121913.fb2 Das Herz der Schlange - читать онлайн бесплатно полную версию книги . Страница 2

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„Ja. Noch zur Zeit der Erfindung und des Baues der ,Tellur‘ gingen gewöhnliche Raketenraumschiffe zum Fomalhaut, zur Kapella und zum Arktur auf die Reise. Jahrtausende werden auf der Erde vergehen, ehe sie zurückkehren. Heutzutage baut man nun aber schon Pulsationsraumschiffe, die in hundert irdischen Jahren zum Arktur und zurück fliegen. Während wir unseren Raumflug durchführen, werden die Menschen auf der Erde endgültig die Zeit oder den Raum, wie sie wollen, bezwingen. Dann werden die irdischen Weltraumschiffe um ein vielfaches weiter vordringen können, und wir werden mit einer wertlosen Fracht von überholten Nachrichten und längst bekannten Feststellungen heimkehren.“

„Wir sind von der Erde geschieden, wie Sterbende aus dem Leben scheiden“, sagte Mut Ang langsam, „und wir werden als in der Entwicklung Zurückgebliebene und mit überholten Anschauungen zurückkommen.“

„Gerade das waren meine Gedanken!“

„Sie haben recht und gleichzeitig völlig unrecht. Wir werden früher heimkehren als die, die nach uns in so weite Räume vordringen, denn der Mensch mag wohl Raum und Zeit bezwingen, niemals aber kann er Naturgesetze ändern. Raumschiffe können grundsätzlich nicht schneller als das Licht fliegen. Wenn auch unsere Generation nach unserer Rückkehr nicht mehr sein wird, so haben wir doch die Aufgabe und die Möglichkeit, das Wissen der Menschheit zu erweitern, denn diese Erweiterung, das Sammeln von Erfahrungen, die Erforschung des unendlichen Kosmos müssen ohne Unterbrechung weitergehen. Und selbst der Start der alten Raumschiffe, die ,zu spät‘ zurückkommen werden, hatte einen Sinn. Oder hätte man sie mit Rücksicht auf die kommende Entwicklung etwa nicht starten sollen? Hätten die alten Naturforscher, über die wir heutzutage beinahe lächeln, mit ihren wissenschaftlichen Arbeiten warten sollen, bis ihnen etwa die modernen Elektronenmikroskope zur Verfügung standen? Wären jemals aus den armseligen Ackerbauern und all den anderen, die den Boden unserer Mutter Erde mit Strömen ihres Schweißes begossen haben, die heutigen stolzen Bezwinger der Natur geworden, wenn sie in ihren feuchten Lehmhütten sitzengeblieben wären, sich kümmerlich von Brotkrumen genährt und auf die Zeit gewartet hätten, da die automatischen Maschinen erfunden waren?“ Karil Ram lachte auf. Mut Ang fuhr jedoch ernsthaft fort:

„Auch wir sind aufgerufen, unsere Pflicht zu erfüllen, genauso wie jedes Mitglied der Gesellschaft. Für die hohe Auszeichnung, daß wir als erste mit kosmischen Gebieten in Berührung treten dürfen, die noch niemals ein menschliches Auge in der Nähe sehen konnte, müssen wir das Opfer unseres zeitweiligen Todes auf die Dauer von siebenhundert Jahren bringen. Manche lehnen es ab, die Erde zu verlassen, weil sie nicht auf die ihnen dort gebotenen Freuden verzichten wollen. Sie werden niemals das hohe Glücksgefühl empfinden können, das einem Menschen vergönnt ist, der einen Blick in das Geheimnis der Entstehung des Universums hat tun dürfen. Ja, so ist das! Und was unsere Rückkehr anbelangt, so sind Ihre Gedanken über die Zukunft völlig unnütz. Wer kann heute sagen, ob nicht jenes Körnchen neuen Wissens, das wir unserem Planeten liefern werden, zu einem weiteren Aufstieg der Wissenschaft und zu einer Verbesserung der Lebensbedingungen der Menschheit führen wird? Wir werden zwar, wenn wir dereinst auf die. Erde zurückkehren und aus dem Dunkel der Vergangenheit heraustreten, unser Leben und unsere Herzen, die wir jetzt der Zukunft widmen, neuen Menschen zurückbringen. Aber werden wir denn als Fremde kommen? Ist der ein Fremder, der sich mit allen seinen Kräften für die Menschheit eingesetzt hat? Der Mensch ist doch nicht nur eine mathematische Summe von Kenntnissen, und er ist auch nicht nur ein künstlich errichteter Bau von Gefühlen und Empfindungen. Er ist viel, viel mehr. Und als Menschen werden wir vor den künftigen Menschen, die wir bei unserer Rückkehr antreffen werden, sehr wohl bestehen können.“ Mut Ang schwieg einen Augenblick, um dann seine Worte in einem ganz anderen, beinahe spöttischen Ton zu beenden: „Ich weiß nicht, wie Sie das empfinden, für mich jedenfalls ist es so interessant, einen Blick in die Zukunft werfen zu können, daß es sich allein darum lohnt.“

