121906.fb2 Das Erbe der Phaetonen - читать онлайн бесплатно полную версию книги . Страница 22

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Die Herren des Planeten

Zum Wesentlichsten im Leben eines jeden Geschöpfes gehört die Nahrungsaufnahme. Die ersten Vorstellungen des noch kaum entwickelten Hirns sind unlöslich mit ihr verbunden. Und von den unteren bis zu den oberen Stufen der Evolution ordnet sich alles, was da kreucht und fleucht, diesem unerschütterlichen Gesetz der Natur unter.

Alle vernunftbegabten Wesen sorgen unabhängig von ihrem Entwicklungsgrad für Nahrung, und zwar nicht nur für sich, sondern auch für andere Geschöpfe, mit denen sie verbunden sind. Vögel und wilde Tiere beschaffen Futter für die ganze Familie. Das gleiche tun die Menschen. Ein Raubtier überläßt seine Beute einem anderen, wenn es nicht kämpfen will. Das gilt als Zeichen von Friedfertigkeit. Wilde Völkerschaften bieten dem Feind zum Zeichen des Friedens Lebensmittel an, die sie erarbeitet haben.

Bei orientalischen Völkern hat sich die Sitte bewahrt, im Hause eines Feindes nichts zu essen. Die Nahrung mit einem Feind zu teilen, heißt sich mit ihm versöhnen. Einem Menschen etwas zu essen anbieten, heißt ihm Sympathie beweisen.

Das Gesetz der Nahrungsaufnahme diktiert Sitten und Gebräuche. So war es, so ist es und wird es bleiben, weil die Nahrung eine Lebensgrundlage und oberstes Gesetz der Natur für die Lebewesen ist. Und man darf annehmen, daß dieses Gesetz nicht nur auf der Erde gilt. Es herrscht gebieterisch überall, wo es Lebewesen gibt, die zumindest primitiver Überlegung fähig sind, die heranwachsen und sich vermehren.

Gleichartige Vorstellungen von einem Gegenstand müssen unausweichlich auch gleichartige Begriffe über dessen Rolle in diesem oder jenem Falle hervorbringen.

Was Wunder also, daß die Venusianer genauso handelten, wie Menschen der Erde es an ihrer Stelle getan hätten. Nur die von Menschen gemachten Gesetze verändern sich und können unterschiedlich sein, die Gesetze der Natur sind überall gleich.

Die Bewohner der Venus wollten, als sie ihr „Brot“ zum Raumschiff brachten, den Fremden sagen, daß sie Frieden anböten.

Ihre Handlungsweise ließ sich gar nicht anders auslegen.

In diesem Sinne äußerte sich der Biologe Korzewski, als sich nach gründlicher Analyse herausstellte, daß die acht Fladen der Reptilien ein Fischgericht darstellten.

Niemand zweifelte, daß dies tatsächlich die Bedeutung des überraschenden Geschenks war. Es war ein Friedenszeichen.

Was dachten die Venusianer über das Raumschiff? Wofür hielten sie es?

„Da sie weder Sonne noch Sterne je gesehen haben, können sie nichts von der Existenz anderer Welten wissen“, sagte Paitschadse. „Sie halten uns für Bewohner ihres eigenen Planeten, die sie bislang nicht gekannt haben.“ Das war durchaus möglich. Auch die Eingeborenen abgelegener Inseln der Erde empfingen einst die ersten Schiffe der Europäer mit Früchten und selbstgefertigten Gegenständen.

Aber warum hatten die Venusianer neben ihr „Brot“ Belopolskis Uhr gelegt? Was bedeutete diese schreckliche Erinnerung an einen Menschen, den sie umgebracht hatten? Die Uhr stand.

Alle Expeditionsmitglieder wußten, daß Konstantin Jewgenjewitsch nie vergaß, sie aufzuziehen. Was bedeutete die Uhr?

Eine Warnung oder ein Zeichen der Reue?

Paitschadse sprach einen Gedanken aus, der allen zugleich kam.

„Sie haben Konstantin Jewgenjewitsch die Uhr abgenommen“, sagte er, „und hierhergebracht, um uns so mitzuteilen, daß die Leichname unserer Genossen bei ihnen liegen. Warum sie allerdings nicht die Leichname mitgebracht haben, weiß ich nicht.

Sie bieten uns an, sie zu holen. Die Fischfladen beweisen, daß sie Frieden wollen und unsere Fahrzeuge nicht mehr angreifen werden. Ich glaube, wir sind verpflichtet, sie ein zweites Mal zu besuchen. Natürlich am Seeufer. Wenn sie herauskommen und uns einladen, können wir ihnen mit dem Schwimmwagen folgen.“ Eine Weile blieb es still in der Messe, in der das Gespräch stattfand. Niemand wagte seine Meinung über eine so verantwortungsvolle Sache zu sagen, ehe sich Melnikow geäußert hatte.

Aber dieser schwieg. Er schien ganz in Gedanken versunken.

„Ich schließe mich Arseni Georgijewitsch an“, sagte Toporkow endlich. „Es ist nicht die Art sowjetischer Wissenschaftler, sich vor Gefahren zu fürchten.“ „Es geht nicht um die Gefahren“, sagte Melnikow und wurde wieder nachdenklich. „Warum sind es acht Fladen?“ fragte er auf einmal. „Kann man das als reinen Zufall betrachten?“ Alle in der Messe sahen sich an. Wahrhaftig! Niemand war aufgefallen, daß die Venusianer genausoviel Fladen geschickt hatten, wie Männer an Bord waren. Für jeden einen!

„Woher können sie das erfahren haben?“ fragte Korzewski unsicher.

