121913.fb2 Das Herz der Schlange - читать онлайн бесплатно полную версию книги . Страница 4

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Auch der Strahl des Hauptradars der „Tellur“ war jetzt unstet geworden: Bald flammte er auf, bald war er erloschen. Karil Rann gab einige Signale des festgelegten Lichtkodes durch. Abe wie sollte dadurch, daß er hier ab und zu einen Knopf betätigte, auf jenem unbekannten Raumschiff in immer noch riesiger Entfernung irgendeine Reaktion ausgelöst werden können?

Die aus allen Lautsprechern des Schiffes ertönende Stimme Mut Angs ließ seine große Erregung erkennen: „Alles herhören! Ein fremdes Raumschiff bewegt sich auf uns zu. Wir weichen von unserem Kurs ab und führen eine Schnellbremsung durch. Alle Arbeiten sofort einstellen. Plätze wie beim Landungsmanöver einnehmen!“

Man durfte jetzt keine Sekunde verlieren. Wenn das entgegenkommende Raumschiff zur Zeit ungefähr ebensoschnell wie die „Tellur“ flog, dann näherten sich die beiden Raumschiffe einander mit einer Geschwindigkeit von über 1000 Kilometer pro Sekunde. Je Minute kamen sie sich um 60 000 Kilometer näher.

Tei Eron flüsterte Karil, während der Kommandant in das Mikrophon sprach, etwas zu. Der Astronavigator faßte die abgerissenen Worte richtig auf und nahm schnell einige Handgriffe am Radarpult vor.

„Ausgezeichnet!“ stieß der Kommandant begeistert hervor. Auf dem Kontrollschirm verfolgte er den Strahl, der den Kurs des fremden Schiffes sichtbar machte. Erst war es ein gerader Pfeil, dann bog er nach links ab, wölbte sich beinahe zu einem Kreis und ging dann in eine Spirale über.

Es waren nicht mehr als zehn Sekunden vergangen. Auf dem Radarschirm huschte eine glänzende, pfeilförmige Kontur vorüber, tauchte auf der rechten Seite der schwarzen Scheibe wieder auf und trudelte in einer jähen Bewegung nach unten. Ein Seufzer der Erleichterung, der mehr noch einem Stöhnen glich, entrang sich fast gleichzeitig der Brust der drei Menschen in der Kommandozentrale. Jene unbekannten Piloten, die ihnen dort aus der geheimnisvollen Tiefe des kosmischen Raumes entgegenflogen, hatten verstanden. Und es war höchste Zeit!“

Ein beängstigendes Heulen erfüllte den Raum der Zentrale. Nicht mehr der Strahl des fremden Radars, sondern die kompakte Form des Raumschiffes selbst leuchtete jetzt im Hauptschirm auf. Mit einer blitzschnellen Bewegung schaltete Tei Eron die automatische Steuerung aus und gab dem Schiff mit Hilfe der Handsteuerung noch eine kleine Wendung nach links. Sofort verstummte das Brausen, und der Leuchtschirm war wieder einförmig dunkel und trübe wie ehedem. Wie ein Spuk war alles mit einem Schlage verschwunden. Nur auf dem Schirm des Steuerbordradars konnten die drei Männer gerade noch mit Mühe einen dünnen, matten Strich erkennen, der rasch weiterwanderte. Die beiden Raumschiffe entfernten sich wieder voneinander. Sie waren dabei, sich für immer im unermeßlichen Raum aus den Augen zu verlieren.

Oder doch nicht für immer? Nein, nicht für immer! Es werden nur einige Stunden vergehen, und sie werden sich zum zweitenmal begegnen. Und sie werden die günstige Gelegenheit nicht ungenützt verstreichen lassen. Beide Raumschiffe werden ihre Geschwindigkeit abbremsen, Wendungen durchführen und sich unter Benutzung der von den Rechenmaschinen festgelegten Zahlen für Kurs und Geschwindigkeit, wie auf eine geheime Verabredung hin, am Orte des ersten Treffens wiederum nähern.