„… auf eine gewisse Zeit für die Erde zu sterben!“ vollendete der Astronavigator die Rede seines Kommandanten.

Dieser nickte. „Gehen Sie jetzt etwas essen, die nächste Pulsation wird schon binnen kurzem erfolgen. — Tei, weshalb kommen Sie schon zurück?“

„Ich habe es nicht länger in der Kajüte ausgehalten. Ich möchte den von den Geräten festgelegten Kurs kennenlernen und bin bereit, Sie abzulösen.“

Ohne weitere Worte drückte der Astrophysiker auf einen in der Mitte des Pultes befindlichen Knopf. Ein glänzender gewölbter Deckel schob sich lautlos zur Seite, und aus dem Innern des Gerätes stieg ein zu einer Spirale zusammengedrehtes Band aus einem silbrigen Metall nach oben. An ihm war ein feiner dunkler Stift befestigt, der den Kurs des Raumschiffes anzeigte. Wie Edelsteine funkelten auf der Spirale winzige Flämmchen. Das waren Sterne verschiedener Spektralklassen, an denen der Kurs der „Tellur“ vorbeiführte. Auf den vielen Zifferblättern bewegten sich die Zeiger rasch hin und her. Die Rechenmaschinen waren dabei, den Kurs für die nächste Pulsation zu berechnen und ihn so festzulegen, daß er jede Berührung mit Sternen, Dunkelnebeln und Gasschleiern, die möglicherweise noch unbekannte Himmelskörper verbergen konnten, vermied.

Vertieft in seine Arbeit, bemerkte der Astrophysiker gar nicht, daß darüber einige Stunden vergingen. Das riesige Raumschiff setzte währenddessen seinen Vorstoß in die dunkle Leere des Universums mit konstanter Geschwindigkeit fort. Tei Erons beide Gefährten kamen zurück und nahmen wortlos auf dem bequemen halbrunden Diwan neben der massiven Dreifachtür Platz, die die Kommandostelle von den übrigen Räumen des Raumschiffes abtrennte.

Ein Glockenzeichen zeigte an, daß die Rechenarbeit abgeschlossen war. Langsam trat der Kommandant an die Pulte.

„Ausgezeichnet! Rund 75 Parsec freie Flugstrecke liegen vor uns. Damit können wir während der nächsten Pulsation unseren Abstand von der Erde vervierfachen.“

„Nein, hier ist eine dreißigprozentige Ungewißheit enthalten!“ Tei zeigte auf das Ende des schwarzen Stiftes, der unmerklich vibrierte.

„Tatsächlich, die volle Sicherheit ist nur über 57 Parsec hin garantiert. Gehen wir vorsichtshalber, um etwaige verborgene Fehlerquellen auszuschalten, noch um 5 Parsec zurück, so bleiben also 52 Parsec übrig. Bereiten Sie die Pulsation für diese Strecke vor.“

Die nochmalige Überprüfung der unzähligen Mechanismen begann. Mut Ang setzte sich mit den Kajüten in Verbindung, in denen sich die übrigen fünf wieder in Schlaf versenkten Besatzungsmitglieder der „Tellur“ befanden. Die Automaten zur physiologischen Beobachtung zeigten an, daß sich die Organismen der Schlafenden im Normalzustand befanden. Dann schaltete der Kommandant das magnetische Schutzfeld rings um die Wohnräume des Raumschiffes ein. Rote Strahlen huschten über die mattierte Täfelung der linken Wand und ließen erkennen, daß die dahinter verborgenen Röhren ihre Tätigkeit aufgenommen hatten.

