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Boris Melnikow kannte den gigantischen Raketenflughafen am Kljasma-Ufer sehr gut. Es war ein Fleckchen Erde, das er nie vergessen würde. Von hier aus hatte er an Bord des Raumschiffes „SSSR-KS 2“, das von Sergej Alexandrowitsch Kamow geleitet wurde, zum ersten Mal diese Welt verlassen. Hierhin war das Schiff unter dem Kommando Belopolskis zurückgekehrt.
Ohne seinen Kommandanten. Man hatte ihn für tot gehalten und auf dem Mars zurückgelassen. Hier hatte dann das unvergessene Wiedersehen mit Kamow stattgefunden, der wie durch ein Wunder vom Tode errettet worden war. Von hier aus war Paitschadse mit der Expedition Belopolskis an Bord des gleichen „SSSR-KS2“ zum Mond geflogen und, nach einem dreiwöchigen Aufenthalt, zurückgekehrt. Schließlich hatte sich eine englische Expedition unter William Jenkins, der Melnikow als einziger Russe angehörte, von hier aus zu einem Sputnik der Erde begeben.
Einstmals waren auf diesem Feld Versuche mit Atomraketen durchgeführt worden. Das war zu der Zeit, da die Raumfahrten erst vorbereitet wurden. Nach dem Flug von „SSSR-KS 2“ zum Mars war der Raketenflughafen dann völlig den Raumfahrern zur Verfügung gestellt worden. Nun wurden dort die sowjetischen Raumschiffe erprobt, gestartet und gelandet Der Holzzaun war durch ein Eisengitter ersetzt worden. Das Flugfeld hatte eine Betondecke erhalten. Nirgends auf der Welt gab es einen Platz wie diesen, zwölfeinhalb Quadratkilometer groß, eben und glatt wie ein Tisch. Das Gebäude des interplanetaren Bahnhofs war noch das gleiche wie früher, weiß, mit einem flachen Dach, das eine Marmorbalustrade säumte. Aber ringsum war inzwischen eine ganze Stadt emporgewachsen. Zwei Werke, die Teile von Raumschiffen, Mechanismen und Ausrüstungsstücke herstellten, ein astronomisches Observatorium, ein Institut für Kosmogonie, zahlreiche Laboratorien und Wohnhäuser standen zu konzentrischen Halbkreisen geordnet, deren Enden sich an die Einfriedung des Raketenflughafens lehnten. Die peinlich genauen Fluchten der halbrunden, baumbesetzten Straßen und die einheitliche Architektur verliehen der Stadt, die den Namen „Kamowsk“ trug, einen geometrischen Charakter.
Etwa im Zentrum, neben dem Bahnhof, erhob sich ein stählerner Obelisk, der zu Ehren des ersten Fluges zum Mars errichtet worden war. Ihn schmückten Basreliefs der vier Männer, die an diesem historischen Flug teilgenommen hatten.
Dieses Denkmal machte Melnikow immer verlegen, und er versuchte Olga abzulenken, damit sie sein Abbild nicht sähe, das ausgerechnet an der dem Bahnhof zugekehrten Seite angebracht war.
„Weißt du noch“, sagte er und wies auf ein Dach, „wie vor acht Jahren Sergej Alexandrowitsch, den wir für tot gehalten hatten, dort stand und die Landung des ‚SSSR-KS 2‘ beobachtete? Wie traurig war unsere Heimkehr gewesen, aber was für eine riesige Freude erwartete uns! Den Augenblick, in dem wir ihn sahen, werde ich nie vergessen.“ Olga drückte dankbar die Hand ihres Mannes.
Sie stiegen aus dem Wagen und gingen die breite Treppe hinauf. Der Wachtposten trat auf sie zu, um nach dem Passierschein zu fragen, doch als er Melnikow erkannte, zog er sich schweigend zurück und legte die Hand an den Mützenschirm.
Die riesige Vorhalle war mit rotem Marmor getäfelt. Durch das Glasdach fiel das Sonnenlicht ein und füllte die ganze Halle, die wie immer menschenleer war. Eine breite Glastür führte auf das Flugfeld hinaus, doch Melnikow geleitete seine Frau durch einen Seitenausgang.
Der Stille nach zu schließen, die weit und breit herrschte, schien niemand in dem ganzen Gebäude zu sein, aber gleich hinter ihnen trat hastig ein mittelgroßer Mann heraus, der eine blaue Arbeitskombination trug.
Olga erkannte ihn sofort, obwohl sie ihn nie persönlich gesehen hatte. Die Zeitungen hatten sein Porträt gebracht. Der Name dieses Mannes war untrennbar mit den Raumfahrten verbunden, obwohl er an keiner einzigen teilgenommen hatte. Er hatte alle Raumschiffe, die von diesem Flughafen aus ihre Fahrt begannen, startklar gemacht, angefangen von jenem ersten, mit dem Sergej Alexandrowitsch Kamow seinerzeit zum Mond startete. Er war der Direktor des Flughafens, Ingenieur Larin.
„Ich habe schon gehört, daß Sie da sind“, sagte er, wahrend er auf die beiden zuging. „Guten Tag, Boris Nikolajewitsch!“ Melnikow druckte seinem alten Freund fest die Hand.
„Und Sie, Olga Sergejewna“, Larin küßte ihr galant die Hand, „sind natürlich gekommen, um sich das Raumschiff anzusehen.“ Woher kennt er mich? dachte Olga.
„Leider kann ich Sie nicht begleiten. Ich habe wenig Zeit, und es ist noch viel zu tun. Konstantin Jewgenjewitsch hat zum dritten Male angeordnet, alle Gerate und Apparaturen zu überprüfen. Und heute ist schon der Achte!“ Melnikow lächelte. Er wußte genau, daß Belopolski Larin vertraute und niemals Anweisungen erteilte; der Ingenieur prüfte von sich aus, und zwar nicht dreimal, sondern fünfmal und noch häufiger.
