121918.fb2 Das M?dchen von Atlantis - читать онлайн бесплатно полную версию книги . Страница 5

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»Aber wie ... ich meine, wie kannst du ...« AberundWie,eure Lieblingsworte,erklang erneut die Stimme in seinen Gedanken. Diesmal hatte sie eindeutig einen spöttischen Unterton.Kaum fangt ihr an, mal etwas zu begreifen, schon folgt garantiert einAberoder einWie.Wenn man sich bei euch Menschen auf irgend etwas verlassen kann, dann scheint es das zu sein. Nach allem, was du nun schon weißt, hatte ich gehofft, wir könnten uns diesen Unsinn sparen, aber wenn es denn sein muß ...

Es war das erste Mal in seinem Leben, daß Mike eine Katze seufzen hörte. »Die Träume«, murmelte Mike ungläubig. »Das waren nicht bloß Träume. Das ist wirklich mit dir passiert.«

Allmählich scheinst du ja tatsächlich zu kapieren.Vielleicht besteht ja doch noch Hoffnung für dich, daß du dein Gehirn benutzen lernst.Mike entschloß

sich, die vorlauten Worte des Katers zu ignorieren. Zu phantastisch war das, was er erlebte. »Vorhin, ich meine gestern, das warst auch du, der mir erklärt hat, daß sich die Station selbst gesprengt hätte, nicht wahr?« stieß er hervor.

Sieh an, das Ding, das du da auf deinen Schultern trägst, schwingt sich ja zu wahren Höchstleistungen auf,erwiderte Astaroth spitz.Ja, natürlich war ich das. Ihr wart ja zu blöd, um die Wahrheit zu erkennen. Da konnte ich mich nicht mehr beherrschen und hätte mich fast verplappert. Aber ich hielt es für besser, erst einmal abzuwarten, bis du mehr weißt, bevor ich dir zu viel verrate. Ich bin auch jetzt noch nicht sicher, daß es wirklichklugwar,fügte er nach einer winzigen Pause hinzu. »Kannst du dich auch mit den anderen verständigen?« erkundigte sich Mike.Nein,antwortete Astaroth einsilbig.

Mike blickte auf seine rechte Hand. Die Bißwunde hatte wieder zu jucken begonnen, und plötzlich begriff er. »Es liegt an dem Biß, nicht wahr?« Diesmal antwortete Astaroth gar nicht. Wahrscheinlich hielt er es für unter seiner Würde, auf eine so offensichtliche Tatsache einzugehen.

»Wer bist du eigentlich?« murmelte Mike.»Wasbist

du?«

Ein lautloses Lachen erscholl in seinem Kopf.Die kor

rekte Bezeichnung wärefelis rex,aber zerbrich dir

nicht den Kopf darüber, was das heißen soll,antwor

tete der Kater.Astaroth mag für den Moment genü

gen. Und jetzt sollten wir zu deinen Freunden gehen,

ehe sie zurückkommen und dich mit einer Katze re

den sehen.

Etwas widerwillig verließ Mike seine Kabine und machte sich auf den Weg zum Salon. Er war der letzte, der eintraf. Alle anderen hatten sich - mit Ausnahme Trautmans, der hinter seinen Kontrollinstrumenten stand - vor dem großen Aussichtsfenster versammelt und sahen hinaus. Die NAUTILUS war noch immer von vollkommener Schwärze umgeben, aber weit über ihnen war ein mattgrauer Schimmer zu erkennen: die Wasseroberfläche, der sie sich allmählich näherten. Als Mike den Salon betrat, wandten sich alle um und sahen ihn an. Niemand sagte etwas, aber es war etwas ganz Bestimmtes in ihren Blicken, das Mike klarmachte, daß sie über ihn gesprochen hatten. Der Kater war ihm gefolgt, und Bens Miene verdüsterte sich, als er ihn gewahrte. Aber er beherrschte sich und beließ es dabei, den Kater mit Blicken regelrecht aufzuspießen. »Wie lange noch?« fragte Mike. »Ein paar Minuten«, antwortete Trautman. »Wir tauchen ziemlich schnell auf. Fast schon zu schnell. Irgendwas ... stimmt nicht.« Er lachte nervös. »Die gute alte NAUTILUS scheint es auch nicht mehr erwarten zu können, die Sonne wiederzusehen.« »Es wird auch allmählich Zeit«, sagte Juan. »Ich weiß schon gar nicht mehr, wie Tageslicht aussieht.« Er stockte, runzelte die Stirn und sog übertrieben schnüffelnd die Luft durch die Nase ein. »Was riecht denn hier so komisch?« Alle sahen sich einen Moment lang verwirrt an, aber schließlich konzentrierten sich ihre Blicke auf Ben genauer gesagt, auf Bens Schuhe. Ben lief dunkelrot an. Seine Augen schossen unsichtbare Blitze in Astaroths Richtung, aber er schwieg. »Das da oben«, sagte Chris plötzlich. Er deutete auf einen dunklen, langgestreckten Schatten, der sich verschwommen gegen das Licht abhob. »Was ist das?« Alle blickten in die Richtung, in die sein ausgestreckter Zeigefinger wies. »Das ... ist die LEOPOLD!« sagte Juan schließlich. Seine Stimme wurde schrill, als er sich zu Trautman herumdrehte. »Aber Sie fahren ja direkt darauf zu!«

