121918.fb2 Das M?dchen von Atlantis - читать онлайн бесплатно полную версию книги . Страница 7

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»Aber hören Sie mir doch zu!« schrie Mike verzweifelt. »Sie können sie nicht aufhalten, glauben Sie mir! Nur ich kann es versuchen!« Seine einzige Möglichkeit, sich mit Serena zu verständigen, war Astaroth gewesen. Jetzt, wo der Kater tot war, mußte er direkt mit ihr in Verbindung treten. Und etwas sagte ihm, daß es ihre einzige Chance war, mit dem Leben davonzukommen. Er mußte plötzlich wieder an das denken, was er von Arronax erfahren hatte - Atlantis war untergegangen, weil seinen Herrschern die Fähigkeit abhanden gekommen war, ihre unheimlichen Kräfte zu kontrollieren. Aber Winterfeld beachtete ihn nicht. Die Tür, die er hinter sich zugeworfen hatte, begann jetzt unter einer Reihe harter Schläge zu erzittern, und in dem massiven Metall entstanden gewaltige Beulen, als tobe auf der anderen Seite ein außer Rand und Band geratener Elefant. Vier, fünf Soldaten zugleich warfen sich gegen die Tür und versuchten sie zuzudrücken, aber nicht einmal das schien auszureichen. »Winterfeld!« schrie Mike, so laut er konnte. »Lassen

Sie mich zu ihr! Vielleicht kann ich sie aufhalten!« Aber Winterfeld schüttelte nur den Kopf und machte eine befehlende Geste. »Bringen Sie den Jungen zurück. Und schicken Sie Verstärkung hierher. Die Männer sollen einen Balken oder irgend etwas mitbringen, um die Tür zu verstärken!« Mike hätte am liebsten losgeheult. Er versuchte noch einmal, Winterfeld zuzuschreien, daß er ihn in die Kabine und zu Serena lassen sollte, aber der Soldat zerrte ihn bereits grob hinter sich her, in Richtung Trep

pe. Weitere Soldaten kamen ihnen entgegen, und schließ

lich stolperte Mike, angetrieben durch eine Reihe un

sanfter Stöße, auf das Deck der LEOPOLD hinauf.

Was er sah, erschreckte ihn bis ins Mark. Vor einer halben Stunde, als er zur Krankenstation hinuntergebracht worden war, war der Himmel über dem Schiff wolkenlos und klar gewesen; von jenem fast unnatürlich strahlenden Blau, wie man es nur in diesem Teil der Welt und selbst hier nur selten zu sehen bekommt. Jetzt wirkte diese Farbe verwaschen und blaß. Am Horizont begannen sich schwarze Wolken zusammenzuballen, und das Meer wirkte stumpf wie ein Spiegel, den jemand mit Schmirgelpapier bearbeitet hatte. Das Wimmern, das er schon unten im Schiff gehört hatte, war jetzt viel deutlicher zu vernehmen, und er spürte ein ganz sachtes Kribbeln auf der Haut, wie vor einem bald ausbrechenden Gewitter. Auch sein Begleiter hatte den plötzlichen Wetterumschwung bemerkt und hielt mitten im Schritt inne. Ein verblüffter Ausdruck erschien auf seinem Gesicht, und Mike faßte ein letztes Mal Hoffnung. »Ich muß zurück!« sagte er. »Bringen Sie mich zurück zu Winterfeld -bitte! Sehen Sie nicht, was -« »Ich sehe, daß ein Gewitter kommt«, unterbrach ihn der Soldat und versetzte ihm einen derben Stoß zwischen die Schulterblätter. »Na und? Und jetzt machkeinen Ärger, oderichmachedirwelchen.« Mike gab auf. Der Mann konnte gar nicht verstehen, was dieser vermeintliche »Wetterumschwung« zu bedeuten hatte. Es war kein Unwetter; und schon gar kein normales. Aus den dunklen Wolken am Horizont wurden schwarze, gigantische Wolkengebirge, die mit geradezu unheimlicher Schnelligkeit über den Himmel herankrochen, und noch bevor Mike und sein Begleiter den Achteraufbau des Schiffes erreichten, heulten die ersten Sturmböen über das Deck der LEO-POLD. Mike spürte, wie das gewaltige Schiff unter seinen Füßen zu zittern begann. Das Kribbeln auf seiner Haut wurde stärker. Der Sturm näherte sich dem Schiff mit geradezu unheimlicher Schnelligkeit. Als sie die metallene Treppe hinuntergingen, die zu dem Korridor mit ihren Quartieren führte, war das Heulen des Sturmes bereits so laut geworden, daß es selbst hier drinnen deutlich zu hören war. Es wurde rasch dunkler. Ein erster, noch weit entfernter Donnerschlag rollte vom Meer heran, als sie in den Korridor einbogen, und durch die offenstehende Tür über ihnen flackerte das unheimliche blaue Licht eines Blitzes. Das Schiff erbebte, als sich ein neuer, machtvollerer Rhythmus in das gleichmäßige Wiegen der Wellen mischte. Der Mann neben ihm wurde plötzlich nervös. Trotzdem sparte sich Mike die Mühe, den Mann noch einmal zu bitten, ihn zu Winterfeld zurückzubringen. Der Soldat hatte seine Befehle, und die würde er ausführen, ganz egal, was geschah. Wortlos betrat er die Kabine, in der die anderen bereits ungeduldig auf ihn warteten, und begann sofort zu berichten, noch bevor der Soldat wieder gegangen war und die Tür hinter sich verriegelt hatte.