„Wir finden uns schon allein zurecht“, sagte er. „Lassen Sie sich durch uns nicht stören, lieber Semjon Pawlowitsch.“ Der Ingenieur verabschiedete sich und ging.
Das Betonfeld, das sich vor ihnen breitete, war völlig leer.
Nur ganz in der Ferne, beinahe am Horizont, zeichneten sich Erhebungen ab und rollten winzige Fahrzeuge. Dort, in zwei Kilometer Entfernung, befand sich das Raumschiff „SSSR-KS 3“.
„Womit werden wir fahren?“ fragte Olga. Sie sah weit und breit kein Auto.
Melnikow gab keine Antwort, er hing seinen Gedanken nach.
Olga wiederholte ihre Frage.
„Acht Jahre sind erst vergangen“, sagte er, „und wie hat sich alles verändert! Das Flugfeld gleicht sich ebensowenig wie,KS 3‘ und,KS 2‘. Alles in allem nur acht Jahre! Aber,KS 2‘ ist schon eine veraltete Konstruktion … Kein Mensch wird heute mehr mit solch einem Schiff fliegen, und doch war es ein Wunderwerk der Technik. Als wir zum Mars flogen, war diese Fläche hier mit Gras bewachsen, das Raumschiff lag acht Kilometer entfernt, war nicht zu sehen, und unser Wagen fuhr auf einer Straße, die sich in nichts von einem Feldweg unterschied.
Du fragtest, womit wir fahren werden? Wir laufen! Du wirst gleich sehen!“ Er führte sie in den Bahnhof zurück. Als Olga die Halle betrat, erblickte sie einen jungen Mann, der sogleich auf sie zukam und ihren Mann begrüßte.
„Darf ich vorstellen“, sagte Melnikow, „meine Frau, Olga Sergejewna, und das, Olga, ist Leonid Nikolajewitsch Orlow; er wird mit uns fliegen.“ Der junge Mann verbeugte sich und gab Olga die Hand. Dies tat er so behutsam, daß sie sogleich spürte, welch gewaltige Körperkraft Orlow besaß. Da er sehr hager war, wirkte er größer, und Olga zweifelte nicht an seinen eisernen Muskeln.
Er hatte ein stark sonnverbranntes Gesicht, einen schmalen Mund und ungewöhnlich schöne Augen, deren Blau ins Grünliche spielte. Von langen schwarzen Wimpern eingefaßt, wirkten sie wie zwei makellos klare Aquamarine.
Olga wußte, wer Orlow war. Er hatte sich trotz seiner Jugend bereits als Astronom einen Namen gemacht. Belopolski, der mit seinem Urteil stets sehr vorsichtig war, nannte ihn seinen talentiertesten Schüler.
,Was führt Sie hierher?“ fragte Melnikow.
„Ich möchte mir endlich einmal unser Raumschiff ansehen.“ „Was?“ rief Olga erstaunt. „Sie haben es noch nicht gesehen?“ Orlow lachte. Sein Lachen war rein und glockenhell wie das eines jungen Mädchens. Das Weiß seiner Zähne schien sein Gesicht aufzuhellen.
„Ich bin kein enthusiastischer Kosmonaut“, sagte er. „Ich fliege nur deswegen mit, weil diese Expedition auch auf einem Asteroiden landen will. Asteroiden sind nämlich meine Spezialität.“ „Interessiert Sie etwa das Schiff nicht?“ „Wie Sie sehen, interessiert es mich. Aber ich hatte bisher keine Zeit, es mir anzusehen. Außerdem …“ Er beugte sich vor und flüsterte Olga ins Ohr: „Ich habe Angst vorm Fliegen. Ich fürchte, nach dem Anblick des Raumschiffes mein seelisches Gleichgewicht zu verlieren. Sagen Sie bloß Boris Nikolajewitsch nichts davon!“ „Das kann doch nicht Ihr Ernst sein.“ „Aber gewiß doch! Ich habe Angst, und ich finde das gar nicht beschämend.“ „Warum haben Sie sich denn bereit erklärt, zu fliegen?“ „Es muß sein“, erwiderte er schlicht.
Aus dem Ton, in dem diese Worte gesprochen wurden, schloß Olga, daß Orlow vor nichts zurückschrecken würde, was immer die Wissenschaft von ihm auch verlangen mochte.
Melnikow öffnete eine hohe zweiflügelige Tür. Olga hatte erwartet, in einen weiteren Raum zu treten, aber es war ein Irrtum.
Hinter der Tür führte eine schmale Marmortreppe nach unten.
Sie gelangten auf einen Bahnsteig, der so sehr einem Bahnsteig der Metro glich, daß Olga verdutzt auf der untersten Stufe stehen blieb.
Alles war hier unten wie auf einer U-Bahn-Station. Blanker Steinfußboden, Marmorwände mit Bronzeverzierungen, eine schwarze Tunnelöffnung, Schienen und figurative Beleuchtungskörper an der halbrunden Decke. Aber alles war so klein gehalten, daß es eher wie das Modell einer Station wirkte. Am Bahnsteig stand ein winziger hellblauer Wagen, der ebenso wie die Metrozüge Schiebetüren besaß. Im Innern befanden sich Polstersitze. Den Abmessungen und der Anzahl der Sitze nach war der Wagen offenbar für zehn Personen berechnet. Stehen konnte man darin nicht, sondern nur sitzen wie in einem Auto.
„Was ihr hier seht“, sagte Melnikow, „ist das Verkehrsmittel unseres modernen Raketenflughafens. Na, wie gefällt es euch?“ „Ich finde es interessant“, antwortete Orlow.
„Und wer steuert den Wagen?“ fragte Olga.