Abermals tönte die Stimme des Kommandanten aus den Lautsprechern: „Alles herhören! Wir beginnen mit der Schnellbremsung. Bereitschaft zum Bremsmanöver abteilungsweise melden!“

Die grünen Flämmchen, die die Bereitschaft der einzelnen Abteilungen anzeigten, leuchteten eines nach dem anderen auf und standen bald in einer Linie ausgerichtet.

Jetzt schaltete der Kommandant die Bremswerke ein. Die Raumfahrer wurden in ihre Lager gepreßt. Es war, als seien Schiff und Besatzung in Erwartung der kommenden Ereignisse erstarrt. Aber das war nur das Vorspiel des bevorstehenden Bremsmanövers. Der Kommandant überschaute mit einem Blick die ganze Zentrale und schaltete den Roboter ein, dem die weitere Durchführung des Bremsmanövers zufiel. Die Gefährten beobachteten, daß sich Mut Angs Antlitz verdüsterte, als ein letzter prüfender Blick auf die Skala des Arbeitsprogramms des Roboters fiel, und daß er die Hauptklemme auf die Ziffer „8“ umsteckte. Man fühlte in allen Blutgefäßen, wie sehr das Raumschiff seine Fahrt bremste. Die Raumfahrer versanken tief in ihren hydraulischen Sesseln, eine leichte Ohnmacht ließ sie die weiteren Vorgänge zunächst nicht mehr wahrnehmen.

Die gesamte Besatzung der „Tellur“ hatte sich im Bibliotheksraum versammelt. Nur am Elektronenkopplungsgerät war ein Wachhabender zurückgeblieben. Durch dieses wichtige Gerät wurden die Kopplung und das einwandfreie Arbeiten der äußerst komplizierten Elektronenapparatur des Schiffes sichergestellt und überwacht. Die „Tellur“ hatte zwar nach der Bremsung gewendet, sich aber bis dahin schon wieder einige Millionen Kilometer von dem Ort des Treffens mit dem fremden Raumschiff entfernt. Unterdessen liefen alle Rechenmaschinen an Bord auf Hochtouren. Es galt den neuen Kurs festzulegen. Es mußte im unermeßlichen kosmischen Raum ein winziger Ausschnitt und in diesem wiederum ein Pünktchen, kaum mit einem Staubkorn vergleichbar, herausgefunden und bestimmt werden — das fremde Raumschiff. Nur wenn alle Berechnungen richtig waren und jene Unbekannten sich ebenfalls in ihren Berechnungen nicht irrten und ihre Geräte und ihr Schiff gleich vollkommen wären, ja, nur dann würden sich beide Raumschiffe nochmals so nahe kommen können, daß man sich mit Hilfe der unsichtbaren Radarstrahlen gegenseitig finden würde.

Dann würde der Mensch zum erstenmal in seiner Geschichte mit Brüdern zusammentreffen, die ihm in der Stärke ihres Denkens, in der Kraft ihres Willens und in der Begeisterung ihres Strebens ebenbürtig wären. Er würde jene von Angesicht zu Angesicht kennenlernen, deren Existenz schon seit langem vorausgeahnt, bewiesen und durch den Scharfblick menschlichen Geistes bestätigt war. Unvorstellbar weit sind Raum und Zeit, welche die bewohnten Welten voneinander scheiden. Bisher waren sie noch immer unüberbrückbar gewesen. Jetzt aber waren Menschen des Planeten Erde drauf und dran, anderen denkenden Wesen des Kosmos die Hand zum Freundesgruß zu reichen. Die Kette der Gedanken und des Schaffens würde über alle Untiefen und Klüfte endloser Räume hinweg gespannt werden als ein Zeichen des endgültigen Sieges über die elementaren Kräfte der Natur.

