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Minutenlang betrachtete jeder sein Gegenüber. Die Bewohner der beiden Schwesterplaneten studierten einander aufmerksam.
Die Sternfahrer schwiegen. Zitternde Erregung, wie sie ihnen sonst ganz fremd war, hatte sie befallen, und das Herz schlug ihnen bis zum Halse.
Ringsum erhoben sich die Balkenwände, geschmückt mit den sonderbaren Gewächsen. Das von ihnen ausgehende Licht machte sie durchsichtig, glasartig zerbrechlich und beinahe unwirklich. Hoch zu Häupten wölbte sich die Decke der Höhle.
An ihren hervorstehenden Unebenheiten fingen sich Strahlen weißen Lichts, das einer unauffindbaren Quelle entsprang. Die sichtige Dämmerung des Zimmers verwischte die Umrisse der Gegenstände. Matt glänzte die glatte Tischplatte, und die Steinschale, die darauf stand, schien mit der Luft zu verfließen.
Gegenüber, ganz nah vor sich, sahen die Astronauten die phantastischen Schädel mit den drei schwarzen Augen und den schmalen, flachlippigen Mündern. Keine Nasen, Ohren oder Haare. Die Leiber waren unbekleidet. Die nackte rötliche Haut an Armen und Schultern verbreitete bei jeder Bewegung metallischen Glanz.
Menschenähnliche Geschöpfe! Bewohner einer fremden Welt!
Venusianer!
Der eine Venusianer bückte sich und holte hinter dem Tisch einige Bündelchen dünnen Fadens sowie Holzklötzchen verschiedener Größe hervor. Er legte alles auf den Tisch. Seine Bewegungen waren weich und elastisch. Die Arme dieser Geschöpfe besaßen offenbar kein Ellenbogengelenk.
Der Venusianer machte sich ans Werk. Auf dem Tisch erschien aus Schnur eine gewundene Linie. Parallel zu ihr legte der Venusianer eine zweite. Zwischen ihnen stellte er in Schachbrettordnung die kleinen Holzwürfel in drei Reihen auf, daneben legte er einen länglichen Stein. Der Venusianer zeigte mit der Hand auf den Stein und mit der anderen auf die Menschen.
Mit gespannter Aufmerksamkeit folgten die Kosmonauten jeder seiner Bewegung. Sie wußten, daß sie um jeden Preis den Sinn seines Tuns verstehen mußten. Die Venusmenschen wollten sich mit Hilfe dieser Bildsprache mit ihnen unterhalten. Sie nicht verstehen, hieße die Hoffnung auf Verständigung aufgeben.
Die beiden Männer beugten sich über den Tisch.
Als erster erriet Belopolski den Sinn.
„Das stellt den Fluß und das Wehr dar“, sagte er, „und der Stein ist unser Schiff.“ „Die Stelle, an der es liegt, ist richtig angegeben“, stimmte Romanow zu.
Belopolski legte den Finger auf das „Raumschiff“, nickte mit dem Kopf und blickte den Venusianer fragend an. Dieser neigte stumm den Kopf. Seine Miene blieb unbewegt.
Der andere Venusianer stellte neben das „Raumschiff“ drei kleine Würfel. Er wies mit der einen Hand auf die Würfel, mit der anderen erst auf Romanow, dann auf Belopolski und schließlich auf den Eingang.
Auch das war klar genug. Die drei Würfel sollten drei Menschen darstellen. Die Venusianer fragten, wieviel Mann an Bord seien.
Es war leicht zu antworten.
Belopolski ergriff einige Würfel — ein Venusianer schob sie ihm zu — und legte neben die drei noch acht Würfel.
Die „Unterhaltung“ ließ sich fürs erste gut an. Die fünf Venusianer waren verständig. Sie stellten klare Fragen und verstanden sofort die Antworten. Sie waren geistig hoch entwickelt.
Belopolski hielt sie für Gelehrte der Venus, die zum See gekommen waren, als man die Ankunft unbekannter Geschöpfe gemeldet hatte. Das erklärte auch, warum die Menschen solange allein geblieben waren. Die Bewohner dieser Gegend hatten auf die „Wissenschaftlerkommission“ gewartet. Aber woher war sie gekommen?