„Das ist es ja — woher?“ Melnikow sah die Genossen mit blitzenden Augen an. „Sie haben es erfahren können von…“ Er beendete den Satz nicht, aber alle wußten, was er meinte.

Das rätselhafte Auftauchen der goldenen Uhr, die Belopolski, wie alle wußten, nie liegenließ, konnte etwas ganz anderes bedeuten als das, was sie zunächst gedacht hatten. Er selber hatte sie den Venusianern gegeben. Das konnte heißen: „Zu Hilfe!“ Lebten Belopolski und Balandin etwa noch?

„Auf, zum See!“ rief Paitschadse leidenschaftlich.

„Ja!“ antwortete Melnikow. „Wir müssen sofort zum See fahren. Es kann sein, daß wir uns geirrt haben, aber es kann auch sein, daß unsere Vermutung zutrifft. Zu zögern wäre verbrecherisch.“ Die Entscheidung des Kommandanten war eine Freude für alle. Nur Korzewski zog eine finstere Miene und schüttelte mit dem Ausdruck ernsten Zweifels den Kopf.

„Mit wem könnte Konstantin Jewgenjewitsch über uns gesprochen haben?“ fragte er. „Mit den,Schildkröten‘? Wie denn?“ „Sascha hat ein Lebewesen gesehen, das wahrscheinlich ein richtiger Venusianer ist“, entgegnete Melnikow. „Wie dem auch sei — wir können nicht am Auftauchen der Uhr vorübergehen, was immer es auch bedeuten mag.“ „Das bestreite ich nicht“, pflichtete ihm der Biologe bei.

Nachdem die Sternfahrer ihren Entschluß gefaßt hatten, holten sie sogleich den größten Geländewagen aus seinem Hangar.

Es war ein robustes Ganzmetallfahrzeug mit zwei Motoren von zweieinhalbtausend PS und zwei getrennten Steuervorrichtungen. Er konnte vorwärts und rückwärts mit gleichhoher Geschwindigkeit fahren und legte hundertzwanzig Kilometer in der Stunde zurück. Die schmalen Fenster, die einen Rundblick nach allen Seiten ermöglichten, waren nicht mit Glas, sondern mit drei Zentimeter dicker Plaste verschalt. Mit seinen auffallend breiten Raupenketten konnte der Wagen sich auch auf sumpfigem Boden bewegen. An der Vorder- und Rückwand waren spitze, seitlich gerichtete Rammsporen angebracht, die die Raupenketten schützten. Der Geländewagen konnte sich durch das dickste Dickicht, das für die anderen Wagen unbefahrbar blieb, einen Weg bahnen. Seine große Länge, acht Meter, bewahrte ihn an Steilhängen davor, sich zu überschlagen, und sein Gewicht, zweiunddreißig Tonnen, schützte ihn vor einem Mißgeschick, wie es Belopolskis Wagen ereilt hatte. Eine derartige Last würden die Reptile schwerlich tragen können.

Das Werk, in dem dieses Fahrzeug gebaut worden war, hatte auch für Bequemlichkeit gesorgt. Im Innern befanden sich sechs Polstersitze, die in Ruhebetten verwandelt werden konnten.

Eine automatische Klimaanlage reinigte und temperierte die Luft. Die Einstiege besaßen Doppeltüren mit eingebauter Luftschleuse. Drei Funkeinrichtungen — ein Hauptgerät, ein Reservegerät und ein Fernsehgerät — sorgten für eine zuverlässige drahtlose Verbindung.

Im Gegensatz zu den bisher auf Raumfahrten verwendeten Geländewagen war dieser bewaffnet. Aus einem besonderen Turm, der sich über dem vorderen Teil des Wagens erhob, ragte ein großkalibriges Maschinengewehr.

Kamow hatte Belopolski dazu bewogen, dieses bewaffnete Fahrzeug „für alle Falle“ mitzunehmen.

„Wer weiß, vielleicht haben wir grundsätzlich falsche Vorstellungen von den Bewohnern der Venus“, hatte er gesagt.

„Nehmen Sie es zu unserer Beruhigung mit.“ „Das sind zweiunddreißig Tonnen überflüssige Last.“ „Einen großen Geländewagen brauchen Sie sowieso.“ Neben dem Maschinengewehr waren auch die Raupenketten in Anbetracht der starken Motoren eine furchtbare Waffe. Wäre das Fahrzeug nicht so robust gewesen, hätte Melnikow die gefährliche Exkursion vielleicht gar nicht gewagt.

Als die Besatzung beriet, wer an der Fahrt teilnehmen solle, entbrannte ein heftiger Streit. Jeder wollte dabeisein. Schließlich mußte Melnikow von seinen Rechten als Kommandant Gebrauch machen.

„Knjasew wird den Wagen fahren“, bestimmte er. „Ihn begleiten Korzewski als Arzt und Wtorow als Kameramann. Die Befehlsgewalt übertrage ich Knjasew.“ Laut Erdkalender war es der 25. Juli, halb acht Uhr morgens, laut Venuskalender aber tiefe Nacht, als der schwere Geländewagen das Raumschiff verließ. Er fuhr langsam zu den Stromschnellen, nachdem er den im Scheinwerferlicht liegenden Uferstreifen hinter sich gelassen hatte. Die an Bord zurückgebliebenen Männer versammelten sich im Observatorium und blickten ihm so lange nach, bis seine Umrisse in der Finsternis der Nacht verschwammen. Aber auch dann blieben sie noch am Fenster stehen und spähten angestrengt in die Ferne.

Nach zehn Minuten etwa flammte in weiter Ferne ein Scheinwerfer auf — die Kameraden suchten die Schneise. Dann verschwand das Licht. Der Wagen war in den Wald gefahren.

