121906.fb2
Der Lebensmittelvorrat ging zur Neige. Aber was noch schlimmer war — auch der Sauerstoff reichte nicht mehr lange. Die Kosmonauten zapften den letzten Reserveballon an. Bei strengster Sparsamkeit würde er noch zwölf Stunden reichen, vorausgesetzt, alle drei hielten sich möglichst viel außerhalb des Wagens auf.
Fünfzehn Stunden waren schon vergangen.
Die Gelehrten der Venus schienen sie vergessen zu haben.
Niemand kam — außer zwei Venusianern, die den Menschen zweimal Fischfladen brachten.
Das ließ erkennen, daß sie für ihre Gefangenen in gewisser Weise doch sorgten und nicht wollten, daß sie Hungers stürben.
Aber es war klar, daß sie an das Wichtigste, die Atemluft, überhaupt nicht dachten.
„Heute!“ sagte Belopolski.
Balandin und Romanow schwiegen.
Ja! Heute wird es ein Ende haben! Ehe die Nacht anbricht, werden sie tot sein.
Belopolski sah dem Tod mit olympischer Ruhe entgegen. Er glaubte alles getan zu haben, was in ihrer Lage getan werden konnte. Wenn die Venusianer den Brief überbracht hatten, wußte Melnikow schon Bescheid. Das Raumschiff würde zur Erde zurückkehren und den Menschen Kunde bringen, daß die Venus mit vernunftbegabten Geschöpfen bevölkert ist. Eine große Expedition würde ausgerüstet werden; sie würde die Höhle untersuchen, den Bergsee finden und alle Geheimnisse entschleiern. In diesen Gedanken fand Belopolski Trost — ihr Tod war nicht umsonst. Für ihn stand fest, daß Melnikow seinem Befehl nicht zuwiderhandeln und etwa den sinnlosen Versuch unternehmen werde, in die Höhle einzudringen; nur neue Opfer konnten die Folge sein.
Auch Balandin hatte sich mit seinem Schicksal abgefunden.
Allerdings aus einem anderen Grunde: Die Brandwunden an seinen Beinen machten ihm schwer zu schaffen, und er dachte beinahe zufrieden daran, daß er bald von den quälenden Schmerzen befreit sein würde. Die Pikrinsäure linderte seine Qualen nicht mehr, die Wunden waren fast schwarz geworden und eiterten. Der Professor war derart apathisch, daß er nur noch an die bevorstehende Erlösung von seinen furchtbaren Leiden dachte.
Der junge, gesunde Romanow konnte diese Ruhe nicht aufbringen. Er wollte leben und entwarf einen phantastischen Rettungsplan nach dem anderen. Belopolski hörte ihn aufmerksam an, zerstörte aber stets aufs neue seine Illusionen.
Die kühle Logik des Expeditionsleiters brachte Romanow zur Verzweiflung. Er wußte nicht, daß Konstantin Jewgenjewitsch längst alles bedacht hatte und als letztes versuchen wollte, gerade ihn zu retten. Zu diesem Zweck mußte er aber abwarten, bis die Venusianer ihre Drohung wahrmachen und die Gefangenen zu dem Bergsee schicken würden. Es war anzunehmen, daß sie die Menschen nicht veranlassen würden, aus dem Wagen auszusteigen, sondern diesen, wie sie es vorher ebenfalls getan hatten, tragen würden. Der Weg aber konnte nur am Fluß entlangführen.
Jedoch die Zeit verging, und die Venusianer unternahmen nichts. Belopolski fürchtete, er werde sein Vorhaben nicht mehr ausführen können. Der Sauerstoff würde vorher zu Ende gehen und Romanow so das Schicksal seiner beiden Begleiter teilen.
Das Chronometer am Armaturenbrett zeigte auf halb zehn Uhr morgens, als sie endlich Reptile kommen hörten. Ihre dumpfen Tritte waren nicht mit den leichten Sprüngen der Venusianer zu verwechseln.
„Nun werden wir wohl die Reise ins Gebirge antreten“, sagte Belopolski. „Sehr gut! Mehr will ich ja gar nicht!“ Balandin vernahm seine Worte nicht, er war beinahe bewußtlos. Romanow blickte den Kommandanten an und begriff nicht den Sinn seiner Worte. Blieb es sich nicht gleich, ob ihr Fahrzeug oder sie selbst zu den fernen Bergen verschleppt wurden?
Zehn „Schildkröten“ stapften herein. Ohne die geringste Anstrengung hoben sie den Wagen hoch und trugen ihn auf die „Straße“.
