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Minutenlang standen die acht Männer wie erstarrt vor dem flimmernden Bildschirm. Freude und Schmerz, Hoffnung und Verzweiflung rangen in ihnen, wechselten einander ab. Sie trauten ihren eigenen Augen nicht und wünschten doch nichts sehnlicher, als daß es wahr wäre.
Was sie sahen, war zu unwahrscheinlich. Daß dort unten der Geländewagen stehen sollte, der unter den Augen von drei Mitgliedern der Schiffsbesatzung in den See getragen worden war, glich einem Märchen.
Noch wenige Minuten zuvor hatte Melnikow gesagt, die Venusianer würden die Toten selber bringen, wenn sie es für nötig erachteten. Und nun stand gleichsam als Antwort auf seine Äußerung der Wagen vor der einen Luftschleuse. In ihm mußten die drei Toten liegen.
Aber die Geräte des Steuerpultes widerlegten eine solche Schlußfolgerung. Das Filtergerät arbeitete, und niemand außer Belopolski, Balandin oder Romanow konnte es eingeschaltet oder auch nur die Luftschleuse betreten haben.
Doch wie war es möglich, daß auch nur einer von ihnen noch lebte, wenn der Sauerstoffvorrat in den Reservoirs des Geländewagens bereits einen Tag zuvor hätte verbraucht sein müssen? Unter Wasser, wo keine Außenluft genutzt werden konnte, war es unmöglich, Sauerstoff zu sparen.
„Vielleicht ist nur einer zurückgekehrt?“ flüsterte Melnikow.
Es war die einzige, zweifellos einleuchtende Erklärung. Für einen Menschen allein hätte der Sauerstoff vierundzwanzig Stunden länger reichen können.
Wer von den dreien kehrte zum Raumschiff zurück?
Von Ungewißheit gepeinigt, verharrten alle auf ihrem Platz, ohne den Bildschirm aus den Augen zu lassen.
Vor lauter Aufregung war keiner darauf gekommen, einen Scheinwerfer einzuschalten und das Kettenfahrzeug anzustrahlen. Im Halbdunkel der Venusnacht hob es sich nur wie ein verschwommener Schatten ab. Und neben ihm bewegten sich andere Schatten.
Die Schatten von drei Gestalten waren zu erkennen! Drei!
Aber ein Mann befand sich doch schon in der Luftschleuse?
Neben dem Fahrzeug konnten nicht mehr als zwei Männer stehen!
Trotzdem waren es drei Schatten.
Die Sternfahrer beugten sich weit vor zum Bildschirm, und ihre Augen tasteten angestrengt das Halbdunkel ab.
Der eine Schatten… Jetzt erkannten sie in ihm die hochgewachsene Gestalt ihres Kommandanten. Neben ihr bewegte sich etwas. Zwei Lebewesen, deren verschwommene Silhouetten seltsam und ungewöhnlich aussahen.
„Was ist das?“ „Licht an!“ befahl Melnikow.
„Nicht nötig!“ rief Knjasew. „Es sind Venusianer!“ „Ja, stimmt!“ bestätigte Korzewski erregt.
Eine neue Überraschung! Wer hätte das gedacht?
War es den Kameraden etwa gelungen, sich mit den Seebewohnern zu verständigen? Besaßen diese gar eine hochentwickelte Technik, und hatten sie die Menschen mit Sauerstoff versorgt? Sonst könnten doch die Männer in dem Geländewagen gar nicht mehr leben! In der Luftschleuse stand anscheinend Balandin, während Belopolski einstweilen draußen den Fremden Gesellschaft leistete.
Zwei von den drei Männern lebten also. Und obwohl alle Wassili Romanow aufrichtig zugetan waren und bei dem Gedanken an seinen Tod echten Schmerz empfanden, fühlten sie sich ungeheuer erleichtert.
„Wir haben also richtig vermutet“, sagte Toporkow, „das Funkgerät des Geländewagens hat nicht funktioniert, und eine individuelle Sprechfunkanlage besaß keiner.“ „Anders kann es wohl nicht gewesen sein“, antwortete Melnikow seufzend. „Auch am Tod des Genossen Romanow dürfte nicht mehr zu zweifeln sein; denn er hatte Sprechfunk bei sich.“ Alles deutete auf diese traurige Wahrheit hin. Wäre Romanow noch am Leben, hätte er längst gefunkt. Sein Schweigen schloß jeden Zweifel aus. Ein sinnloser Tod. Denn die beiden Menschen, um derentwillen Romanow verunglückt war, lebten.