Die fünf Männer gingen hinüber in die Funkkabine. Toporkow schaltete den Bildschirm ein. Sogleich erschien das Bild des Waldweges. Die Fernsehkamera, die auf dem Geländewagen montiert war, trat in Tätigkeit Deutlich zeichnete sich der langsam vorüberziehende Wald ab, der von dem grellen Scheinwerferlicht des Fahrzeuges angestrahlt wurde. Aus dem Lautsprecher erscholl das Gerassel der Raupenketten. Die Männer fühlten sich an der Seite ihrer Genossen. Sie horten jedes Wort, das im Wagen gewechselt wurde, und konnten sich, wenn sie wollten, an der Unterhaltung beteiligen.

Toporkow streckte den Arm aus, um sich in die Unterhaltung einzuschalten, aber Melnikow hielt ihn zurück.

„Wir wollen sie lieber nicht ablenken. Wenn nötig, werden sie selber anrufen.“ Er sprach so leise, als fürchtete er, die Besatzung des Gelandewagens könnte ihn hören. Aber die Sendeanlage war ausgeschaltet.

Schweigend saßen die fünf Männer in der verdunkelten Kabine vor dem hellen Bildschirm und nahmen an jeder Bewegung des mächtigen Raupenfahrzeugs Anteil. Sie schienen mit ihm verschmolzen. Saizew wiegte sich sogar auf seinem Stuhl hin und her, als die Landschaft auf dem Bildschirm erzitterte und schneller vorüberzog. Knjasew fuhr nun bedeutend schneller.

Plötzlich…

Die fünf Männer beugten sich ruckartig vor und unterdrückten einen Schrei.

Hinter einer Wegbiegung, der sich der Wagen schnell näherte, trat überraschend eine Gruppe der Seebewohner hervor. Es waren mindestens zwanzig…

Alle fünf spürten förmlich, wie scharf Knjasew bremste. Die Bäume auf dem Bildschirm kamen zum Stillstand. Ebenso reglos verharrten die Reptile.

Sekundenlang waren deutlich ihre roten Panzer, die faltigen blaßrosafarbenen Leiber und die kleinen dreieckigen Köpfe zu sehen…

Dann erloschen die Scheinwerfer des Wagens. Der Wald versank in völlige Finsternis.

Finsternis schlug auch den Männern in der Funkkabine des Raumschiffes vom Bildschirm her entgegen.

Die Begegnung mit den Venusbewohnern kam für Knjasew und seine Begleiter nicht überraschend. Sie waren jeden Augenblick darauf gefaßt gewesen und hatten sich sogar gewundert, als ihnen an den Stromschnellen keine einzige „Schildkröte“ begegnet war. Die Stapel sahen unberührt aus.

Fast einen Kilometer war der Wagen auf dem Waldweg gefahren, ohne daß sich ein Lebewesen hätte blicken lassen. Zweimal sahen sie ganz am Ende des Lichtkorridors etwas Lebendes hin und her huschen. Aber das ging so schnell und überraschend vor sich, daß keiner genau zu sagen wußte, ob es eine optische Täuschung oder Wirklichkeit war.

„Also gibt es doch eine Tierwelt auf der Venus?“ fragte Korrewski verständnislos. „Und die Lebewesen verlassen bei Nacht ihre Schlupfwinkel?“ Da tauchten plötzlich hinter einer Kurve die zwanzig Venusianer auf.

Knjasew hielt an.

Die Reptile blieben ebenfalls stehen. Sie waren etwa dreißig Schritt entfernt.

Aus dieser kurzen Entfernung konnte man gut Einzelheiten erkennen, die auf dem Bildschirm im Raumschiff nicht zu sehen waren.

An Bord sah man nur, daß „Schildkröten“ auf dem Weg standen. Korzewski, Wtorow und Knjasew aber beobachteten mehr. Nachdem sie sich überzeugt hatten, daß ihre Augen nicht trogen und vor ihnen keine Gespenster geisterten, sondern etwas Wirkliches stand, frohlockten sie: Das große Geheimnis der Venus lüftete sich endlich.

Korzewski hatte recht gehabt — nicht die „Schildkröten“ waren die Herren des Planeten, nicht sie waren jene vernünftigen Lebewesen, deren Existenz die Astronauten vom ersten Tage an vermutet hatten.

Die riesigen rötlichen Leiber mit den häßlichen roten Panzern auf dem Rücken und den seltsam kleinen dreieckigen Köpfen standen wie eine Mauer quer über die Schneise fest und unerschütterlich. Die vorderen rührten sich nicht und äußerten auch keine feindlichen Absichten. Vielleicht blendete sie das Scheinwerferlicht.

Aber die drei Astronauten beobachteten nicht die Ungetüme, sondern drei sonderbare Geschöpfe, die vor der „Abteilung“ standen. Sie waren vor dem rosafarbenen Hintergrund nicht sogleich zu erkennen.

Kein Zweifel — dies waren die Menschen der Venus.

Sie wirkten neben den gigantischen „Schildkröten“ sehr klein.

Nicht größer als einen Meter. Ihr Körper war mit einer blaßrosafarbenen, fast weißen Haut überzogen und endete in einem kurzen dicken Schwanz. Die zwei Paar Gliedmaßen endeten in drei beweglichen Fingern und Zehen ohne Schwimmhäute. Der Kopf mit mächtig aufgestülpten Lippen und drei riesigen Augen, die nicht an den Seiten, sondern vorn in einer Reihe saßen, ruhte auf einem kurzen Hals. Nah beieinanderstehend, sahen die Augen von weitem wie eine schwarze Binde aus. Auf dem platten, glänzenden Schädel wuchs kein Haar.

