121906.fb2 Das Erbe der Phaetonen - читать онлайн бесплатно полную версию книги . Страница 33

Das Erbe der Phaetonen - читать онлайн бесплатно полную версию книги . Страница 33

Das astronomische Rätsel

Als Professor Kasarin, Observatoriumsdirektor und Korrespondierendes Mitglied der Akademie der Wissenschaften, wie gewöhnlich Punkt halb zehn Uhr morgens sein Arbeitszimmer betrat, war das erste, was er den Sekretär fragte: „Was macht das,Rätsel‘?“ „Alexej Petrowitsch hat in den letzten zehn Minuten schon zweimal angerufen“, antwortete der Sekretär. „Er wollte wissen, ob Sie schon hier sind.“ „Bitten Sie ihn sofort zu mir. — Natürlich nur, wenn er frei ist“, fügte Kasarin hinzu. „Falls er zu tun hat, möchte er anrufen.“ Der Professor trat an seinen Schreibtisch, nahm den Arbeitsbericht des Observatoriums über die letzten vierundzwanzig Stunden zur Hand und studierte ihn eingehend. Unter dem Namen „Subbotin“ stand: „5.30-7.00 Bewegung des ‚Rätsels‘ beobachtet. Großer Refraktor.“ „Soso“, sagte Kasarin. Es war eine Angewohnheit von ihm, laut zu denken. „Drei Nachte beobachtet er schon. Wann kommen endlich die Schlußfolgerungen? Was steckt dahinter, zum Donnerwetter noch mal!“ Das „Rätsel“, für das bisher noch keine Erklärung gefunden war, beunruhigte nicht nur Kasarin. Alle Mitarbeiter des Observatoriums und viele Menschen außerhalb seiner Mauern, die von dem Auftauchen des rätselhaften Körpers am Himmel wußten, zerbrachen sich seinetwegen den Kopf. Die anfängliche Vermutung, es sei ein neuer Komet, erwies sich sehr bald als falsch.

Auch die Ansicht, es handele sich um einen unbekannten Asteroiden, ließ sich nicht aufrechterhalten. Der vor drei Tagen entdeckte Himmelskörper verhielt sich nicht wie ein Komet oder Asteroid. Blieb nur noch die Möglichkeit… Aber das Schlimme war, daß es eine andere Möglichkeit nicht gab. Keine einzige vernünftige Erklärung! Im Sonnensystem war etwas Fremdes und bisher Unerklärliches aufgetaucht.

Phantasiebegabte Gemüter stellten sogar die Hypothese auf, es handle sich um ein Raumschiff aus einem anderen Sonnensystem, doch diese kühne Vermutung stand mit den Beobachtungen nicht in Einklang. Der Himmelskörper Verhielt sich ohneSinn und Verstand. Er raste irgendwo zwischen Venus und Sonne in den verschiedensten Richtungen hin und her. Ein von einem vernünftigen Wesen gesteuertes Raumschiff würde sich unmöglich so verhalten. Aber auch durch physikalische Gesetze ließen sich seine Bewegungen nicht erklären. Der geheimnisvolle Körper schien‘den Gesetzen der Himmelsmechanik nicht unterworfen zu sein. Er ignorierte die Anziehungskraft der Sonne und der Venus, neben der er zum erstenmal gesichtet worden war, bewegte sich bald auf die Sonne zu, bald von ihr weg. Es war eine ganz unsinnige Bahn.

„Wenn es ein Raumschiff ist“, bemerkte einer der Mitarbeiter des Observatoriums, „so wird es von Wahnsinnigen gesteuert.“ Dozent Subbotin, der das „Rätsel“ zuerst ausgemacht hatte, unterbrach alle laufenden Arbeiten und beobachtete seine Entdeckung nun schon die dritte Nacht.

Im Okular des Refraktors und auf den Fotografien sah das „Rätsel“ wie ein glänzender Punkt aus. So glänzend, daß zu vermuten war, es sei aus Metall. Doch dadurch wurde die Frage nicht beantwortet, sondern nur noch erschwert.

Subbotin hatte sich vorgenommen, in dieser Nacht oder vielmehr gegen Morgen, denn das „Rätsel“ war nur vor Sonnenaufgang und kurz danach zu beobachten (dann verlor es sich in den Strahlen der Sonne), um jeden Preis die Form des geheimnisvollen Körpers festzustellen. Auf das Ergebnis dieser Bemühungen wartete Kasarin mit solcher Ungeduld.

