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Melnikow befand sich nicht zum erstenmal im luftleeren Raum.
Das Gefühl des freien Fluges außerhalb eines Raumschiffes war ihm wohlvertraut. Aber diese Rückkehr an Bord der „SSSR-KS3“ nach allem, was er erlebt hatte, versetzte ihn in tiefe Erregung, zumal er kaum noch gehofft hatte, sie wiederzusehen. Zu ungewöhnlich war, was im Augenblick geschah.
Romanow begleitete ihn. Knjasew blieb allein am Eingang des „Phaetonen“ zurück.
Melnikows Hand zitterte, während er auf den vertrauten „irdischen“ Knopf drückte. Ein Seufzer der Erleichterung entrang sich seiner Brust, als ihn und Romanow die Wände der Luftschleuse umgaben. Gleich würde er die teuren Gesichter seiner Kameraden erblicken!
Wie langsam sich die Schleuse doch mit Luft füllte!
Soeben, als er sich der „SSSR-KS 3“ näherte, war ihm aufgefallen, daß sie unmittelbar am äußersten Ring des „Phaetonen“ lag und sogar mit einer Trosse daran festgezurrt war. Wie schade, daß Wtorow und er dieses Manöver nicht gesehen hatten. In ihrem dämmrigen Halbschlaf war ihnen völlig entgangen, was draußen passierte. Schade, wirklich sehr schade! Es wäre nützlich und lehrreich gewesen, die unerhört schwierige und komplizierte kosmonautische Aktion zu beobachten.
Das ist wahre Meisterschaft! dachte Melnikow. Belopolski kann ich noch lange nicht das Wasser reichen.
Nicht daß er den Kommandanten der „SSSR-KS 3“ beneidete, er bewunderte ihn, fast ebensosehr wie Kamow. Das waren Kerle! Von denen konnte man etwas lernen!
Das grüne Lämpchen flammte auf, und die Innentür öffnete sich.
„Endlich wieder daheim!“ Lediglich Korzewski empfing sie. Wie Melnikow sich denken konnte, war niemand sonst abkömmlich. Belopolski stand natürlich am Steuerpult, Saizew ebenfalls, und Toporkow saß in der Funkstation. An Bord waren ja nur noch vier Mann.
Der Biologe zeigte bei Melnikows Anblick keinerlei Erstaunen. Nur eine kaum wahrnehmbare Blässe verriet seine innere Erregung. Er half ihm beim Ausziehen des Raumanzugs.
„Sie leben!“ sagte er, nachdem er Melnikow umarmt hatte.
„Ich hoffe, alle beide? Sehr schön!“ „Ist Konstantin Jewgenjewitsch am Steuerpult?“ „Ja, schon seit zehn Stunden. Vor drei Stunden haben wir Sie eingeholt. Das Annäherungsmanover war sehr schwer.“ „Das kann ich mir vorstellen!“ sagte Melnikow.
Er befand sich in einem für ihn ungewöhnlichen Zustand der Verwirrung und bemerkte nicht einmal, daß er sich statt von der Wand von Korzewski abstieß. Der Biologe flog bis zur Tür der Luftschleuse, aber auch das bemerkte Melnikow nicht. Er hatte es eilig, zu Belopolski zu gelangen.
Da war auch schon die runde Tür zum Steuerraum. Er hatte sich nicht träumen lassen, so bald wieder hierherzukommen!
Über der Tür brannte das grüne Lämpchen — er konnte ein treten.
Kaum war er über die Schwelle geschwebt, wurde er auch schon kräftig umarmt. Belopolski hatte offensichtlich schon an der Tür auf ihn gewartet.
Aber war das überhaupt Belopolski? Was war geschehen?
Weshalb war das Gesicht des Lehrers und Freundes so eingefallen? Warum wies es so viele neue Falten auf? Steuerte er das Raumschiff etwa als kranker Mann? Und auch die Tränen in seinem strengen Gesicht waren ein merkwürdiger und ungewohnter Anblick.