„Niemand. Unsere Metro ist voll automatisiert. Seht einmal, auf der Tafel brennt ein grünes Lämpchen. Das heißt: Die Strecke ist frei, Sie können fahren. Ich bitte, Platz zu nehmen!“ „Also ist dies nicht der einzige Wagen?“ „Setzt euch! Ihr werdet es gleich sehen.“ Olga bückte sich, stieg ein und setzte sich. Ihre Begleiter folgten ihr. Vorn, hinten und an den Seiten des Wagens befanden sich Fenster, und wenn man voraus in den Tunnel blickte, der sich ins Ungewisse verlor, konnte man eine lange Reihe von grünen Lichtern erkennen. Auch hinter sich sah man eine Lichterkette. Allerdings war der Tunnel nach vorne zu gerade und lief in der Ferne zu einem Punkt zusammen, während er nach hinten seitwärts abbog.
Melnikow setzte sich neben Olga.
„Drück auf den Knopf mit der Aufschrift,Zentrale‘“, sagte er.
„Das ist ja ganz wie im Fahrstuhl.“ „Es ist dasselbe Prinzip.“ An jedem Sitz war eine kleine Tafel mit zwei Knöpfen angebracht. Auf dem einen stand „Zentrale“, auf dem anderen „Hafen“. Olga drückte auf den ersten.
Die Türen schlossen sich, der Wagen fuhr weich an.
„Schaut einmal nach hinten“, sagte Melnikow.
Als sie sich umdrehten, sahen sie, daß ein Triebwagen, der wie der ihre aussah, auf dem frei gewordenen Platz hielt.
„Wieviel solcher Wagen gibt es hier?“ fragte Olga.
„Vier. Zwei am einen Ende der Linie und zwei am anderen.“ „Aber dann können sich doch manchmal alle vier an einem Ende stauen“, sagte Orlow.
„Nein. Wenn niemand von der Zentrale zum Flughafen fahren will, rollt, sobald unser Wagen auf halber Strecke ist, automatisch ein Wagen von dort ans andere Ende des Gleisnetzes.
Unsere Metro ist mit Verstand gebaut“, setzte Melnikow hinzu.
„Und wo verläuft der Gegenverkehr?“ „Nebenan. In einem parallel angelegten Tunnel.“ Während dieses kurzen Gesprächs hatte der Wagen seine volle Geschwindigkeit erreicht. Die grünen Lichter huschten an den Fenstern vorüber. In der Ferne war schon der helle Fleck einer Station zu erkennen.
„Drei Minuten“, sagte Melnikow, „es sind zwei Kilometer.“ „Kann uns der Wagen, der hinter uns fährt, einholen?“ „Er rührt sich nicht von der Stelle, bis wir angekommen sind und unser Wagen den Bahnsteig geräumt hat. Ich habe ja schon gesagt — hier ist alles automatisiert.“ Der Wagen verlangsamte seine Geschwindigkeit, erreichte den Bahnsteig und hielt. Die Türen öffneten sich. Kaum waren sie ausgestiegen, setzte sich der Wagen wieder in Bewegung und verschwand, um dem nachfolgenden Platz zu machen.
„Aber wenn wir uns nun nicht so beeilt hätten?“ fragte Olga.
„Bevor nicht alle ausgestiegen sind, fährt der Wagen nicht ab“, antwortete Melnikow.
„Das verstehe ich nun gar nicht mehr.“ „Aber es ist doch ganz einfach. Die Automatik wird durch Belastung des Fußbodens in Gang gesetzt. Sobald sich jemand oder etwas im Wagen befindet, das mehr als zehn Kilo wiegt, bleiben die Türen geöffnet, und dann kann der Wagen nicht abfahren.“ „Das ist wirklich einfach. Und wohin ist der Wagen gefahren?“ „Er rollt aufs Gegengleis und wird warten, bis der Wagen vor ihm abfährt.“ „Interessant!“ rief Orlow abermals.
„Schon allein dieser Bahn wegen hat es sich gelohnt, hierherzufahren“, sagte Olga.
An die Oberfläche führte ebenso eine Treppe wie im Bahnhof.
Die „Metro“ lag dicht unter der Erdoberfläche, und sie brauchten nur dreißig Stufen zu steigen. Der Ausgang befand sich auf gleicher Höhe mit dem betonierten Flugfeld. Er war von einem niedrigen Gitter umgeben und nach oben mit einer Art Schirm gegen Regen abgedeckt.
Als die drei hinaufkamen, standen sie mitten in der Zentrale des Raketenflughafens. Der Bahnhof und die ihn umgebenden Gebäude wirkten nun im Hintergrund ganz klein. In alle Richtungen breitete sich das ebene, gelblichgraue Feld.
Hier vom Zentrum aus war es in seiner ganzen Ausdehnung zu überschauen und wirkte dadurch noch grandioser als vom Bahnhof.
Vier Lastkraftwagen mit Plandächern standen in der Nähe des Metroeingangs. Etwa hundert Meter von ihnen entfernt, trugen mehrere Männer in blauen Arbeitsanzügen eine lange metallene Stange, die in der Sonne matt glänzte, auf ihren Schultern. Sie gingen auf eine eigenartige Erhebung zu, die sich auf dem ebenen Feld abzeichnete.
„Was ist das?“ fragte Olga.
„Wo?“ Melnikow sah in die Richtung, in die ihre Hand wies.
„Das ist unser Raumschiff ‚SSSR-KS 3‘.“ „Das verstehe ich nicht.“ „Ich hatte Sie gerade fragen wollen, wo denn nun das Schiff sei“, sagte Orlow.
„Kommt, wir werden näher herangehen, dann werdet ihr es verstehen“, antwortete Melnikow.
Sie folgten den Arbeitern, die die Stange trugen. Als Olga näher kam, wurde ihr alles klar. „SSSR-KS 3“ lag in einem tiefen Betongraben, aus dem nur sein oberer Teil herausragte. Vor dem Raumschiff stieg der Boden des Grabens allmählich an und verschmolz in der Ferne, etwa einen Kilometer von ihnen entfernt, mit der Oberfläche des Feldes.
