121913.fb2 Das Herz der Schlange - читать онлайн бесплатно полную версию книги . Страница 8

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Fleiß und Arbeit von Tausenden und aber Tausenden von Generationen hatten die Menschen des Fluorplaneten über sich selbst hinauswachsen lassen, hatten jedem Stückchen ihres Planeten den Stempel ihres ständigen Schaffens aufgedrückt. Das Leben hatte den Sieg errungen über die Naturkräfte der wilden Flüsse und über die Elemente der Luft, über eine Atmosphäre, die der überaus starken, gefährlichen Strahlung des blauen Sterns und gewaltigen elektrischen Entladungen ausgesetzt war. Die Menschen der Erde schauten und schauten und konnten nicht einen Augenblick lang die Augen abwenden, so faszinierend war für sie alles, was sie sahen und gleichsam miterlebten, als sei es Wirklichkeit. Aber in die so eigenartige, fremde Welt des fernen Fluorplaneten drängte sich, ihnen selbst kaum bewußt, die Erinnerung an den eigenen Planeten, dem sie entstammten. Und während die Augen die Fremdheit einer unendlichen fernen Welt verfolgten, zog vor ihrem geistigen Blick die eigene Welt an ihnen vorüber. Hier fiel ihr Blick auf weite Flächen friedlich daliegender Felder, untermischt mit bodenfeuchten Wäldern, dort auf kahle Bergkuppen und gezackte Felsen mit viel Geröll und dürftiger Vegetation und wieder an anderer Stelle auf die heiteren, von strahlendem Sonnenschein übergossenen Gestade herrlicher Meere mit klarblauem, bis zum Grund durchsichtigem Wasser. Und sie erkannten die klimatisch so ganz verschiedenen Zonen der Erde: die kalten polaren, die gemäßigten und die heißen tropischen Gebiete. Wie eigenartig schön waren auch die weiten Steppengegenden, die im Glast des auf ihnen liegenden Sonnenscheins silbrig schimmerten und flimmerten und über denen entweder fächelnde Winde ihr heiter-anmutiges Spiel trieben oder brausende Stürme, den wilden Jägern gleich, dahinzogen. Umfangreiche, altehrwürdige Wälder von dunklen Tannen und Zedern wechselten mit freundlichen Wäldchen weißer Birken und mit südländischen Hainen schlanker Palmen und gigantischer, immergrüner Eukalypten. Düstere, neblige Küsten und Fjorde des Nordens mit moosbedeckten Uferfelsen wurden abgelöst von dem blendenden Weiß der Korallenriffe in blauleuchtenden südlichen Meeren. Majestätisch erhaben war die kalte Pracht ewig schneebedeckter Berggipfel — hin und her wogten zarte Schleier heißer Luft über weitausgedehnten Wüstengebieten und zauberten trügerische Spukbilder hervor. Und wie verschiedenartig waren die Flußläufe: Da gab es breit und wuchtig in gemächlichem Tempo dahinflutende Ströme — und andererseits wild und ungestüm, wie eine Herde ungezähmter Pferde, mit Schaum und Gischt über die großen Geröllblöcke ihres Flußbettes dahintosende Gebirgsbäche und — flüsse. Wie schön und abwechslungsreich war das alles: die Farbenpracht, die Mannigfaltigkeit der Blumen, das herrliche Blau des Himmels, der sich wie ein Dom über die Erde spannte, mit seinen Wolken und Wölkchen wie zierlichen weißen Vögeln, das sommerliche Leuchten der Landschaft im gleißenden Sonnenlicht, aber auch das besinnliche, zum Nachdenken anregende Dunkel trüber, regnerischer Herbsttage, und schließlich der ewig sich wiederholende und doch von innerlich veranlagten Menschen jedesmal wieder tief empfundene Wechsel der Jahreszeiten. Über all diesem Reichtum der Natur aber erhob sich der Mensch mit seiner noch weit größeren Vielseitigkeit, seiner Schönheit, seinem Tun und Trachten, seinen Träumereien und Überlieferungen, seinem Kummer und seiner Freude, seinen Liedern und seinen Tänzen, seinen Tränen und seiner Sehnsucht…

Welche Macht durchdachter Arbeit, welche zweckmäßige Schönheit, welche Erfindungsgabe und welcher Kunstsinn zeigte sich bei den Bauwerken, den großen Fabrikanlagen, den Maschinen, den Schiffen auf unserer Erde!

