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Sobald Melnikows und Belopolskis Entschluß, den „Phaetonen“ zur Ceres zu steuern, auf der Erde bekannt wurde, erfaßte alle Mitarbeiter der Raumfahrt Unruhe und Besorgnis.
Bald folgte die Meldung, daß der „Phaetone“ seine Geschwindigkeit auf einhundertzwanzig Kilometer in der Sekunde gesteigert habe.
Allen war klar, daß keine Veranlassung bestand, in die gänzlich unbekannte phaetonische Technik so große Erwartungen zu setzen und sie für unbegrenzt leistungsfähig zu halten. Alle sahen auch die drohende Gefahr, in der die drei Männer schwebten.
Es drängte sich die Frage auf, wie es hatte geschehen können, daß Melnikow und Belopolski einen derart entscheidenden Umstand nicht bedachten. Wie konnte die an und für sich verständliche Sorge um die Erhaltung des Phaetonen sie gegenüber elementarer Logik so blind machen?
Man erinnerte sich der Behauptungen verschiedener Wissenschaftler, die noch während der Vorbereitungsperiode kosmischer Flüge über den Einfluß des Kosmos auf die Psyche des Menschen geschrieben hatten.
Die Bedingungen des interplanetaren Fluges seien ungewöhnlich, die Verhältnisse außerhalb des Bereichs der Erde fremd, hatten sie behauptet. Generation um Generation habe der Mensch Zehn-, ja Hunderttausende von Jahren auf der Erde gelebt, und das Bewußtsein ihrer ständigen Gegenwart sei tief in ihm verwurzelt. Das in Jahrtausenden Gewachsene lasse sich schwer ausmerzen. Es sei nicht leicht, auf der Erde zu gehen. Aber sobald der Mensch den Schritt ins Weltall gewagt habe, müsse er auch dort „gehen“ lernen.
Auf der Erde sei der Boden fest, die Atmosphäre dicht und der Gesichtskreis durch den Horizont begrenzt. Seit eh und je.
Im Weltraum aber verschwinde die Schwerkraft, ringsum sei absolute Leere und Grenzenlosigkeit. Man brauche Zeit, um sich daran zu gewöhnen.
Die Gesetze des Lebens im All seien von den Menschen noch nicht erforscht. Aber sie unterschieden sich von denen auf der Erde.
Nur dadurch ließ sich offenbar das merkwürdige und unbegreifliche Verhalten Belopolskis erklären, der für seinen streng logischen, mathematischen Verstand bekannt war.
Auch Melnikow, der „eiserne Kosmonaut“, wie er oft unter Raumfahrern genannt wurde, war offensichtlich den Einflüssen des Kosmos erlegen.
Man darf sich nicht zu lange von der Erde entfernen! folgerte man.
„In den letzten Jahren hat der Mensch einen Sieg nach dem anderen über den Kosmos davongetragen“, sagte zu dieser Frage Professor Collins, ein bekannter Wissenschaftler. „Und er hat sich daran gewöhnt. Das ist gefährlich. Er vergißt leicht, daß das Weltall noch nicht bezwungen ist. Mit dem Kosmos muß man vorsichtig umgehen, sonst zeigt er uns noch mehr als einmal die Zähne.“ In Äußerungen dieser Art steckte eine Menge Wahrheit.
Die Warnung vor dem „Erfolgstaumel“ war keine leere Phrase. Er war tückisch und befiel den Menschen unmerklich.
Die Männer der „SSSR-KS 3“ hatten einen an Triumphen reichen Weg zurückgelegt. Sie besuchten die Arsena, wurden mit der ihnen feindlichen Natur der Venus fertig, und selbst das Raumschiff der Phaetonen, die Schöpfung einer anderen Welt, machten sie sich Untertan. Da war es schwer für sie, die eigene Macht nicht zu überschätzen. Daraus entstanden die Fehler.