Die Männer, die die Stange trugen, verschwanden, anscheinend mit einem Fahrstuhl, im Innern des Schiffes. Ein Mann, der ebenfalls eine Arbeitskombination trug, aber anscheinend die Arbeiten leitete, trat zu Melnikow.
„Guten Tag, Boris Nikolajewitsch!“ sagte er. „Sie kommen wohl, um sich am Anblick Ihres Raumschiffes zu weiden?“ Er war einer von Larins Gehilfen.
„Ja, wir wollen uns das Schiff ansehen.“ „Bitte schön!“ Der Ingenieur wies mit der Geste des Hausherrn nach unten. „Die Eingangsschleusen sind zur Zeit gerade alle geöffnet.“ „Was tragen die Leute dort?“ fragte Melnikow.
„Semjon Pawlowitsch hat angeordnet, daß beim Gasruder sieben die eine Stützwand ausgewechselt wird. Das Defektoskop hat im Metall einen Hohlraum entdeckt.“ „Einen großen?“ „Mit einem großen Hohlraum wäre die Wand gar nicht vom Werk geliefert worden. Ein fünftel Millimeter. Der Fehler ist nach der vierten Prüfung entdeckt worden.“ Als der Ingenieur zurücktrat, fragte Olga ihren Mann: „Kann denn ein Hohlraum von einem fünftel Millimeter eine Rolle spielen? Er ist doch so klein, daß man ihn mit dem bloßen Auge gar nicht sehen kann.“ „Ein Weltraumschiff darf nicht den geringsten Defekt aufweisen“, erwiderte Melnikow. „Auch wenn er bedeutungslos scheint. Unterwegs ist es schwierig und nahezu unmöglich, eine Reparatur auszuführen.“ „Ein fünftel Millimeter“, sagte Orlow, „und das ist unzulässig? Tja, was will man noch mehr? Sie beruhigen mich. Bei einer derart gründlichen Vorbereitung liegt für uns keine Veranlassung zur Beunruhigung vor.“ Melnikow lachte.
„Immerhin wollten Sie meiner Frau weismachen, daß Sie vor dem Flug Angst haben. Sie wird Ihnen ebensowenig glauben wie ich.“ „Ach, Sie haben es also gehört?“ sagte Orlow vergnügt. „Aber ob Sie mir nun glauben oder nicht, ich habe jedenfalls Angst.
Wenn das dem vorschriftsmäßigen Verhalten eines Raumfahrers widerspricht, bleibt noch Zeit genug, mich durch jemand anderes zu ersetzen.“ „Beim ersten Mal haben alle Angst“, erklärte Melnikow. „Es kommt nicht darauf an, frei von Furcht zu sein, sondern die Furcht zu überwinden.“ Sie standen am Rand der senkrechten Betonmauer und konnten das ganze Raumschiff überschauen. Seine gigantischen Ausmaße versetzten Orlow und Olga in Erstaunen.
„SSSR-KS 3“ war über hundertfünfzig Meter lang und wies an der breitesten Stelle einen Durchmesser von dreißig Metern auf. Es hatte die Form einer metallischen Zigarre mit einem spitzen Bug und einem wuchtigen Heck. Das Heck machte ein Drittel des Schiffes aus und wirkte auf das ungeübte Auge wie ein Chaos aus Leitungen und Trichtern verschiedener Stärke und Farbe, deren Öffnungen sich nach allen Seiten richteten. Die ideal glatte Oberfläche des Schiffes wies keine einzige Naht auf, und man vermochte sich nicht vorzustellen, wie seine einzelnen Teile miteinander verbunden worden waren. Nur längs der Mittellinie konnte man zwei anderthalb Meter auseinander liegende, parallel verlaufende schmale Schlitze entdecken, die fast vom Bug bis zum Heck reichten.
„Das sind die Tragflächen“, gab Melnikow zur Antwort, als seine Frau ihn danach fragte. „Sie sind zur Zeit eingezogen.
Wenn wir die Venus erreichen und in ihre Atmosphäre eintauchen, werden die Tragflächen ausgefahren, und das Schiff verwandelt sich in ein Düsenflugzeug. Übrigens ist jeder Flügel an seiner Basis fünfzig Meter breit. Die Flügel ragen am Bug aus dem Schiffskörper und bilden zwei gewaltige Dreiecke.“ „Jede Tragfläche ist kompliziert konstruiert, so daß sie im Rumpf des Schiffes untergebracht werden kann und nicht viel Platz beansprucht. Die Teile der Tragfläche schieben sich ähnlich einem verstellbaren Fernrohr ineinander, das Endstück ist noch komplizierter konstruiert. Wie du siehst, ist jede Tragfläche länger als der ganze Schiffsrumpf, sie muß aber kürzer werden, damit man sie in die Aussparungen einziehen kann.
Außerdem ist die Bordwand ja nicht gerade geformt, sondern gewölbt. Das kompliziert die Konstruktion noch mehr.“ „Warum sind diese Rohre am Heck so regellos angebracht?“ fragte Olga.
„Es scheint nur so, daß hier keine Regel waltet. Das sind die Öffnungen der Düsen und das Kühlsystem. Der Raumfahrer muß die Möglichkeit haben, zu manövrieren. Deswegen richten sich die Düsen nach allen Seiten. Der Teilchenstrom, der den reaktiven Sog erzeugt, kann so gesteuert werden, wie der Kommandant des Schiffes es will. Wenn der Strom nach hinten gerichtet wird, fliegt das Schiff geradeaus, arbeitet aber die linke Düse, weicht das Heck nach rechts ab, und das Schiff verändert den Kurs nach links. Außerdem kann auch mit den Gasrudern gesteuert werden, die im Innern der Düsen angebracht sind. Der Gasstrom, der die Ruderfläche umströmt, weicht, wenn das Ruder gedreht wird, zur Seite aus und verändert so die Flugrichtung des Schiffes. Bloß ist der Winkel, in dem sich die Fahrtrichtung ändert, in diesem Fall kleiner als bei der Düsensteuerung.“ „Die Steuerung eines Weltraumschiffes ist wohl außerordentlich schwierig“, sagte Orlow nachdenklich.