Sie standen aufrecht, auf den Schwanz und die unteren Gliedmaßen gestützt, die man Beine nennen konnte. Diese Beine besaßen keine Fußsohlen, sondern nur lange, dicke Zehen.

Was die oberen Gliedmaßen betraf, so blieb kein Zweifel an ihrer Bestimmung. Es waren Arme, glatte, runde Arme, die in breiten Händen mit vier biegsamen Fingern endeten.

In ihren Händen hielten die Venusianer verschiedene Gegenstände.

Der eine hatte einen langen hölzernen Stock bei sich, der einer Lanze ohne Metallspitze glich, der zweite trug ein steinernes Gefäß in Form einer Schale und der dritte genauso ein Lineal, wie es die Astronauten aus der Bucht gefischt hatten.

Dieses Lineal hatte den Menschen die ganze Zeit keine Ruhe gelassen. Nun sahen sie es in den Händen seiner Besitzer.

Wortlos musterten die Menschen eine Weile die Herren des Planeten. Korzewski stellte mechanisch fest, daß ihre Stirn über den drei schwarzen Augen eine markante Wölbung aufwies.

Die Köpfe der „Schildkröten“ dagegen waren flach, ihre Augen funkelten im Dunkeln gelb, so wie sie bei Raubtieren der Erde im Dunkeln grün funkeln.

Obwohl er bislang weder die „Schildkröten“ noch ihre Gebieter gesehen hatte, war dem Biologen Korzewski gefühlsmäßig schon klar gewesen, daß die riesigen Panzertiere keine vernünftigen Wesen sein konnten. Alles, was er über sie gehört hatte, widersprach dem. Nun überzeugte er sich, daß er recht gehabt hatte.

Wtorow und Knjasew dachten das gleiche.

Die Menschen sahen, daß die Venusianer — nicht die „Schildkröten“- beim überraschenden Herannahen des Geländewagens wie angewurzelt stehenblieben. Dann hoben sie die Hände vor die Augen, um sich gegen das Licht zu schützen. Keiner wich einen Schritt zurück.

Die „Schildkröten“ drehten dem Fahrzeug wie auf Kommando den Rücken zu.

Da tat Knjasew, was ein anderer an seiner Stelle vielleicht nicht gewagt hätte: Er stellte die Scheinwerfer ab.

„Gefahr droht uns nicht“, sagte er ruhig und knipste die Kabinenbeleuchtung an. Er wollte die Venusianer gleichsam einladen, näherzutreten und sich die Eindringlinge anzusehen.

„Sie sind so zahlreich, daß sie unser Fahrzeug aufheben und tragen könnten“, sagte Wtorow.

„Das werden sie nicht tun“, entgegnete Knjasew bestimmt und dachte: Sie haben uns doch ihr „Brot“ gebracht.

Draußen war es stockfinster. Die drei Raumfahrer warteten schweigend.

Was die Venusbewohner im Augenblick taten, wußte keiner.

Vielleicht trauten sie sich nicht an die rätselhafte Maschine heran und berieten, was sie tun sollten. Vielleicht störte sie sogar das verhältnismäßig schwache Licht im Innern des Wagens.

Korzewski meinte, letzteres sei am wahrscheinlichsten, und schaltete das Licht aus. Nun wurde das Wageninnere nur vom Armaturenbrett matt bläulich erhellt.

Da erblickten sie im Dunkel wankende gelbe Lichter. Es waren die leuchtenden Augen der Reptile. Sie kamen näher. Bedächtig und mißtrauisch gingen die riesigen Tiere auf den Wagen zu.

Den drei Männern fiel auf, daß in ein Meter Höhe keine Augen zu sehen waren. Also wollten die Venusianer entweder nicht an den Wagen herantreten, oder ihre Augen leuchteten nicht.

Am Armaturenbrett flammte das rote Anrufsignal auf. Korzewski beugte sich vor.

„Abwarten!“ flüsterte er. „Sie kommen auf uns zu.“ Die verschwommenen Schatten schienen ganz nahe zu sein, aber die Menschen konnten es nicht genau feststellen. Die Finsternis selber wankte und schwankte. Die gelb funkelnde Lichterkette der ungeheuren Augen schlängelte sich, wie durch die Luft schwebend, heran und bildete einen Halbkreis um den Wagen. Wie wenn eine schwarze Wand den finsteren Wald verdrängte.

Bis auf einen Meter etwa mochten die „Schildkröten“ herangekommen sein. Jeden Augenblick konnten sie angreifen. Knjasew umklammerte die Bedienungshebel.

Waren die Venusmenschen bei den „Schildkröten“?

Blaue Dämmerung erfüllte die Kabine. Die Sternfahrer sahen einander kaum. Das gespenstische Licht des Armaturenbretts drang nicht nach außen, aber dann und wann beobachteten die Männer dicht vor den Fenstern verschwommene helle Flecken — einen matten Widerschein der glänzenden rosafarbenen Leiber.

Angestrengt lauschend, vernahmen sie ein kaum hörbares Kratzen — die „Schildkröten“ befühlten den Geländewagen.

Auf einmal mußte Korzewski laut husten. Sofort hörte das Geraschel auf. Die gelben Augen traten zurück, die dunkle Wand rückte ab.

Der Biologe lächelte zufrieden. Die Venusianer besaßen also ein feines Gehör. Und sie hatten Angst vor dem Raupenfahrzeug.

Eine ganze Weile blieben die gelben Augen in achtungsvoller Entfernung. Jedoch die Stille im Wageninnern beruhigte sie offenbar. Die Wand rückte wieder näher. Aber es kratzte von außen nicht mehr am Wagen. Die Venusianer wagten wohl nicht, das rätselhafte Ding noch einmal zu berühren, oder sie wollten es nicht.