„Warum legen wir die Hände in den Schoß und grübeln?“ sagte Igor Dmitrijewitsch. „Warum verbinden wir uns nicht über Sprechfunk mit der Luftschleuse?“ Sogar daran hatte bisher keiner gedacht.
„Balandin könnte doch selber die Zentrale anrufen. Warum macht er das nicht?“ Toporkow legte den Hebel herum und drückte auf einen Knopf. Der Steuerbordbildschirm leuchtete auf und zeigte das Innere der Luftschleuse.
Da entrang sich allen ein Schrei der Verwunderung und der Freude.
Lebendig und, wie es schien, unversehrt stand vor ihnen ihr Kamerad Romanow. Er trug auf den Armen einen regungslosen menschlichen Körper, dessen Kopf herabhing. Entsetzt erkannten die Männer in ihm Professor Balandin.
Der Geologe warf einen Blick auf die Geräte. Auf den Schrei seiner Freunde, den er in der Schleuse hätte hören müssen, reagierte er nicht.
Toporkow sah ihn genau an. „Er hat gar keinen Sprechfunk mehr bei sich“, sagte er. „Und durch den Helm hindurch hört er uns nicht.“ Alle drei kehrten also zurück — es war nicht zu fassen!
Wie hatten sie das geschafft? In einer Viertelstunde würde man alles wissen.
Sie sahen, wie der Geologe Balandin behutsam auf den Fußboden legte, wie er den Gasschutzanzug auszog und dann auch den Professor von diesem Kleidungsstück befreite.
Also lebte der Professor! Einem Toten würde keiner den Anzug ausziehen.
„Wassili Wassiljewitsch“, rief Melnikow leise.
Der Geologe zuckte zusammen und wandte sich der Stimme zu. In der Schleuse befand sich kein Bildschirm, so daß er nicht sehen konnte, wer mit ihm sprach.
„Ich höre“, sagte er.
„Wassili, mein Lieber! Wir sind ja so froh! Was ist mit Sinowi Serapionowitsch? Warum ist Konstantin Jewgenjewitsch nicht in die Luftschleuse gestiegen?“ „Er wartet bei den Venusianern. Sie kommen uns besuchen.
Um Sinowi Serapionowitsch steht es sehr schlecht. Stepan Arkadjewitsch soll sich bereithalten, er muß ihn behandeln.“ Romanow sprach empörend ruhig, als ob sie von einem kurzen Ausflug zurückkämen und nichts Besonderes erlebt hätten.
„Geduldet euch noch ein bißchen“, setzte er hinzu, „wir werden euch alles erzählen. Konstantin Jewgenjewitsch hat angeordnet, daß Sie auf keinen Fall Scheinwerfer einschalten.“ „Die haben wir bis jetzt einfach vergessen“, antwortete nikow.
„Sehr gut. Die Augen der Venusianer vertragen das Licht nicht. Bringt eine Trage zur Schleuse. In zehn Minuten kommen wir heraus. Ach ja, noch etwas — schließt hermetisch alle Türen, im Korridor, der von der Schleuse zur Steuerzentrale führt, sowie in der Zentrale selbst und im Observatorium! Aber vorher muß Sinowi Serapionowitsch in die Ambulanz. Und überall das Licht dämpfen!“ „Wozu das?“ „Ich habe doch gesagt, daß uns Venusianer besuchen. Wir müssen die Venusluft ins Schiff hereinlassen. Sonst können unsere Gäste nicht atmen.“ „Wie seid ihr denn bloß am Leben geblieben?“ „Davon später.“ Die Besatzung mußte ihre Ungeduld zügeln. Der Geologe war Belopolskis würdig. Er dachte nicht daran, ihre Neugier zu befriedigen.
Sieben Mann gingen zur Luftschleuse. Melnikow blieb am Steuerpult, um den Befehl des Expeditionsleiters auszuführen.
In einen Teil der Schiffsräume die Venusluft einströmen zu lassen, war ungefährlich. Vorher mußten bloß alle die Gasschutzanzüge anziehen. Sobald die Venusianer das Schiff wieder verlassen haben würden, konnte die Luft schnell von Formaldehyd und Kohlensäuregas gereinigt werden. Die Filtrierapparaturen waren stark genug.