Belopolski erwartete, daß man sie wieder zu dem langen Tunnel, durch den See und schließlich am Fluß entlang tragen würde.
Er beabsichtigte, am Flußufer den Motor mit äußerster Kraft laufen zu lassen und dadurch den Trägern die Hände zu binden; das sollte Romanow ausnützen, fliehen und sich nötigenfalls mit der Waffe einen Weg bahnen. Er selber würde ihm dabei mit der Kraft des Motors, mit dem Scheinwerferlicht und der Waffe helfen.
Die Erfolgschancen waren zwar gering, aber Belopolski wußte keinen anderen Rat. Um sich selbst und Balandin machte er sich keine Sorgen. Der Professor konnte ohnehin nicht fliehen, und ihn allein als Opfer für die wütenden Reptile zurückzulassen kam für Belopolski nicht in Frage. Wenn sich der Jüngste von ihnen rettete, genügte das.
Aber die Reptile wandten sich nicht dem Tunnel zu. Sie gingen in entgegengesetzter Richtung über die den drei Männern schon bekannte „Straße“ und brachten sie in dasselbe Haus, in dem sie einen Tag vorher gewesen waren.
Abermals fanden sie sich in dem großen Saal wieder, und abermals standen etwa zwanzig Venusianer an der Tür.
Die „Schildkröten“ setzten den Geländewagen ab und entfernten sich.
Niemand trat heran und bat die Menschen auszusteigen. Die Venusianer schienen zu warten.
Nicht mit den Augen, sondern eher mit einer Art sechstem Sinn nahm Belopolski wahr, daß die Venusianer sich nicht so benahmen wie früher. Sie schienen den Wagen und die Menschen mit feindseligen Blicken zu messen. Er hätte nicht erklären können, woran er das erkannte, aber er war überzeugt, daß er sich nicht irrte. Es war etwas vorgefallen, und dieser Vorfall wirkte sich nachteilig für sie aus.
Die Venusianer blieben in einiger Entfernung stehen.
Belopolski beschloß, der Ungewißheit entgegenzugehen. Er brachte es nicht fertig, untätig abzuwarten.
„Bleiben Sie im Wagen!“ sagte er zu Romanow. „Ich werde versuchen zu erfahren, was sie von uns erwarten.“ Er stieg aus und ging geradewegs auf die Venusianer zu.
Als er näher kam, traten sie auseinander und machten den Eingang zum Nebenzimmer frei. Ohne zu zögern, ging er in das Zimmer mit dem Tisch. Drei Venusianer folgten ihm.
In diesem Raum schien sich nichts verändert zu haben. An den Wänden hingen immer noch die kristallen-durchsichtigen Gewächse, die von hinten rosa angestrahlt wurden. Auch der Tisch sah aus wie früher. Belopolski bemerkte aber sofort, daß die steinerne Schale fehlte. Auch sein Notizbuch, sein Bleistift und seine Taschenuhr lagen nicht auf dem Tisch. Statt dessen erblickte er dort drei Scherben.
Mit Hilfe von Schnüren, Würfeln und einem Schleifstein legten die Venusianer rasch wieder ihre Landkarte aus und setzten neben das „Raumschiff“ acht Würfel.
Belopolski stellte im stillen fest, daß sein Gegenüber die Zahl der Besatzungsmitglieder nicht vergessen hatte.
Dann ergriff einer der Venusianer drei Würfel und legte sie dorthin, wo die Schneise markiert war. Fünf blieben beim Raumschiff.
Was bedeutete das?
Hatten etwa drei Kosmonauten eine Erkundungsfahrt zum See unternommen und waren in die Hände der Venusianer geraten? — Quälende Unruhe packte Belopolski. Hatte Melnikow etwa seinen Befehl nicht befolgt?
Der Venusianer wies mit der einen Hand auf die drei Würfel und mit der anderen auf die Scherben, die auf dem Tisch lagen, ßelopolski musterte sie prüfend und bemerkte — es waren Scherben der steinernen Schale.
Was war geschehen? Was hatte sich auf der Schneise zugetragen, auf der die Venusianer offenbar drei Menschen begegnet waren? Warum war das Symbol des Friedens uad der Freundschaft zersprungen? Der Venusianer wollte zweifellos zu verstehen geben, daß ein Mensch daran schuld sei.
Belopolski wies den Gedanken von sich, daß die Genossen absichtlich so leichtfertig gewesen sein könnten. Hinter alleilem verbarg sich etwas. Jedenfalls hatte er sich nicht getäuscht.