Knjasew, Korzewski und Wtorow wußten, daß die Reptile sie forschend beobachteten. Ihre ans Dunkel gewöhnten Augen mußten alle Einzelheiten im Wageninnern gut erkennen. Die Armaturenbeleuchtung konnte sie nicht stören, sie war nicht hell.

Ein Gegenstand wurde dicht an das vordere Fenster gehalten.

Knjasew glaubte, es sei das berühmte Lineal. Behutsam klopfte jemand an die Scheibe. Nach einer Weile klopfte es abermals.

Die gelbe Lichterkette zog sich einige Schritte zurück.

„Sie bitten uns, auszusteigen“, sagte Knjasew.

Korzewski und Wtorow sahen sich schweigend an.

Den Geländewagen verlassen … Sich diesen rätselhaften Geschöpfen ausliefern … Diese äußerten zwar keine feindseligen Absichten, aber trotzdem … Wer weiß, wes Geistes Kind sie bind? Vielleicht haben sie schon versucht, den Geländewagen wegzutragen, und locken nun, weil es ihnen nicht gelungen ist, die Menschen heraus?

„Wir müssen Boris Nikolajewitsch fragen“, sagte Korzewski.

„Wozu?“ Man sah, wie Knjasew verständnislos die Schulten!

hob. „Wenn wir die Venusianer kennenlernen wollen, müssen wir aussteigen. Ich steige aus!“ „Dann lieber ich“, erwiderte Wtorow, „du wirst an Bord nötiger gebraucht.“ „Wer von uns wichtiger ist, bleibt fraglich. Aber wozu streiten? Es besteht keinerlei Gefahr.“ „Also dann laß mich aussteigen …“ „Lassen Sie mich lieber gehen“, bat Korzewski.

Knjasew sah den Biologen gar nicht an. Er schien seine Worte nicht gehört zu haben.

„Gut“, sagte er. „Wenn dir soviel daran liegt, Gennadi, dann geh. Aber ich glaube, wir müssen den Scheinwerfer anstellen.“ „Das blendet sie.“ „Wir werden den Strahl nach oben richten, sonst siehst du die Hand nicht vor den Augen. Zweige und Blätter werden das Licht ausreichend widerspiegeln, daß du dich orientieren kannst und sie nicht geblendet werden.“ „Immerhin sollten wir Melnikow fragen“, schlug Korzewski abermals vor.

Es hatte ihn nicht beleidigt, daß Knjasew ihn nicht beachtet hatte. Der junge Mechaniker, dem die Leitung dieser Unternehmung übertragen worden war, hatte sich gescheut, den einzigen Biologen der Expedition einer Gefahr auszusetzen. Der Umfang der Arbeit, die es noch zu leisten galt, war beträchtlich.

Stanislaw Kasimirowitsch hatte sich fast gewohnheitsmäßig freiwillig gemeldet.

„Ich habe nichts dagegen“, antwortete Knjasew. „Aber Boris Nikolajewitsch kann gar nicht anders als zustimmen.“ Melnikow widersprach tatsächlich mit keinem Wort. Nachdem er Korzewskis informativen, aber knappen Bericht angehört hatte, fragte er nur, wer aussteigen werde.

„Gennadi Andrejewitsch“, antwortete Korzewski.

Melnikow schwieg einige Augenblicke.

„Machen Sie sich auf alles gefaßt“, sagte er. „Ein Mann muß an den Scheinwerfern, der andere am MG stehen.“ Während diese Worte gewechselt wurden, zogen sich die Venusbewohner noch weiter vom Geländewagen zurück. Sie warteten offenbar.

Wtorow setzte den Gasschutzhelm auf. Knjasew drehte einen Scheinwerfer senkrecht nach oben und schaltete den Strom ein.

Eine weiße Lichtsäule stieg empor. In großer Höhe trat das Laubdach des Waldes aus dem Dunkel.

Die Finsternis verflüchtigte sich, sichtiges Halbdunkel löste sie ab.

In zwanzig Schritt Entfernung erblickten die Männer die dicht bei dicht stehenden Reptile sowie die drei phantastischen Gestalten der Venusianer. Alle hielten den Kopf gesenkt, als begrüßten sie die Fremden. Aber es war klar, daß sie sich nicht vor ihnen verneigten, sondern die Augen vor dem Scheinwerferlicht schützen wollten. Zwei hielten sich die Hand vor die Augen.

Kein einziges dieser merkwürdigen Geschöpfe rührte sich von der Stelle.

„Gehen Sie ans MG“, befahl Knjasew dem Biologen.

Er hielt diese Vorsichtsmaßnahme für überflüssig, aber der Kommandant hatte sie angeordnet.

Der Biologe stieg in den Turm. Wie alle anderen Besatzungsmitglieder der „SSSR-KS 3“ konnte er sämtliche Waffen an Bord bedienen.

Ohne im geringsten zu zögern, öffnete Wtorow die Innentür des Wagens und trat in die Luftschleuse. Dann stieg er aus und ging gelassen auf die Venusianer zu.

Einer kam ihm entgegen.

Die Reptile liefen ähnlich den Menschen auf zwei Beinen.

Der Venusianer aber bewegte sich anders fort. Er ging nicht, sondern hüpfte. Unter Zuhilfenahme des Schwanzes näherte er sich in kurzen Sätzen dem Kosmonauten. In den Händen trug er eine steinerne Schale.

Korzewski und Knjasew verfolgten gespannt jede Bewegung des artverwandten Geschöpfes. Zugleich ließen sie die beiden anderen Venusianer, die auf ihrem Platz geblieben waren, und auch ihr furchteinflößendes Gefolge nicht aus den Augen.