Auch Mike wandte sich vom Fenster ab. Trautman hantierte mit verbissenem Gesichtsausdruck am Kommandotisch. »Irgendwas stimmt da nicht«, sagte er. »Das Schiff reagiert nicht. Ich habe überhaupt keine Kontrolle mehr über die NAUTILUS!«Also, die Prinzessin befindet sich an Bord,wisperte Astaroths Stimme in Mikes Gedanken. Mike sah den Kater an, dann Trautman, der immer verzweifelter versuchte, die Herrschaft über die NAUTILUS zurückzuerlangen. Er fragte sich, ob der Kater etwas damit zu schaffen hatte, aber wenn Astaroth die entsprechende Frage in seinen Gedanken las, so zog er es vor, nicht darauf zu reagieren. »Tun Sie doch etwas, Trautman!« sagte nun auch André. »Wir laufen ihnen ja direkt vor die Kanonen!« »Ich versuche es ja«, antwortete Trautman. Seine Stimme klang jetzt eindeutig verzweifelt. Er hämmerte regelrecht auf den Kontrollinstrumenten herum. »Das Schiff gehorcht mir nicht mehr.« »Dann müssen wir kämpfen«, sagte Ben grimmig. Er ballte die Fäuste. »Lebend bekommen sie mich jedenfalls nicht!« »Zumindest nicht bei klarem Verstand«, fügte Juan hinzu. Er tippte sich bezeichnend gegen die Schläfe und wandte sich dann wieder dem Anblick der immer schneller näher kommenden LEOPOLD zu. »Vielleicht haben wir noch eine Chance«, sagte Singh. »Sie können unmöglich wissen, daß wir kommen. Vielleicht können wir ihnen einfach davonfahren, ehe sie überhaupt begreifen, was los ist.« Er sah Trautman an. »Sind wir schnell genug dazu?« »Unter normalen Umständen vielleicht«, antwortete Trautman. »Aber so ...« Er horte auf, wie wild an seinen Kontrollen zu hantieren, und seufzte tief. »Das Schiff gehorcht mir nicht mehr«, wiederholte er. »Ich

weiß nicht, was los ist. Ich bin mit meinem Latein am Ende. Ich fürchte, wir können nur noch eines tun aufgeben.« »Das meinen Sie nicht ernst!« protestierte Ben. »Wir müssen kämpfen. Singh hat es gesagt:Wir haben den Vorteil der Überraschung auf unserer Seite. Sie wissen nicht, daß wir kommen. Mit einem bißchen Glück können wir sie torpedieren, bevor sie überhaupt merken, daß wir da sind.« Trautman würdigte ihn keiner Antwort, und auch Mike drehte sich wortlos um und sah wieder aus dem Fenster auf den immer größer werdenden Schatten. Ganz davon abgesehen, daß Trautman niemals zugestimmt hätte, die LEOPOLD zu torpedieren und damit das Leben von mehr als tausend Menschen zu riskieren - irgend etwas sagte ihm, daß es nicht funktionieren würde. Er wußte, daß ihnen nur noch eine einzige Möglichkeit blieb. Trautman sprach den Gedanken laut aus. »Juan, Chris«, sagte er. »Geht bitte hinauf in den Turm. Sobald wir aufgetaucht sind, hißt ihr die weiße Fahne. Wir ergeben uns.«

Kapitän Winterfeld persönlich erwartete sie, als sie über eine Strickleiter an Bord der LEOPOLD kletterten. In seinem Gesicht war kein Triumph zu lesen, keine hämische Genugtuung, nichts von alledem, was Mike erwartet hatte. Statt dessen zeigte der Kapitän nur großen Ernst, als er auf Mike zutrat, der als erster über die Reling des Kriegsschiffes kletterte. »So sehen wir uns also wieder«, sagte er. »Ich wußte, daß es früher oder später so kommen würde.« Mike verzichtete auf eine Antwort, sondern preßte Astaroth nur noch etwas fester an sich und begnügte sich damit, Winterfeld finster anzustarren.

Dieser

schien ihm das nicht übel zu nehmen. Und wie schon bei seinem ersten unfreiwilligen Aufenthalt auf diesem Schiff, hatte Mike das Gefühl, in Winterfeld einen gefährlichen und äußerst verschlagenen Gegner gefunden zu haben -aber trotzdem einen Mann, den er auch achten konnte. Hinter ihm stiegen die anderen auf das Deck, und Winterfeld maß sie der Reihe nach mit abschätzenden Blicken, dann machte er eine Handbewegung, und ein halbes Dutzend bewaffneter Soldaten trat vor und umringte sie. Die Gewehre der Männer waren nicht direkt auf Mike und die anderen gerichtet, aber ihre Drohung war allen klar. Schließlich drehte sich Winterfeld wieder zu Mike herum. Als er den Kater bemerkte, den Mike schützend an sich drückte, lächelte er. »Wen haben wir denn da?« meinte er und beugte sich vor. Er streckte die Hand aus und kraulte Astaroth am Kopf, der sich das anscheinend voller Wohlbehagen gefallen ließ. Mike empfand kurz eine absurde Eifersucht. Hastig setzte er den Kater auf den Boden. Sofort begann das Tier neugierig auf dem Deck herumzustreichen. Mit einiger Verspätung kam endlich auch Trautman die Strickleiter heraufgeklettert. Ganz wie es sich für einen Kapitän gebührt, hatte er sein Schiff als letzter verlassen. Seine Miene verdüsterte sich, als er die Soldaten und Winterfeld gewahrte, doch Mike sah in seinen Augen den gleichen Respekt, den er selbst Winterfeld entgegenbrachte. Irgendwie, dachte er, waren sich die beiden Männer sehr ähnlich. »Sie müssen Trautman sein«, sagte Winterfeld. »Paul hat mir von Ihnen erzählt.« Er trat dem alten Mann entgegen und streckte die Hand aus, und er tat es auf seine Art, die die Geste kein bißchen herablassend erscheinen ließ, nicht die eines Siegers dem Besiegten

gegenüber, sondern ein Ausdruck der Achtung. Mike war nicht überrascht, als Trautman die Hand nahm und kurz und kräftig drückte. »Paul!« sagte Ben. »Also hat diese kleine Ratte doch geredet! Aber das war schließlich zu erwarten.« »Diekleine Ratte,wie du ihn nennst«, entgegnete Winterfeld ruhig, »ist immerhin mein Sohn, also überlege dir lieber, was du sagst.« Er trat einen Schritt zurück und hob ein wenig die Stimme. »Und wenn es euch beruhigt: Er hat mir leider nicht annähernd so viel verraten, wie ich mir gewünscht hätte. Er betrachtet euch nach wie vor als seine Freunde.« »O ja, er ist ein richtiger Freund«, höhnte Ben. »Wirklich, solche Freunde habe ich mir immer gewünscht dann braucht man nämlich keine Feinde mehr.« Er sah Winterfeld herausfordernd an, und trotz des Zorns, den seine Worte in Mike wachriefen, mußte er Bens Mut bewundern. »Was haben Sie jetzt mit uns vor?« fragte Ben. »Lassen Sie uns gleich erschießen, oder liefern Sie uns mitsamt der NAUTILUS dem Flottenkommando aus?« Winterfeld schüttelte den Kopf. »Weder das eine noch das andere«, antwortete er ruhig. »Ich habe nicht vor, die NAUTILUS irgend jemandem auszuliefern, auch nicht der deutschen Marine.« »Ach?« fragte Ben spitz, »Und wer soll das glauben?« Mike versetzte ihm einen Ellbogenstoß in die Seite, der ihn verstummen ließ, und Winterfeld lächelte ihm kurz zu, bevor er fortfuhr: »Ich fürchte sogar, daß mein Kaiserreich nicht besonders gut auf mich zu sprechen ist und mich vor ein Kriegsgericht stellen würde, wenn ich so dumm wäre, zurückzugehen.« »Soll das heißen, daß das alles hier -« begann Trautman, wurde aber von Winterfeld unterbrochen, der

die Hand hob und nickte.