Die Venusianer sammelten Klötzchen und Schnüre wieder ein. Was würden sie als nächstes fragen?
Das folgende Bild war komplizierter und brauchte viel Zeit.
Eine ganze Landkarte erschien auf dem Tisch. Der Fluß zog sich quer über die ganze Platte. Der eine Venusianer schob deswegen die Schale bis ganz an den Rand. Das Wehr und das Schiff wurden in der einen Ecke dargestellt. Neben dem Wehr legten die Venusianer die Konturen des Sees aus, und mit einem dünnen Faden kennzeichneten sie sogar die Waldschneise. Sie war jedoch gerade. Offenbar meinten sie nicht diejenige, die llelopolski gefunden hatte. Am entgegengesetzten Ende des Tisches markierten sie die Konturen eines anderen Sees, der weitaus größer war. Daneben legten sie große Holzstücke.
Der Fluß endete in diesem See.
„Die großen Stücke stellen allem Anschein nach Berge dar“, sagte Beldpolski. „Es wird der Bergsee sein, aus dem der Fluß entspringt. Aber was wollen sie damit sagen? Bis jetzt verstehe ich gar nichts.“ „Ich auch nicht.“ Romanow hob verständnislos die Schultern.
Sie brauchten nicht lange zu warten. Bald wurde alles klar und sogar ziemlich besorgniserregend.
Der Venusianer nahm drei kleine Würfel und legte sie neben die Darstellung jenes Sees, bei dem sie sich zur Zeit aufhielten.
Er gab zu verstehen, daß diese Würfel drei Menschen darstellten. Dann ergriff er sie und legte sie zu dem anderen See, dem Bergsee.
Belopolski und Romanow verstanden alles. Entsetzlich — das würde ihren Tod bedeuten! Die Venusianer wollten ihre Gefangenen in die Berge bringen.
Die Männer mußten ihnen um jeden Preis ihre Lage erklären.
Fieberhaft überlegte Belopolski, was er tun solle. Die Venusianer begriffen anscheinend nicht, daß die Menschen die Venusluft nicht atmen konnten. Sie sahen natürlich, daß ihre Gefangenen etwas Durchsichtiges über den Kopf gestülpt hatten, was nicht Teil ihres Körpers war. Aber verstanden sie die Bedeutung der Helme?
Belopolski versuchte, es ihnen zu erklären. Er gebrauchte all seine mimischen Fähigkeiten und bemühte sich zu zeigen, daß, sie ohne Helm nicht mehr atmen könnten. Romanow unterstützte ihn dabei emsig. Gewiß sah das äußerst lächerlich aus.
Die Venusianer folgten aufmerksam all diesen Bewegungen.
Aber ob sie etwas verstanden oder nicht, blieb ungewiß.
Der eine schritt um den Tisch herum auf Belopolski zu, ergriff dessen Helm und hob ihn langsam empor.
Belopolski schüttelte abweisend den Kopf und schob den Venusianer sehr behutsam von sich.
Der unternahm keinen zweiten Versuch und kehrte auf seinen Platz zurück. Alle fünf steckten die Köpfe zusammen. Ihre flachen Lippen bewegten sich nicht, und doch unterhielten sie sich offenbar. Alles, was bisher geschehen war, bewies eindeutig, daß die Herren des Planeten sich gegenseitig ihre Gedanken mitteilen konnten.
Das „Gespräch“ dauerte nicht lange. Der eine Venusianer ergriff wieder die drei Würfel, legte sie neben den kleinen See und beförderte sie abermals zu den Bergen. Sie wiederholten also ihr bedrohliches Angebot. Sie hatten nichts verstanden.
Belopolski zwang sich zur Ruhe. Er legte die Würfel energisch auf den alten Platz zurück. Dann beförderte er sie zu dem „Raumschiff“, hob es mitsamt den Würfeln hoch und setzte es bei den Bergen wieder ab.
Romanow wiederholte das Manöver.
Die beiden Männer glaubten, sie müßten diesmal verstanden worden sein. Ihre Bitte war klar genug — sie wollten an Bord zurückkehren, und das Schiff würde mit seiner ganzen Besatzung zu den Bergen fliegen. Aufgeregt warteten sie auf Antwort.