Während Melnikow prüfend beobachtete, was an Bord und vor der Luftschleuse geschah, verweilte sein Blick immer wieder auf der breitschultrigen Gestalt Konstantin Jewgenjewitschs, der gelassen und scheinbar ganz ruhig neben dem Geländewagen auf und ab ging. In seiner Nähe befanden sich, im Dunkel kaum zu erkennen, zwei kleine Venusianer.
Wer hätte noch vor kurzem gedacht, daß Menschen und Venusbewohner so schnell freundschaftlich miteinander verkehren würden? Noch vor wenigen Stunden hätte jeder das für unmöglich gehalten.
Melnikow sah auf dem Bildschirm, wie sich die Tür der Luftschleuse öffnete und Wtorow und Knjasew den scheinbar leblosen Balandin behutsam auf die Trage legten. Von Andrejew und Korzewski begleitet, trugen sie den Professor in den Sanitatsraum. Paitschadse, Toporkow und Saizew umarmten stürmisch den jungen Geologen.
Bald darauf schloß auch Melnikow den wie durch ein Wunder Geretteten in die Arme.
„Wir müssen uns beeilen!“ sagte Romanow. „Konstantin jewgenjewitsch hat fast gar keinen Sauerstoff mehr bei sich.“ Unwillkürlich warf Melnikow einen Blick auf den Bildschirm.
Belopolski lustwandelte nach wie vor gemächlich um den Gelandewagen herum und verriet durch nichts, daß sein Leben am seidenen Faden hing. Aber natürlich wußte er es.
„Was soll ich tun? Schnell, sagen Sie es!“ „Die beiden Türen der Luftschleuse öffnen.“ Warum kam Belopolski nicht ins Schiff? Konnte er die Gäste nicht einen Augenblick allein lassen? Die Energie dieses Mannes kannte keine Grenzen!
Melnikow handelte schnell. Binnen einer Minute waren alle Luken und Türen geschlossen. Balandin lag bereits im Operationssaal. Melnikow machte Andrejew darauf aufmerksam, daß er und Korzewski mit dem Verunglückten während des Venusianerbesuchs von den übrigen Räumen abgeschnitten sein würden. Die Angst um den Kommandanten, der sich in Lebensgefahr befand, ließ Melnikow alles andere vergessen; er erkundigte sich bei dem Arzt nicht einmal nach Balandins Zustand. Übrigens konnte Andrejew ohnehin noch nichts sagen.
„Die Gasschutzanzüge anziehen!“ befahl Melnikow den übrigen Besatzungsmitgliedern.
Keine fünf Minuten vergingen, und schon standen alle bereit.
Melnikow tippte auf die entsprechenden Knöpfe.
Die Konstrukteure von „SSSR-KS j“ hatten alles getan, um das Schiff vor dem Eindringen der Luft eines anderen Planeten zu schützen. Sie hatten das als eine ihrer wichtigsten Aufgaben betrachtet.
Eine vollkommene Automatik, eingebaute Filter, eine wechselseitige Blockierung der Türen und Fenster des Observatoriums sowie thermische Schalter an den Türknöpfen — all das diente dem einen Zweck. Aus Versehen die beiden Türen der Luftschleuse zu öffnen war völlig unmöglich. Damit es dazu kam, mußte man nacheinander sechzehn Knöpfe betätigen.
Melnikow zwang sich, den unwillkürlich aufflammenden Widerstand gegen das sonst Verbotene zu überwinden. Der Befehl des Kommandanten mußte ausgeführt werden.
Das kleine Lämpchen, das an der sichtbarsten Stelle des Steuerpultes angebracht war und seit dem Start auf der Erde ununterbrochen geleuchtet hatte, erlosch. Sein grünes Licht wurde durch das unheilvolle Rot des Katastrophensignals gelöst. Die Zeiger auf den automatischen Geräten sanken auf Null. Das Schiff hatte seinen Schutz verloren.
Melnikow drückte auf die letzten Knöpfe. Auf vier Raumfahrten war es ihm in Fleisch und Blut übergegangen, daß man dies nie tun dürfe. Unwillkürlich zuckte seine Hand zurück.
Es kostete ihn Anstrengung, die leicht federnden Knöpfe niederzudrücken.
Belopolski wartete geduldig. Er wußte, daß Melnikow ohne Verzug handeln würde. Doch das Atmen fiel ihm immer schwerer. Der Sauerstoff in seinem Tragebehälter ging zur Neige Die Ballons im Geländewagen waren bereits leer. Buchstäblich im letzten Augenblick hatten die Männer das Schiff wieder erreicht.