„Alles fertig?“ fragte Tei Eron mit etwas verdüsterter Miene den Kommandanten. Dieser nickte. Schweigend ließen sich die drei Raumfahrer in die tiefen Sessel fallen und schnallten sich an. Als der letzte Haken eingeklinkt war, nahm jeder aus einem Kästchen an der linken Armlehne eine gebrauchsfertige metallene Spritze.

Karil Ram und Tei Eron stießen sich die Nadel in den entblößten Arm.

Der Kommandant wartete, bis die Gefährten sich in ihre Sessel zurückgelehnt und die Augen geschlossen hatten. Dann, als die beiden anderen bereits in den Zustand der Bewußtlosigkeit versunken waren, bewegte er einen Hebel, der an einem neben seinem Knie befindlichen Getriebe angebracht war. Geräuschlos und unaufhaltsam senkten sich von der Decke die wuchtigen Glocken nieder. Mit einem weiteren Handgriff schaltete der Kommandant die mechanischen Roboter ein, die die Pulsation auszuführen und das Schutzfeld herzustellen hatten. Als sich die Glocke bereits über ihn herabgesenkt hatte, las der Kommandant im schwachen Schein einer bläulich schimmernden Nachtlampe den Stand der Kontrollgeräte ab, und erst dann injizierte auch er sich das Betäubungsmittel.

Das Ziel war erreicht. Mächtige Bremstriebwerke hatten die Geschwindigkeit der „Tellur“ herabgesetzt. Als eine große leuchtende Scheibe zeichnete sich jetzt der geheimnisvolle Himmelskörper, der das Ziel der Reise bildete, auf den Leuchtschirmen des Raumschiffes ab. So mochte die Sonne vom Merkur aus anzusehen sein.

Der riesige Stern aus der Klasse der Kohlenstoffsterne sollte einer eingehenden Untersuchung unterzogen werden. Die Erfindung des Pulsationsraumschiffes erlaubte es dem Menschen endlich, einen solchen Kohlenstoffstern aus nächster Nähe zu studieren und die in ihm und in seiner Umgebung stattfindenden Vorgänge der Umwandlung der Materie kennenzulernen.

Die Besatzung des Weltraumschiffes war aus ihrem tiefen Schlaf in das Leben zurückgekehrt. Jeder widmete sich mit Eifer den wissenschaftlichen Aufgaben, um derentwillen er auf die Dauer von siebenhundert Jahren freiwillig für die Erde in den Tod gegangen war. Das Raumschiff bewegte sich jetzt verhältnismäßig langsam, aber ein schnellerer Flug war nun nicht mehr erforderlich. Der Expedition stand das langwierige Studium einer Reihe von äußerst komplizierten Vorgängen bevor, die die Physiker auf der Erde bisher noch nicht hatten enträtseln können. Die „Tellur“ bog etwas vom Kurs ab, um zu verhindern, daß die gefährliche Strahlung des Sternes den Leuchtschirm des Radars traf. So blieb dessen diamantschwarzer Spiegel undurchdringlich dunkel. Die „Tellur“ oder „IF-1 (Raumschiff 685)“, wie die offizielle Eintragung im Register der Kosmischen Flotte der Erde lautete, war das erste Raumschiff mit Zirkulationsfeld und das sechshundertfünfundachtzigste Raumschiff überhaupt. Es war etwas kleiner als die herkömmlichen Raumschiffe. Deren Bau war jedoch in der letzten Zeit, nämlich seit der Erfindung der Pulsationsschiffe, eingestellt worden.