Sollten etwa die Fremden mit ihren übergroßen schrägen Augen einen viel größeren Formenund Farbenreichtum auf ihrem eigenen Planeten aufnehmen können, als es die Erdmenschen unter dem Eindruck des kalten Blaulichts vermochten? Sollten sie in der Umgestaltung ihrer so eintönig wirkenden Landschaft in Wirklichkeit weitergehende Fortschritte erzielt haben als die Kinder der Erde auf ihrem Planeten? Diese Fragen stellten sich die Raumfahrer unwillkürlich, nachdem sie sich bewußt geworden waren, wie schön ihnen ihr eigner Planet im Vergleich zu dem fremden vorkam. Und eine Vermutung tauchte auf: Waren die Lebensbedingungen für sie als Geschöpfe eines Sauerstoffplaneten bisher nicht hunderttausendmal günstiger gewesen als für Wesen von Planeten mit anders zusammengesetzter Atmosphäre? Würde das nicht auch in Zukunft so bleiben, und wären nicht ebenfalls die Aussichten, Menschen von anderen Sternen, Brüdern und Schwestern aus fernen Gebieten des Alls, ausfindig zu machen, ungleich günstiger? Wie aber sah dies bei den Fremden aus? Waren sie nicht Geschöpfe des seltenen Fluors mit Fluoreiweiß und Fluorknochen? Enthielt ihr Blut nicht blaue, mit Fluor durchsetzte Blutkörperchen, so wie das der Erdmenschen rote, den Sauerstoff bindende Blutkörperchen enthielt?

Sicherlich lebten diese Menschen eng zusammengedrängt auf ihrem Planeten. Man ging wohl nicht fehl in der Annahme, daß sie schon seit langem den Kosmos nach ihresgleichen oder wenigstens nach einem Planeten mit einer der ihren entsprechenden Fluoratmosphäre durchforschten. Wie aber sollten sie bei der Seltenheit solcher Planeten Erfolg haben, und wie sollten sie über Entfernungen von vielleicht Tausenden von Lichtjahren hinweg diese Planeten erreichen können? Wie verständlich war da ihre Verzweiflung, die große Enttäuschung, die sich ihrer bemächtigt hatte, als sie den Sauerstoffmenschen, wahrscheinlich nicht zum erstenmal, begegnet waren.

Im Durchgang der Fremden wurden die Landschaftsbilder durch eine Schau kolossaler Bauten abgelöst. Die Wände standen nicht lotrecht, sondern zeigten alle eine Neigung nach innen. Rechte Winkel und waagerechte Flächen fehlten völlig. Überall herrschten gekrümmte Formen vor. Der Übergang von der Vertikalen zur Horizontalen ging fließend in schraubenoder spiralförmigen Windungen und Drehungen vor sich. Weit im Hintergrund gähnte eine dunkle Öffnung in der Form eines zusammengedrückten Ovals. Als es näher heranrückte und größer wurde, erkannte man, daß der untere Teil des Ovals einen spiralig gewundenen Gang, darstellte, der nach oben führte und in einen dunklen, breiten Eingang mündete. Die riesige Pforte gehörte zu einem Gebäude von den Ausmaßen einer ganzen Stadt, über dem Eingang waren große blaue Zeichen mit roter Umrahmung zu sehen, die von weitem an Wellengang erinnerten. Der Eingang wurde immer größer. Jetzt konnte man weit in das Gebäude hineinsehen. Im Hintergrund erkannte man einen riesengroßen, nur schwach beleuchteten Saal. Seine Wände strahlten ein starkes Leuchten wie von fluoreszierendem Flußspat aus.