Millionen von Jahren waren erforderlich gewesen, um in den trüben und warmen Gewässern am Rande von Meeresbuchten das Protoplasma, jene Schleimklümpchen ersten Lebens auf unserem Planeten, entstehen zu lassen. Weitere Jahrmillionen waren nötig, damit sich aus dem Urschleim kompliziertere und auch auf dem Festland lebensfähige Formen und Arten entwickeln konnten. In völliger Abhängigkeit von den sie umgebenden Naturkräften und in fortwährendem hartem Kampf um das nackte Leben und die Weiterführung der Gattung vergingen noch unzählige Jahrhunderte, bis sich schließlich das Gehirn geformt hatte, fortan die mächtigste Waffe bei der Nahrungssuche und der Führung des Existenzkampfes.

Jetzt verkürzten sich die Zeiträume der Höherentwicklung des Lebens, der Daseinskampf aber wurde immer heftiger und begünstigte die natürliche Auslese. Opfer, Opfer und nochmals Opfer verlangte die Erde ihren Bewohnern ab. Da wurden die grasfressenden Tiere, die sich vor den reißenden Zähnen der Fleischfresser nicht schützen konnten, deren Opfer; da wiederum gab es Raubtiere, die aus Mangel an Nahrung einen elenden Hungertod erlitten; da gingen schwächliche, kranke, gealterte Tiere jämmerlich zugrunde, weil sie nicht stark genug waren, sich zur Wehr zu setzen. Und wie viele mußten im Kampf um das Weibchen, bei der Verteidigung ihrer Jungen oder bei Naturkatastrophen den Tod hinnehmen!

Dieser Zustand hielt über eine große Strecke der Entwicklungsgeschichte des Lebens auf der Erde an, bis schließlich unter den besonders schweren Lebensbedingungen der langen Periode der Eiszeit ein weitläufiger Verwandter des Affen damit begann, die tierisch-instinktmäßige Nahrungssuche durch Anwendung der Vernunft und planvolle Arbeit zu ersetzen. Dann entstand im Laufe der Zeit aus dem Vormenschen der wirkliche Mensch, der nun auch bald die gewaltigen Kräfte der kollektiven Arbeitsleistung und der experimentellen Erfahrung kennenlernte.

Aber immer wieder flossen viele Jahrtausende dahin, die angefüllt waren mit ununterbrochenen Kämpfen und höchsten Anstrengungen, mit Not und Tod, mit Ignoranz und Intoleranz und doch mit der ständigen Hoffnung auf eine schönere, lichtere Zukunft.

Die Nachkommen haben ihre Ahnen nicht enttäuscht: Die erträumte bessere Zukunft wurde endlich zur Wirklichkeit. In der klassenlosen Gesellschaft ist die Menschheit erlöst von Angst und Qual, von Ausbeutung und Unterdrückung. Höchste Gipfel der Wissenschaft und Kunst hat sie erstiegen. Und selbst der schwierigsten Aufgabe hat sie sich gewachsen gezeigt: der Eroberung des Kosmos. So bietet sich rückblickend der ganze lange und steile Weg dar, den die Menschheit unseres Planeten gegangen ist, sich dabei Stückchen um Stückchen unter Qualen und Entbehrungen nach oben durchkämpfend. Alle bisher angesammelte Wissensmacht und die unermeßlichen körperlichen Mühen fanden aber ihre Krönung und ihren verdienten Lohn in der Erfindung des Weltraumschiffes für weite Entfernungen, der „Tellur“. Die besondere Aufgabe dieses Wunders der modernen Technik war es, dem Menschen den Vorstoß in weiteste Fernen der Galaxis zu ermöglichen. Mit Hilfe der „Tellur“ wollte der Mensch die Brücke zu anderen in irgendeiner fernen Ecke des Alls existierenden Wesen schlagen, die nach Zurücklegung eines gewiß nicht weniger mühsamen und langwierigen Weges ihrer Entwicklung gegenwärtig gleichfalls auf einem Gipfelpunkt angelangt sein könnten.