Noch am selben Tage, an dem Kamow gemeldet wurde, daß Belopolski die Geschwindigkeit seines Raumschiffes gesteigert habe, fand eine Sondersitzung des wissenschaftlichen Rates des Kosmischen Institutes statt.
Kamow hielt ein kurzes Referat.
„Nach allem, was wir bis jetzt von den Phaetonen wissen“, sagte er, „müssen wir annehmen, daß sie seinerzeit zu ihrem Weltraumflug gestartet sind, ohne etwas vom nahen Untergang ihres Planeten zu ahnen. Ihre Ziele waren der Mars, die Erde und die Venus. Nehmen wir an, auch noch der Merkur. Bei der Berechnung der für die Triebwerke benötigten Treibstoffmenge mußten sie also von dieser Flugroute ausgehen. Fünf Starts und fünf Landungen. Über welche Energiequellen sie auch auf dem Phaeton verfügt haben mögen, ich kann mir nicht vorstellen, daß es ihnen gelungen sein soll, in dem verhältnismäßig kleinen Raumschiff eine noch größere Menge potentieller Energie unterzubringen, als für die genannte Flugroute benötigt wurde.
Ziolkowskis Formel ist unumstößlich. In meinen Prognosen muß ich von ihr ausgehen. Bekanntlich haben die Phaetonen den Mars, die Erde und die Venus besucht. Außerdem sind sie auf der Arsena gelandet und zur Umlaufbahn des Phaeton zurückgekehrt. Das ist viel für einen Flug. Unsere Technik wäre dazu noch nicht imstande. Halten wir uns jetzt eine andere Tatsache vor Augen. Die Phaetonen blieben für immer auf der Venus.
Dabei wären die klimatischen Bedingungen auf unserer Erde für sie viel günstiger gewesen. Diesen Flug unternahmen sie jedoch nicht mehr. Warum? Weil ihre Treibstoffvorräte dazu nicht ausgereicht hätten. Sie wußten, daß sie nicht von der Venus starten und auf der Erde landen konnten. Das ist mehr als wahrscheinlich, das ist offensichtlich. Was aber ist jetzt geschehen? Melnikow und Wtorow sind von der Venus gestartet.
Sie haben zahlreiche Manöver ausgeführt und dabei viel Energie verbraucht, und die hatte so nicht gereicht, um zur Erde zu fliegen und auf ihr zu landen. Dann hat Belopolski das Raumschiff über eine Stunde lang mit Beschleunigung fliegen lassen.
Mich wundert sogar, daß ihm das noch gelungen ist. Wer will behaupten, daß nach all dem der Treibstoffvorrat im phaetonischen Raumschiff nicht zur Neige ginge? Wir hatten ihnen empfohlen, den,Phaetonen‘ zum Mond zu steuern. Hätte er von dort nicht mehr weiter gekonnt, wäre er auf jeden Fall erreichbar gewesen. Man hätte das Raumschiff leicht auseinandermontieren und stückweise zur Erde schaffen können.
Jetzt wissen wir, daß wir diesen Flug nicht hätten empfehlen, sondern befehlen müssen. Aber kehren wir zu den Tatsachen zurück. Sie besagen, daß außer dem Raumschiff der Phaetonen drei Menschenleben auf dem Spiel stehen. Ich lege dem Rat hiermit zwei Fragen vor. Besteht Hoffnung, daß es Belopolski gelingt, den Flug seinem Plan entsprechend glücklich auszuführen? Und wenn nicht, was unternehmen wir zur Rettung der Männer?“ Auf die erste Frage erfolgte die Antwort einstimmig: „Nein, auf die Treibstoffvorräte des ‚Phaetonen‘ können wir unsere Hoffnung nicht setzen!“ „Was ist dann zu tun?“ fragte der Vorsitzende.
Ingenieur Semjonow, einer der leitenden Mitarbeiter des Kosmischen Instituts, erhob sich.
„Die,KS 3‘ kehrt in zwölf Tagen zur Erde zurück“, sagte er.