Plötzlich und völlig unerwartet war das Bild verschwunden. Die Raumfahrer, die sich schon darauf eingestellt hatten, etwas ganz besonders Erstaunliches und Interessantes zu Gesicht zu bekommen, waren höchst betroffen. Im Durchgang jenseits der durchsichtigen Wand flammte das übliche hellblaue Licht auf. Fremde Raumfahrer tauchten auf. Ihre Bewegungen verrieten eine gewisse Hast.

In diesem Augenblick erschien auf dem Bildschirm der „Tellur“ eine fortlaufende Reihe von Bildern. Sie zogen in einem so schnellen Tempo an den Augen der erstaunten Besatzungsmitglieder der „Tellur“ vorüber, daß sie ihnen kaum folgen konnten. Man sah, wie in der Nacht des Kosmos ein ebensolches blendendweißes Raumschiff, wie es jetzt Seite an Seite mit der „Tellur“ lag, dahinraste. Deutlich war zu erkennen, wie der Ring in der Schiffsmitte wirbelte, funkelte und nach allen Seiten leuchtende Strahlen ausschickte. Plötzlich stellte der Ring die Rotation ein, und das Raumschiff blieb im unendlichen Raum bewegungslos hängen. Das war nicht allzuweit von einem winzigen hellblauen Zwergstern entfernt. Aus dem zum Stillstand gekommenen Raumschiff drangen suchende Strahlen in die kosmische Finsternis. Ihre feinen Striche schwirrten auf dem Bildschirm unablässig hin und her. Jetzt wurde in der linken unteren Ecke des Bildschirms ein zweites Raumschiff sichtbar. Es währte nicht lange, und die unsteten Strahlen hatten es erfaßt und hefteten sich an ihm fest. Jetzt wurde deutlich, daß das zweite Raumschiff Bord an Bord mit einem Erdraumschiff im Raume hing. Die Raumfahrer erkannten sofort ihre „Tellur“.

Mut Ang seufzte so laut, daß seine Gefährten einen stummen fragenden Blick nach ihm warfen.

„Ja, sie werden bald von uns scheiden. Irgendwo in der Ferne ist ein zweites Raumschiff von ihnen unterwegs. Sie sind in der Lage, mit diesem Verbindung aufzunehmen, obwohl ich mir bei der unermeßlichen Entfernung, die zwischen den beiden Schiffen liegt, nicht vorstellen kann, wie so etwas möglich ist. Und jetzt hat das zweite Raumschiff einen Schaden erlitten, und sein Hilferuf hat unsere Fremden, oder besser unsere Freunde, erreicht!“

„Vielleicht ist es auch gar kein Schaden, sondern es hat eine wichtige Entdeckung gemacht?“ fragte Taina leise.

„Das kann natürlich sein. Wie dem auch sei, sie werden uns binnen kurzem verlassen. Höchste Eile ist deshalb geboten. Wir müssen versuchen, möglichst viel aufzunehmen und schriftlich festzuhalten. Vor allem Karten über ihren Kurs und Mitteilungen über etwaige Begegnungen mit anderen Raumschiffen, die sie schon gehabt haben, sind für uns wichtig. Ich zweifle nicht daran, daß sie schon früher mit Sauerstoffmenschen zusammengekommen sind.“

Bei den Verhandlungen, die sofort mit den Fremden aufgenommen wurden, ergab sich, daß diese noch 24 Erdstunden verweilen konnten.

Die Erdmenschen arbeiteten fieberhaft und standen in ihrer Ausdauer den grauhäutigen Bewohnern des Fluorplaneten durchaus nicht nach.