Das waren die Gedanken, welche die Besatzungsmitglieder während der Zeit des Wartens auf ein abermaliges Zusammentreffen mit dem fremden Raumschiff bewegten. Das Bewußtsein, daß ihnen ein Erlebnis bevorstehe, das zu einem Markstein in der Geschichte der Menschheit werden könne und daher der Besatzung der „Tellur“ höchste Verantwortung auferlege, hatte sogar die sonst so übermütige Taina ernst gestimmt. Würden sie, diese Handvoll Vertreter einer nach Milliarden zählenden Menschheit, sich der Heldentaten und Opfer, der Anstrengungen und Mühen, die die Menschen der Erde in ihrer langen Geschichte aufzuweisen hatten, würdig erweisen? Würden sie es in bezug auf körperliche Vollkommenheit, Klugheit und Charakterfestigkeit mit den Abgesandten einer anderen Welt aufnehmen können?

Wie konnte man sich aber am besten auf das bevorstehende große Ereignis vorbereiten? Es gab nur eines: Man mußte sich unaufhörlich den blutigen und großartigen Kampf, den Menschen aller Zeiten um die körperliche und geistige Freiheit geführt hatten, ins Gedächtnis zurückrufen, sich an ihm stärken und durch ihn wachsen!

Eine der wichtigsten, spannendsten und zugleich geheimnisvollsten Fragen war diese: Wie werden jene Unbekannten, die uns jetzt zum zweitenmal entgegenfliegen, aussehen? Ob sie wohl furchtbar und grauenerregend für das menschliche Auge anzuschauen sind oder aber schön und angenehm? Afra Dewi, die Biologin, gab ihren Gedanken hierüber Ausdruck.

Die junge Frau, deren Schönheit unter der Nervenanspannung der letzten Zeit noch gewonnen hatte, hob oft den Blick zu einem über der Tür hängenden Bild empor. Es war in Perspektivfarben ausgeführt und stellte ein Panorama des Mondgebirges in Äquatorialafrika dar. Per Kontrast zwischen den düsteren bewaldeten Höhen und den lichtüberfluteten felsigen Gebirgskämmen war außerordentlich eindrucksvoll und kam Afra wie eine Parallele zu ihren Gedanken vor, die ebenfalls licht und hoffnungsvoll, dach von banger Ungewißheit überschattet waren.

Afra legte dar, daß sich die Menschheit schon seit langem von der früher sehr verbreiteten Auffassung losgesagt habe, wonach denkende Wesen von beliebigem Aussehen und von ganz verschiedenartigem Körperbau sein könnten. In einer Art von religiösem Aberglauben befangen, hätten eine Zeitlang selbst ernsthafte Wissenschaftler ohne weitere Überlegung die Ansicht vertreten, daß sich ein die Denktätigkeit ausübendes Hirn in einem irgendwie gestalteten Körper entwickeln könne. In Wirklichkeit hat sich jedoch die Gestalt des Menschen als des einzigen Wesens auf der Erde, das ein Gehirn mit Denkvermögen besitzt, nicht zufällig so entwickelt. Sie hängt vielmehr zusammen mit der überaus vielseitigen Tätigkeit eines solchen Lebewesens, dem Erfordernis der besten Gewichtsverteilung im Hinblick auf die große Last des Hirns und schließlich der außerordentlichen Aktivität des Nervensystems.

Unser Begriff von der menschlichen Schönheit und der Schönheit überhaupt hat sich aus einer tausendjährigen Erfahrung herausgebildet. Er gründet sich auf die unbewußte Wahrnehmung der konstruktiven Zweckmäßigkeit und der Tauglichkeit für diese oder jene Tätigkeit. Nur so ist es zu erklären, daß wir zum Beispiel auch gewaltige Maschinen, die Wellen des Meeres, Bäume, edle Pferde usw. als schön empfinden, obwohl dies alles nichts mit der menschlichen Gestalt zu tun hat. Dem Menschen selbst ist es dank der Entwicklung des Gehirns bereits im Übergangszustand vom Tier zum Menschen möglich gewesen, die Notwendigkeit einer einschränkenden Spezialisierung von sich abzuschütteln und sich von der Anpassung an nur eine Lebensform, wie sie für die überwiegende Mehrzahl der Lebewesen charakteristisch ist, zu lösen.