„Was haben Sie, Konstantin Jewgenjewitsch?“ „Boris, verzeih mir!“ sagte Belopolski. „Verzeih mir alle Qualen, die ich dir und Gennadi zugefügt habe.“ „Ich verstehe Sie nicht, Konstantin Jewgenjewitsch. Wieso verzeihen? Im Gegenteil, ich muß Ihnen dankbar sein. Sie sind uns gerade in dem Moment zu Hilfe gekommen, als wir sie am nötigsten hatten.“ Mit gewohnter Willensanstrengung beruhigte sich Belopolski wieder.
„Wenn du erst alles erfahren hast, wirst du verstehen“, sagte er. „Aber erzähl! Wo ist Wtorow?“ „Er ist drüben geblieben. Paitschadses Raumanzug paßt ihm nicht. Aber ich hätte sowieso nicht erlaubt, daß er das Raumschiff verläßt.“ „Ja, richtig. Ich vergaß ganz, daß Wtorow ja viel größer als Paitschadse ist.“ Seinen Ohren nicht trauend, sah Melnikow Saizew fragend an. Der stand am Steuerpult und wartete darauf, den geretteten Freund ebenfalls in die Arme zu schließen.
Wie konnte Konstantin Jewgenjewitsch so etwas vergessen?!
Was mögen sie bloß erlebt haben, dachte Melnikow beunruhigt.
Saizew legte den Finger an die Lippen.
„Darf ich jetzt Konstantin Wassiljewitsch begrüßen?“ „Ja natürlich. Entschuldige!“ Belopolski war einfach nicht wiederzuerkennen.
Am liebsten hätte Melnikow Saizew gefragt, was passiert sei, aber er wußte genau, daß Belopolski ein sehr feines Gehör hatte. Selbst Flüstern hätte nichts genutzt. Das warnende Zeichen des Ingenieurs war deutlich genug.
„Sie sehen überhaupt nicht mitgenommen aus“, bemerkte Saizew. „Das ist erstaunlich.“ „Ich erzähle Ihnen gleich alles. Haben wir Zeit dazu, Konstantin Jewgenjewitsch?“ „Reichlich. Aber wie geht es Wtorow?“ „Er ist ebenso wie ich in ausgezeichneter Verfassung. Er zeigt inzwischen Paitschadse und Andrejew unseren,Phaetonen‘. Das kann sowieso nur er.“ Belopolski schien die Worte, die ihn doch eigentlich verwundern mußten, nicht zu beachten. Mit zusammengezogenen Brauen starrte er angespannt auf den Bildschirm, auf dem sich deutlich das Zentrum des Phaetonenraumschiffs und daneben die winzige Gestalt Knjasews abzeichneten.
„Euer Schiff manövriert selbständig?“ „Nur wenn eine Begegnung mit einem großen Körper droht.
Zum Beispiel mit Meteoriten.“ „Eben das befürchte ich“, sagte Belopolski. „Konstantin Wassiljewitsch“, wandte er sich an Saizew, „setzen Sie sich mit dem Funkraum in “Verbindung. Wir müssen Knjasew einschärfen, daß er die Trosse nicht losläßt. Er soll sie kräftig festhalten.
Eine plötzliche Wendung ist jederzeit möglich.“ „Ist es nicht besser, Sascha zurückkommen zu lassen? Am,Phaetonen‘ wird er nicht gebraucht“, sagte Melnikow.
„Wirklich nicht? Du mußt es ja wissen. Dann soll er zurückkommen.“ Saizew schaltete den Innenbildschirm ein, auf dem sich sofort Toporkows Gesicht zeigte. Er begrüßte Melnikow mit einem Lächeln. Saizew übermittelte Belopolskis Anweisung.
Romanow und Korzewski kamen in den Steuerraum.
Mit banger Unruhe beobachteten die fünf Männer Knjasew, der sich nur im Schneckentempo zu nähern schien.
Wenn nun gerade in diesem Augenblick ein großer Meteorit auf die beiden Raumschiffe zuraste und der „Phaetone“ ein Ausweichmanöver vollführte? Die „SSSR-KS 3“ —würde die Bewegung mitmachen, aber ein einzelner, von den Raumschiffen losgelöst dahinfliegender Mensch müßte zurückbleiben. Genauer gesagt, er würde seinen Weg in der alten Richtung fortsetzen und im Nu in den Weiten des Alls verschwunden sein. Ihn wiederzufinden wäre völlig hoffnungslos.