„Wir müssen sie sofort für einen Flug zur Ceres ausrüsten. Sobald wir sehen, daß der,Phaetone‘ nicht wiederauftaucht, startet sie.“ „Das bedeutet, daß wir einen ganzen Monat verlieren.“ „Aber was können wir sonst tun? Die,KS 3‘ ist in Generalüberholung. Andere Raumschiffe, die einen so langen Flug unternehmen könnten, haben wir nicht.“ „Und wenn dem,Phaetonen‘ nun nicht einmal mehr die normale Landung auf der Ceres glückt und er abstürzt?“ fragte Woloschin. „Wie klein der Asteroid auch ist, seine Anziehungskraft reicht aus, das Raumschiff zu Bruch gehen zu lassen. Dabei können die Männer durchaus am Leben bleiben. Aber sind sie in der Lage, drei Monate zu warten?“ „Nicht einen einzigen. Früher als in zweiundsiebzig Tagen aber ist die Ceres nicht zu erreichen.“ Wieder stand Kamow auf und sagte: „Genossen! Ich habe einen Funkspruch von William Jenkins erhalten. Er kann sofort mit seinem in England neuerbauten Raumschiff, dem,Prince of Wales‘, losfliegen. Es ist startbereit, da beabsichtigt war, ihn zur Venus zu schicken. Jenkins erklärt, daß er und seine Mannschaft unserem Institut zur Verfügung stehen.“ „Aber seine Geschwindigkeit beträgt, soviel ich weiß, nur fünfzig Kilometer in der Sekunde“, wandte Woloschin ein.
„Falls die drei mit dem,Phaetonen‘ wirklich Bruch gebaut haben, ist das zuwenig.“ „Hören Sie, was er uns noch mitteilt“ Kamow holte das Telegrammformular hervor. „,Ich und meine Kameraden schlagen eine Beschleunigung von fünfunddreißig Meter pro Sekundenquadrat vor. Dadurch könnten wir eine Geschwindigkeit von vierundachtzig Kilometern erreichen. Die Entfernung zur Ceres würde in eintausend Stunden bewältigt werden.‘ Ich brauche Ihnen nicht zu erläutern, was die Engländer damit auf sich nehmen, um unsere Kameraden zu retten. Der,Prince of Wales‘ ist ein mächtiges Raumschiff. In mancher Beziehung übertrifft er noch die,KS 3‘. Wir müssen den Engländern dankbar sein, da unsere,SSSR-KS 4‘ das Werk noch nicht verlassen hat. Aber haben wir das Recht, das angebotene Opfer anzunehmen? Vierzig Minuten einer derart hohen Beschleunigung gefährden die Gesundheit.“ „Auf die Frage gibt es nur eine Antwort“, sagte Woloschin.
„Wir können Jenkins‘ Angebot nicht ablehnen. Ich schlage vor, daß wir uns mit ihm in Verbindung setzen und ihn noch einmal auf die Gefahr hinweisen, die er womöglich unterschätzt. Das Weitere ist dann ihre Sache.“ So kam es, daß die dem Untergang auf der Ceres geweihten Kosmonauten von der „Prince of Wales“ gerettet wurden.
Ohne Zögern vollbrachten William Jenkins und seine sieben Kameraden diese große Tat. Und sie kamen nicht eine Minute zu spät!
Fast gleichzeitig mit ihrem ersten Aufkommen hatte die Raumfahrt der Erde bereits die engen nationalen Grenzen gesprengt, war sie zu einer Sache der gesamten Menschheit, zu einer internationalen Kollektivaufgabe geworden. Und es ist allgemein bekannt, wie stark ein Kollektiv ist.
Mit Recht konnten die Engländer auf ihre Helden stolz sein, aber hätten die Kosmonauten in anderen Ländern nicht genauso gehandelt? Menschen, die an ein und derselben Aufgabe arbeiten, kennen keine nationalen Unterschiede, wenn es zu helfen gilt.