Die menschliche Hand zum Beispiel ist ein Organ, wie es sich vielseitiger nicht denken läßt. Sie kann Millionen verschiedene Tätigkeiten verrichten. Eigentlich ist sie es gewesen, die aus dem Tier der Vorzeit den Menschen gemacht hat.

Der Mensch formte sich bereits in frühen Stadien seiner Entwicklung zu einem umfassenden Organismus, der es ausgezeichnet versteht, sich den jeweiligen Lebensbedingungen seiner Umwelt anzupassen. Mit dem weiteren Übergang zum Leben in der Gemeinschaft nahm die Vielseitigkeit des menschlichen Organismus noch zu, damit wuchs aber gleichzeitig die Einsatzfähigkeit des Menschen. Die Schönheit des Menschen beruht darauf, daß er aus dem Kreis der nur unter dem Gesichtspunkt des zweckmäßigen Körperbaues gestalteten Lebewesen heraustritt. Seine Vollkommenheit, seine Universalität, seine gesteigerte und geschärfte Geistestätigkeit sowie seine geistige Erziehung erheben ihn hoch über jegliche Kreatur und verleihen ihm den Glanz echter Schönheit.

Denkende Wesen aus einer anderen Welt, die es geschafft haben, den Kosmos zu bezwingen, werden ebenso vollkommen in der Gestalt, vielseitig in der Bildung und von großer Klugheit sein und damit alle Voraussetzungen des Begriffs Schönheit erfüllen.

„Es ist ganz unwahrscheinlich, daß vernunftbegabte Wesen die Gestalt von Ungeheuern, Pilzen und dergleichen haben oder vielbeinig oder vielarmig sein können. Wie sie in Wirklichkeit aussehen, weiß bisher noch niemand. Aber ich bin fest überzeugt, daß die Fremden angenehm anzuschauen sein werden. Dabei ist es ja völlig gleichgültig, ob ihre Schönheit in der uns Erdmenschen geläufigen Form und Gestalt oder in anderer Weise zum Ausdruck kommt!“ schloß Afra Dewi ihre Ausführungen.

„Diese Theorie gefällt mir zwar“, stimmte Tei Eron der Biologin zu, „aber…“

„Ich weiß schon, worauf Sie hinauswollen“, fiel ihm Afra ins Wort. „Schon unbedeutende Abweichungen vom Normalen lassen bei uns den Eindruck des Häßlichen entstehen. In diesem Fall ist die Wahrscheinlichkeit solcher Abweichungen natürlich besonders groß. Völlig belanglose Veränderungen der üblichen Form, wie beispielsweise Mängel an Nase, Augenlidern, Lippen und so weiter im menschlichen Antlitz, etwa durch Verletzungen hervorgerufen, empfinden wir bereits als häßlich und abstoßend. Das beruht darauf, daß hier die in vollendeter Weise zum Ausdruck gelangende Zweckdienlichkeit bei uns den Eindruck der Schönheit auslöst, während wir bei einem durch Wunden oder Narben entstellten menschlichen Antlitz unbewußt das Gefühl einer gestörten Harmonie haben.“

„Mit anderen Worten, je unähnlicher andere Lebewesen dem Menschen sind, um so weniger empfinden wir sie als häßlich? Wie wäre es dann, wenn die Fremden uns zwar äußerlich ähneln, aber Hörner trügen und Rüssel hätten?“ gab sich Tei Eron noch immer nicht geschlagen.