Man stellte gegenseitig Aufnahmen und Filme von kleinen Lehrbüchern mit Bildern und Wörtern her und nahm die Töne der fremden Sprache auf Tonbändern auf. Mineralsammlungen sowie Flüssigkeitsund Gasproben wurden in säurebeständigen und gasdichten durchsichtigen Behältnissen ausgetauscht. Die Chemiker beider Planeten machten alle Anstrengungen, die Bedeutung der Symbole verstehen zu lernen, die die Zusammensetzung der organischen und anorganischen Stoffe ausdrückten. Vor Afra, die ganz bleich vor Überanstrengung war, häuften sich die Diagramme von physiologischen Vorgängen, Vererbungsschemata und — formeln, Darstellungen der embryonalen Entwicklungsstadien des Organismus der Bewohner des Fluorplaneten. Die endlosen Molekülreihen der Fluoreiweißstoffe wiesen eine überraschende Ähnlichkeit mit den Eiweißen der Erde auf.

Zwanzig Stunden waren bei angestrengtester Arbeit wie im Fluge vergangen. Tei und Karil tauchten im Durchgang auf, sie konnten sich vor Müdigkeit kaum mehr auf den Beinen halten. Sie brachten Bänder von Sternund Himmelskarten, die die vollständige Flugstrecke der „Tellur“ von der Sonne bis zum Begegnungsort in allen Einzelheiten wiedergaben. Die Fremden legten jetzt noch größere Eile als vorher an den Tag. Auf photomagnetischen Bändern der irdischen Erinnerungsmaschinen wurden die Stellung unbekannter Gestirne, ihre in rätselhaften Zeichen angegebenen Entfernungen voneinander, mannigfache astronomische Daten sowie die Flugrouten der beiden weißen Raumschiffe, die in verwickelten Zickzacklinien verliefen, festgehalten. All das würde später, wenn es an die Auswertung der Ergebnisse der kosmischen Reise der „Tellur“ gehen würde, sehr nötig gebraucht und mit Hilfe von vorher aufzustellenden Erläuterungstabellen entschlüsselt werden.

Schließlich konnten die Leute der „Tellur“ trotz ihrer Erschöpfung freudige Ausrufe der Begeisterung nicht unterdrücken: Auf ihrem Bildschirm erschienen, von der anderen Seite des Durchgangs aus projiziert, erst um einen, dann um einen zweiten, dritten, vierten, fünften Stern herum kreisund ellipsenförmige Bahnen, auf denen sich Planeten um ihren Himmelskörper bewegten.

Das Bild eines plumpen, dickbauchigen Raumschiffes wurde verdrängt durch die Darstellung eines ganzen Schwarmes von eleganten, schnittigen Schiffen. Auf ovalen Plattformen, die aus dem Schiffskörper ausgefahren waren, standen Wesen in Schutzanzügen, zweifellos Menschen. Das Sinnbild für ein Atom mit acht Elektronen — Sauerstoff — war gleichsam die Krönung der Bilderreihe über die Planeten und Schiffe, aber die auf dem Schema dargestellten Raumschiffe verbanden sich nur mit zweien von den skizzierten Planeten. Der eine von diesen befand sich in der Nähe der großen rötlichgelben Sonne, der zweite kreiste um einen hellen Stern von der Spektralklasse F. Anscheinend hatte das Leben auf den Planeten dreier weiterer Sauerstoffsterne noch nicht die hohe Entwicklungsstufe erreicht, welche die Voraussetzung für den Austritt der Bewohner eines Planeten in den Kosmos bildet, oder aber es war den denkenden Wesen bisher nicht gelungen, dort in Erscheinung zu treten.

Eine Erklärung hierüber von den Fremden zu bekommen gelang nicht. Aber in den Händen der Erdmenschen befanden sich ja die unschätzbar wertvollen Nachrichten über die Wege, die zu diesen bewohnten Welten führten, die viele hundert Parsec vom Ort der Begegnung der beiden Raumschiffe entfernt waren.

Die Stunde des Abschieds war gekommen.

Die Besatzungen beider Raumschiffe nahmen an der durchsichtigen Wand Aufstellung: die weißhäutigen Menschen der Erde und die grauhäutigen Menschen des Fluorplaneten. Sie tauschten herzliche, mit Zeichen der Abschiedstrauer untermischte Gesten aus und lächelten sich gegenseitig an.