Roald Amundsen fand bei dem Versuch den Tod, seinen persönlichen Feind, den Italiener Nobile, zu retten. Beide waren Polarforscher. Dahinter hatten persönliche oder nationale Belange zurückzutreten.
William Jenkins, der Engländer, rettete Konstantin Belopolski, den Russen. Ebensogut hätte es umgekehrt sein können.
Angesichts des Kosmos sind die Menschen aller Länder gleich — eine einzige Familie!
Schon der Charakter ihrer Arbeit hält aus ihrem Denken den ganzen Kehricht nationaler Gegensätze fern.
Das Ziel ist der Kosmos.
Heimat ist die Erde!
Die einander kreuzenden Arme der von allen Seiten auf das Flugfeld des Kosmodroms gerichteten Scheinwerfer verwandelten die Nacht in Tag. Vier lange, gleich hellen Säulen steil emporragende Scheinwerferkegel zeigten dem sich nähernden Raumschiff den Landeplatz.
Wie immer bei solchem Ereignis war die Einzäunung mit unzähligen Fahnen geschmückt.
Endlose Autokolonnen füllten die Straßen von Kamowsk, und trotz der späten Stunde hatte sich rings um das Feld eine große Menschenmenge eingefunden.
Auf dem Empfangsgebäude wehten die Nationalflaggen Großbritanniens und der UdSSR auf halbmast. Vertreter aller Völker der Erde erwarteten schweigend den „Prince of Wales“.
Auf dem Dach des Gebäudes hatten sich Kosmonauten aller Länder versammelt. Sie waren nach Moskau gekommen, um jenen Mann zu empfangen, der viele Jahre der Stolz ihrer großen Familie gewesen war, ihn, dessen Name mit allen Erfolgen des menschlichen Geistes über die Gewalten des Kosmos untrennbar verknüpft war.
Jetzt kehrte er von seinem letzten Flug zurück.
Für immer!
Regungslos hielt die Mannschaft der „SSSR-KS 3“ an seinem mit Trauerflor umwundenen Bild Ehrenwache.
Belopolskis geheimer Wunsch war in Erfüllung gegangen.
Das Raumschiff brachte ihn als Toten zur Erde zurück.
Unweit der Heimat, an Bord der „Prince of Wales“, hatte das Herz des zweiten „Sternenkapitäns“ der Erde zu schlagen aufgehört.
Am Teleskop, auf Posten hatte ihn der Tod überrascht. Die pausenlosen Schicksalsschläge waren selbst für sein stählernes Herz zuviel gewesen.
Gewiß, er hatte Fehler gemacht! Aber wer macht keine?
Nun, da er nicht mehr war, hatte man sie vergessen. Zu der Stunde, da sich Jenkins‘ Raumschiff Moskau näherte, gingen in allen Hauptstädten der Welt die Flaggen auf halbmast.
Die Erde bezeigte ihrem großen Sohn Achtung und Dankbarkeit.
Die Trauermusik der Orchester ging in dem mächtigen Getöse der Triebwerke unter. In Flammenwirbel gehüllt, setzte die riesige Rakete auf dem Boden auf.
Kaum waren die „Pfoten“ eingezogen, trat Stille ein.
Fanfarenklänge stiegen über dem Feld empor. Den Menschen schien es, als kündeten sie nicht vom Tod, sondern vom triumphierenden Leben.
Salutschüsse erschütterten die Luft.
Ein kosmischer Geländewagen, ohne Verdeck, fuhr auf das Raumschiff zu. Er sollte den stählernen Sarg mit dem Leichnam des Kosmonauten übernehmen.
Dieser Sarg war während des Rückfluges unter den liebevollen Händen der Kosmonauten aus Ersatzteilen entstanden.
Noch zwei weitere Opfer hatte der Flug der „SSSR-KS 3“ zur Venus gekostet. Sie ruhten fern der Heimat. Aber die Zeit würde kommen, da man sie mit den gleichen Ehren und mit der gleichen Achtung und Dankbarkeit heimholte.
Die Menschheit vergißt diejenigen nicht, die ihr Leben für sie hingegeben haben. Sie sind unsterblich!