Abermals führten die Venusianer ein Gespräch ohne Worte.
Diesmal dauerte es lange.
Die Männer warteten schweigend. Tod und Leben hingen davon ab, ob die Herren des Planeten alles richtig einzuschätzen verstanden.
Endlich wandten sich die Venusianer wieder den Menschen zu. Sie wischten die alte Landkarte vom Tisch und legten ein neues Bild.
„Wir müssen zurück zum Wagen“, sagte Belopolski leise, „und unsere Ballons nachfüllen.“ Romanow nickte. Über drei Stunden hatten sie den Sauerstoffvorrat nicht erneuert. Er ging zur Neige.
„Wir können uns doch einfach zurückziehen“, sagte Romanow, niemand wird uns aufhalten.“ „Es ist gefährlich. Sie könnten es falsch verstehen. Warten wir noch ein bißchen, sie wollen uns etwas fragen.“ Auf dem Tisch war noch einmal die gleiche Landkarte ausgelegt: der Fluß mit dem Wehr, das Raumschiff, die Waldschneise und der See. Aber neben dem See skizzierten die Venusianer nun auch die Höhle, und zwar beinahe ebenso groß wie den See. In die Höhle legten sie drei Würfel, die, wie bereits bekannt, drei Menschen darstellten. Dann legte der eine Venusianer die Hand auf die steinerne Schale und wies auf das Raumschiff“.
Belopolski und Romanow stutzten.
„Sie meinen wohl damit, daß sie uns entlassen werden“, vermutete Romanow.
„Ich glaube kaum! Es sieht nicht so aus.“ Belopolski ergriff die Würfel und legte sie neben das „Raumschiff“. Der Venusianer nahm sie jedoch zurück und berührte wieder mit der Hand die Steinschale.
Die Unterhaltung war in eine Sackgasse geraten.
Dreimal hintereinander wiederholten die Venusianer dieselben Bewegungen. Romanow sah seinen Kommandanten verzweifelt an.
Belopolski überlegte angestrengt. Sie mußten diese Zeichensprache unbedingt verstehen.
Als der Venusianer zum vierten Male beharrlich die gleichen Bewegungen machte, glaubte er, ihren Sinn — zu erfassen. Ihm fiel ein, daß ihnen selber zweimal dieses geheimnisvolle Symbol dargereicht worden war. Fragten die Venusianer vielleicht an, ob sie die Schale denen bringen könnten, die an Bord geblieben waren, und ob jene ihnen auch nicht feindlich begegnen würden?
„Das ist das Wahrscheinlichste!“ sagte Romanow erleichtert, als Belopolski ihm seine Vermutung mitteilte.
Konstantin Jewgenjewitsch legte acht Würfel neben das „Raumschiff“. Dann wies er auf sie und legte die Hand auf die Schale.
Der Venusianer wiederholte exakt die Bewegungen. Also hatte Belopolski ihre Frage richtig verstanden und sie ihrerseits seine Antwort.
Wenigstens schien es sowohl den Menschen als auch den Venusianern so.
Gewohnte Begriffe und Vorstellungen erscheinen stets einfach und allgemein bekannt. Jedes vernünftige Geschöpf nimmt gern an, daß die anderen Geschöpfe mit einer der seinen parallelen Vernunft begabt sind.
Die Menschen dachten, sie hätten die Bedeutung der steinernen Schale richtig als Friedenssymbol verstanden, mit dem in ungewöhnlicher Form freundschaftliche Gefühle ausgedrückt werden sollten. Die Antworten der Venusianer schienen das zu bestätigen. Als Bewohner der Erde setzten sie unwillkürlich voraus, die Herren des anderen Planeten seien mit irdischer Vernunft begabt und mäßen ihren Handlungen irdischen Sinn bei.
Diese irrige Auffassung wurde nicht wenig dadurch begünstigt, daß die Schale eine ihnen gut bekannte Form hatte. Ohne sich darüber klar zu sein, daß sie die Form mit dem Inhalt verwechselten, konnten sie die wahre Bedeutung des Steingefäßes nicht einmal ahnen.