Jene gewaltigen Raumschiffe konnten bis zu zweihundert Personen an Bord nehmen, und mit Hilfe der unterwegs geborenen und heranwachsenden jungen Generation war es möglich, schon recht weit in den interstellaren Raum vorzustoßen. Mit jeder Rückkehr eines Langstreckenraumschiffes auf die Erde traten einige Dutzend überlebende einer früheren Zeit aus dem Dunkel der Vergessenheit heraus, Vertreter einer längst vergangenen Epoche. Und obgleich sie, nach Körperkonstitution und geistiger Entwicklung zu urteilen, noch ganz auf der Höhe waren, so war ihnen doch die Erde entfremdet, und sie fühlten sich nicht mehr heimisch auf ihr. Und oftmals bemächtigten sich Weltschmerz und Schwermut der Gemüter der ehemaligen Weltraumfahrer.

Jetzt trugen die Pulsationsraumschiffe die Menschen noch viel weiter in den unendlichen Kosmos. Es würde — allerdings mit dem Maßstab der Weltraumfahrer gemessen — nicht mehr lange dauern, und tausendjährige Methusalems würden auf der Erde auftauchen. Jene Raumfahrer jedoch, denen es beschieden sein sollte, bis in andere Milchstraßensysteme vorzustoßen, würden erst nach Jahrmillionen auf ihren Heimatplaneten zurückkehren. Die ungeheuren Zeitspannen, die zur Durchführung der weiten kosmischen Reisen nötig waren, bildeten überhaupt die größte der Schwierigkeiten, denen sich die kühnen Pioniere des Weltalls gegenübersahen. Es schien, als wollte die Natur damit dem unermüdlichen Forschergeist ihrer eigenen Kinder ein kaum zu überwindendes Hindernis entgegenstellen.

Bei den modernen Raumschiffen bestand die Besatzung nur noch aus acht Personen. Diesen Reisenden in die unermeßlichen Weiten des Kosmos und zugleich in eine ferne Zukunft war es auch nicht mehr erlaubt, während der Reise Kinder zu haben.

Die „Tellur“ war zwar kleiner als ihre Vorgänger, aber dennoch ein recht stattliches Schiff, das der zahlenmäßig so schwachen Besatzung sehr viel Platz bot.

Wie stets war das Erwachen aus dem langen Schlaf während der letzten Pulsationen von einer starken Anhäufung der Lebensenergien begleitet gewesen. So kam es, daß die Besatzung des Raumschiffes, die zum größten Teil aus jungen Leuten bestand, ihre freie Zeit vorwiegend im Turnsaal verbrachte.

Man hatte sich allerhand schwierige sportliche Übungen sowie phantastische Tänze ausgedacht, oder man führte in einem schwerelosen Raum schwindelerregende Schwebetricks aus, nachdem an Händen und Füßen Schutzgürtel und — ringe angelegt waren. Auch schwammen die Raumfahrer gern in dem herrlichen Schwimmbecken mit dem blauleuchtenden Wasser.

Karil Ram hatte gerade die Arbeitskleidung ausgezogen und war dabei, in das Wasser zu springen, als ihn eine fröhliche Stimme davon abhielt: „Helfen Sie mir, Karil! Sonst gelingt mir diese Figur nie und nimmer!“ Das hochgewachsene Mädchen, die Chemikerin Taina Dan, war die lustigste, aber auch die jüngste Teilnehmerin der Expedition. Sie trug eine kurze Tunika aus einem grünlich schillernden Gewebe, das im Farbton genau zu ihren Augen paßte.

Von der Höhe des Sprungturmes herab winkte ihnen Afra Dewi, die Biologin des Raumschiffes, einen Gruß zu. Sie war gerade damit beschäftigt, ihr volles dunkles Haar sorgfältig unter der Badekappe unterzubringen, bevor sie sich zum Sprung in das tief unter ihr liegende Wasser anschickte. Ehe sie jedoch hierzu kam, hatte sich vorsichtig Tei Eron auf dem federnden Sprungbrett an sie herangeschlichen und von hinten ihre muskulösen Arme umfaßt. Im Takt auf dem schwankenden Brett wippend, lehnte sich Afra an den festen Halt hinter ihr zurück. Dann aber federte das junge Mädchen mit einer kaum merklichen Bewegung noch ein wenig kräftiger, nahm mit einer schnellen Wendung die Hand des Ersten Offiziers fest in die ihre, und beide flogen, wie im Tanze verbunden, hinab in das Wasser.