„Gewiß, sie ist schwierig, aber die Automatik hilft dem Menschen. Die Schwierigkeit liegt nicht in der Steuerung selbst, sondern in der Berechnung, die vor jedem Manöver erfolgen muß. Es gilt, beinahe mit Augenblickes Schnelle, denjenigen Winkel für die Kursänderung zu ermitteln, der für Schiff und Besatzung ungefährlich ist. Das Schiff fliegt ja mit ungeheurer Geschwindigkeit. Dabei helfen uns die elektronischen Rechenmaschinen, mit denen,SSSR-KS 3‘ ausgerüstet ist. Die Kursänderung selbst wird automatisch ausgeführt. Der Kommandant braucht beispielsweise bloß den Hebel für eine Linkswendung auf den entsprechenden Winkel einzustellen, und die Automaten schalten selbständig die entsprechenden Düsen ein oder drehen die Ruder entsprechend. Sobald das Schiff die Kursänderung vollzogen hat, fliegt es von selber wieder geradeaus. Ebenso automatisch können auch kompliziertere Manöver ausgeführt werden. Außerdem gibt es einen Autopiloten, einen selbsttätigen Piloten also, der das Schiff ohne Mitwirkung des Menschen steuert und bei der Begegnung mit einem sehr großen Meteoriten automatisch ausweicht.“ „Und wenn man einem kleinen begegnet?“ „Die Radioprojektoren des Schiffes sind in der Lage, einen Meteoriten auf fünftausend Kilometer Entfernung zu orten, auch wenn er nur ein paar Zentimeter groß ist. Das genügt vollkommen. Nimmt der Projektor einen Meteoriten wahr, benachrichtigt er unverzüglich eine besondere Berechnungsvorrichtung, die binnen Hundertstelsekunden die Flugbahn des Meteoriten ermittelt und feststellt, ob er mit dem Raumschiff zusammenstoßen könnte oder nicht. Die Information wird dem Autopiloten übermittelt, damit der die notwendigen Maßnahmen ergreift. Wenn das Schiff trotzdem von einem kleineren Stein getroffen wird, geschieht noch kein Unglück. Das Schiff hat eine doppelte Bordwand, und der Hohlraum ist mit Kosmonit gefüllt.“ „Entschuldigen Sie“, bat Orlow, „mit Kosmonit? Ich habe den Namen schon einmal gehört. Das scheint ein neuer Stoff zu sein, der eigens für Raumschiffe entwickelt worden ist.“ „Stimmt genau, Kosmonit ist speziell für Raumschiffe vorgesehen. Professor Balandin hat es entwickelt; er nimmt an unserer Expedition teil. Es ist ein außergewöhnlich zähes und festes, dabei sehr leichtes Harz. Ein Meteorit, der die äußere Bordwand durchschlagen hat, bleibt darin stecken. Außerdem spielt Kosmonit an Bord in gewisser Beziehung die Rolle der Atmosphäre, es läßt die für den Menschen schädlichen Ausstrahlungen des Weltalls, zum Beispiel die kosmischen Strahlen, nicht ins Innere dringen.“ „Na, ich bin der Auffassung“, sagte Orlow, „daß all diese Maßnahmen wirklich ausreichen. Ihrer sind eher sogar zu viele.
Die Begegnung mit einem Meteoriten dürfte praktisch doch kaum vorkommen.“ Diese Worte waren an Olga gerichtet, und Melnikow verstand. Er blickte den Astronomen dankbar an.
„Warum liegt das Schiff in dieser Mulde?“ fragte Olga. „Wie wird es starten?“ „Das ist die Startbahn. Im Vorschiff befinden sich ausfahrbare,Pfoten‘. Sie richten den Bug im entsprechenden Winkel auf.
Dieselben,Pfoten‘ dienen bei der Landung als Stoßdämpfer.
Übrigens wurde diese Konstruktion von Sergej Alexandrowitsch entwickelt, als er allein auf dem Mars zurückgeblieben war und sich für verloren hielt. Die früher verwendeten Fahrwerke besitzen viele Unzulänglichkeiten.“ „Ich habe keine Fragen mehr“, sagte Olga spitzbübisch.
„Dann fahren wir hinunter.“ Ein automatischer Fahrstuhl brachte sie in einigen Sekunden auf den Grund des fünfundzwanzig Meter tiefen Grabens.
Von dort unten wirkte das Schiff noch grandioser als von oben. Die glatten, gewölbten Bordwände schienen sich in den Himmel zu erheben. Etwa dreißig Meter hoch befand sich der obere Teil, der von unten nicht zu sehen war. Bug und Heck endeten in weiter Ferne. Das Auge vermochte das Schiff nicht mit einem Blick zu umfangen, es sah nur jenen unbedeutenden Teil, der unmittelbar vor ihm lag.
„Was für ein Koloß!“ Olga legte den Kopf in den Nacken.
Wie ein Dach hing die Schiffswand über ihnen. „Man kann sich kaum vorstellen, daß dieses Ungeheuer es fertigbringt, zu fliegen.“ Melnikow mußte lachen.
„Und ob es fliegt!“ sagte er. „Die Höchstgeschwindigkeit des Raumschiffs beträgt vierzig Kilometer in der Sekunde.“ „Ich weiß, kann es aber kaum glauben.“ Sie war ein wenig fassungslos. Die stumme und scheinbar drohende Metallmasse, die ihr zu Häupten hing, wirkte unwillkürlich auf ihre Nerven.
