Ist das Laub etwa so dicht, daß es solch einen starken Regen abzufangen vermag?“ fragte Korzewski nachdenklich. „Das dürfte doch wohl kaum stimmen!“ „Aber es ist eine Tatsache“, entgegnete ihm Wtorow. „Der Weg ist knochentrocken, und kein einziger Regentropfen fällt darauf.“ „Abermals — ein Rätsel!“ Der Biologe stöhnte.

Im selben Augenblick sperrte plötzlich eine Wasserwand den Weg. Sie erschien so überraschend, daß Knjasew kaum noch den Motor abstellen und auf die Bremse treten konnte. Zwei, drei Sekunden später wären sie mit voller Geschwindigkeit in diese eigentümliche Sperre hineingerast, ohne zu wissen, was sie dahinter erwartete.

Im starken Licht der Scheinwerfer wirkte der rätselhafte Vorhang durchsichtig. Trotzdem war nicht zu erkennen, was sich hinter ihm befand. Endlich begriffen die Männer, daß das Wasser von oben, wie von einem glatten Dach, dem die Dachrinne fehlt, herabstürzte.

„Der Vorhang scheint sehr dünn zu sein“, bemerkte Wtorow.

„Ganz egal!“ sagte Andrejew. „Wir dürfen kein Risiko eingehen. Ich steige sofort aus und werde das Gelände erkunden.“ „Auf keinen Fall!“ erklärte Knjasew bestimmt. „Ich steige aus.“ „Oder ich!“ pflichtete ihm Wtorow bei.

Stepan Arkadjewitsch fuhr auf: „Ich bin der Leiter der Expedition.“ „Trotzdem werden nicht Sie gehen“, sagte der junge Mechaniker entschlossen wie zuvor. „Sie ebensowenig wie Wtorow.

Das fordert eine ganz einfache Rechnung. Wir eilen unseren Genossen zu Hilfe, die vielleicht ärztliche Hilfe brauchen. Sie sind hier der einzige Arzt, und Gennadi Andrejewitsch ist der einzige Kameramann, der überraschend auftauchende Motive filmen muß. Sie haben daher nicht das Recht, ihr Leben ohne zwingenden Grund aufs Spiel zu setzen. Ich werde aussteigen, kein anderer.“ Wahrend er das sagte, zog er hastig seinen Gummianzug an und setzte den Plastehelm auf, um anzudeuten, daß er nichts weiter hören wolle.

„Sascha hat recht!“ bestätigte Melnikow über den Sprechfunk.

Das Gerät war die ganze Zeit über eingeschaltet gewesen, und die Genossen an Bord hatten den Wortwechsel verfolgt.

„Also dann — meinetwegen!“ Andrejew gab nach.

Er und Wtorow setzten die Gasmasken auf, weil beim Öffnen der Tür zwangsläufig die Luft der Venus eindringen würde.

Knjasew stieg aus. Ohne zu zögern, ging er auf den Wasservorhang zu, trat unerschrocken in ihn hinein und entschwand tkn Blicken seiner Kameraden, die ihm besorgt nachsahen.

Sekundenlang war noch verschwommen der Umriß seiner Gestalt zu erkennen, die von den Scheinwerfern angestrahlt wurde.

Dann verschwand er…

Aber es war noch keine Minute vergangen, als Knjasew aus dem Vorhang buchstäblich wieder herausgeschossen kam. Mit einem Satz war er auf seinem Platz, schaltete die Motoren ein und riß den Regler bis zur Höchstgeschwindigkeit durch.

Der Geländewagen stürmte vorwärts, hatte, ehe die beiden anderen es sich recht versahen, die Wassersperre hinter sich gelassen und rollte geradewegs auf den See zu.

In voller Fahrt bog Knjasew scharf nach rechts ab. Die linke Raupenkette hob sich vom Boden, der Wagen legte sich bedenklich auf die Seite. Dann erfaßte der mächtige Lichtstrom der Scheinwerfer eine Szene, bei deren Anblick Andrejew und Wtorow vor Schreck für einen Augenblick das Herz stehenblieb.

Das elektrische Licht zitterte, brach sich in allen Farben an den Regenfäden, verwandelte sie in funkelnde Perlenketten.

Hinter diesem seltsam glitzernden Netz war ganz in der Nähe eine Gruppe erstarrt… Die Menschen der Neuzeit waren verdattert — plötzlich standen vor ihnen lebendig gewordene Ungeheuer der Vorzeit.