„Er hat alles um sich herum vergessen!“ ließ sich Taina Dan hinter Karil Ram vernehmen und legte ihre warmen Fingerspitzen auf die Augen des Mechanikers. „Muß man vor solcher Schönheit nicht verstummen?“ wandte sich dieser dem Mädchen zu. Bei den jetzt aus dem Hintergrund ertönenden Klängen nahm er Taina in die Arme und begann mit ihr zu tanzen.

Karil und Taina waren die besten Tänzer an Bord des Raumschiffes. Sie allein konnten sich völlig der Melodie und dem Rhythmus hingeben und dabei alles Denken und Fühlen ausschalten. Und Karil bewegten, wenn er in die Welt des Tanzes versetzt war, keine anderen Gefühle als das reine Vergnügen am Einklang der tänzerischen Bewegungen. Der Druck der Mädchenhand, die auf seiner Schulter lag, war fest und dabei doch zart. Ihre grünlichen Augen verdunkelten sich.

„Sie und Ihr Name sind eins“, flüsterte Karil ihr zu. „Ich denke daran, daß das Wort ,Taina‘ in der früheren Sprache etwas Geheimnisvolles, Unbekanntes, Rätselhaftes bedeutete.“

„Das freut mich“, antwortete das Mädchen ernst. „Ich glaubte bisher, daß es Geheimnisse nur noch im Kosmos gäbe, während sie auf unserer Erde ausgestorben seien. Für die Menschen gibt es doch eigentlich nichts Geheimnisvolles und Ungelöstes mehr, alles ist vielmehr einfach, klar und durchsichtig.“

„Und das bedauern Sie?“

„Manchmal. Ich möchte einmal auf einen Menschen treffen, wie er in der damaligen Zeit lebte, einen Menschen, der durch die in seiner Umwelt herrschende Bosheit gezwungen war, Träume und Gefühle, die ihn bewegten, zu verheimlichen; der die Kraft hatte, mit verschlossenem Herzen zu leben.“

„Ach so, ich verstehe! Aber ich möchte zunächst mal gar nicht an die Menschen denken, sondern nur an ihre Welt voller Geheimnisse. Wie kann man es doch in den alten Romanen und Geschichten lesen: überall gab es zu jeder Zeit gespenstige Ruinen, unbekannte Meerestiefen, noch nicht eroberte Berggipfel und — noch weiter zurück in der Vergangenheit — verwunschene, verfluchte oder von geheimnisvollen Mächten beherrschte Gehölze, Quellen, Waldpfade und Häuser.“

„Ja, Karil! Wie schön wäre es, wenn wir in unserem Raumschiff auch geheimnisvolle Winkel und verbotene Gänge hätten.“

„Und sie führen in unbekannte Zimmer, wo versteckt wäre…“

„Was wäre versteckt?“

„Ich weiß es auch nicht“, gestand der Mechaniker und blieb stehen.

Aber Taina ging spielerisch auf seine Gedanken ein. Mit düsterer Miene nahm sie ihn an der Hand, und Karil folgte ihr. Sie verließen den Turnsaal und gelangten in einen matt erleuchteten Seitengang. Die Vibrationszeiger flimmerten eintönig und trübe, als führten die Schiffswände einen ermüdenden Kampf gegen den heranrückenden Schlaf. Das Mädchen machte einige schnelle, geräuschlose Schritte und blieb dann plötzlich stehen. Ein dunkler Schatten wie von unausstehlicher Langeweile huschte so rasch über ihr Gesicht, daß sich Karil nicht dafür hätte verbürgen können, ob es tatsächlich ein Anzeichen für eine seelische Schwächeanwandlung gewesen war. Schmerzhaft durchzuckte ihn ein bisher nicht gekanntes Gefühl. Der Techniker griff wieder nach Tainas Hand.