„Gehen wir hinein!“ Ganz in der Nähe war ein Eingang. Er stand offen, und eine Aluminiumtreppe führte ins Innere. Sie war steil und hatte kein Geländer.
Wie ein Artist vom Zirkus erklomm Orlow sie. Olga war das enge Kleid hinderlich. Melnikow faßte seine Frau unter und geleitete sie geschickt hinauf. Kaum konnte sie noch sagen: „Du wirst abrutschen!“ — als sie auch schon im Innern des Schiffes angelangt waren.
Sie standen in einem kleinen, völlig kahlen Raum. Nur an der einen Wand hing ein Armaturenbrett mit verschiedenen Knöpfen. Die Öffnung im Boden, durch die sie eingestiegen waren, konnte durch eine Schiebetür verschlossen werden.
„Das ist eine Ausgangsschleuse“, erklärte Melnikow. „Zur Zeit stehen beide Türen offen, aber auf der Venus werden sie sich nur nacheinander öffnen, damit die Luft des Planeten nicht in das Schiff eindringen kann.“ Die nach innen führende Tür befand sich an der Decke, und zu ihr stiegen sie eine weitere Treppe hinauf. Olga lehnte kategorisch jede Hilfe ab und kletterte allein.
Oben öffnete sich vor ihnen ein langer Korridor, der rund wie eine Röhre aussah; seine Wände waren durchgehend mit weichen „Lederkissen“ gepolstert. Darüber führte ein provisorischer Brettersteg.
„Es gibt sechs solcher Korridore, die vom Heck bis zum Bug durch das ganze Schiff führen“, sagte Melnikow. „Und jeder besitzt eine Ausgangsschleuse. Zwischen ihnen liegen die Räume für die Besatzung, die Werkstätten, die Laboratorien und sonstigen Arbeitsplätze. Das Achterschiff beherbergt die Triebwerke. Dieser Teil ist von den übrigen Räumen durch eine sehr dicke Dreifachwand aus einer festen Legierung abgeteilt. Die Hohlräume zwischen den Einzelwänden sind mit hitzebeständigem und geräuschundurchlässigem Material gefüllt. Demzufolge ist das Raumschiff eigentlich nur neunzig Meter lang. Jeder der siebzig Meter langen Korridore endet in dem größten Raum, in dem astronomischen Observatorium, das im Vorschiff eingebaut ist.“ „In jenem Reich also, in dem Belopolski, Paitschadse und ich regieren“, ergänzte Orlow.
„Das Schiff ist so groß, daß man müde wird, darin umherzulaufen“, bemerkte Olga.
„Man braucht übrigens gar nicht zu laufen. Wenn man schnell durch einen Korridor muß, kann man sich hier dieser Einrichtung bedienen.“ Melnikow trat an die Wand und drückte auf einen unauffälligen Knopf. Eine kleine schmale, horizontal gelagerte Tür öffnete sich und gab den Blick auf einen langen Gegenstand frei, der einem Torpedo glich.
„Das ist einer der zahlreichen Fahrstühle des Schiffes“, sagte Melnikow. „Er befördert dich binnen Sekunden ans entgegengesetzte Ende des Korridors, beziehungsweise zu der Tür, zu der du willst. Es gibt Fahrstühle, die alle sechs Korridore miteinander verbinden und dir helfen, von dem einen in den anderen zu gelangen. Willst du es ausprobieren?“ „Nein, nicht nötig! Gehen wir weiter! Aber in diesem,Torpedo‘ kann man doch nur liegen?“ „Im Bereich der Schwerelosigkeit verlieren die Begriffe ‚liegen‘ oder,stehen‘ ihren Sinn. Der Mensch kann sich in beliebiger Richtung bewegen und fühlt sich in jeder Lage wohl.“ „Wie merkwürdig!“ sagte Olga.
„Daran gewöhnt man sich schnell.“ Hintereinander gingen sie auf dem Brettersteg, der so schmal war, daß sie nicht nebeneinander laufen konnten. Den Korridor beleuchteten elektrische Lampen hinter dickem, bauchigem Glas.
Sie gruppierten sich in gleichmäßigen Abständen an der Wandung, und wenn man nach vorn sah, wirkten sie wie eine eigenartige leuchtende Spirale.
Es mutete seltsam an, auch zu Füßen Lampen zu entdecken, die von unten her Licht spendeten, aber Olga fiel ein, was ihr Mann soeben erklärt hatte, und sie verstand, warum dies so eingerichtet war. Während des Fluges würden natürlich in diesem Gang keine Bretter liegen. Sobald die Anziehungskraft der Erde geschwunden war, würden die Menschen ohne weiteres auch an der „Decke“ entlanggehen können.
Übrigens würden sie ja gar nicht gehen können, sann sie. — Wie soll man denn gehen können, wenn die Schwerkraft fehlt?
Sie hatte sich oft Gedanken über die Bedingungen eines Raumfluges gemacht, aber nie eine so klare Vorstellung von ihnen gehabt wie in diesem Augenblick. An Bord des Raumschiffes war alles ungewöhnlich und nicht mit den Verhältnissen auf der Erde zu vergleichen. Der Mensch, der diese Planken betrat, löste sich gleichsam von der Erde und ihrem Leben und wurde in eine andere, fremdartige Welt versetzt, die nach ihren besonderen Gesetzen lebte.
Und so war es wirklich. Das Raumschiff gehörte seinem Wesen nach nicht der Erde an. Es war auf ihr nur ein vorübergehender Gast. Sein wahres Leben verlief in den Weiten des Kosmos, für die der Mensch es geschaffen hatte. Im Gegensatz zu ausnahmslos allen anderen Werken von Menschenhand wurde es auf Erden nicht gebraucht.