»-ganz allein auf meine Verantwortung hin geschehen ist, ganz recht. Ja. Niemand in Berlin weiß, was ich hier tue.« »Also sind Sie nichts als ein gemeiner Pirat«, sagte Ben. »Das Wort Dissident wäre mir lieber«, antwortete Winterfeld betont. »Und was halten Sie von dem Begriff Deserteur?« fragte Mike. »Das ist es doch, was Sie getan haben, nicht wahr? Sie sind desertiert, zusammen mit der Besatzung. Wie haben Sie es geschafft, die Soldaten zu überreden? Sie müssen wissen, daß -« Mit einer heftigen Handbewegung schnitt ihm Winterfeld das Wort ab. »Du enttäuschst mich, Michael«, sagte er, wobei er wieder in die deutsche Aussprache seines Namens zurückfiel, was Mike vom ersten Moment an geärgert hatte. »Hat dein Vater die NAUTILUS vielleicht der indischen Regierung übergeben? Ich habe ihn nie kennengelernt, aber nach allem, was ich über

ihn gehört habe, haben wir einiges gemeinsam. Genau wie er glaube ich nicht daran, daß das Erbe der Atlantischen Kultur irgendeinem Land in die Hände fallen sollte. Diese Macht ist zu gewaltig, um von einer einzelnen Nation kontrolliert zu werden.« »Dann tun Sie das lieber, wie?« sagte Trautman. Winterfeld schüttelte den Kopf. »Sie müssen mich wirklich für sehr dumm halten, wenn Sie glauben, daß es mir aufMachtankäme. Außerdem ist diese Vorstellung naiv. Nicht einmal mit der NAUTILUS könnte man die ganze Welt erobern. Nein, meine Ziele sind völlig anderer Art. Aber wir werden uns später noch darüber unterhalten, und ich hoffe, daß Sie dann zumindest einen Teil dessen, was Sie über mich denken, berichtigen können. Wer weiß, vielleicht werden wir sogar Verbündete.«

»Niemals«, sagte Trautman. Winterfeld lächelte auf eine sonderbare Weise. »Das ist ein Wort, mit dem man äußerst sparsam umgehen sollte«, sagte er. »Vermutlich liegen unsere Ziele gar nicht so weit auseinander, wie Sie jetzt annehmen.« »Ich glaube Ihnen kein Wort!« fuhr Ben auf. Winterfeld schenkte ihm einen verächtlichen Blick. »Weißt du, mein Junge, es ist mir ziemlich egal, was du glaubst und was nicht«, sagte er kühl. »Es wäre mir nur lieber, wenn du dich etwas beherrschen könntest. Paul hat mir einiges über dich erzählt. Du bist gar nicht so dumm, wie du gerne tust. Wenn du lernst, dein Temperament im Zaum zu halten, dann -« Er stockte mitten im Wort. Seine Augen wurden groß, und Mike konnte sehen, wie sein Gesicht blaß wurde, als er langsam an sich heruntersah. Und als Mikes Blick dem seinen folgte, verstand er auch, warum. Astaroth, der am Anfang neugierig auf dem Deck herumgestrichen war, hatte es sich auf Winterfelds Füßen bequem gemacht. Jetzt war er aufgestanden und schritt mit würdevoll erhobenem Haupt davon. Winterfelds spiegelblank polierte Stiefel standen plötzlich in einer sich allmählich ausbreitenden, übelriechenden Pfütze. »Das Tier hat Geschmack«, sagte Ben grinsend. Winterfelds Lippen bebten vor Zorn. Eine Sekunde lang war Mike fest davon überzeugt, daß er nun doch die Beherrschung verlieren würde, aber dann gab er sich einen sichtbaren Ruck und zwang sich sogar zu einem -wenn auch nicht völlig überzeugenden -Lächeln. »Bringt unsere Gäste in ihre Quartiere«, sagte er zu seinen Männern. »Und besorgt eine Kiste für diesen Kater.« Mike unterdrückte sein schadenfrohes Grinsen nicht, er ließ sich in die Hocke sinken und streckte die Hand aus. Sofort kam Astaroth herbei, war mit einem Satz auf seinem Arm und kuschelte sich an seine Brust, wo er lautstark zu schnurren begann. »Eine Katze auf einem Unterseeboot - originell«, sagte Winterfeld. »Wo kommt das Tier überhaupt her?« »Wir haben es auf dem Meeresboden gefunden«, antwortete Mike. »Er ist in Wirklichkeit ein Meerkater und sieht nur so aus wie eine normale Katze.« Winterfeld anwortete nicht, aber er sah ihn so wütend an, daß Mike es vorzog, nicht weiterzusprechen. Von den deutschen Marinesoldaten eskortiert, wurden sie tief hinab in den Rumpf der LEOPOLD und in dieselben einander gegenüberliegenden Kabinen geführt, in denen sie bereits ihren ersten unfreiwilligen Auf enthalt auf dem Schiff verbracht hatten. Mike teilte seine Kabine zusammen mit Singh und - zu seinem Leidwesen - Ben, der mit dieser Einteilung ebenfalls nicht einverstanden war, zumal sich auch Astaroth

bei ihnen befand.