Vielleicht hätte er sogleich mit Romanow zusammen die Luftschleuse betreten sollen? Aber wie hätten die Venusianer das aufgefaßt? Belopolski maß ihrem bevorstehenden Besuch ungeheure Bedeutung bei. Daher hatte er auch, ohne zu zögern, angeordnet, die Venusluft in die Schiffsräume einzulassen.
Die beiden Venusianer standen neben dem Geländewagen.
Die Reptile, die ihn getragen hatten, waren verschwunden. Die sichtige Dunkelheit und die nun fast schwarzen Umrisse des nahen Waldes sah Belopolski zum erstenmal. Daß die Dämmerung schon vorüber und inzwischen die Nacht angebrochen war, wußte er als Astronom. Er wunderte sich auch nicht über die eigentümliche Helligkeit — genauso hatte er sich die Venusnacht vorgestellt.
Da öffneten sich mit vertrautem Geräusch die Türen der Luftschleuse. Drei Mann sprangen heraus und liefen auf ihn zu.
Erleichtert erblickte Belopolski in ihren Händen eine Sauerstoffflasche.
Er wurde fest umarmt. Belopolski sah, daß es Paitschadse war. Zwei andere zurrten etwas an seinem Rücken fest.
„Luft anhalten!“ wurde gerufen.
Belopolski zuckte zusammen — das war doch Melnikow? Was sollte das heißen?
Er merkte, wie der Hahn am Sauerstoffschlauch geschlossen wurde. Sekunden später atmete er tief, ganz tief ein: frische Luft! Der leere Behälter war durch einen neuen ersetzt worden.
Belopolski drehte sich mit einem Ruck um.
„Boris? Was soll das heißen?“ fragte er eisig. „Wie kannst du dich unterstehen, in meiner Abwesenheit das Schiff zu verhissen?“ Melnikow huschte wie ein Gespenst davon. Neben dem Kommandanten stand nur noch Romanow.
Belopolski wandte sich Paitschadse zu.
„Das geht auch dich an, Arsen“, sagte er.
Nicht ganz so eilig, doch ebenfalls ohne Zögern, kehrte Paitschadse an Bord zurück. Er und Melnikow hätten vor Scham im Erdboden versinken mögen. Hatten sie doch, was immer geschehen mochte, nicht das Recht, gegen das oberste Gebot aller Raumfahrten zu verstoßen. Sie wußten, daß Belopolski ihnen das lange nicht vergessen würde.
Die Menschen konnten in der nächtlichen Finsternis schlecht sehen, aber die Venusianer sahen ausgezeichnet. Belopolski lud die beiden Wissenschaftler des fremden Planeten mit einer Handbewegung ein, an Bord zu gehen. Er zweifelte nicht daran, daß sie der Einladung folgen würden; hatten sie doch selbst darum gebeten. Aber die beiden sonderbaren Geschöpfe traten einen Schritt zurück. Das ließ sich als Ablehnung deuten.
Belopolski und nach ihm Romanow wiederholten die Geste, die den Venusianern verständlich sein mußte.
Die gleiche Antwort.
„Was ist denn los?“ fragte Belopolski verständnislos.
„Vielleicht irritiert sie die Treppe?“ „Nein, das glaube ich nicht.“ Der eine Venusianer trat einen Schritt vor. Er wies mit der einen Hand auf Belopolski und mit der anderen hinter sich auf den Wald.
„Ich verstehe nichts!“ sagte Konstantin Jewgenjewitsch.
Aus der Luftschleuse ihnen zu Häupten fiel das matte Licht einer abgeblendeten Lampe. Um besser zu sehen, ging Belopolski zu der von ihr beleuchteten Stelle. Die beiden Venusianer folgten ihm. Er forderte sie abermals auf, hinaufzusteigen.
Aber wieder wichen die Herren des Planeten zurück. Sie zeigten auf die Menschen und dann auf den Wald.
„Vielleicht verlangen sie, wir sollen zum See zurückkehren?“ äußerte Romanow fragend.
Belopolski schwieg. Es war offensichtlich, sie verstanden nicht, was die Venusianer wollten. Demzufolge hatte es in der Höhle wieder ein Mißverständnis gegeben. Er hatte dort unten angenommen, die Venusianer wollten das Schiff besichtigen. Nun stellte sich heraus, daß sie nicht daran dachten. Sie verfolgten ein anderes Ziel. Aber wie sollten die Menschen erraten, worin es bestand?
Knjasew stieg aus dem Schiff.