„Darf ich?“ In Gedanken vertieft, antwortete der Professor nicht sofort.

„Ja, natürlich“, sagte er dann. „Kommen Sie rein, Alexej Petrowitsch. Ich warte schon auf Sie.“ Subbotin trat an den Schreibtisch. Er war ein junger Mann von etwa fünfundzwanzig Jahren, hochaufgeschossen und hager, aber offensichtlich kerngesund. Obwohl er eine schlaflose Nacht hinter sich hatte, war ihm nicht das geringste anzumerken.

Nachdem er dem Direktor die Hand gegeben hatte, nahm er in einem Sessel Platz.

„Eine Scheibe“, sagte er, „eine ideal runde, flache Scheibe mit irgendwelchen Aussparungen in der Mitte.“ „Ihre Abmessungen?“ „Zirka zweihundertfünfzig Meter im Durchmesser, vielleicht auch dreihundert Ganz genau laßt sich das nicht bestimmen.“ „Welche Richtung verfolgt sie jetzt?“ „Sie bewegte sich von der Sonne weg auf die Erde zu, aber plötzlich, vor meinen Augen, ist sie zur Venus abgebogen. Und zwar ganz abrupt. Wenigstens kam es mir so vor.“ „Wo ist sie jetzt?“ „Zirka fünfzehn Millionen Kilometer hinter der Venus. Sie bewegt sich sehr schnell.“ „Wie schnell?“ „Fünfzig Kilometer in der Sekunde.“ „Das bedeutet“, sagte Kasarin, „in etwa dreihundert Stunden wird das ‚Rätsel‘ auf die Venus stürzen.“ „Wenn es nicht wieder seinen Kurs ändert. Es hat ihn schon sechsmal geändert. Und das allein im Zeitraum der Beobachtungen, und der ist, wie Sie wissen, jeweils nur von kurzer Dauer.

Man kann mit Sicherheit behaupten, daß sich das ‚Rätsel‘ auch dann, wenn wir es nicht sehen, in den verschiedensten Richtungen bewegt. Es besteht deshalb kein Grund anzunehmen, daß es auf die Venus stürzen wird. Das hätte schon mehrmals passieren können.“ „Es stürzt weder auf die Venus noch auf die Sonne“, sinnierte Kasarin. „Es bewegt sich, wohin es will. Meinen Sie nicht doch, Alexej Petrowitsch, daß dieses Biest Triebwerke besitzt?“ Subbotin zuckte mit den Achseln. ♦ „Himmelskörper“, antwortete er, „haben keine Triebwerke.

Sie bewegen sich nach den Gesetzen der Physik.“ „Und nach welchen Gesetzen bewegt sich dies Ding?“ „Nach gar keinen, das ist wahr. Aber Triebwerke… Das bedeutete Vernunft…“ „Heute nacht“, sagte Kasarin, unwillkürlich die Stimme dämpfend, „ist mir der Gedanke gekommen, es könnte Belopolskis Raumschiff sein. Aber da Sie behaupten, es habe die Form einer Scheibe, entfällt…“ „Aber erlauben Sie mal“, unterbrach ihn Subbotin. „Nehmen wir an, Sie hätten recht, und das ‚Rätsel‘ sei die ‚SSSR-KS 3‘.

Aus welchem Grunde sollte sie statt am siebenundzwanzigsten September schon am achten August von der Venus gestartet sein? Und nehmen wir an, ich hätte mich bei der Form geirrt.

Wie erklären Sie sich dann das Verhalten des Raumschiffs?

Warum bewegt es sich in verschiedene Richtungen?“ Kasarin stand auf und ging im Arbeitszimmer auf und ab.

„Das ist es ja“, sagte er. „Das Verhalten dieses Körpers entbehrt des Sinns. Aber wir wissen nicht, was unsere Genossen auf der Venus erlebt haben.“ „Es ist doch wohl kaum anzunehmen, daß die ganze Besatzung den Verstand verloren hat.“ „Wieso die ganze? Belopolski und Melnikow genügen. Sie allein sind in der Lage, das Raumschiff zu steuern. Aber es könnte auch etwas anderes passiert sein. Nehmen wir an, Belopolski und Melnikow sind umgekommen und Paitschadse oder Balandin steuert das Raumschiff. Meinen Sie nicht auch, daß es sich bei ungeschickter Steuerung gerade so und nicht anders verhalten müßte oder zumindest könnte?“ „Das ist zweifelhaft. Über diese Frage holen wir uns am besten bei Kamow Auskunft. Er kennt sich da am ehesten aus.

