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Offenbar konnte man sich auf längere Zeit doch nicht von der „Luft“ ernähren. Melnikow und Wtorow verspürten zwar nach wie vor keinen Hunger, aber sie merkten, daß die gesteigerte Kraftfülle allmählich von einem Kräfteverfall abgelöst wurde.
Sie spürten ein unangenehmes Gefühl im Magen, das rasch zunahm und schließlich in Schmerzen überging. Ihre Energie verwandelte sich in Schlaffheit. Oft schliefen sie ganz plötzlich ein und erwachten nur mit Mühe wieder. Dieser Schlaf glich mehr einer krankhaften Bewußtlosigkeit als der normalen Ruhepause eines gesunden Menschen. Die Nahrung der Phaetonen wirkte nicht mehr.
„Vielleicht sind die Vorräte erschöpft“, vermutete Wtorow.
Das war möglich, aber es konnte auch etwas anderes sein.
Sie waren Menschen und keine Phaetonen. Ihr Magen wollte gefüllt sein, so hatte es die Natur nun einmal eingerichtet. Sie konnten nicht von gegenstandsloser Nahrung leben, wie gehaltvoll sie auch sein mochte. Es war überhaupt ein Wunder, daß die „Luft“ so viele Tage lang die Bedürfnisse ihres Organismus befriedigt hatte.
Auch Durst begann sie jetzt zu quälen. Er würde mit jeder Stunde zunehmen. Die Entfernung bis zur Erde aber war noch riesengroß. Sie wußten nicht einmal, mit welcher Geschwindigkeit sie flogen.
„Es steht schlecht um uns“, sagte Melnikow, „und um zur Venus zurückzukehren, ist es schon zu spät.“ Wtorow gab keine Antwort.
Die Wände der Abteilung waren geschlossen. Ringsum gab es sowieso nichts, was das Auge gefesselt hätte. Nur Sterne!
„Im leeren Raum zu hängen“ ermüdete unendlich.
Die beiden lagen regungslos in den Hängematten. Sie hatten keinen Gesprächsstoff mehr, verfielen zusehends in Apathie, in völlige Gleichgültigkeit allem gegenüber. Jedes Gefühl für die Zeit war verlorengegangen.
Nur einmal schreckte sie eine unerwartete Wendung des Raumschiffes aus ihrem Dämmerzustand. Die Wendung erfolgte gleitend und vorsichtig, aber für kurze Zeit trat Fliehkraft auf.
„Wahrscheinlich ist uns ein großer Meteorit entgegengekommen“, meinte Melnikow.
Schade, daß wir der Begegnung ausgewichen sind, dachte Wtorow. Unsere Qualen hätten wenigstens gleich ein Ende gehabt.
Und wieder herrschte Schweigen, verfielen sie in den seltsamen Zustand zwischen Schlafen und Wachen.
Selbst der Gedanke, daß sich durch die Wendung die Fluglichtung geändert haben könnte, kam ihnen nicht.
Der Zustand, in dem sie sich befanden, hätte zweifellos Melnikows Interesse erregt, wenn er noch eines klaren Gedankens fähig gewesen wäre. Der Hunger allein konnte ihr Gehirn unmöglich derart umnebelt haben. Doch auch Melnikow war alles gleichgültig.
Sie standen unter dem Einfluß einer unbegreiflichen und unerklärlichen Macht, die ihr Denken und Fühlen allmählich auslöschte. Langsam, aber sicher verfielen sie in einen Schlaf, aus dem es kein Erwachen mehr zu geben schien.
Mit einer gewaltigen Willensanstrengung befreite sich Melnikow plötzlich aus der Erstarrung und horchte.
Nein, es war keine Sinnestäuschung! Irgendwo klopfte hartnäckig etwas. Laut, leise und wieder lauter.
„Gennadi, hörst du?“ Wtorow öffnete die trüben Augen: „Alles verschwimmt.“ „Komm zu dir, Gennadi! Hör doch! Jetzt wieder.“ Nun klopfte es deutlich an einer anderen Stelle. Wie es schien, kam das Klopfen näher.
,Was ist das?“ Beide waren nun hellwach.
Das Klopfen horte auf. Dann ertonte es erneut und wieder an einer anderen Stelle.
Darin lag System. Die einzelnen Geräusche waren verschieden stark.
Lang, lang, kurz. Pause. Lang, kurz, kurz. Wieder eine Pause, lang. Eine längere Pause. Und wieder von vorn: Lang, lang, kurz…
„Das hört sich wie Morsezeichen an“, sagte Melnikow.