Während sie den Kameraden beobachteten, dachte Melnikow daran, daß der „frühere“ Belopolski diese Möglichkeit von vornherein einkalkuliert hätte. Wie hatten Paitschadse, Andrejew, Romanow und Knjasew zum „Phaetonen“ hinüberfliegen können, ohne wenigstens durch eine Leine mit der „SSSR-KS 3“ verbunden zu bleiben? Gewiß, es war ihnen nicht bekannt gewesen, daß der „Phaetone“ selbständig manövrierte, aber trotzdem …
Plötzlich fiel Melnikow ein, daß er ja genauso gehandelt hatte.
Dabei wußte er alles, wußte es aus eigener Erfahrung. Er wurde rot vor Scham. Anderen vorzuwerfen, was man selbst nicht besser gemacht hatte! Wie gut, daß er stumm geblieben war.
„Die beiden Raumschiffe fliegen mit einer Geschwindigkeit von zweiunddreißig Kilometern in der Sekunde. Genauer gesagt: zweiunddreißig Komma vier eins.“ Das war der alte Belopolski! Knapp und präzise.
Was mochte nur mit ihm sein?
Und zum erstenmal kam Melnikow der Gedanke: Ob es unseretwegen ist? Ob unser vermeintlicher Tod das alles bewirkte?
„Bei Richtungsänderung wird ein frei schwebender Mensch mit großer Gewalt weggeschleudert. Mit einer einfachen Leine ist es da nicht getan. Leider kannten wir vorher nicht die Besonderheiten des,Phaetonen‘. Wir waren also sehr leichtsinnig.“ „Das Radargerät zeigt voraus nichts Gefährliches“, sagte Saizew beruhigend.
„Die Gefahr kann urplötzlich auftauchen. Wer weiß, auf welche Entfernung die Automaten des,Phaetonen‘ reagieren.“ Aber da war Knjasew auch schon vor der Luftschleuse. Einen Augenblick später zeigte ein grünes Lämpchen am Steuerpult an, daß sich die Außentür hinter ihm geschlossen hatte.
„Jetzt erzähl, und zwar so ausführlich wie möglich“, sagte Belopolski mit seiner gewohnten Ruhe.
„Warten wir noch auf Knjasew.“ „Gut, dann erzählen wir als erste.“ „Warum habt ihr euch denn nochmals zur Verfolgungsjagd auf uns entschlossen?“ fragte Melnikow, nachdem Saizew kurz, aber eingehend von allen Vorfällen seit dem plötzlichen Start auf der Venus berichtet hatte.
Der Ingenieur hatte den Zustand Belopolskis mit keinem Wort erwähnt, aber Melnikow erriet vieles schon selber. Zu offensichtlich waren die Widersprüche in der Erzählung. Es kam so heraus, als ob die „SSSR-KS 3“, nachdem sie von der Erde alles über den „Phaetonen“ erfahren hatte, nicht sofort kehrtgemacht habe, sondern erst nach zwei Tagen. Das konnte nicht sein. Es gab keine Gründe, die eine derartige Verzögerung unter solchen Umständen gerechtfertigt hätten.
Die Absonderlichkeiten, die er an Belopolski bemerkt hatte, bestätigten nur Melnikows Vermutungen.
Melnikow sah Belopolski an und begegnete einem ungewöhnlich verlegenen, ja sogar zaghaften Blick. Da erfaßte ihn unendliches Mitleid mit diesem Menschen, der seinetwegen soviel durchgemacht hatte. Am liebsten hätte er seinen Lehrer auf der Stelle umarmt.