Aber ich bin ganz sicher, daß der Körper die Form einer regelmäßigen Scheibe hat. Also kann es nicht die,KS 3‘ sein. Gleich wird man ihnen die entwickelten Negative meiner Aufnahmen und die Spektrogramme bringen. Dann können Sie selber meine Schlußfolgerungen überprüfen.“ „Ich zweifle nicht an ihrer Richtigkeit“, antwortete Kasarin.

„Ich wollte Ihnen nur meine nächtlichen Gedanken mitteilen.

Jedoch die Form des Körpers läßt keinen Zweifel. Es handelt sich nicht um Belopolskis Raumschiff. Aber was ist es dann?“ Der junge Astronom zuckte mit den Achseln.

„Wir werden weiter beobachten“, sagte er.

Der Sekretär trat ein und überreichte ein Telegramm.

„Von der Krim“, sagte er.

Kasarin überflog es und reichte es schweigend Subbotin.

Das Astrophysikalische Observatorium Bachtschissarai teilte darin mit, seine Mitarbeiter hätten in der vergangenen Nacht die Form des im Sonnensystem aufgetauchten unbekannten Himmelskörpers bestimmt. Sie waren zum gleichen Ergebnis gelangt.

„Jetzt besteht kein Zweifel mehr“, sagte Kasarin, „es ist eine flache Scheibe. Aber was stellt sie dar?“ Wieder war ein stummes Achselzucken die Antwort.

„Beobachten Sie weiter, Alexej Petrowitsch. Wir müssen das Rätsel unbedingt lösen. Jetzt ist es auch an der Zeit, der Presse Mitteilung zu machen.“ „Meiner Meinung nach ist es noch zu früh“, wandte Subbotin ein. „Warten wir noch ein wenig. Die morgigen Beobachtungen werden vielleicht neues Material liefern. Wenn Sie erlauben, fahre ich jetzt nach Hause.“ „Natürlich, Alexej Petrowitsch. Ruhen Sie sich aus. Wenn es irgend möglich ist, leiste ich Ihnen morgen früh Gesellschaft.

Dann beobachten wir zusammen.“ Kaum hatte sich die Tür hinter dem jungen Wissenschaftler geschlossen, klingelte das Telefon. Kasarin nahm den Hörer ab.

„Sind Sie‘s, Sergej Wladimirowitsch?“ vernahm er eine bekannte Stimme.

„Ja, Sergej Alexandrowitsch.“ „Was gibt‘s Neues?“ „Wir haben die Form dieses Körpers festgestellt. Es ist eine regelmäßige Scheibe. Nach Subbotins Ermittlungen besitzt sie in ihrer Mitte Aussparungen.“ „Also ist es keine Scheibe, sondern ein Ring?“ „Ein Ring oder etwas Ähnliches. Jedenfalls keine geschlossene Scheibe.“ „Und die Abmessungen?“ „Etwa zweihundertfünfzig Meter im Durchmesser. Und das Interessanteste: Sie hat ihre Geschwindigkeit geändert. Anfangs waren es zwanzig Kilometer pro Sekundenquadrat und heute bereits fünfzig. Außerdem bewegt sie sich von der Sonne weg.“ „Was vermuten Sie?“ „Vorläufig noch gar nichts. Wir stehen vor einem Rätsel.“ „Jedenfalls ist es nicht die,SSSR-KS 3‘.“ Daß Kamow die gleichen Gedanken gehabt hatte wie er, verblüffte Kasarin.

„Ich habe gerade mit Subbotin darüber gesprochen“, sagte er.

„Was meinen Sie, Sergej Alexandrowitsch, wenn statt Belopolski oder Melnikow jemand anders das Raumschiff steuerte, könnte es sich dann in dieser Art bewegen?“ „Das wäre durchaus möglich. Sozusagen Unterricht während des Fluges. Aber Sie haben ja selbst gesagt, daß die Form …“ „Ja, diese Vermutung können wir mit Sicherheit als unbegründet abtun.“ „Wenn es etwas Neues gibt, rufen Sie mich bitte an.“ „Selbstverständlich, Sergej Alexandrowitsch. Umgehend.“ Kasarin legte auf.