Auch die Venusianer irrten sich — sie irrten sich aus dem gleichen Grund. Als Bewohner der Venus schrieben sie ihren Gästen die ihnen selber geläufigen Vorstellungen von dem fraglichen Gegenstand zu. Sie faßten deren Antworten in ihrem Sinne auf und gelangten zu dem Schluß, die Menschen hätten sie verstanden und eingewilligt, eine Bitte zu erfüllen, von der sie in Wirklichkeit jedoch nicht das geringste ahnten.
All das stellte sich jedoch erst später heraus. In diesem Augenblick waren sowohl die Gäste als auch die Gastgeber mit dem Verlauf der Unterhaltung völlig zufrieden. Beide Parteien nahmen an, sie hätten über die Steinschale gegenseitiges Einverständnis erzielt.
Die Venusianer luden die Menschen mit Gesten ein, ihnen zu folgen, und kehrten in den Saal zurück zu dem Geländewagen.
Balandin empfing sie voller Freude. Das lange Warten und die Sorge hatten ihn zermürbt. Wußte er doch nicht, wohin seine Genossen geführt worden waren und was mit ihnen geschehen sollte. Als er sie beide lebend und unversehrt erblickte, atmete er erleichtert auf.
Belopolski und Romanow stiegen schnell in den Wagen. Sie merkten, daß ihr Sauerstoff zur Neige ging. Das Atmen fiel ihnen schwer. Durch Gasmaskenfilter zwar von Kohlensäure und Formaldehyd gereinigt, eignete sich die Luft der Venus auf die Dauer doch nicht zum Atmen; sie enthielt nicht genug Sauerstoff. Fünf Venusianer umringten den Wagen. Die übrigen waren verschwunden.
„Sie haben sich sofort zurückgezogen, als Sie dort hineingegangen sind“, sagte der Professor. „Hier ist die ganze Zeit niemand gewesen.“ Binnen weniger Minuten waren die transportablen Sauerstoffbehälter frisch gefüllt Die Venusianer beobachteten alle Bewegungen der Menschen und sahen einander zwischendurch immer wieder an, als teilten sie sich ihre Eindrücke mit.
„Sprechen Sie?“ fragte Balandin.
„Nein“, antwortete Belopolski, „sie verständigen sich durch Gesten.“ Er berichtete über den Verlauf und die Resultate ihrer Unterhaltung.
„Was werden sie mit uns tun?“ „Ich sagte schon — sie werden uns zu den Bergen transportie ren. Alle unsere Bemühungen, ihnen zu erklären, daß wir nicht zum Atmen haben, blieben vergeblich. Sie verstehen uns nicht.“ „Und Sie haben sich damit abgefunden?“ Belopolski hob unschlüssig die Schultern. „Jetzt beabsichtiget! sie, zum Raumschiff zu gehen“, sagte er statt einer Antwort „um dort ihre Zeremonie mit der Schale zu wiederholen. Ich hoffe, unsere Freunde wissen, wie sie sich zu verhalten haben.“ „Vielleicht können wir ihnen einen Zettel mitgeben?“ „Das überlege ich mir auch gerade. Wir müssen es versuchen.‘‘ Belopolski und Romanow stiegen noch einmal aus. Sie ließen die Tür offen, um zu zeigen, daß sie den Venusianern völlig vertrauten. Konstantin Jewgenjewitsch trat zu einem von ihnen und lud ihn durch eine Handbewegung ein, mit ihm in das Zimmer mit dem Tisch zu gehen.
Der Venusianer verstand sogleich. Belopolski nahm einen Bleistift und ein Notizbuch mit.
Er trat an den Tisch und zeichnete auf ein Blatt Papier den gleichen Plan, den die Venusianer zweimal mit ihren Mitteln dargestellt hatten: den Fluß mit dem Wehr, das Raumschiff und den See. Dann schrieb er auf ein anderes Blatt ein paar Zeilen an Melnikow.
Sichtlich interessiert folgte der Venusianer seinem Tun.
nahm behutsam Notizblock und Bleistift in die Hand.
Belopolski versuchte zu erklären, daß der Zettel zum Raun schiff gebracht werden sollte. Mehrmals hintereinander zeigte auf ihn und auf die skizzierte Darstellung des Raumschiffes.
Dann legte er den Zettel in die Schale.