„Boris Nikolajewitsch fragt, warum die Venusianer nicht kommen“, sagte er.
„Das weiß ich genausowenig wie er“, stieß Belopolski zwischen den Zahnen hervor.
„Stepan Arkardjewitsch bittet Sie, so schnell wie möglich hereinzukommen. Es steht sehr schlecht um Sinowi Serapionowitsch.“ Belopolski sah, daß eine Entscheidung getroffen werden mußte. Er unternahm einen letzten Versuch. Aber die Venusianer antworteten ablehnend wie zuvor.
Alle Pläne Belopolskis waren damit zusammengebrochen. Wie würden die Venusianer es auffassen, wenn die Menschen sie einfach stehenließen und an Bord gingen? Würde das nicht zum Abbruch der mit soviel Mühe aufgebauten Beziehungen führen?
Was war zu tun?
„Wir werden versuchen, sie die Treppe hinaufzutragen“, schlug Romanow vor.
Vielleicht hatte der Geologe wirklich recht, und die Venusianer fürchteten sich, die Treppe hinaufzugehen? Oder vielleicht konnten sie es auch gar nicht?
„Versuchen Sie es!“ Belopolski nickte. „Aber vorsichtig!“ Romanow ging auf den einen Venusianer zu, wies die Treppe hinauf und streckte die Arme aus, um ihn hochzuheben.
Hatte der Venusianer begriffen?
Anscheinend — ja. Aber man sah ihm an, daß er nicht einverstanden war. Er trat zurück und wies mit erhobener Hand auf die Tür der Luftschleuse. Mit der anderen Hand machte er die bekannte abwehrende Geste.
Die Antwort war völlig klar.
Aber warum waren sie zum Schiff gekommen? Was wollten sie von den Menschen, denen sie die Freiheit geschenkt hatten?
Die Pflicht der Dankbarkeit gebot, ihre Wünsche zu erfüllen.
Aber wie sollte das geschehen, wenn ihre Wünsche nicht verständlich wurden?
Belopolski tat das einzige, was man in einer so komplizierten Lage tun konnte. Er bemühte sich, den Herren des Planeten zu zeigen, daß ihrem Wunsch nichts entgegenstünde. Er wußte zwar nicht, worin der Wunsch bestand, aber er zeigte ebenso wie die Venusianer auf den Wald und dann auf sich. Danach setzte er den Fuß auf die unterste Treppenstufe und beobachtete prüfend die Venusianer.
Sie neigten langsam den Kopf, als verabschiedeten sie sich. Es konnte aber auch ihr Einverständnis bedeuten… Indem sie noch einmal einen Schritt zurücktraten, gaben sie wiederum zu verstehen, daß sie den Menschen nicht folgen würden.
Länger durfte jedoch nicht gezögert werden. Verärgert, verständnislos und enttäuscht zugleich, ging Belopolski an Bord.
Romanow und Knjasew folgten ihm. Die Tür schloß sich.
Die Venusianer blieben draußen stehen. Was mochten sie in diesem Augenblick von den Menschen denken? Welche Folgen würde es haben, daß die Menschen sie nicht verstanden hatten?
Belopolski begab sich unverzüglich in die Steuerzentrale.
Melnikow empfing ihn zurückhaltend. Er hätte Belopolski umarmen und ihm seine ganze Freude zeigen mögen, aber er wußte, daß der Kommandant entrüstet war, weil er vorhin seinen Posten verlassen hatte. In den Augen eines Menschen wie Belopolski war Melnikows Vergehen durch nichts zu rechtfertigen.
Konstantin Jewgenjewitsch nickte kurz mit dem Kopf und trat an den Bildschirm. Aber die Venusianer waren schon gegangen.
„Stellen Sie die Filtriergeräte in der Luftschleuse und im Observatorium an“, befahl er. „Die Luft muß so schnell wie möglich gereinigt werden.“ Wortlos gehorchte Melnikow. Die kühle Begrüßung bedrückte ihn. Belopolski hatte ihn mit „Sie“ angeredet. Verstand er ihn etwa nicht? Nein, er verstand ihn wohl nicht… Er selbst hätte dergleichen nie getan.
Belopolski stellte die Verbindung mit der Ambulanz her.
„Es steht schlecht“, berichtete ihm Andrejew. „Wahrscheinlich müssen wir das linke Bein amputieren.“ „Tun Sie, was in Ihren Kräften steht, um das zu vermeiden.“ „Selbstverständlich, Konstantin Jewgenjewitsch!“ Paitschadse und Toporkow, die in der Zentrale gewesen waren, gingen hinaus. Da wandte sich Belopolski Melnikow zu und musterte ihn schweigend.