Die Venusianer hatten tatsächlich ihre Einstellung zu den Menschen geändert, und zwar seitdem die Schale zerstört worden war.
Die Herren des Planeten kamen ihm zu Hilfe.
Der eine wandte den Kopf zur Tür. Er gab keinen Laut von sich. Trotzdem eilte, wie auf stummen Befehl, aus dem großen Saal ein Venusianer herbei und stellte eine neue Schale auf dem Tisch, die der alten in allem glich.
Nun wußte Belopolski überhaupt nicht mehr, was er denken sollte. Wenn die Venusianer mehrere Schalen besaßen — warum grollten sie dann, wenn eine verlorenging? Was bedeutete, eigentlich dieser merkwürdige Gegenstand, dem sie offenbar so große Bedeutung beimaßen?
Die drei Venusianer wiesen mit der einen Hand auf die Schale und mit der anderen auf den Menschen, der ihnen gegenüberstand. Ihre Haltung war vielsagend, sie erteilten einen Befehl, der sich auf die Schale bezog.
Belopolski fühlte, wie ihm der kalte Schweiß auf die Stirn trat. Was wollten die Venusianer von ihm? Was sollte er tun?
Er ließ sich die „Unterhaltung“ vom vorhergehenden Tage durch den Kopf gehen und glaubte, sie plötzlich besser zu verstehen. Vielleicht hatten die Venusianer schon am Vortage das gleiche wie in diesem Augenblick von ihm verlangt. Dann hatten sie aber eingewilligt, daß dieses ihr Verlangen an Bord des Raumschiffes erfüllt würde. Dabei ereilte sie ein Mißgeschick — die Schale ging entzwei. Durch wessen Schuld dies geschah, war zunächst unwichtig. Sie beschlossen daher, ihre Absicht nun durch ihn zu verwirklichen. Aber worin bestand ihre Absicht?
Was brauchten sie?
Belopolski war gewöhnt, sich zu beherrschen. Er zwang sich zur Ruhe und zu kühlem Nachdenken.
Alles drehte sich offenbar um die Steinschale. Mit ihr mußte etwas getan werden. Sollte es ihm nicht gelingen, den Venusianern ihre Absicht zu entlocken? Am Tage zuvor hatte er sich doch auch mit ihnen verständigt.
Rechnen wir doch einmal auf, was wir schon wissen! dachte er. — Zweimal haben die Venusianer uns die Schale gereicht und sie wieder zurückgenommen. Das könnte ihren Auffassungen entsprechend heißen, daß wir uns bereit erklärten, ihre Bitte zu erfüllen. Darauf haben sie uns so verstanden, daß jene Bitte an Bord ausgeführt würde. Nachdem sie inzwischen — gleichviel, aus welchem Grunde — einen Mißerfolg erlitten haben, wollen sie, ich soll ihnen gleich hier den Wunsch erfüllen.
Belopolski nahm die Schale in die Hand. Die Venusianer hinderten ihn nicht daran, sie warteten.
Mit schier übermenschlicher Anstrengung überlegte Belopolski, was als nächstes zu tun sei. Die Schale zurückreichen? Natürlich nicht! Sie in den Wagen tragen? Auch das nicht! Etwas hineinlegen? Ihm fiel ein, wie der Venusianer den Zettel hinausgeworfen hatte. Also — auch nicht das Richtige!
Aber was dann?
Forschend sah Belopolski sich das Steingefäß an.
Das rosige Licht störte. Trotzdem bemerkte er, daß auf der Außenseite etwas eingeschnitten war. Verzierungen.
Er sah genauer hin, strengte seine scharfen Augen an und erblickte…
Was war das?
Wie eine flüchtige Vision huschten vor seinem geistigen Auge die schwarzweißen Felsen der Arsena vorüber… Der Talkessel… die Granitfiguren … Oktaeder, Dodekaeder, Kuben …
Genau solche Körper waren auf der Schale abgebildet, die den Herren der Venus gehörte.
Belopolski hob den Kopf. Ihm gegenüber standen die Venusianer. Sie sollten das geschaffen haben? … Nein, das war unmöglich! Die Venusianer und ein interplanetarer Flug — das paßte nicht zusammen!
Es war ein Zufall. Ein seltsamer Zufall!
Aber er konnte ja fragen …
Belopolski wies mit dem Finger auf die Figuren, die in die Schale geschnitten waren.