Wtorow schoß ein Gedanke durch den Kopf, der ihn förmlich elektrisierte.
„Vielleicht ist es das Raumschiff der Erde“, sagte er unsicher.
Und Melnikow blickte sich suchend um. Aber er fand nichts, womit er gegen die Wandung hätte klopfen können. Und wozu auch klopfen? Wenn das ein Mensch war, so befand er sich im luftleeren Raum, und dort gab es keine Schallübertragung.
„Die Wände!“ befahl er abgehackt.
Wtorow versuchte sich zu konzentrieren, aber es gelang ihm nicht. Zu verschlafen war er. Geradezu quälend wünschte er, sein Kopf möge wenigstens für einen Augenblick klar sein.
Und wieder offenbarte sich deutlich der ungeheure Vorsprung, den die Wissenschaft des Phaeton vor der irdischen besaß. Das ging schon über die Grenzen vorstellbarer Technik hinaus. Reiner Sauerstoff strömte plötzlich in ihre Lungen. Ein unbekannter Geruch, der entfernt an Salmiakgeist erinnerte, machte sich kurz bemerkbar. Und wie durch Zauberei wurden ihre Gedanken wieder klar. Keine Spur mehr des Zustandes halber Bewußtlosigkeit. Sie fühlten sich wie neugeboren.
Wtorow sah Melnikow fassungslos an. Er war frappiert. Sein Wunsch, den er so quälend geäußert hatte, war sofort und präzise in Erfüllung gegangen.
„Die Wände“, wiederholte Melnikow.
Wie Wtorow fühlte auch er sich plötzlich neu belebt, achtete jedoch nicht darauf. Er wurde von Ungeduld verzehrt. Er wollte sehen! So schnell wie möglich sehen, was draußen vorging!
Das Klopfen hatte wieder aufgehört.
Plötzlich aber ertönte es ganz nahe. Lang, kurz, lang.
Jemand schlug mit einem metallenen Gegenstand gegen die Wandung des Raumes, in dem sie sich befanden.
Lang, kurz, lang. Die Schläge waren deutlich und abgehackt.
Sie wiederholten sich stets in derselben Reihenfolge.
Jetzt bestand kein Zweifel mehr! Dort, ganz nahe, hinter der Wand, war ein Mensch!
„Die Wände, Gennadij“ Wtorow schien nicht zu hören. Er lauschte gespannt, und seine blaß gewordenen Lippen flüsterten: „Wo — seid — ihr. Wo — seid — ihr. Wo — seid — ihr. Das sind Morsezeichen.,Wo seid ihr?‘ heißt das.“ Melnikow schlug mit der Faust gegen die Wand. Sofort hörte das Klopfen auf. Dann ertönte es wieder, fieberhaft schnell.
„Seid ihr noch am Leben?“ übersetzte Wtorow. „Antwortet!“ „Die Wände, Gennadi!“ wiederholte Melnikow flehentlich zum viertenmal.
Gleich darauf verschwand die gelbgraue Wand. Vor ihren Augen tat sich wieder die unendliche Sternenwelt auf, und einen Meter vor sich erblickten sie, hell angestrahlt, einen Menschen im Raumanzug. Unter dem durchsichtigen Helm erkannten sie Knjasews Gesicht.
„Sascha!“ Wtorow stürzte vorwärts, als wollte er den Freund umarmen.
„Er sieht uns nicht“, sagte Melnikow. „Du vergißt, daß die Wände des Raumschiffs nur einseitig durchsichtig sind.“ Tatsächlich zeigte das Gesicht des jungen Mechanikers keine Spur von Freude. Er schien sie zwar anzusehen, klopfte aber immer wieder dieselbe Frage: „Seid ihr am Leben? Antwortet!“ Nicht ein eigens ihretwegen von der Erde ausgeschicktes Raumschiff, sondern die „SSSR-KS 3“ hatte ihnen also Hilfe gebracht. Wie war das möglich?
Melnikow und Wtorow wandten den Kopf fast gleichzeitig in jene Richtung, aus der das grelle Scheinwerferlicht herüberstrahlte.
Ganz nahe, gleichsam eng an den äußersten Ring des „Phaetonen“ gepreßt, erblickten sie den riesenhaften Rumpf der „SSSR-KS 3“ als dunklen, die Sterne verdeckenden Schatten.
Hinter den Fenstern des erleuchteten Observatoriums erkannte man die Gesichter mehrerer Männer, die Knjasew augenscheinlich beobachteten.