„Sie waren unter ständiger Beobachtung von der Erde aus“, antwortete Saizew. „Als sich herausstellte, daß der,Phaetone‘ tagelang weder Flugrichtung noch Geschwindigkeit änderte, forderte Kamow uns auf, einen letzten Versuch zu unternehmen, uns ihm zu nähern. Diesmal gelang es. Aber warum haben Sie so oft den Kurs geändert?“ „Ende gut, alles gut, heißt es im Volksmund. Hätte uns die,KS 3‘ sogleich eingeholt, hätten wir das Raumschiff der Phaetonen vielleicht wirklich seinem Schicksal überlassen, und das wäre ein großer Verlust für die Wissenschaft gewesen. Da wußten wir nämlich noch nicht, wie der,Phaetone‘ gesteuert wird. Es hat alles sein Gutes.“ Belopolski ließ den Kopf sinken. Er begriff, das sollte Melnikows Antwort auf seine Bitte um Verzeihung sein.
„Jetzt sind wir auf Ihren Bericht gespannt“, sagte Saizew.
Er schaltete den Bildschirm ein, damit Toporkow im Funkraum ebenfalls zuhören konnte.
„Schießen Sie losl“ Unwillkürlich warfen die Besatzungsmitglieder der „SSSRKS 3“ immer wieder Blicke auf den Bildschirm, als sei erst die Tatsache, daß das Raumschiff der Phaetonen unmittelbar neben ihnen lag, ein Beweis für die Realität dessen, was sie da hörten.
Aber alles, was Melnikow erzählte, war reine Wahrheit, war ebensowenig zu bezweifeln wie seine Anwesenheit im Steuerraum. Es war die Wahrheit über den Aufenthalt zweier Menschen in einer Welt der fernen Zukunft, eine ganz unwahrscheinliche Wahrheit, die jeder vernünftige Mensch zunächst für ein reines Produkt der Phantasie hielt.
Er erzählte von der Ernährung durch Luft, von der Steuerung mit Hilfe der Vorstellungskraft, von dem Metall, das sich in Nichts auflöste, von den unbekannten Apparaten, die „nach ihrem Willen“ Schlafen und Wachen des Menschen steuerten, vom selbständigen Manövrieren des Raumschiffes, von seiner Automatik, die es in den Weiten des Alls sorgsam schützte. Er erzählte von den Wänden, die auf Wunsch durchsichtig und wieder undurchsichtig wurden, von den „gläsernen“ Stegen, die ohne Stützen in der Luft schwebten, und von dem Steuerpult, in dessen verschiedenfarbigen Facetten rätselhafte Funken flimmerten, die erstarrten, sobald der Pilot im Sessel Platz nahm, als sähen sie ihn und gäben ihre Bereitschaft zu erkennen, seinem Willen zu gehorchen.
Nachdem Melnikows gedämpfte Stimme verstummt war, herrschte lange Schweigen.
Belopolski brach es.
„Du hast recht“, sagte er. „Das Raumschiff der Phaetonen muß um jeden Preis gerettet werden.“ „Befehlen Sie also, Konstantin Jewgenjewitsch!“ Wie ein Schatten legte es sich über das Gesicht des Akademiemitglieds. Melnikow hatte das Gefühl, Belopolski wolle etwas sagen, bringe es jedoch nicht über sich. Eine unbestimmte Ahnung beschlich ihn. Saizew biß sich auf die Lippen und wandte sich ab. Auch er ahnte, was jetzt kam.
Der Bildschirm erlosch. Wie wenn er das Weitere nicht hören wollte, hatte Toporkow ihn ausgeschaltet.
„Befehlen?“ sagte Belopolski kaum vernehmlich. „Dazu habe ich kein Recht mehr.“ Er gab sich innerlich einen Ruck. Nun sprach er laut und fest: „Ein neuer Kommandant ist an Bord gekommen. Einem Kommandanten aber befiehlt man nicht, von ihm nimmt man Befehle entgegen. Ich stehe zur Verfügung!“ „Konstantin Jewgenjewitsch!“ sagte Melnikow beschwörend.
„Wenn du willst, schick einen Funkspruch zur Erde. Kamow wird nur eine Antwort darauf haben.“ Er schwieg eine Weile.
„Um eines bitte ich dich. Überlaß mir die Ehre, den,Phaetonen‘ zur Erde zu steuern. Vertrau Wtorow, Korzewski und mir diese Aufgabe an. Nur so kann ich mich rehabilitieren, wennschon nicht in den Augen der Menschheit, so doch in meinen eigenen.