Der Venusianer wiederholte die Geste des Menschen und zeigte dann auf Belopolski. Die beiden anderen taten das gleiche.
Da durchfuhr den Kosmonauten ein unglaublicher Gedanke: Ob die Venusianer damit sagen wollten, die Schale gehöre Menschen? Daß Menschen sie geformt hätten?
Wenn sie aber nicht die Menschen meinten, dann … Ja, natürlich, nur so konnte es gemeint sein!
Wissenschaftler kennen solche Augenblicke. Der ForscherGedanke quält sich in einem verschlungenen Labyrinth und sucht nach einer Lösung. Und plötzlich flammt grell im Hirn die richtige Lösung auf, und alles, was finster und rätselhaft schien, wird klar.
Belopolski hatte verstanden.
Die Steinschalen sind nicht von den Venusianern hergestellt worden. Andere haben sie vor langer Zeit auf die Venus gebracht. Wer? Die gleichen Geschöpfe, von denen die Granitfiguren auf der Arsena stammen. Von Generation zu Generation vererbt sich auf der Venus immer noch die Erinnerung an diese unbekannten Besucher. Und die Venusianer glauben nun, Erdenmenschen hätten ihnen die Schalen hinterlassen, Menschen, die jetzt zum zweiten Male ihren Planeten besuchen. Natürlich wissen sie nichts von der Existenz der Erde, wissen sie nicht, woher und wozu damals und auch jetzt jene Geschöpfe, die ihnen gar nicht ähneln und eine ihnen unbekannte Technik besitzen, zu ihnen gekommen sind. Aber sie wollen, daß sie ihnen wiedergeben, was diese Schalen in ferner Vergangenheit darstellten und was sie anscheinend vergessen oder — was wahrscheinlicher ist — verloren haben.
Wozu dienten die Schalen? Das war die Frage.
Belopolski ergriff eine Scherbe.
Die Außenseite war zweifellos aus Stein, aber auf der Innenseite erblickte er eine eigenartige Schicht. Sie war hart, aber nicht aus Stein. Er untersuchte auch die unbeschädigte Schale und überzeugte sich, daß die ganze innere Höhlung mit der gleichen Schicht bedeckt war.
Hier und nur hier lag die Lösung verborgen!
Belopolski gab durch ein Zeichen zu verstehen, daß er zum Wagen zurückgehen wolle. Die Venusianer verstanden und begleiteten ihn. Der eine nahm die Schale mit.
Im Saal wimmelte es von Venusianern. Es waren mindestens zweihundert.
Sie machten dem Menschen bereitwillig Platz, als er auf sein Gefährt zuging. Hastig berichtete Belopolski den Kameraden, was er von alledem hielt, und zeigte ihnen die Scherbe, die er mitgenommen hatte.
„Helft mir, das Rätsel ganz zu lösen!“ bat er.
Romanow ergriff die Scherbe. Er war als Geologe zwar noch jung, aber erfahren und vielseitig. Er erkannte sofort, daß die Schicht nicht natürlichen, sondern künstlichen Ursprungs war.
Sie sah dunkelgrau aus.
„Sie erinnert mich an Thermit“, sagte er.
„Thermit!“ Belopolski fiel es plötzlich wie Schuppen von den Augen.
In der Schale hatte also Feuer gebrannt. Die Venusbewohner hatten das Feuer von unbekannten Sternfahrern erhalten und wieder verloren. Selbst entzünden konnten sie es nicht, aber die Erinnerung daran hatten sie bewahrt und baten nun die Fremden, ihre Schale mit der köstlichen Gabe zu füllen.
So wird es sein, so und nicht anders! Die Lösung war gefunden.
„Womit können wir sie entzünden?“ fragte Belopolski und wies auf die Scherbe.
„Wenn es eine Thermitschicht ist“, sagte Romanow, „dann muß sie längst ausgebrannt sein. Thermit brennt schnell.“ „Dieses Material stammt nicht von der Erde. Vielleicht ist es gar kein Thermit. Aber es muß brennen.“ „Thermit wird mit Magnesium entzündet“, sagte Romanow.
„Wir haben keins. Aber Wtorow natürlich.“ „Es ist kein Thermit“, sagte Belopolski noch einmal. „Haben Sie Streichhölzer bei sich?“ „Natürlich nicht. Aber wir können die Akkumulatoren dazu benutzen.“ „Beeilen Sie sich!“ sagte Belopolski ungeduldig.