»Dieser verdammte Deutsche«, begann Ben zu schimpfen, kaum daß sie wieder allein waren. »Hättet ihr damals auf mich gehört und die NAUTILUS der engli

schen Marine übergeben, säßen wir jetzt nicht hier!«

Kannst du diesen plappernden Schwachkopf nicht irgendwie zum Verstummen bringen?erkundigte sich Astaroth.Oder darf ich das erledigen?»Ach, laß mich doch in Ruhe«, sagte Mike, wohlweislich offen lassend, wen er mit diesen Worten meinte. Er legte sich in eine der Kojen und verschränkte die Hände hinter dem Kopf, während es sich der Kater auf seiner Brust bequem machte. Ihre Lage war - vorsichtig ausgedrückt -ziemlich aussichtslos. Anders als bei ihrer ersten Gefangenschaft konnten sie diesmal nicht damit rechnen, plötzlich Hilfe von unerwarteter Seite zu bekommen. Und auch der Umstand, daß Winterfeld zugegeben hatte, auf eigene Faust zu handeln, und sie es somit nicht mit der gesamten deutschen Kriegsmarine, sondern nur mit ihm allein zu tun hatten, stellte keinen wirklichen Trost dar. Denn wenn es tatsächlich so war, dann hatte der Kapitän um so mehr Grund, auf der Hut zu sein und die Nähe aller anderen Schiffe zu meiden. Es verging sicher eine Stunde, in der Mike reglos auf dem Bett lag, die Metalldecke über sich anstarrte und seinen immer düsterer werdenden Gedanken nachhing, bis schließlich die Tür wieder geöffnet wurde und Trautman hereinkam. Er wurde von zwei deutschen Soldaten begleitet, und hinter ihm betrat ein sehr alter, weißhaariger Mann den Raum. Mike setzte sich auf und sah dem Fremden neugierig ins Gesicht, während Astaroth mit einem Satz aus der Koje sprang und dem Neuankömmling mit grüßend aufgestelltem Schwanz entgegenlief. Der Fremde beugte sich lächelnd hinunter und streichelte ihm über den Kopf und den Rücken, und Astaroth ließ sich diese Behandlung laut schnurrend einige Augenblicke lang gefallen, dann senkte er den Kopf -und schnüffelte prüfend an den Schuhen des Mannes. Mike hielt den Atem an, aber Astaroth beließ es bei dieser Begutachtung, drehte sich dann herum und kam wieder zurück. Mit einem Satz war er wieder auf dem Bett neben Mike und rollte sich zusammen. »Du bist also Mike«, begann der Fremde. Er hatte eine sehrangenehme, kräftige Stimme, die so gar nicht zu seinem greisenhaften Äußeren passen wollte; ebensowenig wie der Ausdruck in seinen von unzähligen winzigen Fältchen umgebenen Augen, die nicht die eines alten Mannes zu sein schienen. Mike las eine Kraft und Entschlossenheit darin, auf die so mancher viel jüngere Mann stolz gewesen wäre. Langsam stand er auf und nickte. »Und Sie sind...«

»Das ist Professor Arronax«, erklärte Trautman. »Ich habe dir von ihm erzählt.« Mike war nicht sehr überrascht. Arronax sah genau so aus, wie er ihn sich vorgestellt hatte. Und der kurze Blick, den er mit Trautman tauschte, machte Mike ohne jedes Wort klar, daß die beiden Männer bereits über ihn gesprochen hatten. »Ich glaube, ich hätte dich auch so erkannt«, sagte er. »Du siehst deinem Vater sehr ähnlich, weißt du das?« Mike schüttelte den Kopf. »Ich habe ihn nie gesehen.« Ein flüchtiger Ausdruck von Bedauern erschien in Arronax' Augen, als er nickte. »Ja, Trautman hat mir davon erzählt. Dein Vater hat dich schon früh wegbringen lassen, damit du in Sicherheit bist.« »Wie Sie sehen, hat es nicht viel genutzt«, murmelte Mike, und Ben fügte boshaft hinzu: »Jedenfalls hat er nicht viel vom Schneid seines Vaters abbekommen.« Mike verbiß sich die zornige Antwort, die ihm auf den Lippen lag, und auch Arronax sagte nichts, doch der Blick, den er dem jungen Engländer zuwarf, zeigte Mike, daß Trautman auch über Ben mit ihm geredet hatte. Trautman und Arronax setzten sich an den Tisch, und nach kurzem Zögern folgten ihnen Singh und Ben und schließlich auch Mike. Astaroth blieb auf dem Bett liegen und tat so, als schliefe er, aber Mike entging keineswegs, daß er den weißhaarigen Fremden unter dem fast geschlossenen Augenlid heraus aufmerksam beobachtete. »Trautman hat mir erzählt, was ihr auf dem Meeresgrund gefunden habt«, begann Arronax. »Du mußt mir von allem berichten, was du gesehen hast. Es kann sehr wichtig sein.« Mike deutete verwundert auf Trautman. »Aber hat er Ihnen denn nicht -« »Vier Augen sehen mehr als zwei«, unterbrach ihn

Arronax mit einem gutmütigen Lächeln, und Ben konnte sich nicht verkneifen, hinzuzufügen: »Sechs.« »Ach ja, du warst ja auch in der Kuppel«, sagte Arronax. »Du hast die Prinzessin ebenfalls gesehen.«

»Prinzessin?« Mike setzte sich stocksteif auf. »Woher wissen Sie, daß sie eine Prinzessin ist?« »Weil du es gesagt hast«, antwortete Trautman an Arronax' Stelle. Mike blickte sekundenlang die beiden alten Männer verunsichert an, doch dann begann er gehorsam zu erzählen, was er in der Unterseekuppel gesehen und erlebt hatte. Dann und wann fügte Ben ein Detail hinzu, und Arronax unterbrach sie immer wieder mit gezielten Fragen, wobei er sich für jede noch so winzige Kleinigkeit zu interessieren schien. »Unglaublich«, sagte er schließlich, mehr an Trautman als an die beiden Jungen gewandt. »Diese Kuppel ist das, wonach ich mein Leben lang gesucht habe. Wenn es stimmt, was ihr berichtet, dann ... dann habt ihr etwas entdeckt, wogegen sich die große Pyramide von Gizeh wie eine Sandburg ausmacht.« »Es stimmt«, erklärte Ben in beleidigtem Tonfall. »Warum sollten wir Ihnen etwas vormachen? Fragen Sie Trautman, wenn Sie uns nicht glauben.« Arronax hob besänftigend die Hand. »Ich glaube euch ja«, sagte er. »Es ist nur so...« Er suchte einen Moment nach den richtigen Worten und fuhr mit veränderter, wehmütiger Stimme fort: »Ich habe zwanzig Jahre lang davon geträumt, das zu sehen, was ihr entdeckt habt. Und jetzt, wo es endlich gefunden worden ist, ist es zu spät. Statt der Wissenschaft und der ganzen Menschheit werden die Geheimnisse der Kuppel jetzt nur einem einzigen Mann dienen.« Mike sah verwundert zu Trautman hin. »Haben Sie es ihm denn nicht gesagt?«