Wtorow ging nur fünf Schritte, dann blieb er stehen. Der Venusianer mußte mehr als zwanzigmal springen, um zu ihm zu gelangen.

Ein Mensch der Erde und ein „Mensch“ der Venus standen bich gegenüber.

Wtorow streckte die Hand aus.

Der Venusianer ergriff sie nicht. Er sprang sogar einen Schritt‘ zurück. Dann hielt er Wtorow die Schale entgegen und ließ sie, los, kaum daß Wtorows Hände sie sacht berührten.

Die Schale fiel zu Boden und zersprang.

Was folgte, geschah binnen Sekunden.

Der Venusianer sprang zurück und hob die Hände. Das war offenbar ein Signal.

Fünf Reptile stampften auf Wtorow zu.

Blitzschnell riß Knjasew den Scheinwerfer herum. Der Lichtstrahl schoß den Angreifern in jähem Bogen direkt in die Augen.

Wie vom Schlag gerührt, blieben die Tiere stehen.

Der junge Mechaniker spürte, daß Korzewski sogleich auf den Abzug drücken würde… Auf die Masse der rosigen Leiber würde ein Geschoßhagel prasseln und Tod und Verderben säen.

„Nicht schießen!“ rief er und schaltete den zweiten Scheinwerfer ein.

Aber der eine genügte. Die angreifenden Reptile sanken zu Boden und bargen den Kopf unterm Panzer. Die übrigen kehrten dem Wagen den Rücken zu. Der Venusianer, der Wtorow entgegengekommen war, sprang zu seinen Artgenossen zurück.

Gennadi Andrejewitsch bückte sich und las die Scherben der Schale auf. Dann wich er rückwärts gehend zurück. Nicht daß er Angst hatte, den unerwarteten Feinden den Rücken zuzukehren. Der Scheinwerfer hatte vor ihnen eine unüberwindliche Mauer aufgerichtet. Er konnte einfach nicht das Gesicht dem Geländewagen zuwenden, von dem blendende Helle ausging.

Als Knjasew die Tür der Luftschleuse hinter Wtorow zufallen hörte, schaltete er den einen Scheinwerfer aus und richtete den Sjarahl des anderen wieder senkrecht nach oben. Er dachte nicht einmal daran, den Rückwärtsgang einzulegen und vor der Gefahr das Weite zu suchen. Er wollte wissen, was die Venusbewohner tun würden. Er fürchtete sie nicht, das Licht war ein sicherer Schutz.

„Was hatte das zu bedeuten?“ fragte Korzewski verständnislos.

„Was ist geschehen?“ fragte Melnikow erregt aus dem Lautsprecher. „Warum wollte Stanislaw Kasimirowitsch schießen?“ Knjasew schilderte, was vorgefallen war.

„Man könnte annehmen“, schloß er, „daß die steinerne Schale eine gewisse symbolische Bedeutung besitzt. Gennadi hat danebengegriffen. Ich habe es deutlich gesehen. Die Schale ist entzweigegangen, und sie haben das als Ablehnung ihrer Gabe aufgefaßt. Wir kennen doch ihre Sitten nicht. Vielleicht bedeutet das ihren Auffassungen nach feindliche Absichten oder sogar eine Kriegserklärung. Wer kann es wissen?“ „Die Scherben müssen gesammelt werden, um damit zu zeigen, daß wir ihr Geschenk annehmen.“ „Das hat Gennadi bereits getan.“ „Und die Venusianer?“ „Sie haben sich dreißig Schritte zurückgezogen und scheinen zu beraten. Zum mindesten sieht es so aus.“ „Seid so vorsichtig wie möglich.“ „Selbstverständlich, Boris Nikolajewitsch!“ „Ein dummer Zufall!“ sagte Korzewski. „Wäre Wtorow die Schale nicht aus der Hand gerutscht, hätten die Ereignisse eine interessante Wendung nehmen können.“ „Sie sind auch so interessant genug“, antwortete Knjasew.

„Sogar mehr als genug.“ Die Venusianer verließen ihren Platz nicht. Sie kamen weder naher noch entfernten sie sich. Die Reptile hatten dem Geländewagen den Rücken zugekehrt. Die drei Venusianer standen dicht beieinander und erweckten tatsächlich den Anschein, als berieten sie.

„Schau einer an!“ sagte Korzewski. „Sie scheinen die Scheinwerfer für unsere einzige Waffe zu halten und glauben, sie waren völlig sicher, wenn sie uns den Rücken zudrehen.“ „Das machen sie doch richtig“, sagte Melnikow. „Das Licht ist eine sichere und ausreichende Waffe. Eine andere anzuwenden wäre grausam und unmenschlich.“ „Boris Nikolajewitsch, Sie haben recht!“ antwortete Knjasew.

Diese Geschöpfe sind ungefährlich. Gegen uns sind sie machtlos.“ Es dauerte aber gar nicht lange, da mußte er einsehen, daß dies eine Fehleinschätzung war.

Über zehn Minuten blieb die Lage unverändert. Der Geländewagen rührte sich nicht, und die Venusbewohner warteten ebenfalls ab. Wtorow hatte inzwischen die Desinfektionsprozedur abgeschlossen und verließ die Luftschleuse.

„Ich habe wirklich bloß danebengegriffen, so daß mir die Schale aus der Hand fiel“, antwortete er Korzewski auf dessen Frage. „Ich war nicht darauf gefaßt.“ „Und wo sind die Scherben?“ „Die habe ich in der Luftschleuse gelassen. Wir werden sie uns an Bord ansehen. Was wollen wir jetzt tun?“ „Abwarten. Wir überlassen den Venusianern die Initiative.“ Sie ließen nicht lange auf sich warten.