Schon arbeiteten in ihren Ateliers berühmte Bildhauer und Architekten daran, den drei Toten ein würdiges Denkmal zu schaffen. Für ewige Zeiten würde es hier auf dem Flugfeld stehen.
Es gibt merkwürdige Zufälle.
Nach einer Beratung mit Belopolski hatte William Jenkins beschlossen, die gesamte Ausrüstung des „Phaetonen“, soweit sie sich, und sei es auch nur teilweise, demontieren ließ, mit zur Erde zu nehmen. Jetzt brauchten sie keine Rücksicht mehr auf die Mechanismen und Anlagen zu nehmen, da diese ohnehin für immer auf der Ceres bleiben mußten. Die irdische Wissenschaft aber konnte auch an Hand der Einzelteile vieles erkennen.
Der „Phaetone“ widersetzte sich jedoch der menschlichen Absicht. Nachdem die drei Männer ihn verlassen hatten, ließ sich die Tür zum Zentrum nicht wieder öffnen. Da halfen alle Versuche nichts, die quadratischen Vorsprünge hineinzudrücken, und auch Wtorows „Befehle“ blieben ohne Wirkung. Der Weg ins ringförmige Raumschiff war durch die feste, glatte Wand versperrt.
Weder die heiße Flamme eines Schneidbrenners noch Thermit richteten gegen die Härte des gelbgrauen Metalls etwas aus, das nicht einmal die mit kosmischer Geschwindigkeit auftreffenden Meteoriten hatten durchschlagen können.
Alles war vergebens.
Die Geheimnisse des „Phaetonen“ mußten unangetastet und rätselhaft wie zuvor auf der Ceres zurückbleiben.
„Wie gut, daß wir das Schiff vor dem Eintreffen der ‚Prince of Wales‘ nicht mehr verlassen haben“, bemerkte Wtorow.
Nun hatten die Türautomaten zum letztenmal ihre Pflicht getan. Das Raumschiff war „gestorben“. Und die „Prince of Wales“ brachte nichts zur Erde mit, was sein vieltausendjähriges Geheimnis hätte aufklären können.
Alle Hoffnungen richteten sich jetzt nur noch auf die Arsena.
Dort, in dem runden Talkessel lagen unter Granitfiguren, die Körper eines einfachen kubischen Systems darstellten, Behälter verborgen, die es herauszuholen und zur Erde zu schaffen galt.
Niemand zweifelte daran, daß sie Material enthielten, das die gesamte Technik der Erde revolutionieren und endlich auch Licht in den rätselhaften Untergang des fünften Planeten bringen würde.
Waren die Phaetonen des ringförmigen Raumschiffes, das man auf der Venus gefunden hatte, die einzigen, die die Katastrophe überlebt hatten? Was war aus den anderen geworden? Hatten sie bei dem außergewöhnlich hohen Entwicklungsstand ihrer Wissenschaft wirklich nichts von der ihnen drohenden Gefahr gewußt und keine Maßnahmen zur eigenen Rettung getroffen?
Das war doch kaum anzunehmen.
Auf zur Arsena! forderte einmütig und unüberhörbar die Weltöffentlichkeit.
Auf zur Arsena! verlangten die Kosmonauten.
Aber die Technik der Erde konnte dem weltweiten Wunsch noch nicht entsprechen.
Die Arsena entfernte sich immer mehr, die Sonne umrundend, von der Erde. Das Apogäum ihrer Umlaufbahn befand sich hinter der Bahn des Jupiter. In einem Jahr würde der Asteroid diesen Punkt erreicht haben und sich danach wieder in Richtung Sonne zurückbewegen. Erst dann konnte man ihm entgegenfliegen.
Es galt also, fast zwei Jahre zu warten.
Ungeduldige Gemüter entwarfen alle möglichen Projekte, um das Raumschiff der Phaetonen zur Erde zu schaffen. Aber selbst wenn es sich als möglich erweisen sollte, den Ring von zweihundert Meter Durchmesser „abzuschleppen“, man mußte warten, lange warten.