Akkumulatoren liefern gleichbleibend starken Strom. Wenn die Spannung hoch genug ist, gibt es nichts Leichteres, als mit ihrer Hilfe Feuer zu entzünden. Dazu braucht man nur zwei Drähte, die mit den beiden Polen des Akkumulators verbunden sind, einander zu nähern. Dann entsteht zwischen beiden ein Voltascher Bogen, an dem man leicht einen Holzspan oder ein Stuck Papier entzünden kann.
„Seien Sie vorsichtig!“ sagte Romanow, als in Belopolskis Hand ein Notizblatt aufflammte. „Wenn es Thermit ist, entsteht eine sehr hohe Temperatur.“ Sobald das Papier brannte, traten die Venusianer hastig vom Wagen zurück. Sie erschraken sichtlich. Der die Schüssel gehalten hatte, stellte sie schleunigst auf den Boden und sprang zur Wand.
„Sie wissen, was vor sich geht“, sagte Romanow. „Seien Sie bloß vorsichtig, rate ich Ihnen!“ „Wir haben keine andere Wahl!“ Belopolski ging mit dem brennenden Papier zu der Schale, er traute sich nicht, es hineinzuwerfen. Es konnte erlöschen — und wer weiß, was bei einem derartigen Mißerfolg geschehen würde.
Das Feuer leckte am inneren Rand der Schale. Eine kurze Stichflamme, eine Rauchwolke stieg auf, verflog, und aus der steinernen Schale züngelte eine blaßblaue Flamme wie von einer dünnen Spiritusschicht empor.
Es war ein kaltes Feuer. Belopolski, der daneben stand, verspürte keine Wärme.
„Es ist kein Thermit“, sagte Romanow.
Unverwandt blickten die Venusianer die Schale an. Die Flamme blendete sie nicht, sie war ganz schwach. Dann kamen sie langsam näher.
Belopolski stieg in den Wagen.
Die Menschen wurden Zeugen einer heidnischen Feueranbetung. Jeder Venusianer berührte die Schale mit dem Kopf und den Händen und ging dann wieder zur Wand zurück. Da mindestens zweihundert Venusianer anwesend waren, dauerte diese Zeremonie sehr lange.
Endlich verneigte sich der letzte vor der Schale. Fünf blieben neben ihr stehen. Einer erhob die Schale und trug sie hinaus.
Die anderen folgten ihm.
Das seltsame Zimmer verödete, und die Menschen blieben allein. Sie schienen vergessen zu sein.
„Dafür haben wir uns solche Mühe gegeben!“ sagte Belopolski achselzuckend.
Aber keine zwei Minuten waren vergangen, als zwei Venusianer, von zehn Reptilen begleitet, zurückkehrten.
„Das ist das Ende!“ sagte Romanow. „Sie brauchen uns nicht mehr, und nun erledigen sie uns.“ „Das glaube ich nicht“, sagte Belopolski, während er ausstieg.
Die Venusianer kamen ihm entgegen und warfen sich vor ihm auf den Boden. Konstantin Jewgenjewitsch wunderte sich nicht darüber, er hatte es erwartet. Wenn sich die Herren dieses Planeten vor dem Feuer, das ihnen rätselhaft war, verneigten, mußten sie sich auch vor denen verneigen, die es entzündet hatten.
Warum aber hatten sie es nicht schon vorher getan, wenn sie doch wußten, daß die Menschen ihnen Feuer schenken könnten?
Das entsprach ganz und gar nicht den menschlichen Gepflogenheiten.
Es ist keine Verehrung, sondern Ausdruck ihrer Dankbarkeit, dachte Belopolski.
Die Venusianer standen auf. Durch Gesten baten sie den Menschen, mit ihnen in das Tischzimmer zu gehen.
Was wollten sie noch?
Belopolski folgte ihnen.
Auf dem Tisch lag immer noch die Landkartenskizze, die er vor kurzem gezeichnet hatte. Der eine Venusianer legte neben die Darstellung des Raumschiffes acht Würfel. Sie stellten die acht Mann dar, die an Bord geblieben waren. Auf den See legte er fünf andere Würfel.
Warum fünf? Sie waren doch nur drei Gefangene?
Aber sogleich klärte sich alles auf. Der Venusianer wies auf die Würfel und auf Belopolski, dann zeigte er auf sich und den anderen Venusianer.
Vorläufig war alles ziemlich klar. Die fünf Würfel stellten drei Menschen und zwei Venusianer dar.
„Und was weiter?“ Es geschah, was Belopolski nie und nimmer erwartet hätte.