Die ungestüme Aufregung, die sich der beiden Gefangenen der Phaetonen bemächtigt hatte, wich ruhiger Freude — jetzt hatten alle Qualen ein Ende.
Das Raumschiff der Phaetonen ist gerettet, dachte Melnikow.
„Antworte!“ befahl er Wtorow mit gewohntem Gleichmut.
„Antworte, sonst wechselt er zu einer anderen Stelle.“ Antworten! Knjasew war ganz nahe. Zwischen ihm und der Wandung des Raumschiffs lagen nur wenige Zentimeter, aber das waren Zentimeter luftleeren Raums. Selbst wenn man mit Kanonen schösse, würde er nichts hören.
Melnikow schien Wtorows Gedanken zu erraten.
„Siehst du denn nicht, daß Sascha die Hand an der Wand hat?“ sagte er. „Er wird die Geräusche spüren. Das genügt vollauf.“ „Womit soll ich denn klopfen?“ Melnikow holte seine Pistole hervor.
„Hiermit.“ Wtorow kannte die Morsezeichen recht gut.
„Wir leben“, klopfte er. Schon beim ersten Schlag sahen sie Knjasew zusammenzucken — er „hörte“. „Wir leben und sind gesund. Wir sehen dich. Habt Dank, liebe Freunde.“ Knjasew wandte den Kopf ein wenig. Seine Lippen bewegten ‘| sich, er sprach mit der „SSSR-KS 3“.
„Kann man zu euch reinkommen?“ Die schnelle Folge der Klopfzeichen verriet die Aufregung des jungen Kosmonauten.
Melnikow überlegte.
Die Tür der zentralen Kugel ließ sich von außen öffnen.
Natürlich würde dabei alle Luft aus ihr entweichen. Ob sie sich erneuerte, wenn der Eingang wieder geschlossen war? Auf jeden Fall jedoch würde sich die Kugel mit Luft aus dem Innern des Raumschiffs füllen, sobald man die Tür zur radialen Röhre öffnete. Es schien also keine Gefahr zu bestehen.
Er selbst morste: „Ja.“ „Paitschadse und Andrejew kommen gerade“, erfolgte rasch die Antwort. „Habt noch ein wenig Geduld. Andrejew bringt Wasser mit.“ Wasser!
Ganz plötzlich verspürten sie heftigen Durst. Ihre Kehlen schienen wie ausgedörrt, und die wenigen Minuten, die sie warten mußten, dünkten ihnen unerträglich lang.
Weshalb hatten sie bisher den Durst nicht so quälend empfunden?
Wasser! Welch herrliches Getränk!
Sie sahen, wie durch die rechteckige Tür der Luftschleuse trübes Licht aus dem dunklen Leib der „SSSR-KS 3“ fiel. Zwei Gestalten kamen heraus und näherten sich rasch im Licht des Scheinwerfers. Ein grünlicher Gasstrahl bezeichnete ihren Weg.
Im luftleeren Raum pflegten sich die Kosmonauten mit Hilfe des Ruckstoßes von Gaspistolen vorwärts zu bewegen.
Wtorow sah das phantastische Schauspiel zum erstenmal in seinem Leben. Die beiden Raumschiffe rasten nach wie vor mit kaum vorstellbarer Geschwindigkeit dahin. Zwischen ihnen aber bewegten sich frei und ungesichert, ohne zurückzubleiben, drei Menschen in großen, unförmigen Raumanzügen.
Wtorow kannte natürlich das eiserne Gesetz der Trägheit. Er hätte jedem erschöpfend darüber Auskunft geben können, wie es sich auswirkt und weshalb Menschen, die sich von ihrem Raumschiff gelöst haben, dennoch mit ihm weiterfliegen.
Aber es ist ein großer Unterschied, ob man etwas weiß oder ob man mit eigenen Augen sieht, wie sich ein wohlbekanntes physikalisches Prinzip in der Realität auswirkt. Kann man das Gesetz der Trägheit doch auf der Erde nie in so reiner Form beobachten.
So verfolgte der junge Ingenieur denn mit angehaltenem Atem die Bewegungen seiner Kameraden. Nicht daß er befürchtete, sie könnten plötzlich zurückbleiben und im All verschwinden.
Er wußte, daß das im absolut luftleeren Raum unmöglich war.
Dennoch hatte er ein wenig Angst. Es war eben sehr schwer, sich von den gewohnten Vorstellungen zu lösen.