Zwanzig Kilometer entfernt tat Kamow, Direktor des Kosmischen Instituts, in seinem Arbeitszimmer das gleiche.

„Sie sind es nicht“, sagte er. „Du kannst beruhigt sein. Der unbekannte Körper hat die Form einer Scheibe mit einem Durchmesser von über zweihundert Metern. Das ist mit Sicherheit festgestellt.“ „Ist auch kein Irrtum möglich?“ Olga sah ihren Vater beunruhigt an.

„Nein. Wenn Kasarin etwas mit Bestimmtheit sagt, ist er seiner Sache sicher.“ „Ich mache mir solche Sorgen.“ „Jetzt kannst du beruhigt sein. Sie sind auf der Venus und werden termingemäß zur Erde zurückkehren, das heißt in anderthalb Monaten.“ „Nach Orlows Tod bin ich von nichts mehr überzeugt“, sagte Olga. „Solange Boris nicht zurück ist…“ „Er kommt zurück.“ Bei diesen Worten blickte Kamow seiner Tochter gerade in die Augen. „Unter der geschlossenen Wolkendecke der Venus können sie diesen rätselhaften Körper nicht einmal sehen, sie wissen nichts von seiner Existenz. Es ist unsinnig, sich deswegen Sorgen zu machen.“ „Du hast dir ja selber Sorgen gemacht.“ „Ja, aber nur so lange, wie ich darin die,SSSR-KS 3‘ zu erkennen vermeinte. Jetzt nicht mehr.“ „Was ist es denn aber?“ „Das wissen wir noch nicht. Doch wir werden es bald herausbekommen.“ In Kamows Stimme schwang Ungeduld mit. Olga merkte es.

So war er immer. Sie stand auf.

„Ich werde mir Mühe geben, nicht mehr an das ‚Rätsel‘ zu denken“, sagte sie, gab ihrem Vater einen Kuß und wandte sich zur Tür.

Kamow blickte ihr teilnahmsvoll nach. Er verstand seine Tochter nur zu gut.

„Es ist schwer, mit einem Raumfahrer verheiratet zu sein“, erinnerte er sich der Worte, die seine eigene Frau einst gesprochen hatte. „Man mag sagen, was man will, aber kaum eine Expedition ist ohne Opfer abgegangen. Die Raumfahrt steckt eben noch in den Kinderschuhen.“ Er mußte an Hapgood denken, dessen Reste er einst selbst auf dem Mars begraben hatte, an Orlows Tod auf der Arsena und schließlich an das letzte Opfer der Astronautik, den englischen Wissenschaftler Brailey, der auf dem Mars umgekommen war. Erst unlängst war William Jenkins‘ Expedition zur Erde heimgekehrt und hatte den Leichnam des jungen Wissenschaftlers mit zurückgebracht. Wie Hapgood war auch Brailey das Opfer einer „Springechse“ geworden, und zwar während einer gefährlichen nächtlichen Jagd auf die Raubtiere. Man hatte zwar zwei „Echsen“ gefangen und lebend zur Erde mitgebracht, aber der Preis dafür war allzu hoch.

Als Kamow vom Auftauchen eines rätselhaften, glänzenden Himmelskörpers in Venusnähe erfahren hatte, war ihm sofort der Gedanke gekommen, es könne die „SSSR-KS 3“ sein, die die Venus lange vor dem festgelegten Termin verlassen habe.

Und als er von dem merkwürdigen Verhalten des „Rätsels“ horte, ging ihm das gleiche wie Kasarin durch den Kopf: Belopolski und Melnikow seien umgekommen, und jemand anders steuere das Raumschiff.

Nun entfiel diese Möglichkeit Die „SSSR-KS 3“ hatte die Form einer Zigarre, nicht aber einer Scheibe.

Wenn man Belopolski doch von dem Auftauchen des „Rätsels“ Mitteilung machen konnte, dachte Kamow. Dann konnten sie starten und sich dieses merkwürdige Ding aus der Nähe ansehen. Es lohnte, seinetwegen das vorgesehene Programm umzustoßen.

Ein Klingeln riß ihn aus seinen Gedanken. Es war das Telefon, das ihn direkt mit der Funkstation von Kamowsk verband.