„Wir wollen in die Bibliothek gehen. Ich habe noch zwei Stunden Zeit bis zur Ablösung, Sie sogar noch länger.“

Widerspruchslos folgte sie ihm in das Bibliothekszimmer.

Die Bibliothek, die zugleich Aufenthaltsraum war, lag, wie bei allen Weltraumschiffen, unmittelbar hinter der Kommandozentrale. Karil und Taina öffneten die hermetisch abschließende Tür des dritten Querkorridors und traten hinaus zur zweiflügeligen ellipsenförmigen Luke des Mittelgangs. Karil war aber kaum auf die bronzene Platte getreten, und die schweren Flügel hatten sich lautlos geöffnet, als die jungen Menschen einen gewaltigen schwingenden Ton vernahmen. Voller Freude drückte Taina die Hand Karils.

„Mut Ang!“

Lautlos glitten beide in den Raum. Gedämpftes Licht schwebte wie eine Rauchwolke unter der mattierten Decke. Zwei Menschen verschwanden fast in den tiefen Sesseln, die, in Nischen versteckt, zwischen den Filmvorführungspfeilern aufgestellt waren. Taina erblickte den Arzt Swet Sim und die vierschrötige Gestalt von Jaß Tin, dem Ingenieur für die Pulsationsanlage, der mit geschlossenen Augen vor sich hin träumte. Zur Linken, unter den glatten Klangmuscheln der akustischen Einrichtung, beugte sich der Kommandant der „Tellur“ selbst über die silbern schimmernde Tastatur des EVK.

Das EVK — das „Elektronische Violinklavier“ — hatte auf der Erde schon seit langem das hart anschlagende temperierte Klavier abgelöst. Es hatte zwar dessen vielstimmige Klangfülle übernommen, ihr aber noch den ganzen Reichtum der Violintöne hinzugefügt. Der Einsatz von Tonverstärkern im geeigneten Augenblick verlieh diesem Instrument eine geradezu erschütternde Ausdruckskraft.

Mut Ang hatte die Eintretenden nicht bemerkt. Er rückte ein wenig nach vorn, hob den Kopf und ließ den Blick über die Rhomben der Dekkentäfelung gleiten. Genau wie beim Klavier von ehedem bestimmten Hände und Finger des Musizierenden auch beim EVK alle Nuancen des Klanges, obwohl die Töne nicht mit Hilfe von Hämmerchen und Saiten, sondern durch äußerst empfindsame Elektronenimpulse hervorgebracht wurden. Harmonisch verflochten flossen in Mut Angs Spiel die Themen dahin, als wollten sie die Einheit von Erde und Kosmos zum Ausdruck bringen. Bald aber teilten sie sich und entfernten sich weit voneinander. Wie tiefe Traurigkeit klang jetzt die Musik, um dann in dumpfe, ferne Donnerschläge überzugehen. Nun kamen diese näher, verstärkten sich und brachen schließlich mit schrillen Disharmonien, wie mit Schreien der Verzweiflung, ab. Plötzlich erstarb der rhythmische Aufmarsch der Noten. Ein mächtiger Akkord, wie der Zusammenprall von Urgewalten, und alles löste sich in einem sich überstürzenden Flusse von Dissonanzen auf und verlief sich in einem unergründlichen dunklen See wie eine bittere Klage über einen unersetzbaren Verlust.

Völlig unerwartet zauberten jetzt die Finger des Kommandanten die klaren und reinen Töne heller Freude aus dem Instrument hervor. Sieghaft vereinigte sich ihre erquickende Melodie mit der leisen Trauer der Begleitakkorde.

Unhörbar betrat Afra Dewi, in einen weißen Arztkittel gehüllt, die Bibliothek. Sofort gab Swet Sim, der Schiffsarzt, dem Kommandanten ein Zeichen. Mut Ang nahm die Hände von den Tasten, erhob sich, und tiefe Stille löste die Gewalt der Töne ab wie eine schnell hereinbrechende Tropennacht die Abenddämmerung.