Melnikow und Wtorow begaben sich zur inneren Wandung des Ringes. Von hier aus war das Zentrum des Phaetonenraumschiffs gut sichtbar. Die „SSSR-KS 3“ leuchtete mit ihren grellen Scheinwerfern den Kosmonauten Paitschadse, Andrejew und Knjasew, die sich an der Kugel eingefunden hatten. Sie sahen aus wie Falter, die um eine brennende Lampe herumflattern.
„Gehen wir ihnen entgegen“, schlug Wtorow vor.
„Ja, natürlich“, erwiderte Melnikow. „Ohne deine Hilfe bekommen sie ja die Tür zur radialen Röhre nicht auf. Ich nehme an, daß sich die Luft in der Röhre beim Öffnen nicht allzusehr verdünnt, weil ihr Rauminhalt bedeutend größer ist als der des Zentrums.“ „Aber vielleicht öffnet sich die Tür überhaupt nicht, sobald das Zentrum luftleer ist.“ „Das glaube ich nicht. Die Phaetonen müssen ein Verlassen des Schiffs im luftleeren Raum vorgesehen haben. Die zentrale Kugel spielt hier wahrscheinlich die Rolle unserer Luftschleuse.
Ich nehme an, daß sie sich nach Schließung der Außentür sofort wieder mit Luft füllt.“ „Gehen wir.“ Zum erstenmal seit dem Start entfernten sich Wtorow und Melnikow vom Steuerraum. Die Kameraden waren in der Nähe, jetzt brauchten sie nichts mehr zu befürchten.
Gehorsam und präzise öffneten sich auf Wtorows nun schon erfahrenen und sicheren Befehl die Türen. Die Wandung der ladialen Röhre wurde durchsichtig, sobald sie sie betraten.
Vor der letzten Zwischenwand machten die Freunde halt. ‘ Dahinter lag nun das Zentrum. Es ohne Raumanzug zu betreten, hätte Selbstmord bedeutet. Bei geöffneter Außentür herrschte in der Kugel Luftleere, und ein ungeschützter menschlicher Körper mußte kraft seines inneren Druckes sogleich explodieren.
Durch die Außenwand sahen sie die drei Kameraden, die ihnen zu Hilfe kamen, ganz nahe vor sich. Knjasew legte gerade die Hände auf die Quadrate. Das Fünfeck in der Mitte war anscheinend schon in die richtige Stellung gebracht worden.
„Sie werden die Tür nicht aufkriegen“, sagte Wtorow.
„Warum nicht?“ Melnikow verstand ihn nicht sofort.
„Weil sich die Quadrate nur sehr schwer reindrücken lassen.“ „Stimmt, Gennadi! Das haben sie nicht vorausgesehen.“ Auch die drei Kosmonauten draußen hatten offenbar gemerkt, daß sie die Quadrate auf diese Weise nicht hineindrücken konnten. Man sah sie lebhaft miteinander, vielleicht auch mit der „SSSR-KS 3“ beratschlagen. Die Aufgabe schien tatsächlich unlösbar zu sein.
Im Weltraum ist der Mensch bei gleichmäßiger und geradliniger Vorwärtsbewegung gewichtlos. Die Muskelkraft seiner Arme ist zwar geblieben, aber wie kann er sie anwenden, wenn nichts da ist, um sich dagegenzustemmen, wenn er keinen festen Stützpunkt hat? Die glatten Wände der zentralen Kugel wiesen außer den Quadraten keinen einzigen Vorsprung auf. Dabei mußten gerade die Quadrate kräftig hineingedrückt werden.
„Vielleicht läßt sich die Außentür auch durch gedanklichen Befehl von innen öffnen?“ meinte Wtorow.
„Kaum! Aber probier‘s!“ Wie zu erwarten, mißlang der Versuch. So diszipliniert auch das Denken der Phaetonen gewesen sein mochte, sie hatten es unmöglich darauf ankommen lassen können, daß der unwillkürliche Gedanke eines einzelnen das Leben der ganzen Mannschaft in Gefahr brachte. Die Außentür ließ sich nur mechanisch öffnen. Sollte das von innen erfolgen, mußte man sich in die Kugel selbst begeben; das aber konnten Melnikow und Wtorow nicht, da sie keine Raumanzüge trugen.
„Eine dumme Geschichte!“ sagte Melnikow.
Wtorow klopfte an die Wandung, aber die drei Kameradan draußen bemerkten es nicht, da keiner von ihnen die Hand direkt am Raumschiff hatte.