So gewaltig sind die Ausmaße des Weltalls, daß der Mensch selbst innerhalb seines Sonnensystems, „bei sich zu Hause“, nicht immer fliegen kann, wohin er will. Die Entfernung, auf der Erdoberfläche bereits überwunden, stellt sich den Kosmonauten oft als unüberwindliches Hindernis in den Weg. Als einstweilen noch unüberwindliches. Erst wenn die Technik gelernt hat, annähernde Lichtgeschwindigkeit zu erzielen, wird diese Schranke fallen.
Belopolskis Expedition hatte nicht nur die Phaetonen entdeckt. Da waren auch noch die Venusianer. Die Rätsel der Schwester der Erde wollten ebenfalls gelöst sein.
Viel harte Arbeit stand bevor. Eifrig bereiteten sich die Kosmonauten darauf vor.
Die Engländer hatten ihr Raumschiff für einen Flug zur Venus gebaut. Aber statt zur Venus war es zur Ceres geflogen.
Jetzt hieß es warten, denn auch die Venus entfernte sich von der Erde. Der Sturm auf den Kosmos kam vorübergehend zum Stillstand.
Gleich nach Belopolskis Beisetzung nahm Melnikow einen sechswöchigen Urlaub und verreiste mit seiner Frau.
In einem stillen Städtchen in der Ukraine ließ er sich nieder, um ein Buch über den Flug der „SSSR-KS 3“ zu schreiben.
Niemand hatte ihm auch nur ein einziges vorwurfsvolles Wort gesagt, dennoch war er überzeugt, daß man ihm nie wieder ein Raumschiff anvertrauen würde. War es nicht seine Schuld, daß der „Phaetone“ jetzt auf der Ceres lag und für die Wissenschaft verloren war? Wennschon nicht für immer, so doch für lange Zeit. Und Belopolskis Tod? War nicht der nämliche verhängnisvolle Entschluß die mittelbare Ursache auch dafür gewesen?
Melnikow bereute tief, daß er sich nicht pflichtgemäß mit Kamow beraten hatte. Und weshalb nicht? Nur weil Belopolski gesagt hatte: „Entscheide selbst!“ Die Entscheidung, den „Phaetonen“ zur Ceres zu schicken, erschien ihm hier, auf der Erde, als der Gipfel der Dummheit.
Was war er schon für ein „Sternenkapitän“, wenn er es fertigbrachte, so falsche Entschlüsse zu fassen!
Die Weiten des Alls lockten ihn nach wie vor. Er wußte, daß ihm keine Tätigkeit auf der Erde den Kosmos mit seinen Geheimnissen ersetzen konnte, daß für ihn nichts dem fesselnden Kampf mit der Natur auf dem für den Menschen schwierigsten Gebiet gleichkam.
Und allmählich reifte in ihm ein Entschluß.
Er schrieb Kamow einen Brief. Darin bat er, man möge ihm als höchste Gunst erlauben, an der nächsten Expedition als einfaches Mitglied teilzunehmen. „Ich habe meinen früheren Beruf nicht verlernt“, schrieb er, „ich bitte, mir die Filmaufnahmen zu übertragen. Ich weiß, daß ich der Bezeichnung Kosmonaut nicht mehr würdig bin, aber ich verspreche, alles daranzusetzen, wieder einer zu werden.“ Er erhielt keine Antwort darauf.
„Wenn wir wieder in Moskau sind“, sagte er zu seiner Frau, „reiche ich meine Kündigung ein und gehe für immer vom Kosmischen Institut fort. Ich kehre zur Journalistik zurück.“ Olga sagte kein Wort und lächelte nur. Melnikow meinte, auch sie habe den Glauben an ihn verloren.
Die Lust, weiter an seinem Buch zu schreiben, war ihm vergangen, immer mehr verfiel er in Trübsinn. In den Zeitungen las er von den Vorbereitungen zu einer großen Expedition zweier Raumschiffe zur Venus und beneidete seine ehemaligen Kameraden glühend.