Alle zehn Meter wurde der Korridor durch ein Schott abgeteilt. Im Augenblick standen die Türen offen. Aber den Türrahmen bildete jeweils eine hohe Schwelle, über die man hinwegsteigen mußte. Es war ermüdend.
„Wie unbequem“, äußerte Olga.
„Dafür ist es beim Flug sehr bequem“, entgegnete Melnikow.
„Hier ist meine Kajüte“, setzte er hinzu. „Hineingehen können wir jetzt nicht, aber wir können sie uns ansehen.“ Die Tür war ebenso rund wie die Schotte im Korridor, aber sie war als Schiebetür gebaut. Der untere Rand des Türrahmens befand sich in Brusthöhe Olgas, und sie spähte wie durch ein Fenster in die Kajüte hinein.
Die Kajüte hatte Kugelgestalt und maß fünf Meter im Durchmesser. Ihre Wände waren ebenso gepolstert wie die des Korridors. Bloß waren die „Lederkissen“ hier nicht braun, sondern hellgrau. Die Einrichtung konnte nur mit Vorbehalt als solche bezeichnet werden. Gewöhnliche Gegenstände wie Stühle, Sessel oder eine Couch fehlten. Weder Bett noch Tisch standen in diesem Raum. Der Tür gegenüber befand sich eine große Schalttafel mit zahlreichen Vorrichtungen, drei Hähnen und mindestens dreißig Knöpfen und Hebeln. Dicht daneben hing ein großes Netz mit Metallspangen. Etwas, was entfernt an einen Schrank erinnerte, befand sich an der einen Seite der Schalttafel.
Der Gegenstand hatte ellipsoide Form und besaß eine Flügeltür, die ihn einem Schrank ähnlich machte. Ein fast gleicher Gegenstand stand auf der anderen Seite der Kajüte. Neben der Tür entdeckte Olga ein lackiertes Holzbrett, das in Lederschlaufen hing. Die Kajüte wurde von sechs Lampen erhellt, wie sie auch im Korridor hingen. Vom „irdischen“ Standpunkt aus waren sie völlig unsinnig installiert. Sie bedeckten in gleichen Abständen die ganze Oberfläche dieser Kugel, die sich Kajüte nannte, aber in nichts dem glich, was man sonst unter diesem Wort verstand. Hineingehen konnte man nicht, es sei denn, man hätte sich an der weichen Wand hinabgleiten lassen.
„Karg und ungemütlich.“ Olga warf ihrem Mann einen spöttischen Blick zu. „Erkläre mir doch bitte einmal, was das hier alles ist.“ „Wahrhaftig“, sagte Orlow, „vom Standpunkt eines Uneingeweihten wirkt dieser Raum ziemlich wunderlich.“ Melnikow lachte.
„Trotzdem gibt es darin nichts Wunderliches“, sagte er. „Es ist eine schöne und bequeme Kajüte. Freilich nur beim Flug, wenn die Schwerkraft entfällt. Man hat alles, was man braucht.
Verstehen Sie — in der Schwerelosigkeit gibt es weder unten noch oben. Man kann sich ganz bequem mitten in der Luft niederlassen, kann nirgendwohin fallen. Dieses Netz dort ist mein Bett, und darin werde ich bequemer als in einem Daunenbett ruhen. Denn wieviel Federn und Daunen man auch unter sich betten mag, der Körper wird dennoch auf ihnen lasten, im Bereich der Schwerelosigkeit aber drückt der Körper auf nichts.
Man kann sich auf spitze Nägel legen und wird nichts spüren.
Wir könnten auch einfach in der Luft schlafen, doch wenn sich das Schiff um die eigene Achse dreht, was in regelmäßigen Zeitabständen geschieht, damit der Schiffsrumpf von den Strahlen der Sonne gleichmäßig erwärmt wird, ließe die Zentrifugalkraft den Menschen durch die ganze Kajüte ‚wandern‘. Deshalb empfiehlt es sich, in den Netzen zu schlafen, die an der Wand befestigt sind. Die Möbelstücke, die ihr so verdutzt betrachtet, sind tatsächlich Schränke, und sie dienen zur Aufbewahrung von Kleidungsstücken. Die ungewöhnliche Form rührt daher, daß sie nicht Fächer, sondern weiche, mit Stoßdämpfern versehene Zellen besitzen. In diesen Zellen werden während des Starts, wenn die Schwerkraft das normale Maß weit übersteigt, die zerbrechlichen Gegenstände aufbewahrt. Ja, hier hat man alles wohl überlegt. Dieses Brett dort ist mein Tisch. Ich kann ihn Während des Fluges in jede beliebige Lage bringen, und er fällt nicht um. Gewöhnliche Tische, Stühle und dergleichen wären im Bereich der Schwerelosigkeit nutzlos. Allerdings haben wir einige dennoch an Bord.“ „Zu welchem Zweck?“ „Wir werden sie auf der Venus brauchen. Wenn das Raumschiff auf dem Planeten landet und eine bestimmte Lage einnimmt, werden in den Kajüten provisorische Regale angebracht und Möbel aufgestellt. Wir werden auf der Venus immerhin ziemlich lange Zeit bleiben — da müssen wir für eine gewisse Bequemlichkeit sorgen.“ „Und wozu dient diese Schalttafel in deiner Kajüte?“ fragte Olga.