„Was werden sie machen?“ „Ich weiß es nicht. Aber irgend etwas wird ihnen bestimmt einfallen. Sie gehören nicht zu denen, die vor Schwierigkeiten kapitulieren.“ Die drei Kosmonauten schienen sich noch immer zu beraten.
Paitschadse sagte offenbar gerade etwas zu Belopolski, denn er hatte den Kopf der „SSSR-KS 3“ zugewandt. Er vernahm die Antwort und nickte.
„Gut!“ Melnikow und Wtorow errieten das Wort aus seiner Mundbewegung.
Eine Pause trat ein. Die drei draußen und die beiden drinnen schwiegen.
So vergingen etwa zwanzig Minuten.
Dann flog, eine grüne Spur hinter sich lassend, eine vierte Gestalt zum Zentrum. Melnikow und Wtorow erkannten Romanow. Er hatte eine Rolle dünner Stahltrosse in der Hand.
„Na klar!“ sagte Melnikow. „Das Einfachste und Selbstverständlichste!“ Wie sich hinterher herausstellte, waren alle Kosmonauten soqleich auf diesen Ausweg verfallen, mit Ausnahme von Melnikow und Wtorow.
Die Trosse wurde um die radiale Röhre geworfen, besser gesagt, das eine Ende wurde um die Röhre herumgelegt. Das deiche geschah mit dem anderen Ende jenseits der zentralen Kugel. Die Karabinerhaken schnappten ein, und fertig war die Doppelschlaufe — ein ausgezeichneter Stützpunkt.
Knjasew stemmte sich mit den Füßen gegen die Wandung und mit dem Rücken gegen die Trosse. So konnte er mit aller Kraft auf die Quadrate drücken.
Menschlicher Geist hatte über ein Gesetz des leeren Raumes gesiegt.
Die fünfeckige Tür wurde trübe, „schmolz“ und verschwand.
Ihr hartes Metall wandelte sich zu Leere. Leere aber mußte unvermeidlich auch im Innern der facettierten Kugel, dem Raumschiffzentrum, entstehen.
Mußte — doch war das wirklich der Fall?
Was nach dem Öffnen der Tür geschah, ließ die Kosmonauten cti dieser scheinbar unanfechtbaren Wahrheit zweifeln.
Melnikow und Wtorow sahen, wie Paitschadse sich von der Trosse abstieß und, in der offenkundigen Absicht, hineinzugelangen, auf die Öffnung zuflog. Gleich darauf aber schnellte er, als ob er auf ein unsichtbares elastisches Hindernis getroffen sei, heftig zurück.
Knjasew erging es nicht anders.
Der Eingang zum „Phaetonen“ schien offen. Das Licht der Scheinwerfer an den Helmen drang ungehindert durch die Öffnung. Man sah die steinerne Schale und die spitzwinkligen Facetten an den Wänden. Aber etwas Unbegreifliches, Unsichtbares hinderte die Männer, ins Innere zu gelangen.
Was war das? Auf der Venus hatte es doch kein Hindernis gegeben.
Die Antwort drängte sich von selbst auf. Diesmal waren, wie sich dann herausstellte, alle gleichzeitig darauf gekommen.
„Liebe, kluge Phaetonen“, hatte Wtorow einmal gesagt. Wirklich, sie waren sehr klug gewesen. Die Wissenschaft der untergegangenen Welt hatte auf einem unvergleichlich hohen Niveau gestanden und ihre Technik die schwierigsten Aufgaben mit Leichtigkeit gelöst.
So verhielt es sich auch mit dem Schutz des Raumschiffs vor der Luftleere. Weder Ausgangsschleusen mit doppelten Türen noch Filterkammern hatten die Phaetonen benötigt. Selbst bei geöffneter Tür konnte man sich ohne Raumanzug in der zentralen Kugel aufhalten. Die Luft des Raumschiffs entwich nicht.
Auch nicht im luftleeren All.
Paitschadse und Knjasew versuchten es erneut; Knjasew stemmte sich mit den Füßen gegen die Trosse, mit den Händen hielt er sich an der Türschwelle fest. Über diese lebende Brücke näherte sich Paitschadse der fünfeckigen Öffnung. Mit sichtlicher Anstrengung überwand er die „Leere“ und befand sich nun im Innern. Ihm folgte auf die gleiche Weise Andrejew.
Romanow und Knjasew blieben draußen. Offenbar auf Befehl Belopolskis, der nicht allzuviel Männer gleichzeitig in Gefahr bringen wollte.
Die fünfeckige Öffnung überzog sich wieder mit Metall und verschwand.