Eine bis dahin nie gekannte heftige Trauer überkam die Leute der „Tellur“. Nicht einmal der Abflug von der Erde, der Abschied von alledem, wohin sie erst nach sieben Jahrhunderten zurückkehren würden, war ihnen so nahegegangen und ihnen als ein so schmerzhafter, unersetzlicher Verlust erschienen. Aber es blieb ihnen nichts anderes übrig, sie mußten sich damit abfinden, daß es nur noch wenige Minuten dauern würde, und diese schönen, eigenartigen und guten Menschen würden für immer im unendlichen Kosmos untertauchen auf der einsamen und nahezu aussichtslosen Suche nach einer neuen, ihrer Konstitution entsprechenden Heimat.

Vielleicht verstanden die Raumfahrer erst in diesem Augenblick mit letzter Klarheit, daß das Wichtigste bei allem Suchen und Forschen, allem Streben, allen Träumen und Kämpfen der Mensch ist. Für jede beliebige Zivilisation, jeden Stern, unsere ganze Galaxis und sogar das gesamte unendliche Weltall ist der Mensch der ausschlaggebende Faktor, der Mensch mit seinem Verstand, seinen Gefühlen, seiner Kraft, seiner Schönheit, seinem Leben!

Im Glück, in der Erhaltung und der Weiterentwicklung des Menschen liegt die Hauptaufgabe einer unbegrenzten Zukunft nach dem endgültigen Sieg über das Herz der Schlange, nach einer Zeit sinnloser, törichter und boshafter Verschwendung wertvoller Lebensenergie in schlecht und gewissenlos organisierten Gesellschaftsformen.

Der Kommandant der Fremden gab ein Zeichen. Sogleich stürzte das junge Weib, das damals die Schönheit der Bewohner des Fluorplaneten demonstriert hatte, zu der Stelle hin, an der Afra stand. Weit die Arme ausbreitend, schmiegte es sich ganz dicht an die Zwischenwand. Afra, der die Tränen über die Wangen liefen, ohne daß sie es gewahr wurde, preßte sich an die kristallklare Trennwand wie ein gefangenes Vögelchen, das gegen die Scheiben seines Käfigs anfliegt. Aber das Licht bei den Fremden erlosch nun, und schwarz gähnte hinter der finster gewordenen Scheibe ein endloser Abgrund.

Mut Ang ließ die Erdbeleuchtung einschalten, aber die andere Hälfte des Durchganges war bereits leer.

„Außengruppe Schutzanzüge anlegen zur Trennung der Durchgänge!“ unterbrach Mut Ang gebieterisch das wehmütige Schweigen. „Die Mechaniker an die Motoren, der Astrosteuermann in die Kommandozentrale! Alles zum Abflug fertigmachen!“ Die Raumfahrer entfernten sich aus dem Durchgang. Alle Geräte wurden weggebracht. Nur Afra verharrte, im trüben Schein des aus der Bordluke herausdringenden Lichts stehend, in völliger Bewegungslosigkeit, wie in der eisigen Kälte des interstellaren Raumes erstarrt.

„Afra, wir schließen die Luke!“ rief ihr Tei Eron aus dem Innern des Schiffes zu. „Sie können doch nach ihrem Abflug zur Genüge nachdenken.“

Plötzlich kam Leben in die junge Frau. Mit dem Schrei: „Halt! Tei, halt!“ rannte sie weg zum Kommandanten. Aufs höchste überrascht, hielt der Erste Offizier inne und wußte nicht, wie er sich verhalten sollte. Aber Afra kehrte sehr rasch zurück, und neben ihr lief Mut Ang.

„Tei, schnell einen Scheinwerfer in den Durchgang! Rufen Sie die Techniker zurück, sie sollen die Leinwand nochmals aufstellen!“ ordnete der Kommandant im Laufen an.