Trautman wich seinem Blick aus, und auf Arronax' Gesicht machte sich ein deutlicher Schrecken breit. »Was gesagt?« fragte er. »Ich bin noch nicht dazu gekommen«, murmelte Trautman -und Mike spürte, daß das nicht stimmte. »Wozu sind Sie noch nicht gekommen?« fragte Arronax scharf. »Sie existiert nicht mehr«, sagte Ben etwas spöttisch. »Das Ding ist in die Luft geflogen, nachdem die Deutschen die Kleine herausgeholt haben.« Er machte eine Bewegung mit beiden Händen, um die Explosion zu verdeutlichen. Arronax wurde blaß. »Das ... das ist nicht wahr!« keuchte er. »Doch«, sagte Mike, so ruhig, wie er konnte. »Winterfelds Soldaten haben den Sarg mit dem Mädchen herausgeholt. Und kurz danach ist die Unterseekuppel explodiert. Die Explosion hätte um ein Haar auch die NAUTILUS vernichtet.« »0 nein«, stöhnte Arronax. Auf seinem Gesicht breitete sich ein Ausdruck so abgrundtiefer Enttäuschung aus, daß Mike sich beherrschen mußte, um ihm nicht tröstend die Hand auf die Schulter zu legen. Von alldem schien Ben nicht viel mitzubekommen, denn er fügte mit einer Geste auf Mike hinzu: »Unser kleiner Prinz hier meint, es wäre eine Automatik gewesen, die die Kuppel gesprengt hat, nachdem man die Prinzessin« - er betonte das Wort so, daß Mike ihm am liebsten dafür mit der Faust auf die Nase geschlagen hätte - »herausgeschafft hat.« Arronax sah Mike an. »Ein kluger Gedanke«, sagte er. »Das könnte sogar stimmen. Wenn es die Prinzessin war.« »Sie wissen nicht nur von mir, wer sie ist, nicht wahr?« fragte Mike.

Arronax zögerte. Er wich seinem Blick aus. Seine Hände strichen in einer unbewußten Geste über die Tischkante. »Ich bin nicht sicher«, sagte er. »Aber wie kann man überhaupt sicher sein, bei etwas, was so lange zurückliegt?« Wieder schwieg er einige Augenblick, dann gab er sich einen sichtbaren Ruck. »Habt ihr in der Kuppel sonst noch etwas gefunden?« fragte er. »War noch irgend etwas anderes Außergewöhnliches dort? Irgendein anderes ... Geschöpf?« Mike schwieg. Ben sagte: »Nur Dornröschen. Und dieses schwarze Mistvieh da.« Er deutete mit einer Kopfbewegung auf Astaroth, der träge das Auge öffnete und wie zur Antwort so ausgiebig gähnte, daß man fast seine Schwanzspitze sehen konnte. »Dieser Kater stammt aus derKuppel?«vergewisserte sich Arronax. Mike und Trautman nickten gleichzeitig. Arronax saß da und starrte den Kater an, und Astaroth erwiderte seinen Blick mit der kühlen Herablassung, zu der nur Katzen fähig sind. Dann stand Arronax auf, ging langsam zum Bett hinüber und besah sich den Kater sehr aufmerksam aus unmittelbarer Nähe. Zwei- oder dreimal streckte er auch die Hand aus, wagte es aber diesmal nicht, Astaroth wirklich zu berühren. Ein sehr nachdenklicher Ausdruck lag auf Arronax' Gesicht, als er zu den anderen zurückkehrte. »Eine Katze?« flüsterte er. »Eine ganz normale Katze?« Mike hätte ihm sagen können, daß Astaroth alles war, nur keine ganz normale Katze, aber er schwieg. »Was ist daran so seltsam?« fragte Trautman. »Ich meine - auch wir haben uns gewundert, wie das Tier dort hinuntergekommen ist und wovon es gelebt haben mag. Aber es ist trotzdem ein ganz normaler Kater - auch wenn er die eine oder andere Unart hat.« Astaroth gähnte, stand auf, reckte sich ausgiebig und

kam dann mit gemessenen Schritten auf Mike zu. Mit einem eleganten Satz sprang er auf seinen Schoß hinauf und rollte sich dort wieder zusammen, um weiterzuschlafen. Arronax ließ ihn während der ganzen Zeit nicht aus den Augen. »Es ist kaum zu glauben, und doch ...« begann er, sprach aber nicht zu Ende, sondern schüttelte nur mehrmals heftig den Kopf. »Was ist schwer zu glauben?« wollte Mike wissen. Arronax sah in an. »Es ist nur eine Legende«, sagte er. »Und doch habe ich mein Leben lang nach dieser Legende gesucht. Trautman hat dir sicher erzählt, daß ich während der letzten zwanzig Jahre Forschungen über das versunkene Atlantis angestellt habe.« Mike nickte, und Arronax fuhr in versonnenem Tonfall fort, zu erzählen. »Ich glaube, ich kann ohne falsche Scheu behaupten, daß es nicht viele auf der Welt gibt, die mehr über Atlantis wissen als ich. Und doch ist es mir nie gelungen, einen wirklichen Beweis für die Existenz des untergegangenen Reiches zu finden. Die Taucherglocke, die ich in den letzten Jahren bauen ließ, sollte es mir ermöglichen, diesen Beweis zu erbringen, aber leider ist es anders gekommen. Mir war aber immer klar, daß Atlantis mehr als eine Legende sein mußte. Es gibt zu viele Geschichtendarüber, zu viele Überlieferungen, zu viele Hinweise und Unstimmigkeiten, die nicht anders zu erklären gewesen wären. Seht ihr, fast alle alten Völker wissen von Göttern zu erzählen, die über unvorstellbare Macht verfügt haben sollen.« »Und?« fragte Ben. »Aberglaube, mehr nicht.« »Das denken die meisten«, antwortete Arronax. »Doch wenn man genau hinsieht, dann stimmt das nicht mehr. Ich habe Legenden von allen Völkern rund um

den Globus zusammengetragen, und was ich entdeckt

habe, kann kein Zufall gewesen sein. Diese Götter wurden überall gleich beschrieben, ob bei den alten