„Ein denkendes Wesen braucht keine Hörner und wird deshalb auch keine haben. Die Nase kann allerdings etwas in die Länge gezogen sein und dadurch eine gewisse Ähnlichkeit mit einem Rüssel haben — obwohl ein Rüssel beim Vorhandensein von Händen, ohne welche ein vernünftiges Wesen nicht denkbar ist, ebenfalls überflüssig ist. Das wäre dann ein Sonderfall, der zwar theoretisch möglich, aber durchaus nicht wahrscheinlich ist, weil der Körperbau eines über Denkvermögen verfügenden Wesens eine so ,unnatürlich‘ lange Nase nicht erfordert. Alles, was sich im Laufe einer langen Entwicklung gestaltet hat, geht auf eine natürliche Auslese zurück. Damit aber unterliegt es einer bestimmten Gesetzmäßigkeit, die stets dem Mittel aus einer Vielzahl von möglichen Abweichungen entspricht. Auch hierbei bildet sich wiederum aus der größtmöglichen Zweckdienlichkeit der Begriff der höchsten Schönheit heraus. Ich bin sicher, in jenem Raumschiff, das sich jetzt uns wieder nähert, werden sich keine Ungetüme mit Hörnern und Rüsseln befinden, nein, bestimmt nicht! Nur die niederen Lebensformen sind vielgestaltet, je höher die Entwicklungsstufe, um so ähnlicher werden sich ihre Vertreter!“

„Sie haben mich überzeugt!“ stimmte Tei Eron der Biologin zu und blickte sich, nicht ohne Stolz auf die Freundin, in der Runde um.

Unerwartet schaltete sich Karil Ram in das Gespräch ein und brachte, etwas unsicher, einen Einwand vor. Er meinte, daß die fremden Wesen, selbst wenn sie äußerlich, in der Gestalt des Körpers, uns Erdmenschen glichen, doch in ihrer Denkweise und in ihren Vorstellungen von der Welt und dem Leben unendlich verschieden von uns sein und dadurch zu erbitterten und furchtbaren Feinden für uns werden könnten.

Da trat Mut Ang als Verteidiger der Biologin auf den Plan.

„Ich habe erst vor kurzem eingehend hierüber nachgedacht“, sagte der Kommandant. „Ich bin dabei zu der Überzeugung gelangt, daß es auf der höchsten Entwicklungsstufe zwischen denkenden Wesen keine grundsätzlichen Mißverständnisse und Mißhelligkeiten geben kann. Das Denken und der Verstand des Menschen spiegeln die Gesetze der logischen Entwicklung der ihn umgebenden Welt, ja des ganzen Kosmos wider. In diesem Sinne ist der Mensch selbst ein Mikrokosmos. Seine Denkweise folgt den Gesetzen des Weltalls, die überall einheitlich sind. Jeder Gedanke, wo immer er in Erscheinung treten mag, ist unumgänglich auf die Gesetze der mathematischen und der dialektischen Logik zurückzuführen. Eine ,andere‘, jener ganz unähnliche Denkweise ist nicht möglich, weil es keine denkenden Wesen außerhalb der Gesellschaft und der Natur geben kann.“

Begeisterte Zurufe ließen erkennen, wie sehr der Kommandant seinen Gefährten aus dem Herzen gesprochen hatte.

„Sind Sie nicht zu freigebig mit Ihrem Beifall?“ fragte Mut Ang, und der Ton seiner Stimme ließ eine leichte Mißbilligung erkennen.

„Nein“, entgegnete Afra Dewi kühn, „eine Gedankenübereinstimmung in so schwierigen Fragen bei einer Reihe Menschen wird immer Freude und Begeisterung auslösen; denn in ihr ist die Gewähr enthalten, daß die eigenen Überlegungen richtig sind. Darüber hinaus vermittelt sie das schöne Gefühl, nicht allein zu stehen, sondern kameradschaftliche Unterstützung zu finden. Ganz besonders trifft das zu, wenn man sich von verschiedenen Seiten her einem wichtigen wissenschaftlichen Fragenkomplex nähert.“

„Sie meinen wohl die Biologie und die Gesellschaftswissenschaften?“ fragte Jaß Tin, der bisher geschwiegen hatte. Er hatte es sich auf seinem Lieblingsplatz in der Ecke des Diwans bequem gemacht.