Die Menschen rannten wie bei einer Havarie. Der starke Strahl des Scheinwerfers drang tief in die fremde Seite des Durchgangs ein und begann mit denselben Intervallen aufzuleuchten und zu verlöschen wie vor kurzem der Radarstrahl der „Tellur“ in den ersten Augenblicken der gegenseitigen Annäherung. Die Fremden unterbrachen ihre Arbeiten und erschienen wieder im Durchgang. Die Erdbewohner schalteten das blaue Licht mit Filter 430 ein. Afra, vor Aufregung zitternd, beugte sich über ein Reißbrett. Die von der Biologin hastig hingeworfenen Skizzen wurden auf den Bildschirm übertragen. Die zweifachen, spiralenförmig angeordneten Reihen der Vererbungsmechanismen mußten, im großen und ganzen bei den Erdund den Fluormenschen die gleichen sein. Nachdem Afra sie gezeichnet hatte, entwarf sie ein Diagramm des Stoffwechsels im menschlichen Organismus, der hier wie dort auf die Verwendung der Strahlungsenergie der zugehörigen Himmelskörper auf dem Umweg über die Pflanzenwelt zurückzuführen war. Soweit in ihren Darlegungen gelangt, warf die junge Frau einen kurzen Blick auf die unbeweglich und voller Spannung ihr zuschauenden grauen Gestalten. Dann durchkreuzte sie mit fester Hand das Fluoratom mit seinen 9 Elektronen und setzte an seine Stelle den Sauerstoff.

Die Fremden erbebten. Ihr Kommandant trat einen Schritt vor und näherte sein Gesicht ganz dicht der durchsichtigen Scheidewand. Dann prüfte er lange und eingehend, mit weitgeöffneten Augen, Afras flüchtige Zeichnungen. Plötzlich aber trat er ein wenig zurück, hob die fest ineinandergelegten Hände hoch über seine Stirn und verneigte sich tief und ehrerbietig vor der Vertreterin der Erde.

Die Fremden hatten das begriffen, was sich, auf einen Wink des Schicksals hin, erst in der letzten Sekunde des Abschieds in Afras Hirn zu voller Klarheit durchgerungen hatte. Und nur unter dem Eindruck des Abschiedsschmerzes hatte Afra den Mut gefunden, das Ergebnis ihres Nachdenkens zu offenbaren. Afras Gedankengänge bauten sich auf der Überlegung auf, daß man Veränderungen und chemische Umgestaltungen unter kühnem Austausch der Elemente dort ansetzen müsse, wo der äußerst komplizierte Aufbau des menschlichen Organismus seinen Ausgangspunkt hatte. Auf dem Wege der Einwirkung auf die Vererbungsmechanismen mußte es nach ihrer Meinung möglich sein, den Fluorstoffwechsel in einen Stoffwechsel auf Sauerstoffgrundlage umzuwandeln! Zwar mußten alle Besonderheiten, vor allem die Vererbungsmöglichkeiten der Fluormenschen, erhalten bleiben, aber ihr Körper mußte auf eine andere Energiegrundlage umgestellt werden. Freilich war dieser gigantische Plan von seiner Verwirklichung noch so weit entfernt, daß selbst die siebenhundert Jahre, die die „Tellur“ unterwegs war, ihn nur um ein geringes der Realisierung näherbringen konnten. Aber, was wichtiger war: Hier wurde ein Beispiel gegeben, wie man sich gegenseitig helfen und wie unendlich viel man bei der Vereinigung der Anstrengungen zweier Planeten erreichen konnte! Wenn sich doch auch andere Brüder und Freunde aus dem unendlichen Kosmos einem solchen weltweiten befruchtenden Gedankenund Wissensaustausch anschließen möchten! Die Fluormenschheit würde nicht spurlos in ewiger Nacht versinken, sie würde nicht verloren sein im unendlichen All.