Ägyptern, den Chinesen, den Maya oder den Germanen: Stets waren sie groß, hellhäutig und hatten blondes Haar. Und stets wurde ihre Herkunft gleich angegeben: die Insel der Götter im Atlantik. Es heißt,daß eine gewaltige Flut ihr Inselreich verschlungen haben soll und ihre Überlebenden sich mit den Menschen vermischten. Sie waren es, die die ersten großen Kulturen gründeten und über sie herrschten. So jedenfalls ist es überliefert worden -nicht nur in einigen alten Schriften, sondern in sehr vielen.« »Na und?« fragte Ben. »Was bedeutet das schon?« »Das Mädchen, wie sah es aus?«, sagte Arronax. »Schlank, mit heller Haut und blondem Haar«, sagte Trautman. »Aber das beweist doch gar nichts«, sagte Ben. »Ein altes Volk, das über die ganze Welt geherrscht haben soll! Pah!« Arronax lächelte gutmütig. »Als man die Gräber der fünf ersten ägyptischen Pharaonen öffnete, stellte man fest, daß siekeine Ägypter waren, sondern Angehörige eines hochgewachsenen, hellhäutigen Volkes.« »Ja, wahrscheinlich waren es Dornröschens Brüder, wie?« maulte Ben. Er klang unsicher. »Eher ihre Urgroßneffen«, verbesserte Arronax. »Nach meinen Forschungen muß Atlantis vor mehr als fünftausend Jahren untergegangen sein. Die Legende sagt, daß seine Herrscher ein Volk von Magiern waren, die über das Wasser geboten. Sie vermochten Sturmfluten heraufzubeschwören oder zu besänftigen, sie konnten es regnen oder jahrzehntelange Dürren über die Länder ihrer Feinde kommen lassen, und es heißt, daß sie sich im Wasser zu bewegen vermochten, als wäre dies ihr natürliches Element.«

»Das Mädchen hatte keinen Fischschwanz«, sagte Ben. Arronax ignorierte ihn. »Es gibt viele Legenden, die vom Untergang von Atlantis berichten«, fuhr er fort. »Die Menschen haben die verschiedensten Gründe für die Katastrophe erfunden, die Atlantis verschlang von dem, daß seine Bewohner in ihrer Machtgier die Götter selbst herausforderten, bis zu dem, daß ein Meteor vom Himmel fiel und Atlantis auslöschte. Mir persönlich erscheint eine Erklärung am wahrscheinlichsten, die ich in einer uralten phönizischen Schrift gefunden habe; zumindest nach dem, was ich nun von euch und Trautman erfahren habe. Nach dieser Schrift sollen die Zauberkönige von Atlantis jahrtausendelang über ihr Inselreich geherrscht und es zu unvorstellbarer Blüte gebracht haben. Sie waren ein Volk von Zauberern, aber sie waren auch sehr umsichtig und weise und lebten mit der Natur in Einklang, nicht wie wir in Konkurrenz. Eines Tages aber begann sich eine schreckliche Krankheit unter den Zauberkönigen auszubreiten. Einige starben sofort, andere wurden wahnsinnig, allen jedoch entglitt die Kontrolle über die furchtbare Macht,über die ihr Geist gebot. Sturmfluten, Taifune, Seebeben und Überschwemmungen suchten Atlantis heim, und alle Versuche der alten Zauberer, der Krankheit Herr zu werden, mißlangen. Schließlich begriffen sie, daß ihr Reich dem Untergang geweiht war, und so taten sich die letzten und mächtigsten Magier vonAtlantis zusammen, um wenigstens einem von ihnen das Überleben zu sichern. Es heißt in dieser Legende, daß sie ein Haus auf dem Meeresgrund bauten, in dem die letzte Prinzessin von Atlantis einen magischen Schlaf schläft, der so lange währen soll, bis es einem späteren, nach ihnen kommenden Volk gelungen sein wird, die Krankheit zu besiegen. Und es heißt weiter«,

schloß Arronax mit einem Blick auf den Kater, »daß sie einen Wächter bei ihr zurückließen, der unsterblich war und die Jahrtausende hindurch über sie wachte.« Für einige Augenblicke breitete sich eine fast atemlose Stille in der Kabine aus, Aller Aufmerksamkeit konzentrierte sich auf Astaroth, der beharrlich weiter so tat, als schliefe er. Schließlich war es Ben, der das Schweigen brach. »Ja«, sagte er höhnisch. »Er wartet, bis ihre Feinde die Schuhe ausziehen, dann schlägt er blitzartig zu.« Arronax' Blick drückte vollkommenes Unverständnis aus, während es in Trautmans Augen ärgerlich aufblitzte. Ben grinste, lehnte sich in seinem Stuhl zurück -und kämpfte mit wild rudernden Armen um sein Gleichgewicht, als eines der Stuhlbeine abbrach und er haltlos nach hinten kippte. Mit einem gewaltigen Poltern landete er auf dem Boden, sprang sofort wieder hoch und begann wütend zu fluchen. »Deutsche Arbeit, wie?« schimpfte er. Wütend versetzte er dem zerbrochenen Stuhl einen Tritt, der ihn quer durch den Raum schleuderte und vollends in Stücke gehen ließ. »Hoffentlich fällt nicht der ganze Kahn auseinander, wenn ihn ein Windhauch trifft.« Mike und Arronax tauschten einen Blick, aber keiner von ihnen sagte etwas. Mike lauschte in sich hinein, doch auch Astaroths Gedankenstimme blieb stumm. Und trotzdem spürte er, daß Arronax' Erzählung der Wahrheit sehr, sehr nahe gekommen war. »Das ist unglaublich«, sagte Trautman nach einer Weile. »Aber so phantastisch es sein mag - es hilft uns im Moment nicht weiter. Wenn es uns nicht gelingt, zu entkommen und die NAUTILUS mitzunehmen oder schlimmstenfalls zu versenken, dann wird