Ich habe zu viele Fehler gemacht. Verbrecherische Fehler.“ Melnikow begriff, daß es sinnlos war, ihn umstimmen zu wollen. Er sah den Gesichtern der Kameraden an, daß ihnen Belopolskis Entschluß nicht überraschend kam. Aber so ohne weiteres brachte er es nicht fertig, den Befehl über das Raumschiff zu übernehmen.
„Schön! Ich werde bei Kamow anfragen. Soll er entscheiden.“ „Gehen Sie, bitte!“ sagte Belopolski.
Alle verstanden, daß das nicht nur Melnikow galt. Belopolski wollte, daß man ihn allein ließe.
„Ich mache mir große Sorgen um ihn“, sagte Saizew, nachdem sich die runde Tür zum Steuerraum hinter ihnen geschlossen hatte. „Womöglich …“ „Wer? Belopolski? Da können Sie beruhigt sein. Das ist ganz unmöglich. Ausgeschlossen! Aber erzählen Sie mir ausführlicher, was los war.“ Und während der Funkspruch durch das All zur Erde eilte, erzählten Saizew und Toporkow Melnikow alles.
Danach erwies sich Belopolskis Entschluß als natürlich und folgerichtig. Aber was würde Kamow antworten?
Sie mußten lange warten. Kamow mußte erst telefonisch verständigt und zur Funkstation geholt werden. In Moskau war es jetzt fünf Uhr morgens.
Endlich übermittelte die deutliche Stimme des Funkers die Antwort des Direktors des Kosmischen Instituts und des Vorsitzenden der Regierungskommission: „Hier ist Kamowsk. An Melnikow. Gratulieren zur glücklichen Befreiung aus phaetonischer Gefangenschaft. Übermitteln Sie der Besatzung der ‚SSSR-KS 3‘ unseren Dank für ihre selbstlosen Bemühungen zur Rettung des Kommandanten und seines Begleiters. Die Entscheidung, daß Belopolski an Bord des,Phaetonen‘ geht, halten wir für richtig. Überdenken Sie noch einmal die Frage, ob das phaetonische Raumschiff auf der Erde landen soll. Vielleicht ist es besser, zunächst eine Probelandung auf einem Himmelskörper mit geringerer Anziehungskraft auszufuhren. Zum Beispiel auf dem Mond. Die endgültige Entscheidung überlassen wir Ihnen.,SSSR-KS 3‘ hat unmittelbar Kurs auf die Erde zu nehmen. Glückliche Heimkehr. Kamow. Woloschin. Achtung! Auf persönliche Bitte von Frau Melnikow übermittle ich folgenden Funkspruch:,Bin glücklich. Küsse dich. Olga.‘ Ende.“ „Habe verstanden“, antwortete Toporkow wie gewöhnlich.
„Es ist entschieden!“ sagte Melnikow nachdenklich. Er seufzte. „Na schön, vielleicht ist es besser so. Ich habe zwar davon geträumt, den ‚Phaetonen‘ selber zur Erde zu bringen. Aber es soll nicht sein!“ „Belopolski schafft es schon“, meinte Saizew.
„In welchem Ton Sie das sagen, Konstantin Wassiljewitsch.
Natürlich schafft er es, und weit besser als ich. Belopolski bleibt Belopolski, was auch geschehen sein mag. Das Ganze war das Ergebnis einer zweifellos vorübergehenden, wenn auch unbegreiflichen seelischen Depression bei ihm. Wir werden doch wieder unter seinem Kommando fliegen.“ Saizew und Toporkow wechselten einen stummen Blick. Melnikow begriff also noch immer nicht, daß Belopolski als Kommandant eines Raumschiffs nicht mehr tragbar war. Selbst Kamows Antwort hatte ihn nicht davon überzeugt.
„Hoffen wir, daß es so ist“, sagte Toporkow ausweichend.
