121906.fb2 Das Erbe der Phaetonen - читать онлайн бесплатно полную версию книги . Страница 39

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Es ist unsere Pflicht!

Die Minuten verrannen.

Immer schneller raste der „Phaetone“ auf die Venus zu.

Die beiden Männer schwiegen. Der eine wußte, was sie erwartete, der andere ahnte die Wahrheit noch nicht.

Allmählich beruhigte sich Wtorow.

„Entschuldigen Sie, Boris Nikolajewitsch“, sagte er. „Ich werde mir Mühe geben, daß das nicht noch mal passiert.“ „Es mußte so kommen, Gennadi. Die nervliche Anspannung sucht nach Entladung. Ich verstehe dich und verurteile dich nicht.“ „Ich ruhe mich jetzt ein bißchen aus und versuche es dann noch einmal. Es muß doch klappen. Schließlich bin ich mit den Türen und Wänden auch fertig geworden.“ Er blickte nach unten. „Wir haben uns der Venus schon ganz schön genähert!

Wieviel Zeit haben wir noch zur Verfügung?“ „Noch genug“, erwiderte Melnikow ruhig. „Der Schein trügt.

Ruh dich ein, zwei Stunden aus. Gehen wir in die benachbarte Abteilung. Und laß die Wände wieder undurchsichtig werden.

Der Ausblick aufs All hat mich müde gemacht.“ Er braucht nicht zu sehen, daß die Venus schon ganz nahe ist, fügte er in Gedanken hinzu. Ein plötzlicher Tod ist nicht schrecklich. So bleibt wenigstens einem von uns das Warten erspart.

Hinter ihnen „überzog“ sich die fünfeckige Öffnung wieder mit Metall. Das vielfarbige Pult der Phaetonen, das einzige, was sie noch retten konnte, blieb zurück.

Melnikow ermunterte Wtorow zu keinem neuen Versuch. Es war zwecklos. Der Ingenieur hatte wohl das Zeug zu einem echten Kosmonauten, aber im Augenblick… im Augenblick war er eben doch noch keiner.

Die gelbgrauen Wände trennten sie nun von der Außenwelt.

Weder Sonne noch Venus war mehr zu sehen.

Melnikow lag mit geschlossenen Augen in der Hängematte.

Jetzt… in wenigen Sekunden … Schneller doch, schneller!

Jeder Nerv an ihm war zum Zerreißen gespannt Was dann geschah, hielt er zunächst für den Anfang vom Ende. Bis zu seinem Tode, einem natürlichen Tode auf der Erde, erinnerte sich dieser Mann, den so leicht nichts erschüttern konnte, nur mit Grauen an den schrecklichen Augenblick.

Plötzlich riß die Hängematte unter Melnikows Last, und er flog zu Boden. Wtoraw erging es genauso. Beide kollerten zur Wand.

War das der Aufprall auf die Atmosphäre der Venus?

Oder…

Gleich darauf entrang sich ein tiefer Seufzer der Erleichterung Melnikows Brust. Er hatte begriffen, was geschehen war.

Sie waren dem Leben wiedergegeben.

„Gerettet, Gennadi! Das Raumschiff wendet. Die Automatik hat selbsttätig gehandelt. Hörst du, Gennadi?“ Wtorow schwieg.

Das Raumschiff bog steil zur Seite ab. Die Schwerkraft stieg auf über das Doppelte an.

Gerettet? Eine Erkenntnis dämmerte Wtorow. Das bedeutete doch…

Er sah seinen Kameraden an. Ja, so war es.

„Ich danke Ihnen, Boris Nikolajewitsch! Bis an mein Lebensende werde ich Ihre Großmut nicht vergessen. Sie wollten, daß ich nichts ahnte.“ „Nehmen wir‘s an“, erwiderte Melnikow. „Was hätte ich schon davon gehabt, wenn wir uns zu zweit gequält hätten?

Dein ruhiges Gesicht hat auch mir geholfen. Ich habe es nur meinetwegen getan.“ „Das ist nicht wahr.“ „Nehmen wir auch das an. Aber ist es nicht ganz egal? Irgendwann wirst du genauso handeln, und wir sind quitt. Mach doch die Wand wieder durchsichtig.“ Die überstandene Aufregung hinderte Wtorow, sich zu konzentrieren. Es verging eine ganze Weile, bevor es ihm gelang, die Bitte zu erfüllen.