„Es war das erste und letzte Mal“, sagte Melnikow.
„Welche Pläne hattest du?“ „Ich wollte diejenigen Arbeiten zu Ende fuhren, für die genug Leute da waren, und dann termingemäß zur Erde zurückfliegen.“ „Wie soll ich das verstehen? Haben die Venusianer euch nicht meine Uhr gebracht?“ „Doch.“ Da wurde Melnikow plötzlich klar, daß ihm ein zweiter Fehler unterlaufen war: Die Uhr hatte zweifellos eine Mitteilung enthalten! Und keiner war auf den Gedanken gekommen, sie zu öffnen! Wieder stieg ihm die Schamröte ins Gesicht.
„Ich dachte, ihr würdet das verstehen“, sagte Belopolski.
„Wir haben euch alle für tot gehalten und gedacht, die Venusianer hatten Ihnen aus irgendeinem Grunde den Chronometer abgenommen. Wir haben es als eine Art Aufforderung, die Toten vom See abzuholen, aufgefaßt.“ „Und ihr seid zum See gefahren, seid Venusianern begegnet und habt eine steinerne Schale, die sie euch gaben, in Scherben geworfen?“ Melnikow sah den Kommandanten verdutzt an. Woher kannte er diese Einzelheiten?
„Hast du selber den Geländewagen geführt?“ fragte Belopolski unerbittlich.
Abermals schoß Melnikow das Blut ins Gesicht.
„Natürlich nicht!“ entgegnete er. „Wie können Sie das denken?“ „Es wäre gar nicht so abwegig.“ Belopolski zuckte mit den Schultern. „Wer hat denn die Schale hingeworfen? Und — warum?“ „Wtorow. Genauer gesagt, sie ist hingefallen. Es geschah folgendermaßen …“ „Augenblick!“ unterbrach ihn Belopolski. „Das mußt du mir ausführlich schildern. Aber wir haben einander viel zu erzählen und wollen damit noch ein bißchen warten.“ Die Reinigung der Luft dauerte über anderthalb Stunden.
Während dieser Zeit mußten die Besatzungsmitglieder die Gasschutzanzüge tragen und unterhielten sich so gut wie gar nicht.
Endlich zeigten die Geräte an, daß die Luft an Bord keine Fremdstoffe mehr enthielt. Die Türen der Luftschleuse wurden geschlossen und die Automatik wieder in Betrieb gesetzt. Grün leuchtete das Lämpchen am Steuerpult.
Sobald sich die Zwischentüren öffneten, eilte Belopolski in die Ambulanz. Die ganze Zeit hatte er um Balandin gebangt.
Der Professor war bewußtlos. Aschfahl im Gesicht und mit bläulich angelaufenen Lippen, lag er wie ein Leichnam auf dem Operationstisch.
„Das Herz arbeitet kaum“, antwortete Andrejew auf Belopolskis Frage, „ich mache mir ernstlich Sorgen. Wenn ich ihn eher hätte behandeln können …“ „Was schlagen Sie vor?“ „Sofort amputieren. Das ist die einzige Hoffnung.“ „Aber Sie sagen doch selber, daß das Herz schwach ist.“ „Wenn wir das linke Bein nicht amputieren, hat er keine Stunde mehr zu leben.“ Belopolski schlug die Hände vors Gesicht. Eine Fahrlässigkeit, an der er sich selber für mitschuldig hielt, würde für alle Zeiten Professor Balandin aus den Reihen der Astronauten reißen. Konstantin Jewgenjewitsch spürte, wie ihm ein Kloß zum Halse aufstieg.
„Und man kann gar nichts machen?“ „Nichts. Es ist zu spät.“ „Aber eine Operation wurde ihn retten? Sind Sie dessen sicher?“ Andrejew ließ den Kopf hangen.
„Wir hoffen es“, antwortete er kaum hörbar.
Belopolski wandte sich schweigend ab und ging hinaus.
Die Operation begann.
Vor der verschlossenen Tür der Ambulanz versammelte sich die ganze Besatzung. Niemand verlor ein Wort.
Endlich öffnete sich die Tür.
Im weißen Kittel und mit blutbenetzten Gummihandschuhen trat Korzewski auf die Schwelle. Er war totenbleich.
„Sinowi Serapionowitsch ist gestorben“, sagte er.