„Zweifellos ist es so!“ Melnikow verließ den Funkraum. Es lag ihm schwer auf der Seele, wie er Belopolski die Antwort von der Erde beibringen sollte. Den schroffen Ton dieser Antwort zu mildern war unmöglich. Belopolski hatte jederzeit die Möglichkeit, den automatisch auf Tonband aufgenommenen Funkspruch abzuhören. Er mußte die Wahrheit sagen, wie schwer es ihm auch fiel.
Aber Belopolski machte es ihm leicht. Er stellte keine Fragen.
Offensichtlich war er sich über Kamows Antwort schon vorher im klaren gewesen.
„Siehst du!“ sagte er, als Melnikow wieder im Steuerraum erschien. „Der Funkspruch war unnötig. An Tatsachen läßt sich nun mal nicht rütteln. Und wie hast du hinsichtlich des,Phaetonen‘ entschieden?“ „Sergej Alexandrowitsch hat Ihrer Bitte entsprochen. Es ist ja auch bedeutend schwerer, den,Phaetonen‘ zur Erde zu bringen als die,KS 3‘“, fügte Melnikow hinzu, um den Urteilsspruch über den ehemaligen Kommandanten möglichst zu mildern. „Sie sind dieser Aufgabe besser gewachsen.“ „Danke für die gute Absicht“, erwiderte Belopolski mit einem bitteren Lächeln. „Aber ich brauche keinen Trost. An Kamows Stelle hätte ich genauso gehandelt. Doch kommen wir zur Sache.
Hältst du es für möglich, daß der,Phaetone‘ direkt zur Erde fliegt?“ „In dem Funkspruch empfehlen Sergej Alexandrowitsch und Woloschin…“ „… ein wenig zu trainieren“, unterbrach ihn Belopolski. „Ich habe gerade darüber nachgedacht. Wtorow muß unbedingt Erfahrungen im Landen sammeln.“ „Ob der Mond geeignet ist?“ „Ich fürchte, nein. Die Gravitationskraft auf seiner Oberfläche ist nur sechsmal geringer als auf der Erde. Das ist noch zu gefährlich. Wir brauchen einen kleineren Himmelskörper.“ „Einen Asteroiden?“ „Ja, das wäre das beste.“ „Welchen?“ „Die Ceres. Sie befindet sich gerade in einer günstigen Stellung. Bis zu ihr ist es verhältnismäßig nahe. Der ‚Phaetone‘ hätte etwa dreihundert Millionen Kilometer zu fliegen, ebensoviel auf dem Rückweg. Wir wissen, daß er eine Geschwindigkeit von fünfzig Kilometern in der Sekunde entwickeln kann, vielleicht auch noch mehr. Er brauchte also schlimmstenfalls zwei Monate und für den Flug von der Ceres zur Erde noch einmal genausolange. Die Gravitationskraft des Asteroiden beträgt nur ein Neunundzwanzigstel der irdischen. Das geht schon eher für den ersten Versuch. Nach der Ceres landen wir dann auf dem Mond. Und erst dann auf der Erde. Ich glaube, diesen Weg müssen wir einschlagen, wenn wir den ‚Phaetonen‘ erhalten wollen. Was meinst du?“ „Ich muß noch mal bei Kamow anfragen.“ „Du bist der Expeditionsleiter und kannst selbständig Entscheidungen treffen. Du mußt lernen, nach eigenem Gutdünken zu handeln.“ Außerstande, sich länger zurückzuhalten, umarmte Melnikow den alten Wissenschaftler.
„Wenn Sie wüßten“, sagte er, „welchen Kummer Sie mir mit Ihrem Entschluß bereitet haben.“ „Ich weiß, Boris. Aber ich kann dich trösten, indem ich dir ein kleines Geheimnis verrate. Noch auf der Erde ist entschieden worden, daß dieser Flug zur Venus deine letzte Prüfung sein sollte. Danach erwartet dich sowieso die offizielle Ernennung zu einem Ersten Kapitän der sowjetischen Raumflotte.
Nun ist das nur etwas früher passiert. Kamow und ich sind alt.