Wenn dereinst, was unausbleiblich ist, Menschen verschiedener Planeten von unzähligen Sternen gegenseitige Verbindung aufnehmen werden, dann werden vielleicht auch die grauhäutigen Bewohner des Fluorplaneten nicht ausgestoßen sein wegen der zufälligen Seltenheit des Aufbaus ihres Körpers.

Vielleicht war somit gar kein Grund zu übertriebener Schwermut bei der jetzt erforderlichen Trennung vorhanden? Wie verschieden und weit voneinander entfernt die Fluorund die Erdmenschen im Aufbau ihrer Planeten und ihrer Körper auch waren, so ähnelte sich doch ihr Leben, und in ihrer geistigen Entwicklung und in ihrem Wissen standen sie einander ganz, ganz nahe. Offensichtlich glaubten die Fremden fest an die Macht des menschlichen Verstandes, wie ihn die Menschen der Erde besaßen. Deshalb wohl bedeutete für sie der schwache Hoffnungsschimmer, den die Biologin in ihnen geweckt hatte, so viel, daß ihre zu einem letzten Gruß erhobenen Hände weniger die Trauer des Abschieds als vielmehr die frohe Erwartung eines späteren Wiedersehens auszudrücken schienen.

Ganz langsam lösten sich die beiden Raumschiffe voneinander. Jedes befürchtete, dem anderen durch die Kraft seiner Hilfsmotoren Beschädigungen zuzufügen. Das weiße Raumschiff hüllte sich eine Minute früher in eine grelle, flammende Wolke. Als sich diese verzogen hatte, war nichts mehr da außer der undurchdringlichen kosmischen Finsternis.

Sodann ging auch die „Tellur“, nachdem sie vorsichtig den Flug aufgenommen und beschleunigt hatte, in Pulsation. Das war die Brücke, die unter Loslösung von den althergebrachten Möglichkeiten in Raum und Zeit von der einen Stelle des Kosmos über unmeßbare Entfernungen hinweg zur nächsten geschlagen wurde. Sicher geborgen in der schützenden Hülle der sie umgebenden magnetischen Felder, merkten die Menschen nicht, wie die Lichtquanten, die ihnen entgegenflogen, kürzer wurden und die entfernten Sterne zunächst hellblau, dann dunkelblau, schließlich fast violett leuchteten. Dann versank das Raumschiff im undurchdringlichen Dunkel des absolut leeren Raumes, hinter dem das sprühende, leuchtende Leben der Erde blühte und auf sie wartete…

Biographische Anmerkung

JEFREMOW, IWAN ANTONOWITSCH (GEB. 1907) sowjetischer Schriftsteller. Im Alter von siebzehn Jahren wurde er Matrose und lernte das Kaspische Meer sowie den Stillen Ozean kennen. Seit 1934 war Jefremow als Bergbauingenieur tätig. Für seine Verdienste um die genaue Auffindung von Bodenschätzen erhielt er den Stalinpreis. Inzwischen hatte er sich ebenfalls der historischen Wissenschaft zugewandt und studierte die Geschichte Afrikas, insbesondere die Vergangenheit des ägyptischen Volkes. Er wurde dann Teilnehmer und Leiter zahlreicher Expeditionen, zum Beispiel in Transkaukasien, Mittelasien und Ostsibirien, und entdeckte in der Wüste Gobi den bisher größten Friedhof von Dinosauriern. 1940 wurde Jefremow Doktor der Biologischen Wissenschaften. Jetzt begann er auch als Schriftsteller hervorzutreten und schilderte kühne und mutige Helden, die sich gegenüber ungewöhnlichen Schicksalen zu behaupten hatten. Unter anderen erschienen von ihm die folgenden Bücher: „Erzählungen über das Ungewöhnliche“ (1944), „Schatten der Vergangenheit“ (1945), „Sternschiffe“ (1947), „Die Reise des Baurdshed“ (1953), „Der Andromedanebel“ (1959).