Winterfeld zu einer Gefahr, die sich jetzt noch gar nicht abschätzen läßt.« »Die Kuppel ist zerstört«, gab Singh zu bedenken. Arronax wiegte betrübt den Kopf. »Ich fürchte, das allein reicht nicht«, sagte er. »Die Tatsache ihrer Existenz beweist endgültig, daß Atlantis keine Legende war -wenn es nicht die NAUTILUS schon getan hat. Und nun, wo er im Besitz des Schiffes ist, wird er nach anderen Hinterlassenschaften der Atlanter suchen. Und finden, fürchte ich.« »So einfach dürfte das nicht sein«, sagte Trautman. »Immerhin haben Sie Ihr Leben lang geforscht, um -« »Das ist ja gerade das Schlimme«, sagte Arronax leise. Trautman wirkte alarmiert. »Was meinen Sie damit?« Arronax zögerte, dann sagte er, ohne einem von ihnen dabei ins Gesicht zu sehen. »Als wir die Expedition ausrüsteten, habe ich all meine Aufzeichnungen mitgenommen. Kapitän Winterfeld ist im Besitz meiner sämtlichen Unterlagen.« Seine Worte erfüllten Mike mit eiskaltem Schrecken. Wenn Winterfeld Arronax' Aufzeichnungenunddie NAUTILUS besaß ... das war unvorstellbar. Das Schiff war beschädigt, aber mit den Mitteln der LEOPOLD würde Winterfeld es zweifellos in kürzester Zeit reparieren können. Und wie sie gerade selbst bewiesen hatten, vermochte das Tauchboot Tausende von Metern tief in die See vorzudringen. Doch bevor er seine Befürchtungen in Worte fassen konnte, geschah etwas, was sie Winterfeld und seine Eroberungspläne zumindest für den Moment vergessen ließ. Astaroth fuhr mit einem hysterisch klingenden Fauchen hoch und stieß sich von Mikes Schoß ab, wobei

er so rücksichtslos von allen Krallen Gebrauch machte, daß Mike vor Schmerz aufschrie. Der Kater raste auf die Tür zu, prallte in vollem Lauf dagegen und wurde zurückgeworfen, wobei er sich zwei-, dreimal überschlug. Sofort war er wieder auf den Beinen und rannte ein zweites Mal gegen die Tür. Wie besessen versuchte er sie mit den Pfoten aufzukrallen. »Die Prinzessin!« rief Mike. Diesmal war es nicht die Stimme des Katers, die er vernahm. Vielmehr spürte er dessen Angst, die an Panik grenzende Furcht, die für einen Moment vom Geist des Tieres Besitz ergriffen hatte, und für einen ebenso kurzen Moment drohten diese Gefühle auch ihn zu überwältigen. Er begann am ganzen Leib zu zittern. »Die Prinzessin!« rief er. »Etwas ist mit Serena geschehen!« »Wovon sprichst du?« fragte Trautman. »Serena!« rief Mike noch einmal. »Die Prinzessin! Sie ist aufgewacht!«

Es dauerte fast eine halbe Stunde, bis sich der Kater soweit wieder beruhigt hatte, daß Mike es wagte, sich ihm zu nähern und ihn anzufassen. Astaroth hatte so lange versucht, die Metalltür aufzubekommen, bis seine Pfoten blutig geworden waren und seine Kräfte versagten. Die schon fast verheilte Wunde an seinem Hinterlauf war wieder aufgebrochen, und sein Atem ging schwer. Und viel mehr noch, als er es sah,spürteMike die Erschöpfung der Tieres. Astaroth lag wie leblos auf seinem Schoß. Danach war Mike nicht mehr umhingekommen, Trautman und den anderen zu erzählen, was er wirklich über den Meerkater wußte. Bens Kommentar war ganz so ausgefallen, wie Astaroth selbst prophezeit hatte. Singh sagte wie üblich gar nichts, aber Trautman sah ihn vorwurfsvoll an, nachdem er mit seinem Bericht zu Ende gekommen war, und sagte schließlich leise. »Du hättest es mir sagen müssen.«

»Hätten Sie mir geglaubt?« gab Mike ebenso leise zurück. »Ich weiß es nicht«, gestand Trautman. »Vermutlich nicht - wenigstens am Anfang. Später, nach der Sache mit dem Ventil ...« »Und was hätte es geändert?« fragte Mike. »Das ist also der berühmte, unsterbliche Wächter der Prinzessin«, sagte Ben. Er blickte hämisch auf den Kater herab. »Ein famoser Wächter, der nicht einmal die Tür aufbekommt.« Mike schaute ihn scharf an, dann wandte er den Kopf und sah einen Moment auf den Stuhl herab, der genau in dem Augenblick zerbrochen war, als Ben sich am lautesten über den Kater lustig gemacht hatte. Ben folgte seinem Blick, und Mike konnte aus den Augenwinkeln sehen, wie er leicht zusammenfuhr. »Du kannst wirklich mit diesem Tier reden?« erkundigte sich Arronax. Mike schüttelte den Kopf. »Reden ist nicht das richtige Wort«, sagte er. »Ich ... Irgendwie spüre ich in mir, was er sagt.« »Sicher«, fügte Ben spöttisch hinzu. »Und du als einziger, nicht wahr?« Mike blieb ernst. »Es muß irgend etwas damit zu tun haben, daß er mich gebissen hat«, sagte er. »Mich hat er gekratzt«, sagte Ben giftig. »Und ich höre rein gar nichts. Das heißt ...« Er runzelte die Stirn, überlegte eine Sekunde und fuhr in nachdenklichem Tonfall fort. »Letzte Nacht habe ich mir eingebildet, meine Nachttischlampe hätte zu mir gesprochen. Vielleicht war es gar keine Einbildung.« »Bestimmt nicht«, pflichtete ihm Mike bei. »Du solltest abends jetzt genauer hinhören. Und dir vor allem angewöhnen, in deinen Schuhen zu schlafen.« »Schluß jetzt, ihr beiden«, sagte Trautman streng. Er