Die Venus befand sich nach wie vor unter ihnen, aber nicht senkrecht, sondern etwas seitlich. Das Raumschiff war noch nicht ganz auf den neuen Kurs eingeschwenkt. Doch die Männer sahen, daß sie sich vom Planeten entfernten, und das war die Hauptsache.

„Wenn niemand am Pult sitzt“, sagte Melnikow, „steuert der Autopilot das Raumschiff. Da die Venus in gefährliche Nahe gerückt war, hat er selbständig abgedreht. Der Apparat ist sehr klug konstruiert.“ „Die Energievorräte an Bord scheinen hier unbegrenzt zu sein“, bemerkte Wtorow. „Ein so großes Schiff braucht für ein derartiges Manöver doch eine kolossale Energiemenge.“ „Zweifellos.“ „Was mag das für Energie sein?“ „Das werden wir schon noch rausbekommen.“ Sie schwiegen. Das Reden fiel ihnen schwer. Die lastende Schwere hatte noch nicht nachgelassen.

Zehn Minuten später aber wurde sie spürbar schwächer. Der neue Kurs war erreicht, Melnikow und Wtorow lagen nicht.

mehr auf der Wand, sondern auf dem Fußboden. Wenig später konnten sie auch wieder aufstehen.

Eine gute Stunde darauf war die Schwerkraft ganz geschwunden. Sie flogen erneut geradeaus, von der Venus fort.

„Wieder zur Sonne“, sagte Melnikow.

„Gehen wir ans Pult.“ „Es ist noch zu früh. Komm erst endgültig zu dir. Es wäre gut, wenn du dich etwas stärken könntest. Aber es ist ja nichts da.“ Er sagte das ganz mechanisch. Gleich darauf kam ihm zum Bewußtsein, daß er nach wie vor keinen Hunger verspürte. Er hatte das Gefühl, gerade erst gegessen zu haben, zwar nicht ausgiebig, aber doch genügend, um nicht von Hunger gequält zu werden.

Wie kam das? Was war die Ursache für diese merkwürdige Sinnestäuschung? Seit dem morgendlichen Frühstück an Bord der „SSSR-KS 3“ waren fast volle vierundzwanzig Stunden vergangen.

„Was meinst du, was steckt dahinter?“ fragte Melnikow.

„Es ist mir unbegreiflich, Boris Nikolajewitsch.“ „Auch die Luft hat ihre Frische und Reinheit bewahrt. Dabei befinden wir uns in einem verhältnismäßig kleinen Raum, hermetisch abgeschlossen von den Nebenräumen.“ „Also wird die Luft durch irgendwelche Apparate erneuert und gereinigt, die hier installiert sind“, sagte Wtorow. „Möglicherweise werden ihr Nährstoffe in gasförmigem Zustand beigefügt. Daran wäre nichts Ungewöhnliches. Stepan Arkadjewitsch hat einmal erklärt, unsere Ernährungsweise bei Raumflügen sei noch unvollkommen. Ein voller Magen wirke sich im Zustand der Schwerelosigkeit nachteilig aus. Wahrscheinlich haben sich die Phaetonen während ihrer Flüge anders ernährt.“ „Eine bessere Erklärung weiß ich auch nicht.“ „Eine großartige Wissenschaft! Und uns Menschen der Erde fällt sie als Erbe zu.“ „Aber erst einmal müssen wir das Raumschiff retten. Koste es, was es wolle. Das ist unsere Pflicht. Deine Pflicht“, fügte Melnikow lächelnd hinzu.

„Sie sind also endgültig der Meinung, daß nur ich …“ „Es sieht ganz so aus.“ „Ich werde tun, was in meinen Kräften steht. Bestimmt werde ich nicht mehr in Panik verfallen.“ „Von Panik konnte nicht die Rede…“ Kaum hatte er das letzte Wort ausgesprochen, als ihn ein ohrenbetäubender Knall, wie wenn ein Kanonenschuß aus nächster Nähe abgefeuert worden wäre, unterbrach. Unmittelbar vor ihnen zuckte auf der unsichtbaren Wandung eine grelle Flamme auf und erlosch wieder — und gleichsam in der Luft hängend erschien als Brandmal ein dunkler Fleck.