Es gab keinen Zweifel: An Stelle der Tür hatte sich ein dichter Vorhang aus einer Substanz gebildet, die unsichtbar war wie die Luft, gleichzeitig aber auch undurchdringbar für die Luft. Durch diesen Vorhang schützten die Phaetonen ihr Raumschiff vor dem Vakuum. Ein Mensch konnte, wenn auch mit Mühe, durch den Vorhang dringen, die Luft konnte es nicht.
Das war einfach und bequem.
Was füllte die scheinbare Leere der Öffnung? Wie alle Rätsel der Phaetonen würde auch diese Frage sich erst auf der Erde beantworten lassen, und auch dann noch nicht mit Sicherheit.
Der Unterschied zwischen der Wissenschaft der Erde und der des Phaeton war zu groß. Der Rückstand zur viel älteren Welt der Phaetonen ließ sich nicht mit einem Male aufholen.
Wtorow öffnete die Tür von der radialen Röhre zum Zentrum.
Er und Melnikow erstickten fast in den buchstäblich eisernen Umarmungen der Genossen.
Ohne ein Wort zu sagen, nahmen die „Hausherren“ ihren Gästen die durchsichtigen Helme ab.
„Keine Angst!“ beruhigte sie Melnikow. „Wir Menschen können die Luft hier unbedenklich atmen.“ „Das sehe ich selbst“, entgegnete Andrejew, die „Phaetonen“ erstaunt betrachtend. „Ich sehe es — und begreife nichts. Wir erwarteten, euch hier halb verhungert vorzufinden. Aber wenn man euch so sieht, kann man das nicht gerade behaupten.“ „Aber wir sind halb verdurstet. Gib uns Wasser.“ „Bitte sehr!“ Andrejew öffnete einen Metallbehälter, den er über der Schulter hängen hatte und der alles enthielt, was für die Erste Hilfe benötigt wurde. Eine große Flasche kam zum Vorschein.
„Trinkt, soviel ihr mögt. Aber ich muß sagen, man sieht euch zehn Tage Durst nicht an.“ „Das ist auch nicht gut möglich.“ Wahrend Wtorow seinen Durst stillte, berichtete Melnikow kurz, wovon sie sich während der ganzen Zeit „ernährt“ hatten.
„Erklären kann ich dieses,Wunder‘ nicht“, schloß er.
„Ja, das ist wirklich toll.“ Paitschadse lächelte.
„Verdammt“, sagte Wtorow, „ich habe gar nicht gemerkt, wie ich das ganze Wasser ausgetrunken habe.“ Er machte ein todunglückliches Gesicht.
„Schadet nichts“, meinte Andrejew. „Ich sagte ja: Trinkt, soviel ihr mögt.“ Er holte eine zweite Flasche hervor und reichte sie Melnikow. Der setzte sie gierig an die Lippen und leerte sie ebenfalls in einem Zuge.
„Wollt ihr noch mehr?“ „Nein, danke. Aber es wäre schön, wenn wir auch was zu essen bekämen.“ „Zu essen kriegt ihr aber nicht soviel, wie ihr wollt.“ Andrejew reichte ihnen zwei dünne Scheiben Schinken. „Das muß erst mal genügen. Und nun einer nach dem andern rüber zum Raumschiff. In die Krankenstation.“ „Daraus wird nichts!“ sagte Melnikow. „Hier sind wir, und hier bleiben wir bis zur Ankunft auf der Erde. Außer Wtorow kann keiner dieses Schiff steuern. Ihr gebt uns Lebensmittel und Navigationsgeräte…“ „Red keinen Unsinn“, mischte sich Paitschadse ein. „Konstantin Jewgenjewitsch hat befohlen, euch rüberzuschaffen. Soll dies Schiff doch zum Teufel gehen!“ „Nimm‘s mir nicht übel, Arsen“, Melnikow wurde ernst, „aber wenn hier jemand Unsinn redet, dann bist du‘s. Dieses Raumschiff ist wertvoller als alles, was wir auf der Venus gefunden haben, eine unschätzbare Kostbarkeit, die uns nicht verlorengehen darf. Wir müssen es zur Erde bringen, um jeden Preis.“ „Geh rüber und sprich mit Belopolski. Er kann es sowieso kaum noch erwarten, dich zu sehen.“ „Ziehen Sie meinen Raumanzug an“, sagte Andrejew. „Wir bleiben solange hier.“ Der Arzt hatte die gleiche Größe wie Melnikow. Für Wtorow gab es keinen passenden Anzug.