Die wissenschaftlich-phantastische Erzählung „Das Herz der Schlange“ erschien im Verlag Neues Leben, Berlin 1960, und zwar in der Reihe „Das neue Abenteuer“ Nr. 174/175. Die Übersetzung aus dem Russischen stammt von Dr. Herbert Berthold. Für die wissenschaftlichtechnische Bearbeitung der deutschen Fassung sowie für die Anmerkungen zeichnet Diplommathematiker Dr. Siegfried Oberländer verantwortlich.

Gescannt von c0y0te.


  1. Von einem nahezu mit Lichtgeschwindigkeit sich bewegenden Raumschiff aus erscheinen Helligkeiten und Farben der Sterne völlig anders als von der Erde aus, und auch die Richtungen, aus denen das Licht der Sterne kommt, werden völlig anders beurteilt als von einem langsamen Raumschiff (Doppler-Effekt und Aberrationserscheinungen). Wenn der Autor hier trotzdem ganz normale Beobachtungen beschreibt, dann muß man annehmen, daß auch jetzt nicht direkt beobachtet wird, sondern über einen Leuchtschirm. Grundsätzlich gibt es technische Möglichkeiten zur „Übersetzung“ von Wellenlängen und dergleichen, wenn sie in der hierzu nötigen Form gegenwärtig auch utopisch sind.

  2. Diese und zahlreiche andere Stellen der Erzählung setzen das Vorhandensein einer Schwerkraft voraus. Eine Schwerkraft im eigentlichen Sinne ist selbstverständlich während des antriebslosen Fluges oder des relativen „Stillstandes“ nicht vorhanden. Trotzdem können die hier geschilderten Verhältnisse durch eine künstliche Schwerkraft hergestellt werden, indem man beispielsweise für geeignete Rotationsbewegungen sorgt, die fehlende Schwerkraft also durch Zentrifugalkraft ersetzt. Um in allen Räumen des Schiffes die gleiche künstliche Schwerkraft zu haben, ist dann jedoch eine ganz bestimmte, etwa ringförmige Anordnung der Räume erforderlich. Daraus ergeben sich Raumschifformen, die von den auf der Erde üblichen Formen von Verkehrsmitteln völlig abweichen.Ein Anlegen zweier Raumschiffe aneinander ist dann natürlich nur bei gleichen Drehgeschwindigkeiten möglich.Eine Verwirrung in der gegenseitigen Betrachtung der Raumschiffe entsteht durch die Rotation nicht, denn zwei mit gleichen Drehzahlen sich gegenüberstehende Körper erscheinen sich gegenseitig als ruhend. Die Schaffung eines Verbindungsganges mit künstlicher Schwerkraft, wie sie später beschrieben wird, dürfte jedoch recht problematisch sein.

  3. Daß es wirklich einen Planeten im Weltall gibt, in dessen Atmosphäre Fluor in der Menge vorkommt wie bei uns der Sauerstoff, ist sehr unwahrscheinlich. Nimmt man an, daß ein solcher existiert, dann kann auf ihm, wenn Wasserstoff vorhanden ist, auch eine dem irdischen Wasser physikalisch ähnliche Flüssigkeit existieren, denn das Fluor kann mit Wasserstoff eine Verbindung eingehen, die — Fluorwasserstoff genannt — bei einer Atmosphäre Luftdruck zwischen — 80° und + 20 °C flüssig ist, ähnlich wie unser Sauerstoff mit Wasserstoff eine Verbindung eingeht, die — Wasser genannt — bei einer Atmosphäre Luftdruck zwischen 0 °C und + 100 °C flüssig ist. Es dürfte aber völlig unmöglich sein, eine den irdischen Verhältnissen vollkommen analoge Chemie aufzubauen, einschließlich organischer Substanzen und Stoffwechsel, in der das Fluor die Rolle des Sauerstoffes übernimmt. Dasselbe gilt für die Ersetzung des Sauerstoffes durch irgendein anderes Element. Alle diesbezüglichen Schilderungen einschließlich der von den Fluorplaneten und seinen Menschen sind freie Erfindung des Autors, jedoch nicht ohne tiefen symbolischen Gehalt.