Die Masse der Rotgepanzerten geriet in den hinteren Reihen in Bewegung. Die vorn Stehenden traten beiseite und gaben einem gewaltigen Ungetüm den Weg frei, das im ersten Augenblick wie eine unbekannte Maschine aussah. Als die Menschen genauer hinsahen, wurde ihnen klar, daß ein großer Holzschild auf sie zugetragen wurde; er bestand aus Stämmen, die mit einer Art von Stricken untereinander verbunden waren. Wer ihn trug, war nicht zu sehen.

„Die Kampfhandlungen werden eröffnet“, stellte Knjasew fest.

„Außerordentlich interessant!“ rief Korzewski aus. „Daran läßt sich erkennen, daß es auf der Venus verschiedene Stämme gibt und daß sie miteinander Krieg führen. Kein Zweifel — sie kennen den Krieg.“ „Das ist sehr schade“, sagte Wtorow bekümmert.

Der Schild kam näher. Die Absichten der Venusianer ließen keinen Zweifel mehr offen. Mit dem Schild gegen das Scheinwerferlicht geschützt, wollten sie sich dem Geländewagen nähern.

„Mut kann man ihnen nicht absprechen“, sagte Korzewski.

„Unser Fahrzeug muß ihnen Angst einflößen, aber man merkt ihnen nichts an. Woher kommt das?“ Er schien Selbstgespräche zu halten und sprach so ruhig, als drohte ihnen gar keine Gefahr. „Wilde Stämme auf der Erde würden es nicht wagen, ein Kettenfahrzeug zu überfallen. Entweder sind die Venusianer bedeutend klüger als sie oder aber bedeutend dümmer und ahnen daher nichts von der Gefahr.“ „Hypothesen werden wir im Raumschiff aufstellen“, warf Knjasew ein. „Gehen Sie ans MG, aber schießen Sie nicht ohne meinen Befehl! Gennadi, setz dich ans hintere Pult.“ „Sollten wir nicht lieber zurückfahren?“ „Ich will wissen, was sie vorhaben. Fliehen können wir immer noch.“ Er ahnte nicht, wie bald er gezwungen sein würde, seine Meinung zu ändern.

Um die Sitten und Gebräuche, den Charakter und die Kraft eines unbekannten Volkes kennenzulernen, braucht man stets Zeit. Wenn dies schon auf der Erde zwischen einander verwandten Geschöpfen so ist, muß es den Bewohnern des einen Planeten erst recht schwerfallen, die Bewohner eines anderen kennenzulernen.

Zwischen den Menschen und den Venusianern gab es nur eine Gemeinsamkeit: die Vernunft. In allem übrigen unterschieden sie sich sehr stark voneinander. Und nicht nur im Äußeren, sondern offenbar auch in der Weltauffassung. Die Menschen konnten nicht begreifen, warum ein Zufall, den sie far belanglos hielten, die Einstellung der Venusbewohner zu ihnen so unvermittelt geändert hatte.

Die Venusianer fürchteten sich anscheinend wirklich nur vor den Scheinwerfern. Ob sie die Funktionsweise dieser Apparate verstanden oder sie für gefahrliche Tiere hielten, blieb ungewiß, aber sie richteten ihren Angriff vor allem auf die Scheinwerfer. Die Menschen bemerkten es zu spät.

Knjasew glaubte, die „Schildkröten“ würden wieder versuchen, den Wagen hochzuheben und in den See zu tragen, und er war überzeugt, daß dieser Wagen zu schwer für sie war.

Doch es geschah etwas anderes.

Der hölzerne Schild kam näher und blieb vier Schritt von dem Wagen entfernt stehen. Dann fiel er zu Boden und gab den Blick auf die gigantischen Gestalten der Venuskrieger frei. Die „Schildkröten“ hielten riesige Steine in ihren Pranken.

Die Menschen begriffen alles erst, als bereits dichte Finsternis eingetreten war. Ungeheuer wuchtige Schläge hatten die Scheinwerfer zertrümmert oder abgerissen.

„Vorwärts!“ rief Kcjasew.

Selbst in diesem Augenblick, in dem sie doch angegriffen wurden, konnte er sich nicht zu jenem Befehl entschließen, den Korzewski erwartete.

Wtorow ließ den Motor an. In undurchdringlicher Finsternis hielt der Geländewagen auf den Fluß zu. Die Schneise war ecrade, aber solange voraus nichts zu erkennen war, konnte nicht mit hoher Geschwindigkeit gefahren werden. Die Männer hofften, sich auch bei langsamer Fahrt rasch zu befreien.

Knjasew warf einen Blick nach hinten und sah, daß sich die gelb funkelnden Augen immer weiter entfernten. Die Reptile waren stehengeblieben und versuchten nicht, den Wagen zu verfolgen.

Er dachte angestrengt über alles nach und gelangte zu einer Deutung des Vorgefallenen, die danach von allen Genossen im Raumschiff als wahrscheinlich anerkannt wurde. DieVenusianer hatten gar nicht die Absicht gehabt, über sie herzufallen. Die ersten Reptile, die sich, wie es schien, auf Wtorow stürzten, konnten das Scheinwerferlicht, das ihren empfindlichen Augen arg zu schaffen machte, nur nicht mehr ertragen. Sie waren vielleicht sogar völlig erblindet. Da sie nicht wußten, wozu die Menschen die Lichtquellen brauchten, rächten sie sich an den Scheinwerfern wie an feindlichen Lebewesen. Vermutlich wollten sie damit weder dem Wagen noch seinen Insassen schaden.