Der Venusianer erstarrte. Er blickte unverwandt die Schale an, und Belopolski gewann den Eindruck, seine Haltung drückte gespannte Erwartung aus.
Worauf wartete er?
So verging eine Minute.
Plötzlich stürzte der Venusianer zu der Schale, holte den Zettel heraus und warf ihn auf den Tisch. Diese Geste konnte Verachtung, Ungeduld oder einfach die Weigerung, die Bitte zu erfüllen, bedeuten. Vielleicht hatte der Mensch ihn beleidigt, dem er einen fremden Gegenstand in das heilige Gefäß legte?
Wie sollte Belopolski das erkennen, wenn sich in den Gesichtern der Venusianer keine Gefühle spiegelten? Wenn sie stets völlig unbeweglich blieben?
Aber warum hatte er den Zettel nicht sofort wieder aus der Schale entfernt? Warum hatte er gewartet?
Belopolski sah ein, daß sein Versuch mißlungen war. Die Venusianer würden keine Nachricht an die Genossen überbringen.
Plötzlich ergriff sein sonderbares Gegenüber den Zettel, wies mit der einen Hand auf die Zeichnung und dann auf die Schale.
War er vielleicht doch einverstanden?
Belopolski nickte und wiederholte aufs neue seine Erklärung.
Der Venusianer wiederholte alle seine Gesten genau. Wieder flackerte Hoffnung auf, daß die Nachricht doch noch überbracht werden würde. Er durfte sie offenbar nur nicht in die Schale legen.
Belopolski dachte, daß die vernünftigen Geschöpfe verschiedener Planeten, sowenig sie einander auch gleichen mochten, dennoch stets eine Methode finden könnten, ihre Gedanken auszutauschen.
Der Venusianer wies noch einmal auf den Zettel und auf die Darstellung des Raumschiffes auf der Zeichnung. Es leuchtete ein — er war bereit.
Aber wer würde die Nachricht überbringen? Wenn es eine,Schildkröte“ tat, würde sie bestimmt durch den See zum Raumschiff gehen. Wie könnte man den Brief vor der Wassereinwirkung schützen? Eine Flasche würde leicht zerspringen.
Belopolski zögerte nicht lange. Er zog seine goldene Uhr aus der Tasche. Sie war ein Geschenk seines Lehrers, eines berühmten russischen Astronomen, und Konstantin Jewgenjewitsch trug das für ihn wertvolle Stück stets bei sich. Aber es blieb keine andere Wahl, er mußte es wagen, die Uhr zu verlieren. Er faltete den Zettel zusammen und legte ihn unter den doppelten Deckel. Das Gehäuse schloß gut, und es konnte kein Wasser eindringen. Dann hielt er dem Venusianer die Uhr hin.
Aber dieser nahm sie nicht an. Er blickte die Uhr an und traute sich anscheinend nicht, sie zu berühren. Aus welchem Grund?
Belopolski fiel ein, daß die Herren der Venus ein scharfes Gehör besaßen. Ob ihn das Ticken der Uhr beunruhigte?
Höchstwahrscheinlich. Aber wie sollte Belopolski das Werkanhalten? Sogar hier in der Gefangenschaft hatte er die Uhr jeden Morgen aufgezogen.
Abermals zögerte er keinen Augenblick. Er öffnete den hinteren Deckel und drückte mit einem Finger auf die Unruhe. Das rubinene Hämmerchen brach ab, die Uhr stand.
Nun nahm der Venusianer den Gegenstand, der ihm rätselhaft war, an sich. Dabei wies er zum dritten Male auf die Darstellung des Raumschiffes.
Belopolski atmete erleichtert auf. Sein Brief würde zum Schiff gebracht werden, und die Genossen würden erfahren, wie es ihnen hier ergangen war und wo sie sich befanden. Alles übrige würde von Melnikow abhängen. Belopolski war überzeugt, daß sein Vertreter die Situation meistern würde.
Er kehrte zu dem Geländewagen zurück.
Die Uhr blieb auf dem Tisch. Daneben hatte Belopolski auch Bleistift und Notizbuch liegengelassen. Ihm war nicht entgangen, daß diese Gegenstände den Venusianer sehr interessierten.
Romanow empfing ihn mit einer Neuigkeit.