deutete auf den Kater. »Wenn du dich wirklich mit diesem Tier verständigen kannst, müssen wir das ausnutzen. Vielleicht verschafft es uns einen entscheidenden Vorteil.« »Das Tier ist Serenas Wächter, vergessen Sie das nicht«, wandte Arronax ein. »Es wird nichts tun, was die Prinzessin irgendwie in Gefahr bringt.« Vor der Tür wurden Schritte laut. Sie hörten das scharrende Geräusch des Riegels, und einen Augenblick später wurde die Tür geöffnet, und zwei bewaffnete Soldaten traten ein. Hinter diesen erkannte Mike die Silhouetten zweier weiterer, die mit schußbereiten Waffen auf dem Korridor standen. Winterfeld mochte sie wie Gäste behandeln, aber er beging nicht den Fehler, sie zu unterschätzen. Mike spürte, wie Astaroth sich auf seinem Schoß zu bewegen begann, und hielt den Kater instinktiv fester. »Bitte bleib ruhig«, flüsterte er. »Wir wollen Serena genauso befreien wie du, aber wir müssen abwarten. Wir haben nur diese eine Chance.« Astaroth antwortete auch jetzt nicht, aber Mike glaubte zu spüren, daß das Tier seine Worte verstanden hatte. »Du da!« Einer der beiden Soldaten deutete auf Mike. »Mitkommen. Kapitän Winterfeld will dich sehen.« Mike stand auf und wollte den Kater auf den Stuhl legen, doch Astaroth fauchte so drohend, daß er sein Vorhaben nicht ausführte. Den Kater wie ein schlafendes Baby im Arm, trat er zwischen die beiden Soldaten und dann auf den Gang hinaus. Der Mann, der ihn zum Mitkommen aufgefordert hatte, musterte das Tier finster, schüttelte dann den Kopf und grinste abfällig. Mike schickte ein Stoßgebet zum Himmel, daß Astaroth nichts Unüberlegtes tat. Winterfeld hatte sicher Befehl gegeben, ihn und die anderen mit Respekt zu behandeln.

Kurz darauf erreichten sie Kapitän Winterfelds Kabine. Die beiden Soldaten traten nicht mit ein, sondern

blieben draußen vor der Tür stehen. Winterfeld saß an seinem mit Papieren und Karten übersäten Schreibtisch und sah Mike freundlich entgegen, als dieser eintrat. »Setz dich«, forderte er ihn auf, erst dann schien er den Kater zu bemerken, den Mike auf den Armen trug. »Ich hoffe, dein Schoßtierchen ist inzwischen stubenrein geworden«, sagte er und fügte ein wenig besorgt hinzu: »Was ist mit ihm? Er sieht krank aus.« »Er ist ein ziemlicher Faulpelz, er läßt sich die ganze Zeit herumschleppen«, antwortete Mike, und seine Stimme zitterte etwas. »So sind Katzen nun einmal«, sagte Winterfeld. »Ich selbst habe drei Stück zu Hause - zwei Perser und eine normale Hauskatze. Aber keine ist auch nur annähernd so groß wie dein Tier. Ein richtiges Prachtstück.« Mike lauschte in sich hinein. Aber Astaroths lautlose Stimme blieb stumm. Von der vorlauten Art des Katers war im Moment nichts geblieben. Und Mike glaubte darüber hinaus auch zu spüren, daß eine Veränderung mit dem Tier vor sich gegangen war. »Nun«, sagte Winterfeld, nachdem Mike sich gesetzt hatte, »ich hoffe, du hattest inzwischen Gelegenheit, über unser Gespräch von vorhin nachzudenken.« »Ich wüßte nicht, was wir miteinander zu bereden hätten«, antwortete Mike. Der Kater bewegte sich auf seinen Armen. Irgend etwas geschah mit ihm. Es war keine sichtbare Veränderung, aber Mike fühlte sie sehr deutlich. Winterfeld seufzte. Seine Finger strichen unbewußt über einen Stoß Karten. »Du enttäuscht mich, Michael«, sagte er. »Ich hätte dich für klüger gehalten. Ich

erwarte nicht, daß du mich wie einen Freund behandelst, aber du bist eigentlich alt genug, um zu wissen, wann du aufhören solltest. Ihr habt verloren, sieh das ein. Wir haben gekämpft, und ihr habt euch tapfer gewehrt, aber nun ist es vorbei. Im Grunde habe ich alles, was ich wollte. Meine Leute sind bereits dabei, die NAUTILUS zu untersuchen. Es wird nicht lange dauern, bis sie gelernt haben, das Schiff zu steuern. Ich könnte dich und die anderen irgendwo an Land setzen und meiner Wege gehen, wenn ich das wollte.« »Ja, oder uns gleich umbringen, wie?« Mike erschrak über seine eigenen Worte. Er wußte selbst nicht, warum er das gesagt hatte -Winterfeld war sicher ihr Feind, aber kein Mörder. Aber er spürte einen Zorn und eine Entschlossenheit in sich, die ihn schaudern ließen. Irgendwie spürte er auch, daß es gar nichtseineGefühle waren, die er empfand, aber sie waren einfach zu stark, um sich dagegen zu wehren. »Du weißt, daß ich das nicht täte«, erwiderte Winterfeld. Er klang ehrlich verletzt. »Aber ich könnte euch auf einer Insel absetzen, wo es Jahre dauern kann, bis euch jemand findet. Doch das möchte ich nicht. Im Gegenteil, ich hoffe sogar, daß wir unsere Meinungsverschiedenheiten beilegen und zusammenarbeiten. Deine Hilfe könnte für mich sehr wichtig sein. Und für sehr viele andere Menschen auch.« »Hilfe? Wobei?« fragte Mike böse. »Wollen wir gemeinsam noch ein paar friedliche Forschungsschiffe überfallen?« »Das war eine bedauerliche, aber notwendige Maßnahme«, sagte Winterfeld mit einer Stimme, in der nicht eine Spur von Bedauern zu hören war. »Ich habe nicht vor, als Pirat die Weltmeere unsicher zu machen - wie zum Beispiel dein Vater und Trautman getan haben. Doch was sollte ich tun? Ihr wart mir

entkommen, und somit war Professor Arronax meine letzte Möglichkeit, und - ich gestehe es - die Gelegenheit war zu verlockend. Vor allem«, fügte er mit einem feinen Lächeln hinzu, »da ich auf diese Weise gleich zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen konnte.« »Wie meinen Sie das?« Winterfeld lachte. »Habt ihr die Geschichte von dem Expeditionsteilnehmer wirklich geglaubt, der mir im letzten Moment entkommen ist?« Er schüttelte belustigt den Kopf. »Solche Fehler unterlaufen mir nicht, mein junger Freund. Das war einer meiner eigenen Männer, der den Auftrag hatte, eine entsprechende Meldung an die Presse zu lancieren. Mir war klar, daß Trautman sofort hierherkommen würde, wenn er davon erführe.