„Ja. Es ist, wenn man sich einmal etwas näher mit der Geschichte der gesellschaftlichen Entwicklung der Menschheit befaßt, erhebend und zugleich ergreifend, zu sehen, wie mit dem kulturellen Anstieg und der Erweiterung des Wissens die Bereitschaft der Völker, sich gegenseitig verstehen zu lernen und sich untereinander zu helfen, unaufhörlich wuchs. Je höher sich die Kultur entwickelte, um so leichter fanden sich die Völker und Rassen innerhalb einer klassenlosen Gesellschaft zusammen und fühlten sich bald in der Freundschaft aller geborgen; um so heller und verheißungsvoller wurde der Glanz, den die hohen und allen gemeinsamen Ziele auf die Menschen auszustrahlen begannen: die Errichtung einer vernünftigen und für alle glücklichen Lebensordnung und das Zusammenwachsen zunächst einiger, mit der Zeit aber aller Völker des Erdballs zu einer Ganzheit als einer unabdingbaren Voraussetzung für das Wohlergehen der gesamten Menschheit. Bei der hohen Entwicklungsstufe, welche die Erde inzwischen erreicht hat und auf der zweifellos auch jene stehen, die von einem anderen Planeten aus bis hierher vorgestoßen sind…“ Afra verstummte, ohne den Satz zu Ende zu führen.

„Es ist schon so“, stimmte Mut Ang zu. „Die Vertreter zweier verschiedener Planeten, die sich beide den Kosmos erschlossen haben, werden bestimmt leichter zu einem gegenseitigen Einvernehmen gelangen können als die Angehörigen zweier unterentwickelter Völker ein und desselben Planeten!“

„Wie steht es aber mit der Unvermeidbarkeit von kriegerischen Auseinandersetzungen im Kosmos, wovon unsere Vorfahren trotz ihres schon ziemlich hohen Kulturniveaus doch fest überzeugt waren?“ fragte Karil Ram.

„Wo ist dehn das berühmte Buch, dessen Lektüre Sie uns kürzlich versprochen haben?“ wandte sich Tei Eron ebenfalls an den Kommandanten. „Handelte es sich dabei nicht um zwei Weltraumschiffe, die sich bei ihrer ersten Begegnung gegenseitig vernichten wollten?“

Mut Ang ging, legte den Buchfilm in die Lesemaschine ein und ließ sie anlaufen.

Die Erzählung, die von einem alten amerikanischen Autor stammte und den Titel „Der erste Kontakt“ trug, beschrieb in dramatischer Weise die Begegnung eines Raumschiffes der Erde mit einem fremden Raumschiff. Sie erfolgte im Raume des von der Erde aus im Sternbild des Stiers sichtbaren Crabnebels, über 1000 Parsec von der Sonne entfernt. Der Kommandant des Erdschiffes erteilte den Befehl, alle Vorbereitungen dafür zu treffen, daß sämtliche Sternkarten, Beobachtungsgeräte und Kursberechnungsunterlagen erforderlichenfalls augenblicklich vernichtet werden könnten. Ferner ließ er die eigentlich zum Abschuß von Meteoriten bestimmten Geschütze „klar zum Gefecht“ machen. Sodann begannen die Erdmenschen, sich mit einem besonders schwer wiegenden Problem zu beschäftigen: Durften sie sich überhaupt mit den fremden Raumfahrern in Verhandlungen einlassen, oder war es nicht vielmehr ihre Pflicht, das unbekannte Raumschiff unverzüglich anzugreifen und zu vernichten? Die starke Beunruhigung der Erdmenschen hatte ihren Grund in der Sorge, die fremden Wesen wollten die Flugroute des Raumschiffes auskundschaften, um dann eines Tages als Eroberer auf der Erde zu erscheinen.

Die Besatzung des Erdschiffes übernahm die kriegerischen Vorstellungen ihres Kommandanten als eine Wahrheit, an der nicht zu rütteln sei. Das Zusammentreffen von Vertretern zweier unabhängig voneinander entstandenen Zivilisationen mußte nach der Ansicht des Kommandanten unweigerlich zur Unterwerfung der schwächeren und zum Siege der an Waffengewalt stärkeren führen. Nach der Auffassung des Autors waren für den Fall einer Begegnung im Kosmos überhaupt nur zwei Möglichkeiten in Betracht zu ziehen: Entweder man kam zu einem Handelsabkommen, oder es gab Krieg und Vernichtung.