„Ein Meteorit!“ „Aber er hat die Wandung nicht durchschlagen!“ „Er ist aufgeprallt und explodiert. Dieses Metall ist zehnmal fester als Stahl.“ „Ist es überhaupt ein Metall?“ „Du hast recht“, erwiderte Melnikow. „Als Metall kann man es wohl kaum bezeichnen. Aber wie dann? Vielleicht als Legierung? Jedenfalls schützt uns diese Wand zuverlässig vor Meteoriten. In der Nähe der Sonne haben sie eine große Geschwindigkeit.“ „Ich habe gerade vorhin darüber nachgedacht“, sagte Wtorow, „warum die Bäume auf der Venus das Raumschiff wohl nicht am Start gehindert haben. Oder vielmehr, warum sie seinen Rumpf nicht zerquetschten. Die zusammengewachsenen Stämme von zwei, drei Meter Umfang waren doch ein mächtiges Hindernis.“ „Mich wundert etwas anderes. Die Triebwerke des Raumschiffes sind stärker als die Bäume, das ist klar. Aber warum haben wir keinen einzigen Baum mitgerissen? Das ist erstaunlich.“ „Wahrscheinlich, weil sie sehr fest im Boden verwurzelt sind.“ „Ja, und das ist sehr wichtig für unsere Kenntnis von diesen Bäumen. Die zusammengewachsenen Stämme lassen sich leichter auseinanderreißen, als daß sich ein ganzer Baum aus dem Boden ziehen läßt.“ „Ich möchte schlafen“, sagte Wtorow plötzlich.

„Sehr gut“, antwortete Melnikow. „Das ist auch das beste.“ Merkwürdig, dachte er, Gennadi hat das im selben Moment gesagt, als auch ich das Bedürfnis zu schlafen verspürte. Ob die Wissenschaft der Phaetonen auch hierbei ihre Hand im Spiel hat?

In diesem Raumschiff, erbaut von Geschöpfen mit einem Verstand, viel weiter entwickelt als der des heutigen Menschen, war alles möglich. Sie befanden sich inmitten einer künftigen Technik, inmitten einer künftigen Wissenschaft und deren künftiger Anwendungsmethoden zum Nutzen des Menschen. Dies war die Welt des Phaeton und nicht die der Erde. Aber Mutmaßungen anzustellen hatte keinen Zweck. Ihnen blieb nichts weiter übrig, als sich den Lebensgesetzen der Phaetonen zu unterwerfen.

Jetzt ist auch klar, wieso wir gleich nach der Katastrophe schlafen konnten. Unter gewöhnlichen Umständen wäre uns das kaum gelungen, sann Melnikow weiter.

Wtorow hatte indessen die Wände „verdunkelt“. Das Schlafbedürfnis war unüberwindlich geworden. Die Augen fielen ihnen von selbst zu. Kaum lagen sie in den Hängematten, schliefen sie auch schon.

Das Raumschiff der Phaetonen flog von der Venus fort auf die Sonne zu, aber seine „klugen“ Mechanismen behüteten es sorgsam vor Gefahr. Sie lenkten präziser und zuverlässiger als jeder Mensch. Die beiden Männer konnten ruhig schlafen, sie hatten nichts zu befürchten. Sobald ein Hindernis auftauchte, zum Beispiel ein großer Meteorit, wich das Raumschiff rechtzeitig aus. Es manövrierte genau, fehlerlos und behutsam, damit jene, die es beherbergte, nicht Schaden erlitten.

Ein Mensch kann müde werden, aus irgendwelchen Gründen die Klarheit des Denkens einbüßen und einen Fehler begehen.

Eine Maschine aber wird nicht müde, sie begeht keine Fehler.

Sie ist immer „aufmerksam“ und „begreift“ weit schneller als der Mensch.

Wie beim erstenmal schliefen sie volle acht Stunden und erwachten zur gleichen Zeit.

„Jetzt aber an die Arbeit“, sagte Melnikow.

Beide waren im Vollbesitz ihrer Kräfte. Ihre Körper schienen von unerschöpflicher Energie überzuquellen. Noch nie hatten sie sich so frisch gefühlt. Nach wie vor verspürten sie auch kein Zeichen von Hunger. Ja selbst Durst quälte sie nicht, obgleich sie doch schon lange nichts mehr getrunken hatten.

Womit mochten die Phaetonen ihre unfreiwilligen Gäste speisen und tränken?

„An die Arbeit!“ sagte auch Wtorow.