Der Venusianer ergriff die fünf Würfel und legte sie zu dem skizzierten Raumschiff.
Kein Zweifel — sie wollten das Schiff besuchen!
Belopolski war verdattert. Wie sich herausstellte, hatten die Venusbewohner nicht die geringste Angst vor dem Raumschiff.
Sie wollten es sogar besichtigen.
Aber nicht nur Verwunderung empfand der Expeditionsleiter.
Er wußte nun ganz und gar nicht mehr, was er von den Geschöpfen halten sollte, die ihm gegenübersaßen. Wie sah es in ihnen aus, was ging in ihnen vor? Waren sie hochentwickelte Geschöpfe oder Wilde, die eine Steinschale und das darin brennende Feuer anbeteten? Die Vorstellung, daß sie geistig hochentwickelt wären, entsprach nicht dem Bild, daß sich den Mensehen soeben an der Schale geboten hatte. Dagegen entsprach der Wunsch, das Schiff zu besichtigen, nicht der Vorstellung von Wilden, die solch rätselhaftes, riesiges Ding wie ein Raumschiff lurchten mußten.
Was sollte Belopolski den Venusianern antworten? Natürlich waren sie willkommen! Sollten sie ruhig das Schiff besichtigen, wenn sie Lust dazu verspürten.
Ihm kam der Gedanke, daß es schön wäre, könnten sie einen Venusianer zur Erde mitnehmen. Aber er verwarf ihn entrüstet im selben Augenblick. Das wäre eine ganz gemeine Vergewaltigung, eines Sowjetmenschen unwürdig. Wie konnte ihm dergleichen einfallen? Er wiederholte die Bewegung des Venusianers, um zu zeigen, daß er einverstanden sei.
Alle drei kehrten zu dem Geländewagen zurück.
„Was werden sie auf unserem Schiff atmen?“ fragte Romanow, als Belopolski von der Absicht der Venusianer berichtete.
„Ganz einfach — Venusluft“, antwortete Konstantin Jewgenjewitsch.
Belopolski stieg ein. Durch Handbewegungen forderte er die beiden Venusianer auf, ihnen zu folgen, aber sie lehnten ab.
Wollten sie damit sagen, daß sie allein kommen würden?
Oder hatte Belopolski sie wieder nicht richtig verstanden? Beides war möglich.
Die Reptile hoben den Geländewagen auf und trugen ihn hinaus. Die Venusianer folgten.
Einsam wie zuvor wirkte die „Stadt“. Aber die Menschen wußten nun, daß dieser Eindruck trog.
Schade, daß wir ihre Wohnungen nicht gesehen haben! dachte Belopolski. — Die Häuser, in denen wir gewesen sind, dienen offenbar nicht als Wohnhäuser. Sie müssen auch Werkstätten besitzen, in denen beispielsweise Schüsseln hergestellt werden.!
Die beiden Menschen wurden an ihrem nur allzu vertrauten „Gefängnis“ vorübergetragen. Schon dachten sie erregt, die Reptile würden sie wieder dorthin zurückbringen und damit endgültig dem sicheren Tod ausliefern. Aber die Tiere gingen an der gefährlichen Stelle vorüber.
Endlich stapften sie in den rosaroten Tunnel und schließlich ins Wasser hinein.
Die beiden Venusianer, die das Raupenfahrzeug begleitet hatten, waren abgebogen und verschwunden.
Fast dreimal vierundzwanzig Stunden hatten die Menschen in der unterirdischen Stadt in Gefangenschaft der Venusianer verbracht. Was war ihnen in dieser Zeit zu Gesicht gekommen?
Man könnte sagen — nichts! Was hatten sie von den Venusianern erfahren? Sehr wenig! Das Abenteuer, das sie beinahe das Leben gekostet hatte, brachte ihr Wissen um die Bewohner des Planeten keinen Schritt vorwärts. Das Rätsel war nur noch größer geworden.
Da… Sie erreichten den Grund des Sees, der von dem matten Licht der rätselhaften Bäume erhellt wurde … Das Ufer…
Die Waldschneise…
Abermals tauchten die Venusianer auf. Sie hatten die Höhle offenbar auf einem anderen Wege verlassen und waren um den See herumgegangen. Konnten sie sich überhaupt nicht unter Wasser aufhalten?
Das Flußufer zeichnete sich ab.
Und endlich erhob sich vor ihnen in der nächtlichen Finsternis ein schwarzer Koloß, ihre zweite Heimat — das Raumschiff.