Im grellen Scheinwerferlicht verharrten fünf phantastische Gestalten, gewaltige „Schildkröten“, die sich auf die Hinterbeine erhoben hatten, mit grellroten Panzern und disproportional kleinen dreieckigen Köpfen, an denen wie gelbes Feuer je drei riesige kreisrunde Augen leuchteten. Die kahlen, faltigen Leiber glänzten blaßrosa, als wären sie aus Metall. Die dicken Beine schienen keine Zehen zu besitzen. Von oben bis unten waren sie gleich plump und mit fleischigen Hautfalten bedeckt.

Die Vorderbeine dienten ihnen offenbar als Arme. Sie waren ebenso dick und unförmig wie die Füße. An den Enden hatten sie vier Auswüchse, deren jeder so dick wie ein Menschenarm war. Zwischen diesen fingerähnlichen Greifern schimmerten dünne, durchsichtige Häute, was sie gigantischen Entenfüßen ähnlich machte.

Wtorow wußte sofort: Das sind die gleichen „Schildkröten“, die sie vom Unterseeboot aus beobachtet haben. Gerade nach ihnen hatten Balandin und Korzewski emsig gefahndet.

Doch nicht der Anblick dieser Ungeheuer erfüllte die Herzen der drei Tapferen mit Entsetzen. Sie hatten seit langem damit gerechnet, den Bewohnern der Venus Auge in Auge gegenüberzutreten, und nicht angenommen, daß ihre Körperformen denen des Menschen ähnelten. Sie wären beim Anblick selbst noch abscheulicherer und häßlicherer Geschöpfe nicht erschrocken. Aber das Blut erstarrte in ihren Adern, als sie erkannten, daß der große dunkle Gegenstand, den diese Vorzeitungeheuer in den Pranken hielten, nichts anderes als ihr Geländewagen war, an dessen Fenstern sie Belopolski und Balandin erkannten.

Die „Schildkröten“ stapften ins Wasser. An ihrer Absicht konnte nicht der geringste Zweifel bestehen. Sie wollten den Geländewagen mit auf den Grund des Sees nehmen.

Die drei Männer im zweiten Wagen begriffen, daß sie Augenzeugen vom letzten Akt eines Dramas waren, dessen Einzelheiten sie nicht kannten.

Das grelle Licht, das so unvermittelt die gewohnte Dunkelheit vertrieb, hatte die fünf Venusianer innehalten lassen. Einen Augenblick verharrten sie reglos, waren betroffen und vielleicht auch zu Tode erschrocken. Die erbarmungslosen Strahlen der Scheinwerfer mußten ihren auffallend großen, lichtempfindlichen Augen, weh tun.

Der zweite Geländewagen raste geradewegs auf sie zu. Knjasew wollte die ganze Gruppe samt der anderen Maschine anscheinend zermalmen.

All das geschah innerhalb von zwei, drei Sekunden.

Als der Wagen sich den Venusianern schon bis auf drei Schritte genähert hatte, stürmten diese auf einmal, ohne ihre Beute fallen zu lassen, ins Wasser und verschwanden in der Tiefe.

Außer sich vor Verzweiflung und seiner Sinne kaum noch mächtig, riß Knjasew den Bremshebel der linken Raupenkette an sich und — in voller Fahrt raste der Geländewagen aufs Wasser zu.

Zum Glück behielt Wtorow in diesem tragischen Augenblick einen klaren Kopf. Er schaltete blitzschnell beide Motoren aus, entriß Knjasew die Steuerungshebel und brachte das Fahrzeug zwei Meter vom Ufer entfernt zum Stehen. Die überragende Körperkraft des jungen Sportlers war die Rettung gewesen.

Das Raupenfahrzeug stand schon halb im Wasser. Das Ufer fiel hier sehr steil ab. Knjasew faßte sich, legte den Rückwärtsgang ein, und mühsam kletterte der Wagen wieder an Land.

Das Scheinwerferlicht tastete die spiegelglatte Oberfläche des Sees ab. Es hatte aufgehört zu regnen. Weder im Wasser noch an Land rührte sich etwas. Der schwere Wagen lastete wie ein Stein auf den drei Männern. Gleich einem flüchtigen Alptraum war das grausige Bild vom Untergang der beiden Kameraden an ihnen vorübergehuscht.

Langsam hob Wtorow die Hand und schaltete die Scheinwerfer aus.

Das war das Ende! Der Expeditionsleiter und sein Begleiter tödlich verunglückt!