Die Stunden reihten sich aneinander und wurden unmerklich zu Tagen. Zwei Menschen, zwei ganz gewöhnliche Vertreter des Menschengeschlechts, lebten ein phantastisches Leben in einem phantastischen Raumschiff. Sie schliefen zu bestimmten Zeiten, unabhängig von ihrem Wunsch und Willen. Sie aßen und tranken nichts und verspürten doch weder Hunger noch Durst. Statt zu schwinden, nahmen ihre Kräfte beständig zu.

Das Raumschiff jagte zwischen Venus und Sonne hin und her.

Allmählich lernte Wtorow, es immer sicherer zu steuern, zwang er es, Geschwindigkeit und Richtung nach Wunsch zu ändern.

Immer seltener weigerte sich die Automatik, seinen gedanklichen Befehlen zu gehorchen. Der Mensch der Erde begann die phaetonische Technik zu meistern.

Die beiden Freunde trennten sich niemals; entweder hielten sie sich am Steuerpult oder im Raum daneben auf. In andere Abteilungen zu gehen und den restlichen Teil des Schiris zu untersuchen, konnte sich Melnikow nicht entschließen. Er wollte nichts riskieren. In der Nähe des Pultes waren sie sozusagen schon heimisch geworden. Wer wußte, was sie in den anderen Räumen erwartete. Der „Phaetone“ konnte dort mit allerhand unangenehmen Überraschungen aufwarten.

„Es wird Zeit, einen Entschluß zu fassen“, sagte Melnikow, nachdem mehrere Tage mit pausenlosen „Übungsmanövern“ vergangen waren. „Welche Richtung schlagen wir ein?“ „Sie wollten doch zur Venus zurückkehren?“ „Gewiß, aber jetzt halte ich das für unklug. Seinerzeit nahm ich noch an, uns drohe der Hunger. Zur Erde zu fliegen erschien unmöglich. Jetzt wissen wir, daß wir Hunger nicht zu befürchten brauchen. Ist es da nicht besser, die Erde anzusteuern?“ Bei diesen Worten überlegte Melnikow mit einer gewissen Sorge, wie sie den Flugweg berechnen sollten, da sie doch weder Rechenmaschinen noch sonstige Geräte zur Verfugung hatten.

Auch ein Teleskop für visuelle Beobachtungen besaßen sie nicht.

Optische Geräte oder etwas Ähnliches waren zwar bestimmt an Bord, doch wie sollten sie sie finden?

„Aber unsere Kameraden auf der Venus…“, begann Wtorow zögernd.

„Die haben uns längst abgeschrieben“, unterbrach ihn Melnikow. „Wir dürfen jetzt nur auf die Sicherheit des Raumschiffs bedacht sein. Das Schiff wiegt schwerer als Gefühle. Im leeren Weltraum Manöver auszuführen ist eines, aber etwas ganz anderes ist es, auf einem Planeten zu landen. Uns steht ein äußerst kompliziertes und gefährliches Manöver bevor. Wenn jedoch das Raumschiff bei der Landung auf der Erde beschädigt wird oder gar zerschellt, ist das nicht so tragisch, als wenn es auf der Venus zerschellt.“ „Wenn das so ist, fliegen wir zur Erde.“ „Du stellst dir das recht einfach vor! Aber wie finden wir die Erde? Wie halten wir den richtigen Kurs ein? Ohne Geräte und ohne Beobachtungsmöglichkeiten? Ich schwanke noch, weil ich mir nicht sicher bin. Wäre Konstantin Jewgenjewitsch an meiner Stelle…“ „Was tun wir also?“ „Wir fliegen unbedingt zur Erde“, sagte Melnikow völlig inkonsequent, aber ganz im Einklang mit dem Denkprozeß, der in seinem Innern vor sich gegangen war. Es wird schwer werden, dachte er, sehr schwer. Aber es ist notwendig. Wir müssen schier Unmögliches vollbringen, doch das Raumschiff der Phaetonen muß für die Wissenschaft gerettet werden. Koste es, was es wolle.