Was konnten sie von den Menschen wissen, wenn selbst die Existenz anderer Lebensbedingungen als derjenigen ihres Planeten ihnen völlig unbekannt war. Die Venusianer brauchten kein Licht, es war ihnen fremd. Noch nie hatten sie einen Sonnenstrahl gesehen.

„Die ganzen Vorfälle sind nichts weiter als ein Mißverständnis!“ sagte Knjasew laut. „Aber wie sollen wir die Sache wieder geradebiegen?“ „Kehren Sie an Bord zurück“, befahl Melnikow über den Sprechfunk. „Dann werden wir überlegen, was zu tun ist. Kommen Sie schnell!“ „Wir können nicht schnell fahren, weil wir den Weg nicht erkennen.“ „Der Weg ist zu erkennen“, sagte Wtorow auf einmal.

Alle im Wagen und an Bord staunten, als sie das hörten.

„Wo kannst du ihn erkennen?“ fragte Knjasew.

„Schau nur selber hin“, erwiderte der Ingenieur.

Die Kabinenbeleuchtung war natürlich nicht eingeschaltet.

Korzewski und Knjasew spähten durchs vordere Fenster und erkannten wenige Schritte vor dem Wagen einen matt leuchtenden Streifen. Dann erblickten sie etwa hundert Meter voraus einen zweiten.

„Was ist das?“ Korzewski staunte.

„Baumstämme“, erklärte Wtorow, „eben die, die längs der Schneise liegen.“ „Ja, stimmt“, bestätigte Knjasew, „dafür sind sie also hierhergebracht worden.“ „Wir dürfen also annehmen, daß die Venusianer im Dunkeln gar nicht besonders gut sehen“, stellte der Biologe fest.

„Die Stämme sind wahrscheinlich eigens deswegen geschält worden, weil die Rinde das Leuchten verhindert“, mutmaßte Knjasew.

Bald darauf wurde auch klar, wozu jene Stämme bestimmt waren, die nicht einzeln, sondern in Haufen lagerten. Sie zeigten die Wegbiegungen an.

„Das ist ja kaum zu fassen!“ Der Biologe staunte. „In der Botanik werden diese Bäume eine Sensation auslösen.“ „Sonderbar, daß wir das Leuchten der Stapel am Ufer nicht bemerkt haben. Sie bestehen doch auch aus geschälten Stämmen.“ „Wir haben diese Stapel bloß bei Tage oder im Scheinwerferhcht gesehen.“ Die rätselhaften Baumstämme lagen gleich weit voneinander entfernt. Wenn sie an dem einen vorübergefahren waren, tauchte schon in der Ferne als heller Streifen der nächste auf. Mit Hilfe dieser eigenartigen Wegweiser fuhr Knjasew, der Wtorow am Steuerpult abgelöst hatte, den Wagen sicher aus dem Wald heraus.

Am Flußufer überzeugten sie sich davon, daß auch die Stapel leuchteten. Jeder Stamm sandte mattes, leicht rosiges Licht aus.

„Wir müssen auf jeden Fall ein paar solcher Stämme auf die Crde mitnehmen“, sagte Korzewski.

„Nichts leichter als das.“ Über dem Raumschiff zog eine Leuchtkugel ihre feurige Bahn.

I n hundert Meter Höhe flammte sie strahlend hell auf und entfaltete einen Fallschirm über sich. Auf dem hellerleuchteten IJf erstreifen raste der Geländewagen in voller Geschwindigkeit nach Hause“. Einige Minuten später hielt er vor einer der Luftschleusen.

„Schade!“ sagte Knjasew. „Unsere Fahrt war vergeblich.“ „Wieso? Jetzt habe ich die Reptile und die Venusianer hier hei mir!“ Wtorow klopfte mit der Hand auf seine brünierte Filmkamera.

Einige Stunden nach der Ruckkehr des Geländewagens berief Melnikow in der Steuerzentrale eine Beratung ein.

Das Hauptziel der Erkundungsfahrt war nicht erreicht, das Schicksal der verschollenen Kameraden immer noch ungewiß.

„Ich bitte alle, ihre Meinung zu sagen“, bat Melnikow.

Als erster sprach Paitschadse.

„Was geschehen ist, läßt sich nicht wiedergutmachen“, sagte er. „Ich halte weitere Versuche für vernunftwidrig.“ Nacheinander sagten die sechs Männer das gleiche.

„Ich schließe mich dieser Meinung an …“, begann Melnikow.

Plötzlich verstummte er und drehte sich ruckartig um.

Alle vernahmen ein leises, aber wohlvertrautes Geräusch.

Einer der Automaten am Steuerpult begann zu arbeiten. Sie sahen das rote Lämpchen aufflammen, das mit der Außentür der unteren Luftschleuse verbunden war. Die Zeiger der Geräte erbebten und setzten sich in Bewegung. In der Luftschleuse begann die Desinfektionsprozedur.

Keiner rührte sich. Erbleichend sahen die Männer ihren Kommandanten an.

Was bedeutete das? Wer konnte in der Schleuse sein? Alle acht Besatzungsmitglieder waren doch in der Steuerzentrale.

Sollten etwa…

„Das ist einer von ihnen“, stieß Melnikow mit erstickter Stimme hervor. „Ein anderer kann es nicht sein.“ Plötzlich stürzte Toporkow ans Pult und knipste einen der Bildschirme an. Vor Aufregung irrte er sich in den Hebeln und schaltete die Backbordseite ein.

Alle sahen ganz dicht neben dem Schiff einen dunklen Gegenstand, den sie sogleich erkannten. — Es war der vermißte Geländewagen Belopolskis.