Im Dunkel der Kabine brach Knjasew in Tränen aus. Mit weit aufgerissenen Augen starrten Andrejew und Wtorow immer noch dorthin, wo die widerlichen Reptilien Belopolskis Fahrzeug mit sich in die Tiefe genommen hatten.

Hier also war es dem berühmten Astronauten, dem nach Kamow zweiten „Sternenkapitän“ der Erde, beschieden, sein Leben auszuhauchen… Hier also hatte der berühmte Wissenschaftler Balandin den Tod gefunden!

Das furchtbare Ende war so überraschend gekommen, daß sie lange Zeit weder etwas Sinnvolles zu sagen noch zu tun vermochten. Eine Minute nach der anderen verging, aber die drei Männer rührten sich nicht. Sie waren verzweifelt — die Katastrophe ließ sich nicht wiedergutmachen.

Da leuchtete am Funkgerät das rote Anrufsignal auf.

„Wie steht es bei euch?“ fragte Melnikow ruhig. „Wo seid ihr? Warum laßt ihr so lange nichts von euch hören?“ Sollte man es ihm sagen? Es ging wohl nicht anders. Aber wer sollte dem Schiff die Unglücksbotschaft übermitteln?

Die drei Männer schwiegen.

„Antwortet!“ rief Melnikow, und seine Stimme verriet, daß er unruhig wurde. „Geländewagen! Geländewagen! Antworten!“ Wtorow überwand sich und antwortete: „Ich höre! Wir stehen am Ufer des Sees. Soeben haben …“ Sekundenlanges Schweigen.

„Was ist geschehen? So antwortet doch!“ „Soeben haben jene Schildkröten vor unseren Augen Belopolski und Balandin in ihrem Geländewagen in den See getragen.

Ende!“ Atemlose Stille.

Im Raumschiff am Fluß und im Raupenfahrzeug am See fiel kein Wort. Auch in der Atmosphäre herrschte völlige Stille, als fühlte die Venus mit den trauernden Menschen. Kein ferner Donner grollte, kein Baum rauschte im Wind mit seinem Wipfel. Versteint lag der See, kein Grashalm raschelte.

Oder bildeten sich die Menschen das nur ein?

„Bleibt dort am See! Falls ein Gewitter kommt, zieht euch zum Waldrand zurück. In einer halben Stunde ist der Amphibienwagen bei euch.“ Wer hatte das gesagt? Melnikow? Sie hatten seine Stimme nicht wiedererkannt.

Der Amphibienwagen! Ja, an Bord des Raumschiffes befand sich ein Schwimmfahrzeug. Aber was könnte es helfen?

Und wer würde fahren? Melnikow natürlich nicht. Der war nun der einzige Kommandant des Schiffes. Er durfte bis zum Schluß, bis zur Landung auf der Erde, nicht mehr von Bord gehen. Und weder Paitschadse noch Saizew oder Toporkow durften das Schiff verlassen; denn ohne sie konnte es die Rückreise nicht antreten. Also kamen nur noch Korzewski und Romanow in Frage.

Die Zeit schien stillzustehen. Die Männer merkten gar nicht, daß zwanzig Minuten vergangen waren.

„Der Schwimmwagen ist zu euch unterwegs“, meldete Toporkow. „Boris Nikolajewitsch hat angeordnet, daß Knjasew und Korzewski die Erkundung durchführen. Seid so vorsichtig wie möglich!“ „Wo ist Boris Nikolajewitsch?“ fragte Wtorow.

„Er kommt gleich zurück. Braucht ihr ihn?“ „Nein, ich meine bloß so.“ „Worum handelt es sich?“ fragte Melnikow. Er war anscheinend gerade in die Funkkabine zurückgekehrt. „Was wollen Sie, Gennadi Andrejewitsch?“ „Nichts weiter. Entschuldigen Sie, Boris Nikolajewitsch!“ „Wollen Sie an der Erkundung teilnehmen?“ „Ich dachte …“ „Sie haben richtig gedacht.“ Melnikow sprach anders als sonst, er betonte jeden Buchstaben. „Es gibt keinen Grund, der uns dazu bestimmen dürfte, unsere Arbeit auf der Venus zu unterbrechen. Haben Sie die Kamera bei sich?“ „Ja.“ „Ich erlaube Ihnen, Korzewski zu ersetzen.“ Aus dem Wald schoß ein langer Scheinwerferstrahl, der zusehends heller wurde. Der Amphibienwagen, obwohl selber noch nicht zu sehen, näherte sich rasch dem See.

Plötzlich erscholl abermals Toporkows Stimme.