Seine ehemaligen! Er war überzeugt, daß sie auch von ihm als von einem „Ehemaligen“ sprachen.
Olga beobachtete ihren Mann aufmerksam. Auf Anweisung ihres Vaters tröstete sie ihn nicht und machte ihm auch keine Hoffnungen. Kamow hatte eine „moralische Quarantäne“ verordnet. Sie schrieb dem Vater regelmäßig und hielt ihn über alles, was Melnikow sagte und tat, auf dem laufenden.
Der Urlaub neigte sich seinem Ende zu.
Eines Tages traf ein Brief vom Kosmischen Institut ein.
„Wahrscheinlich kommen sie meiner Absicht zuvor“, sagte Melnikow, während er den Umschlag in den Händen hin und her drehte. „Das ist bestimmt meine Entlassung.“ „Wozu herumraten?“ meinte Olga. „Lies doch lieber.“ Bereits nach den ersten Zeilen sprang Melnikow vom Stuhl auf. „Das ist doch nicht möglich!“ „… sagte ein Mann, als er im Zoo eine Giraffe sah.“ Olga schmunzelte.
Melnikow blickte sie erstaunt an.
„Weißt du denn, was drinsteht?“ fragte er.
„Gewiß“, antwortete Olga, immer noch schmunzelnd. „So lies doch!“ „Das ist häßlich von dir. Warum hast du mir nichts davon gesagt?“ „Dein Lehrer, das ist mein Vater, er hat es so angeordnet.
Frag ihn selbst. Ich weiß nicht, was er damit bezweckte.“ Zum erstenmal in diesen sechs Wochen lächelte Melnikow.
„Sergej Alexandrowitsch hat wie immer recht. Seine Medizin hat angeschlagen.“ Dann las er laut vor: „In der Anlage übersenden wir Ihnen eine Kopie des Schreibens, mit dem das Kosmische Institut der Akademie der Wissenschaften der UdSSR Sie zum Leiter einer englisch-russischen Expedition zum Planeten Venus ernennt, und bringen hiermit unsere Freude und Genugtuung über diese dem allgemeinen Wunsch entsprechende Ernennung zum Ausdruck.
Wir sind stolz darauf, daß Sie, der erprobte Kapitän und erfahrenste Kosmonaut, bei dieser schwierigen, verantwortungsvollen Arbeit an unserer Spitze stehen werden. Wir erwarten Sie!
Im Namen der Besatzung des Raumschiffs,SSSR-KS 4‘ — Paitschadse.
Im Namen der Besatzung des Raumschiffs,Prince of Wales‘ — Jenkins.“ Darunter war mit der Hand geschrieben: „Gratuliere! Freue mich und bin stolz auf Dich. Sergej Kamow.“ Und wieder glänzten in den Weiten des Alls, silbernen Punkten gleich, die metallenen Körper von Raumschiffen in den Strahlen der Sonne. Wieder traten Verstand und Wille des Menschen zum Kampf mit dem Kosmos an, wenn auch vorerst noch in den Grenzen unseres Sonnensystems!
Aber die Zeit war nicht mehr fern, da selbst die Sonne für die Besatzungen der Raumschiffe zu einem kleinen Stern werden würde, da sich dem Menschen die Weiten des großen Universums öffneten.
Unsere Erde ist klein. Nur wenig erblickt man durch den dichten Vorhang ihrer Atmosphäre, und dem Menschen wurde es zu eng auf ihr.
Schwach sind die Körperkräfte des Menschen. Aber seinem mächtigen Verstand ist alles erreichbar.
Wissenschaft und Technik ersetzen, was die Natur versagt hat.
Das Unmögliche wird selbstverständlich. Die Natur gibt eine Position nach der anderen auf.
Der Vormarsch des Geistes dauert an. Er wird weiter andauern, solange der Geist existiert. Und der ist ewig!