„Ja bitte!“ „Ein Funkspruch von Bord der,SSSR-KS 3‘.“ „Was?!“ Kamow traute seinen Ohren nicht.

„Ein Funkspruch von Bord der ‚SSSR-KS 3‘“, wiederholte der Funker gleichmütig.

„Lesen Sie bitte vor!“ „Nur ein Satz:,Gehen Sie zur gewohnten Zeit auf Empfang.

Paitschadse.,SSSR-KS 3‘.“ „Wer hat das durchgegeben?“ „Toporkow.“ „Von wo?“ „Ich weiß nicht. Der Satz wurde dreimal wiederholt. Auf meine Nachfrage kam keine Antwort.“ „Warten Sie, ich komme.“ Kamow legte den Hörer auf. Eine tiefe Falte furchte seine Stirn; die herabhängenden buschigen Augenbrauen zogen sich zusammen.

Was war geschehen? War der beobachtete Himmelskörper etwa doch Belopolskis Raumschiff? Sollten sich die Mitarbeiter, als sie die Form des „Rätsels“ bestimmten, geirrt haben? Paitschadse kommandierte offenbar das Raumschiff, der Funkspruch war von ihm und nicht von Belopolski oder Melnikow unterzeichnet. Der schreckliche Verdacht, der Expeditionsleiter und sein Stellvertreter seien umgekommen, schien sich zu bestätigen.

Eine Weile stand Kamow regungslos am Schreibtisch, und seine Hand preßte sich unwillkürlich um den Telefonhörer.

Olga! Was sage ich ihr nur, nachdem ich sie gerade überzeugt habe, daß alles in Ordnung ist und Boris zurückkehren wird?

Zwei Gesichter — das eine von tiefen Falten bedeckt, das andere noch jung, mit einer Narbe auf der Stirn und ruhig blickenden graugrünen Augen — standen so deutlich vor ihm, daß es ihn kalt überlief. Sie sind umgekommen!

Alles sprach dafür. Von der Oberfläche der Venus war kein Funkverkehr möglich. Also hatte das Raumschiff den Planeten verlassen. Welchen Grund konnte es dafür geben? Nur einen: eine Tragödie hatte sich abgespielt, die beiden Raumschiffkommandanten waren tot. Was blieb den Expeditionsmitgliedern, von denen kein einziger mit der Steuertechnik vertraut war, zu tun übrig? Nur eines: sofort zur Erde zurückzufliegen. Paitschadse kannte in groben Zügen die Konstruktion des Steuerpults und war mit dem Autopiloten vertraut. Das von den Astronomen festgestellte merkwürdige Verhalten des Raumschiffs ließ sich nur so erklären, daß sein neuer Kommandant steuern lernte.

Alles schien zusammenzupassen und den Verdacht einer Katastrophe zu bestätigen. Alles, außer einem — der Behauptung Subbotins, der unbekannte Körper sei eine Scheibe. Doch das konnte ein Irrtum sein. Die Form eines so kleinen Körpers in einer derartigen Entfernung exakt zu bestimmen war sehr schwierig.

Der Wagen raste über die Leningrader Chaussee. Kamow, der neben dem Fahrer saß, dachte angestrengt nach.

Weshalb war der Funkspruch erst heute abgegangen und nicht schon vor drei Tagen? Die „SSSR-KS 3“ war am Achten gesichtet worden, und heute war bereits der Elfte. Seit drei Tagen flog sie wieder, weshalb hatte die Besatzung bis jetzt geschwiegen?

Jetzt kamen ihm doch Zweifel an Belopolskis und Melnikows Tod, der ihm eben noch sicher erschienen war. Vielleicht waren sie nur schwerverwundet, und Paitschadse führte, ihren Ratschlägen folgend, verschiedene Manöver aus. Nun, das würde sich bald herausstellen. Der für die Funkverbindung zum Raumschiff vereinbarte Zeitpunkt war ein Uhr mittags, und jetzt war es bereits halb zwölf. Es galt, über etwas anderes nachzudenken.

Konnte ein Unerfahrener das Raumschiff mit Hilfe des Autopiloten wohlbehalten zur Erde zurückbringen?