„Zur Erde fliegen“, wiederholte er. „Nur zur Erde.“ „Die sehen wir aber doch“, sagte Wtorow, „da können wir das Raumschiff doch auf den richtigen Kurs bringen.“ „Nur auf dem Meer ist es ganz einfach, mit einem Schiff die Küste anzusteuern, Gennadi. Die Küste läuft dir nicht davon, aber die Erde tut es, und zwar sehr schnell. Zwischen ihr und uns liegen fast fünfzig Millionen Kilometer. Mit neunzigprozentiger Sicherheit müssen wir gewärtigen, irgendwo in weitem Abstand an ihr vorbeizusausen.“ „Natürlich können wir“, fuhr er fort, als wolle er sich selbst von etwas überzeugen, „die Flugrichtung dann ändern und wieder vorbeisausen. Das läßt sich endlos wiederholen. Doch wer gibt uns die Gewähr, daß auch die Triebwerke endlos lange arbeiten? Und wer garantiert uns, daß wir unbegrenzte Zeit von der Luft satt werden? Indes, wir haben keine andere Wahl.

Also fliegen wir zur Erde!“ In diesem Augenblick dachte Melnikow nicht an ihr persönliches Schicksal. Eine intakte Landung des schweren Raumschiffs auf der Erde hielt er für unmöglich. Natürlich würde das Schiff zerschellen. Aber während seine Bruchstücke auf der Venus völlig nutzlos waren, konnte man sie auf der Erde auswerten.

Es ist unsere Pflicht, dachte er. Entweder wir erreichen wie durch ein Wunder die Heimat, oder wir verschwinden für immer im All. Eine andere Möglichkeit gibt es nicht.

„Zur Erde!“ „Also fliegen wir zur Erde“, stimmte Wtorow zu. Er wurde nicht von Zweifeln geplagt. Sein Glaube an Melnikow war unerschütterlich: Boris Nikolajewitsch konnte alles. „Wenn wir uns der Erde nähern, wird man uns schon bemerken.“ Was hatte Wtorow da eben gesagt? Melnikow durchzuckte es wie ein elektrischer Schlag. „Sie werden uns bemerken.“ Natürlich werden sie uns bemerken! Sie haben es sicher schon längst getan. Mit Hilfe der mächtigen Teleskope in den Observatorien mußten die Astronomen den unbekannten Himmelskörper in der Nähe der Venus entdeckt haben. Und wenn Belopolski mit der „SSSR-KS 3“ aufgestiegen war und der Erde das Vorgefallene mitgeteilt hatte, wußte man dort auch bereits, was für ein Körper das war. Daß ich nicht von selbst darauf gekommen bin.

Das ändert die Situation von Grund auf.

„Es heißt nicht umsonst, vier Augen sehen mehr als zwei“, sagte Melnikow. „Ich habe mich geirrt, als ich unsere Aussichten gering nannte. Nein, sie sind gut, Gennadi! Du hast meine letzten Bedenken zerstreut. Auf zur Erde! Unseren Freunden entgegen! Ich bin ein Esel und nichts weiter.“ „Das müssen Sie mir erklären!“ sagte Wtorow verständnislos.

„Die Sache ist ganz einfach. Wir sind im All nicht verlassen.

Hunderte von Augen verfolgen uns. Sergej Alexandrowitsch Kamow ist über alles unterrichtet. Die Rettung des Raumschiffes Legt in seiner Hand. Du sagtest, man werde uns bemerken.

Nein, Gennadi, man hat uns schon bemerkt. Und ich zweifle nicht, daß auch die notwendigen Maßnahmen eingeleitet sind.

Fliegen wir zur Erde. Man wird uns Hilfe entgegenschicken.“ Wtorow begriff.

„Aber warum hat uns dann die,KS 3‘ bis jetzt nicht eingeholt?“ „Weil die Genossen zwar gleich nach uns aufstiegen, dann aber unseren Untergang meldeten und auf die Venus zurückgekehrt sind. Die Verbindung mit der Heimat ist wieder unterbrochen. Doch die Observatorien auf der Erde haben die Suche aufgenommen und uns entdeckt. Aus den Manövern, die du ausführtest, müssen sie geschlossen haben, daß wir beide noch am Leben sind. Das übrige kann man sich an fünf Fingern abzählen. Sie schicken von der Erde ein Raumschiff, wenn sie es nicht schon getan haben. Fliegen wir ihm also entgegen.“ Der „Phaetone“ nahm Kurs auf die Erde.