„Es gibt an Bord eine Kommandozentrale“, antwortete Melnikow, „eine Kommandobrücke, wie wir das nennen. Dort befindet sich das Hauptsteuerpult. Ebensolche Pulte sind noch an drei anderen Stellen eingebaut: auf der Reservekommandobrücke, in der Kajüte des Kommandanten, das heißt Belopolskis, und in meiner. Wie du siehst, liegt meine Kajüte unten und Belopolskis oben. Die Hauptkommandobrücke liegt weiter vorn, die Reservebrücke im Achterschiff.“ Melnikow ereiferte sich bei seinen Erklärungen und vergaß alle Vorsicht seiner Frau gegenüber. „Das ist deswegen so eingerichtet, weil es bei einer Raumfahrt zu unvorhergesehenen Zwischenfällen kommen kann. Man muß das Schiff von verschiedenen Stellen aus steuern können.“ Olga sah ihren Mann unverwandt an. „Und du willst mir wie mein Vater immer einreden, die Fahrten in den Kosmos seien völlig ungefährlich. Das paßt schlecht zu dem, was du zuletzt gesagt hast.“ Orlow eilte seinem Kollegen, der sich verplappert hatte, zu Hilfe und entgegnete: „Darin liegt doch keinerlei Widerspruch!
Vernünftige Vorsicht ist nicht mit dem Vorhandensein von Gefahren gleichzusetzen. Meiner Meinung nach ist der Flug mit einem Raumschiff nicht gefährlicher als der Flug mit einem Flugzeug, in dem es immerhin auch Fallschirme gibt. Übrigens habe ich sogar Angst, mit einem Flugzeug zu fliegen“, schloß er lächelnd.
Aber Olga ging nicht auf den scherzhaften Ton ein. Schweigend wandte sie sich ab und setzte den Rundgang fort, Orlow und der über seinen Fehler untröstliche Melnikow folgten ihr.
Olga ärgerte sich über sich selbst. Was sie soeben gesagt hatte, war ihr gleichsam versehentlich, gegen ihren Willen, entschlüpft, und sie bedauerte es, weil sie wußte, daß ihr Mann nicht gern über die Gefahren seiner Arbeit sprach. Wozu auch darüber sprechen? Wußte sie etwa nicht, wen sie geheiratet hatte? Obwohl voller Erregung und Unruhe, war sie doch stolz auf seine Arbeit und liebte ihn wegen seiner ruhigen Unerschrockenheit und seiner Liebe zu seinem Beruf.
Die Besichtigung des Raumschiffes dauerte über zwei Stunden.
Sie gingen in das Observatorium, in die Messe und auf die Kommandobrücke. Sogar eine Rote Ecke gab es an Bord dieses Giganten.
An der Expedition auf die Venus sollten zwölf Personen teilnehmen, und jeder von ihnen hatte seine eigene Kajüte; sie waren nicht alle so groß wie die Belopolskis oder Melnikows, aber doch ziemlich geräumig. Außer den Wohnkajüten gab es Laboratorien, Lagerräume und verschiedenes Nebengelaß. Das Fassungsvermögen des Schiffes schien unermeßlich zu sein.
Melnikow zeigte ihnen „Hangars“, in denen zwei Düsenflugzeuge mit eingezogenen Tragflächen, mehrere geländegängige Kraftwagen verschiedener Größe und sogar ein kleines Unterseeboot standen.
Das Ausmaß der Expedition machte auf Olga einen großen Eindruck.
„Ich hätte nie gedacht, daß euer Raumschiff so reich ausgestattet ist“, sagte sie. „Wozu braucht ihr das U-Boot?“ „Zu unserem Plan gehört die Erforschung des Ozeans auf der Venus“, antwortete Melnikow. „Wir führen auch Taucheranzüge einer besonderen Konstruktion mit. Sie sind die neueste Erfindung und werden uns sehr nützen. Wenn du Lust hast, zeige ich sie dir.“ „Die Taucheranzüge sind für die Professoren Balandin, Korzewski und Romanow bestimmt“, erklärte Orlow. „Boris Nikolajewitsch und ich werden sie nicht benützen.“ Er sagte dies wie nebenbei, aber Melnikow merkte, daß der Astronom ein zweites Mal einen Fehler gutmachen wollte, der ihm unterlaufen war, und er schalt sich in Gedanken. Wie hatte er außer acht lassen können, daß diese für ihn interessanten Einzelheiten Olga in Aufregung versetzen mußten.
„Als stellvertretender Kommandant“, sagte er, „muß ich fast die ganze Zeit an Bord bleiben …“ „Ich weiß“ — Olga fiel ihm ins Wort —, „eure Expedition ist von Gefahren umlauert. Mit diesem Gedanken habe ich mich schon abgefunden und mache mir deswegen keine Sorgen mehr.“ Ihr bleiches Gesicht sprach von etwas anderem.
Peinliches Schweigen trat ein.
„Ich glaube, für heute genügt es“, meinte Orlow. „Olga Sergejewna ist sicherlich müde.“ „Nirgends hat man hier Gelegenheit, sich zu setzen!“ sagte Melnikow ärgerlich. „Auf dem Fußboden könnten wir ausruhen.
Er ist weich.“ „Wir werden lieber hinausgehen.“ Olga sah ihren Mann mit sanftem Vorwurf an. „Ihm macht es nichts aus, Tage und Nächte auf seinem Schiff zu verbringen“, setzte sie, an Orlow gewandt, hinzu.
Nachdem sie lange von einem Korridor in den anderen gegangen waren, gelangten sie endlich zu einer Ausgangsschleuse.
„Auf eurem Schiff kann man sich verlaufen wie in einer fremden Stadt“, sagte Olga, als sie wieder auf dem Boden der Startbahn stand.
Mit einem Gefühl der Erleichterung blickte sie zum blauen Himmel hinauf, der zwischen der steilen Wand des Grabens und der Bordwand des Weltraumschiffes hindurchlugte, und dachte, daß es auf der Erde immerhin besser sei als in der düsteren Unendlichkeit des Weltalls.
Wann werden diese gefahrvollen Flüge aufhören? Wann wird er für immer bei mir bleiben? sann Olga. — Ach, wenn er doch krank würde und immer auf der Erde bleiben müßte!
Aber sie kannte die eiserne Gesundheit ihres Mannes sehr gut. Ein tiefer Seufzer entrang sich ihrer Brust.