Kamow rief sich die Konstruktion des Steuerpults der „SSSRKS 3“ bis zu den kleinsten Details in die Erinnerung zurück und gelangte zu der Schlußfolgerung, daß Paitschadse es schaffen könne. Man brauchte dem Autopiloten nur die Ausgangsdaten zu geben — und das Raumschiff fand von allein den Weg zur Erde. Was die Landung, ein sehr schwieriges Manöver, betraf, beherrschte Paitschadse ausgezeichnet die Kunst des Steuerns von Düsenflugzeugen. Das Raumschiff brauchte ja nicht über dem Festland niederzugehen, sondern konnte auf einem der Ozeane landen. Das war viel leichter.

Im großen und ganzen bestand Grund zur Annahme, daß die Expedition auch ohne Belopolski und Melnikow wohlbehalten zurückkehren würde.

Wohlbehalten! Drei Opfer auf einem Flug, dachte Kamow bitter.

Bevor er losgefahren war, hatte er den Vorsitzenden der Regierungskommission zur Organisierung interplanetarer Flüge, ‘ Akademiemitglied Woloschin, angerufen. Er war daher nicht erstaunt, als er jetzt dessen Wagen vor dem Gebäude der Funkstation stehen sah.

Die vierzig Minuten, die sie noch warten mußten, kamen allen wie eine Ewigkeit vor.

Endlich war es soweit: ein Uhr!

„Wie lange braucht der Funkspruch bis hierher?“ erkundigte sich Woloschin.

„Vier Minuten“, antwortete Kamow.

Er saß neben dem diensthabenden Funker, bereit, dem Raumschiff zu antworten, dessen Nachricht bereits auf dem Weg zur Erde war. Dicht vor Kamow schwebte die dunkle kleine Öffnung des Mikrofons. Das feine Metallnetz zitterte kaum merklich. Unter dem Fußboden des Funkraums arbeiteten die mächtigen Generatoren, deren Energie in wenigen Minuten Kamows Stimme erfassen und in unermeßliche Fernen tragen würde. Die Richtantenne der Station war auf die Venus eingestellt, in deren Nähe sich die „SSSR-KS 3“ befinden mußte.

Die vier Minuten waren vorüber.

Kaum hatte der große Zeiger den Strich auf dem Zifferblatt erreicht, als im Lautsprecher deutlich die Stimme Toporkows ertönte: „Hier Raumschiff! Hier Raumschiff ‚SSSR-KS 3‘! Antworten Sie! Gehe auf Empfang!“ „Wir hören Sie! Sind empfangsbereit!“ antwortete der Funker.

Jetzt hieß es acht Minuten warten.

„Die Antenne ist genau eingestellt“, sagte der Funker, während er den Sender abschaltete. „Nach der Lautstärke zu urteilen, haben wir das Raumschiff richtig erwischt.“ „Und wo befindet sich jetzt das ‚Rätsel‘?“ fragte unvermittelt Woloschin.

„Wie es scheint, in derselben Richtung“, antwortete Kamow.

Ebenso wie Woloschin dachte er daran, daß sich gleich erweisen mußte, ob sich hinter dem „Rätsel“ das Raumschiff „SSSR-KS 3“ verbarg. „Ich werde Kasarin anrufen und die Frage klären. Aber nicht jetzt. Erst nach der Sendung.“ Woloschin nickte. Er wußte, daß Kamow wegen seiner Tochter besondere Ursache hatte, besorgt zu sein.

„Achtung!“ sagte der Funker.

Die Uhr zeigte vierzehn Minuten nach eins.

„Hier Raumschiff ‚SSSR-KS 3‘. Sende eine Mitteilung des Leiters der wissenschaftlichen Gruppe der Expedition, Paitschadse…“ Kamow und Woloschin wechselten einen Blick. Was hatte das zu bedeuten? Weshalb nannte Toporkow Paitschadse Leiter der wissenschaftlichen Gruppe, nicht aber Kommandant des Raumschiffes? Wer war dann Kommandant? Wo war Professor Balandin geblieben?

„Neben einem Bergsee, zu dem die,SSSR-KS 3‘, Hinweisen der Venusianer folgend, geflogen ist, wurde ein Raumschiff entdeckt. Allen Anhaltspunkten nach ist es vor vielen tausend Jahren von einem untergegangenen Planeten unseres Sonnensystems, dem Phaeton, gekommen …“ Die drei lauschten mit angehaltenem Atem.