Die Prüfung hast du bestanden. Glänzend sogar. Du erinnerst dich, daß ich dir auf dem Weg zur Venus zeitweilig das Kommando überließ. Das geschah mit Absicht.“ Belopolski wandte sich ab und starrte eine Zeitlang auf den Bildschirm, als müsse er Kräfte sammeln für ein Letztes, das er seinem Schüler sagen hatte. „Denk stets daran, Bons: Der Kommandant eines Raumschiffes muß in allen Situationen Ruhe bewahren. Nichts darf ihn aus dem Gleichgewicht bringen. Diese wichtigste Eigenschaff eines Kosmonauten entwickle unermüdlich in dir. Es fällt dir ja nicht schwer. Und nimm niemand mit an Bord, der dir besonders teuer ist. Sonst ergeht es dir so wie mir. Schlimm, sehr schlimm. Und nun leb wohl. Ich gehe gleich an Bord des,Phaetonen‘.“ Bald war die Arbeit in vollem Gange.
Das phaetonische Raumschiff für einen längeren Flug unter Leitung von Nichtphaetonen auszurüsten, stellte keine einfache Aufgabe dar. Seine Räume waren für die Aufnahme von irdischen Apparaten und Instrumenten schlecht geeignet. Saizew, Romanow, Knjasew und auch Belopolski selbst mußten viel Findigkeit und Einfallsreichtum beweisen, um die notwendigsten Navigationsinstrumente unterzubringen, ohne die sie den sechs-.
monatigen Flug unmöglich wagen konnten. Nur gut, daß sie kein Radargerat brauchten — das Raumschiff besaß ja Automaten, die für Flugsicherheit sorgten. Aber mit dem Teleskop gab es viel Schwierigkeiten. In den Ersatzteilkammern der „SSSR-KS 3“ fand sich ein kleineres Reserveteleskop, das in langer, muhseliger Arbeit in einem der Räume neben dem phaetonischen Steuerraum installiert wurde. Das Raumschiff selbst verfügte zweifellos auch über optische Geräte, aber niemand wußte, wo sie sich befanden, wie sie aussahen und vor allem, wie man damit arbeiten mußte. Und ohne optische Hilfsmittel zur Ceres zu fliegen war unmöglich. Auch wurde so etwas wie ein Befehlspult eingebaut, mit dessen Hilfe Belopolski Wtorow genaue Instruktionen geben konnte.
Die Kosmonauten ließen sich Zeit bei der Arbeit, da sie wußten, daß ein Fehler nicht wiedergutzumachende Folgen haben und zu einer Katastrophe fuhren konnte. Ein Zeitverlust war nicht zu befurchten, da beide Raumschiffe in der erforderlichen Richtung flogen.
Weder Korzewski noch Wtorow sagten etwas, als sie von dem überraschenden Auftrag horten, mit dem „Phaetonen“ zur Ceres zu fliegen. Er stimmte sie nur ein wenig traurig, da sie nun erheblich später zur Erde zurückkehren wurden. Doch sie wußten, daß es notwendig war. Und für Kosmonauten besaß das Wort „notwendig“ große Überzeugungskraft.
Im Bewußtsein der Verantwortung, die auf seinen Schultern lag, kontrollierte Melnikow die Arbeiten selbst, nachdem er Belopolski gebeten hatte, für diese Zeit in den Steuerraum der „SSSR-KS 3“ zurückzukehren.
Dann war es soweit. Die Trosse wurde gelost. Die eine Besatzung versammelte sich im Observatorium, die andere im Unterkunftsraum des „Phaetonen“. Belopolski, Wtorow und Korzewski konnten ihre Kameraden erkennen, wahrend sie selbst nicht zu sehen waren. Aber die an Bord der „SSSR-KS 3“ Gebliebenen wandten kein Auge von dem anderen Raumschiff.
Allein Melnikow befand sich am Steuerpult.
Als wären sie zusammengeklebt, flogen die beiden Raumschiffe noch weiter nebeneinanderher.
Dann stellte Melnikow das eine Gasruder und schaltete eines der Triebwerke auf geringste Leistung.
Langsam entfernte sich die „SSSR-KS 3“ vom „Phaetonen“.
Der Zwischenraum wurde unaufhaltsam größer. Die Wege der Schiffe trennten sich.
Bald zerfloß die Silhouette des Ringes im All.
Glückliche Fahrt, Freunde!