„Stanislaw Kasimirowitsch, halten Sie an!“ sagte er. „Fahren Sie unter die Bäume! Ein Gewitter zieht auf.“ „Schon — wieder!“ „Wann wird das endlich aufhören?“ fragte Knjasew wütend.

„Wenn wir die Venus verlassen.“ Es donnerte, von den Baumkronen stürzte der mächtige Wasserfall herab, und das Ufer verwandelte sich wieder in einen schäumenden Strom. Aber die Lichteffekte blieben diesmal «us.

Außer Belopolski und Balandin kannte also noch keiner die rätselhafte Erscheinung.

Endlich zogen die Gewitterfronten ab, und die Funkverbindung lebte wieder auf.

„Die Erkundungsaufgabe lautet“, begann Melnikow im selben Augenblick, „den Geländewagen auf dem Grund des Sees suchen, feststellen, in welcher Tiefe er sich befindet und ob eine Möglichkeit besteht, ihn an Land zu ziehen. Schnell, aber äußerst vorsichtig handeln. Die Kabine des Geländewagens ist hermetisch geschlossen, und wenn die,Schildkröten‘ sie nicht eingedrückt haben, leben Belopolski und Balandin noch. Das Raumschiff kann jederzeit starten und zum See fliegen. Beeilt euch, Genossen!“ Wie hatten sie nur vergessen können, daß das Wasser in den Geländewagen nicht eindringen würde? Sie hatten ihre Genossen schon für tot gehalten, aber in Wirklichkeit durften sie ja noch hoffen. Allein Melnikow war besonnen geblieben und hatte sich den Blick für die Tatsachen nicht trüben lassen.

Die Hoffnung gab ihnen neue Kraft. Die Wagen fuhren aus dem Wald bis dicht ans Wasser. Knjasew und Wtorow lösten Romanow und Korzewski im Schwimmwagen ab.

Der Schwimmwagen war wie das Unterseeboot ganz aus durchsichtiger Plaste gebaut. Sogar die Raupenketten bestanden aus dem gleichen Material. Für zwei Personen berechnet, leicht und beweglich, konnte dieser Wagen fahren, schwimmen und mit Hilfe von ausfahrbaren Flossen, die den Tragflächen eines Segelflugzeuges ähnelten, unter Wasser tauchen. Die erreichbare Tauchtiefe betrug zwar nur sieben, acht Meter, aber die Astronauten vermuteten, daß auch die „Schildkröten“ nicht tiefer unter der Wasseroberfläche leben könnten.

Die Amphibien der Erde suchen nie größere Tiefen auf, weil der Wasserdruck mit jedem Meter zunimmt. Andererseits können Tiefseeorganismen nicht an der Oberfläche leben, weil sie dort platzen würden. Warum sollte es auf der Venus anders sein? Da die Venusianer aufs Trockene kamen, konnten sie keinesfalls Bewohner der Tiefen sein.

Die Schildkröten der Erde können schwimmen. Besaßen ihre riesigen Verwandten auf der Venus die gleiche Fähigkeit? Die Beantwortung dieser Frage war von ungeheurer Bedeutung.

Konnten sie nur laufen, drohte dem Amphibienfahrzeug keine Gefahr. Andernfalls aber konnte es ihm ebenso wie Belopolskis Geländewagen ergehen. Dann wären statt zwei sogar vier Opfer zu beklagen.

„Ich habe mich mit Boris Nikolajewitsch darüber beraten“, sagte Korzewski, „und wir sind zu dem Schluß gelangt, daß der Schwimmwagen den Reptilien entgehen kann, falls sie ihn im Wasser angreifen. Auf keinen Fall werden sie schneller schwimmen als er.“ „Seid so vorsichtig wie möglich“, legte Melnikow dem jungen Knjasew zum Schluß noch einmal ans Herz. „Bei der geringsten Gefahr sofort an Land kommen!“ Vom Raumschiff waren mit Sprengpatronen geladene SchnellIcuergewehre mitgebracht worden. Korzewski und Romanow stiegen aus, um nötigenfalls mit ihrer Hilfe einen Angriff auf das Amphibienfahrzeug abzuwehren. Wenn kein Gewitter aufzöge, würden sie so lange am Wasser Wache halten, bis Knjasew und Wtorow wieder in Sicherheit waren. Was geschehen sollte, lails doch ein Gewitter käme, wagte keiner sich auszumalen.

Andrejew blieb im Geländewagen. Er war für die Funkverbindung mit Knjasew und dem Raumschiff verantwortlich und sollte außerdem, wenn Reptilien an Land kämen, diese mit Scheinwerferlicht empfangen.