Bald wurde klar, daß die Fremden den Menschen der Erde sehr ähnlich waren. Allerdings vermochten sie nur bei infrarotem Licht zu sehen, und sie führten ihre Gespräche mittels Radiowellen. Es gelang den Erdmenschen jedoch, die Sprache der Fremden zu enträtseln und ihre Gedankengänge zu erkennen. Es zeigte sich, daß der Kommandant des fremden Raumschiffes sogar einige, allerdings recht dürftige gesellschaftswissenschaftliche Kenntnisse hatte, die denen der Erdmenschen entsprachen. Er machte sich ebenfalls Gedanken darüber, wie er aus der ihm sichtlich unangenehmen Situation mit dem Leben und ohne das Erdraumschiff zu vernichten herauskommen könne.

Das lang ersehnte gewaltige Ereignis, das erste Treffen der Vertreter verschiedener Planeten, drohte zu einem furchtbaren Unheil zu werden. Die Raumschiffe verharrten bewegungslos wie zwei feindliche Brüder im unendlichen kosmischen Raum, etwa 700 Meilen voneinander entfernt. Die Raumfahrer führten mehr als zwei Wochen lang über einen Roboter, der wie ein Boot in Kugelform im Räume schwebte, Gespräche miteinander. Beide Kommandanten versicherten sich immer wieder gegenseitig ihre Friedfertigkeit, schienen jedoch selbst nicht daran zu glauben, denn beim nächsten Gespräch ließen sie wieder durchblicken, daß man ja doch niemandem trauen könne. Die Lage wäre hoffnungslos gewesen, wenn nicht der Held der Erzählung, ein junger Astrophysiker, gewesen wäre. Er versteckte einige Bomben von starker Explosivkraft unter seiner Kleidung und erschien eines Tages zusammen mit seinem Kommandanten als Gast auf dem fremden Raumschiff. Dort stellten die Vertreter der Erde kurzerhand ein Ultimatum: Die Schiffe sollten gewechselt werden. Ein Teil der Besatzung des schwarzen Raumschiffes sollte sich an Bord des Erdschiffes begeben, und ein Teil der Erdenbürger sollte auf das fremde Raumschiff übernommen werden. Als erstes aber sollten alle Kanonen, die zur Meteoritenvernichtung bestimmt waren, unschädlich gemacht werden. Schließlich sollten die ausgetauschten Raumfahrer mit der Führung des ihnen unbekannten Schiffes vertraut gemacht werden. Auch sollten sie ihr gesamtes Gepäck mit an Bord des neuen Schiffes nehmen können. Die beiden Helden mit den Bomben sollten aber vorläufig auf dem fremden Raumschiff bleiben, damit sie es im Falle von Verrat sofort in die Luft sprengen könnten. Der Kommandant des fremden Raumschiffes nahm dieses Ultimatum an. Der Austausch der Schiffe ging reibungslos vonstatten. Bald entfernten sich das schwarze Raumschiff mit den Erdmenschen und das Erdschiff mit den Fremden an Bord vom Orte ihrer Begegnung. Im trüben Scheine des Gasnebels verloren sie sich schnell aus den Augen.

Als man im Vorlesen des primitiven Geisteswerkes des alten amerikanischen Schriftstellers bis hierher gekommen war, begann ein Gewirr aufgeregter Stimmen den Bibliotheksraum anzufüllen. Schon vorher hatte wiederholt dieser oder jener der jugendlichen Raumfahrer zu erkennen gegeben, daß er diese Art der Darstellung eines ersten Treffens im Kosmos ablehnte. Jetzt brachten sie es nicht länger fertig, sich zu beherrschen, und trotz der Unhöflichkeit, die in ihrem Verhalten erblickt werden konnte, äußerten sie laut ihren Unmut. Alle wandten sich an den Kommandanten, als sei er für das altertümliche Machwerk, das er lediglich der Vergessenheit entrissen hatte, persönlich verantwortlich.