Sie ahnten nicht, in welche Verzweiflung ihre Freunde an Bord der „SSSR-KS 3“ durch diese neue Kursänderung gestürzt wurden und wie nahe ihnen die Hilfe bereits gewesen war. Hätten sie ihre bisherige Flugrichtung noch einige Stunden beibehalten, wären sich beide Raumschiffe begegnet, und die Odyssee hätte ein Ende gefunden. So aber änderten sie leichten Herzens den Kurs und entfernten sich wieder von jenen, die sie herbeigesehnt hatten.

Zu diesem Zeitpunkt empfing Belopolski im Kommandoraum der „SSSR-KS 3“ einen Befehl Kamows: Die Erde hielt eine weitere Verfolgung für zwecklos. Sieben gefährliche Kurvenmanöver hatten der Besatzung übel mitgespielt. Kamow forderte sofortige Rückkehr „nach Hause“.

„Ich weiß“, schloß er seinen Funkspruch, „wie schwer es Ihnen fallen wird, diesem Befehl nachzukommen. Glauben Sie mir, auch uns wird es nicht leicht. Es ist aber notwendig. Wir dürfen nicht die ganze Besatzung aufs Spiel setzen. Der,Phaetone‘ scheint auf die Erde zuzusteuern. Das hat er freilich schon wiederholt getan. Die Regierungskommission neigt jetzt zu der Ansicht, das Raumschiff sei führerlos. Es fliege hin und her unter der Einwirkung der Automatik, die im Laufe der Jahrtausende ihre Funktionstüchtigkeit eingebüßt hat und nur noch ungenau arbeitet. Wären Melnikow und Wtorow noch am Leben, müßten sie wissen, daß wir sie von der Erde aus unbedingt bemerkt haben, und auf unsere Hilfe warten, statt hin und her zu jagen und die Rettungsarbeit zu erschweren. Ich persönlich vertrete nach wie vor eine andere Meinung, aber die Mehrheit ist zu diesem Schluß gelangt. Nehmen Sie also Kurs auf die Erde, Konstantin Jewgenjewitsch. Ich gehe auf Empfang.“ „Ihr Befehl wird ausgeführt“, antwortete Belopolski kurz.

Endlich konnte sich die Besatzung der „SSSR-KS 3“ von den Strapazen erholen, wenn auch mit Schmerz und Verzweiflung im Herzen.

Währenddessen beendete Melnikow ruhig und guter Dinge die Berechnung des neuen Kurses für den „Phaetonen“. Sie fiel allerdings sehr ungenau aus, da er die exakten Daten nicht kannte.

Mit welcher Geschwindigkeit flog beispielsweise ihr Raumschiff? Er wußte es nicht. Alle Orientierungspunkte waren so weit entfernt, daß er sie nicht einmal annähernd mit dem Auge bestimmen konnte. Sie hatten den Eindruck, unbeweglich im All zu hängen, und die Erde flimmerte als ein ferner Punkt.

Immerhin waren sie jetzt überzeugt, daß ihnen von diesem Punkt aus ein anderes Raumschiff entgegenflog, dessen Kommandant über alles Bescheid wußte.

„Wir müssen geradeaus fliegen“, sagte Melnikow. „Genau auf die Erde zu. Wenn die eingeschlagene Richtung auch falsch ist, macht das nichts. Das Raumschiff von der Erde kann dann frei manövrieren, bis es mit uns zusammentrifft. Wir erleichtern ihnen ihre Aufgabe, wenn wir immer geradeaus fliegen.“ „Und die Geschwindigkeit?“ fragte Wtorow.

„Wir wollen hoffen, daß unsere Geschwindigkeit nicht allzugroß und auch für ein irdisches Raumschiff erreichbar ist.“ „Wann können wir mit ihnen zusammentreffen?“ „Das ist schwer zu sagen. Jedenfalls nicht früher als in acht bis neun Tagen.“ „So lange können wir durchhalten, selbst wenn uns die Phaetonen nicht mehr ernähren sollten.“ Wtorow starrte angestrengt durch die durchsichtige Wandung, als hoffe er über Dutzende von Millionen Kilometer hinweg das ersehnte Raumschiff zu erblicken, das ihnen Rettung brächte.

Nicht allzuweit von ihnen entfernt vollführte die „SSSR-KS 3“ gerade befehlsgemäß ihre letzte Wendung. Allerdings hätte Wtorow sie auch dann nicht ausmachen können, wenn er den starren Blick ein wenig nach rechts gerichtet hätte.

Auf der Erde aber wußte niemand, daß der „Phaetone“ seine Flugrichtung nicht mehr ändern würde!