„Meiner Meinung nach ist Licht die beste Waffe gegen sie“, iagte Korzewski. „Man darf nicht vergessen, daß ihre Augen an Dunkelheit gewöhnt sind.“ Ohne zu zögern, ließ Knjasew den Motor an. Plätschernd fuhr das Amphibienfahrzeug ins Wasser. Die am Ufer Zurückbleibenden sahen, wie die Unterwasserflächen ausgefahren wurden, sich neigten und das Fahrzeug unter Wasser drückten. Das Kielwasser hinterließ auf der glatten Oberfläche des Sees eine schäumende Spur. Einen Augenblick war in dem trüben Halbdunkel unter Wasser noch das Plastedach zu erkennen, dann verschwand es. In der Tiefe flammte Licht auf, Knjasew hatte den Scheinwerfer eingeschaltet. Der helle Fleck entfernte sich langsam vom Ufer.

Qualvoll zogen sich die Minuten in die Länge. Jeden Augenblick erwarteten die drei Männer, daß der Schwimmwagen wiederauftauchen und, von gigantischen „Schildkröten“ verfolgt, in voller Fahrt an Land flüchten würde. Ob das Feuer ihrer Gewehre die Venusianer aufhalten würde? Konnten irdische Geschosse den Riesenleibern etwas anhaben? Würde das Scheinwerferlicht sie erschrecken?

Ohne den See aus den Augen zu lassen, beobachteten die drei Männer den hellen Fleck in der Tiefe. Er entfernte sich langsam und verblaßte. Dann verschwand er vollends. Offenbar war der Amphibienwagen noch tiefer getaucht.

Im Raumschiff verfolgten Melnikow und Toporkow in der Funkkabine unablässig das Ionometer. Bang dachten sie an die Möglichkeit eines Gewitters, und jeder flehte im stillen den Himmel der Venus um Mitleid an.

Ein langes Gewitter war das Schrecklichste, was ihnen widerfahren konnte. Die herniederprasselnden Wassermassen würden das Amphibienfahrzeug im See festhalten und den Venusianern ausliefern. Eine Gewitterfront wie jene, an der das Flugzeug gescheitert war, würde den Tod bedeuten.

Der Minutenzeiger schien sich in den Stundenzeiger verwandelt zu haben und kroch unerträglich langsam über das Zifferblatt.

Neunzig Minuten war Knjasews Fahrzeug schon unter Wasser.

Da geschah, was auf der Venus nicht ausbleiben konnte. Der zierliche Zeiger des Ionometers erzitterte.

„Schwimmwagen! Schwimmwagen!“ „Ich höre“, antwortete Wtorow.

„Ein Gewitter zieht auf! Sofort ans Ufer! So schnell wie möglich!“ „Wir kommen!“ Ob sie es schafften? Der Zeiger des Barometers schien rasch zu steigen …

Als Korzewski und Romanow hörten, daß ein Gewitter nahte, zogen sie sich vom Wasser zurück und blieben in der Nähe des Geländewagens. Sie waren entschlossen, bis zuletzt auf ihrem Posten zu bleiben und nicht einzusteigen.

Vom Raumschiff aus wurde pausenlos angefragt, ob der Amphibienwagen schon aufgetaucht sei. Wtorow meldete, daß sie mit äußerster Kraft führen. Die „Schildkröten“ verfolgten sie nicht.

„Auf dem Grund des Sees halten sich sehr viele von ihnen auf“, sagte er.

Bald darauf brach die Funkverbindung ab. Also war das Gewitter schon ganz nahe.

Der Amphibienwagen war noch nicht aufgetaucht.

Hinter dem Wald zuckte der erste Blitz auf. Der erste Donnerschlag krachte, „Steigt sofort ein!“ sagte Andrejew.

„Einen Augenblick noch!“ antwortete Romanow, ohne den See aus den Augen zu lassen.

Da leuchtete in der Ferne, fast am gegenüberliegenden Ufer, ein Fleck auf, der rasch heller wurde. Ein Scheinwerferstrahl schoß aus dem Wasser.

Die Männer an Land erkannten das weiß schäumende Kielwasser, das mit hoher Geschwindigkeit näher kam.

Schneller! Noch ein paar Sekunden …

Die Wucht der herabstürzenden Wassermassen warf Romanow zu Boden. Korzewski konnte gerade noch in die offene Tür tics Geländewagens springen.

Dichter Nebel hüllte das Ufer ein.