„Unsere Gastgeber möchten unseren Wagen einmal fahren sehen“, berichtete er.
„Warum nicht? Das ist doch zu verstehen. Erfüllt ihren Wunsch. Der Raum hier ist groß genug, und der Wagen kann im Kreis herumfahren. Aber daß Sie mir nicht den Scheinwerfer einschalten!“ Romanow setzte sich auf den Fahrersitz. Belopolski blieb bei den Venusianern und erklärte ihnen mit einer Handbewegung, sie sollten an die Wand zurücktreten. Gehorsam befolgten sie seine Weisung. Die Zeichensprache ersetzte vorläufig immer noch gut das gesprochene Wort. Das kam, weil sich die grundlegenden Gesten von Geschöpfen, die Verstand und Hände besitzen, nicht wesentlich voneinander unterscheiden. Sie sind nicht erfunden, sondern naturgegeben.
Das Raupenfahrzeug ruckte an. Seine Ketten verursachten auf dem Balkenboden einen unglaublichen Lärm.
Die Venusianer hielten die Hände dicht überm Hals an den Kopf. Offenbar saßen dort ihre Hörorgane, die allem Anschein nach sehr empfindlich waren.
Alle fünf drehten sich zur Wand um.
Belopolski wußte, was diese Bewegung bedeutete. Er hastete zum Wagen.
„Anhalten!“ rief er Romanow zu.
Ruckartig hielt das Fahrzeug. Der Lärm brach ab.
„Sie können solchen Radau nicht vertragen“, erklärte Konstantin Jewgenjewitsch, „sie haben empfindliche Ohren.“ Die Venusianer traten erneut an den Wagen heran. Sie schienen ihn noch aufmerksamer zu betrachten als vorher.
Der eine verließ den Raum. Die vier Zurückbleibenden baten Belopolski gestikulierend, er möge einsteigen. Er gehorchte, ohne zu wissen, was das bedeutete.
Was war geschehen? Wohin war der eine Venusianer gegangen?
Jede Änderung im Verhalten der eigenartigen Gastgeber wirkte unwillkürlich besorgniserregend. Die Menschen befanden sich die ganze Zeit auf der Grenze zwischen Leben und Tod.
Sie glaubten die Gesten ihrer Gefängniswärter zu verstehen, hatten jedoch nicht die geringste Vorstellung von deren Psyche und Denkweise. Ihre Absichten in jedem einzelnen Fall zu erraten war unmöglich. Ebenso wie sich das Äußere der Venusmenschen von dem der Erdenmenschen unterschied, mußte sich auch ihre Handlungsweise von der irdischen unterscheiden. Alles war unbekannt: die Sitten und Gebräuche, die Auffassung von der Umwelt und die Art zu denken.
Nach zehn Minuten etwa kehrte der eine Venusianer zurück.
Ihm folgten zehn Reptile. Sie hoben den Geländewagen auf und trugen ihn zum Ausgang. Die fünf Venusianer blieben im Haus zurück, und die Aufregung der Menschen wuchs. Die Anwesenheit der zweifellos hochintelligenten Geschöpfe wirkte, obwohl sie den Menschen nicht ähnelten, beruhigend. Mit den vermeintlichen Schildkröten aber gab es nichts Gemeinsames.
Die Astronauten fühlten sich unwillkürlich an der Seite der Venusianer weitaus sicherer. Diese Überzeugung erklärte sich aus der Hochachtung, die der Mensch gewöhnlich vor der Vernunft empfindet, in welcher Form sie auch auftreten mag. Von der Vernunft erwartet er ganz selbstverständlich „Menschlichkeit“.
Die „Schildkröten“ verließen den Hauseingang und traten hinaus auf die unterirdische Straße.
Wohin trugen sie das Kettenfahrzeug? Es sollte sich bald herausstellen. Minuten später standen sie wieder vor jenem Haus, in dem die drei Männer zuerst gewesen waren. Die Reptile stellten den Wagen an seinen früheren Platz und verschwanden nacheinander.
Abermals erblickten die Sternfahrer um sich nichts als die kahlen Wände des Gefängnisses.
„Wenn wir noch vierundzwanzig Stunden hierbleiben müssen“, sagte Belopolski, „sind wir verloren.“