Blitz und Donner hatten Mikes knappe Erzählung auf unheimliche Weise untermalt, so daß er sich kaum noch Mühe zu geben brauchte, die anderen von der Wahrheit dessen zu überzeugen, was er berichtete. Selbst Ben, der aus Prinzip allem und jedem widersprach, sah ihn nur voller Schrecken an. Der Sturm war viel schneller heraufgezogen, als es überhaupt möglich war, und obwohl er das Schiff noch nicht erreicht hatte, schaukelte die LEOPOLD schon jetzt auf den Wellen wie ein kleines Boot auf bewegter See, nicht wie das gewaltige Kriegsschiff, die sie war. Wie schon einmal war es auch jetzt Arronax, der das unangenehme Schweigen brach, das sich nach Mikes Erzählungen in der Kabine ausbreitete. »Winterfeld wird das Mädchen nicht ewig in der Krankenstation gefangenhalten können«, sagte er. »Früher oder später -« »Wenn kein Wunder geschieht, Professor«, unterbrach ihn Mike, »dann wird es keinSpätermehr geben.« Er deutete auf das Bullauge, hinter dem die Blitze immer rascher aufeinanderfolgten und das Meer in ein unheimliches, schattenloses Flackerlicht tauchten. In das Heulen des Sturmes, das mittlerweile fast lauter war als das Geräusch der Maschinen, hatte sich noch ein anderer Laut gemischt, den Mike nicht identifizieren konnte. »Ich bin nicht sicher, daß Serena selbst diese Gewalten noch bändigen kann.« Arronax sah zum Bullauge und schwieg, aber Trautman sagte mit ernster Stimme: »Ich habe eine Menge Stürme auf See erlebt, aber nie so etwas. Ein Sturm kommt nicht einfach aus dem Nichts. Wir müssen etwas unternehmen.« »Und was?« fragte Juan. Die Frage galt Trautman, aber es war trotzdem Mike, der sie beantwortete. »Winterfeld warnen. Er hat ja keine Ahnung, welche Gefahr er heraufbeschworen hat. Wenn es Serena nicht gelingt, die Gewalten wieder zu bändigen, die sie entfesselt hat, dann ist vielleicht nicht nur dieses Schiff in Gefahr.« Er zögerte einige Augenblicke, weil er Angst vor dem hatte, was er aussprechen mußte. »Was wir erleben, sind die gleichen Gewalten, die Atlantis zerstört haben.« Alle sahen ihn betroffen an, und dann sagte Ben leise: »Und alles nur wegen dieser blöden Katze!« »Es ist nicht nur wegen der Katze«, verbesserte ihn Trautman, während er Mike einen raschen, beruhigenden Blick zuwarf. »Versuch dich doch in das Mädchen hineinzuversetzen. Sie wacht in einer vollkommen fremden Welt auf, voller unbekannter Menschen, die eine unverständliche Sprache sprechen und Dinge tun, die ihr wahnsinnige Angst machen. Das einzige, was sie kennt, ist der Kater - und dann muß sie mit ansehen, wie er vor ihren Augen erschossen wird. Was hättest du -« In diesem Moment flammte draußen über dem Meer ein gleißender, strahlendweißer Blitz auf, fast sofort gefolgt von einem ungeheuerlichen Donnerschlag, und keine halbe Sekunde später schien die LEOPOLD von der Faust eines Giganten getroffen zu werden. Der Schlag war so heftig, daß sie alle zu Boden geschleudert wurden. Das Schiff legte sich auf die Seite, so daß sie haltlos über den plötzlich schrägen Boden rutschten, und in das nur langsam verhallende Echo des Donnerschlages mischte sich ein immer lauter werdendes Krachen und Poltern, das aus allen Teilen der LEOPOLD zugleich zu dringen schien. Mike schrie vor Schmerz auf und hörte die anderen schreien, griff ins Leere und versuchte vergeblich, sich irgendwo festzuklammern. Aber es gab nichts mehr, woran er Halt hätte finden können - was vom Mobilar nicht von der gewaltigen Erschütterung zertrümmert worden war, das war zusammen mit ihnen gegen die linke Wand der Kabine gerutscht. »Was war das?« keuchte Arronax, der es als erster geschafft hatte, auf die Füße zu kommen. Wie zur Antwort darauf ertönte ein zweiter, noch lauterer Donnerschlag. Wieder erbebte das Schiff bis in den letzten Winkel. Arronax stürzte wieder, und als sich das Schiff diesmal auf die andere Seite legte, schlitterte er auf die Tür zu. Aus dem Inneren der LEOPOLD antwortete eine krachende Explosion auf den Donnerschlag.

Arronax prallte gegen die Tür - und rutschte hindurch! Die gewaltige Erschütterung mußte das Schloß aufgesprengt haben. Nur Sekunden später schlitterten Mike und die anderen ebenfalls durch die Tür. Mike hatte weniger Glück als der Professor. Sein Oberkörper wurde unsanft an den Türrahmen gepreßt, und er prallte so heftig gegen die Wand des Korridors, daß er das Gefühl hatte, die Beine wären ihm bis zu den Schultern hinauf in den Leib gerammt worden. Neben ihm schlug Singh hart auf den Boden des Korridors auf, und Mike hörte den Aufprall der anderen hinter ihnen und wie sie vor Schmerz aufschrien. Doch das Glück blieb ihnen treu. Niemand war verletzt worden und von den beiden Posten, die vor ihrer Tür Wache gestanden hatten, war nichts mehr zu sehen. Offensichtlich hatten sie die Flucht ergriffen, als die Katastrophe begann. Singh sprang als erster auf die Füße und zerrte Mike mit sich. »Nichts wie raus hier!« befahl er. »An Deck! Schnell! Wir müssen die NAUTILUS erreichen!« Er wollte loslaufen, doch dann hielt er mitten in der Bewegung inne und fuhr zu Arronax herum. »Wo sind Ihre Leute, Professor?« fragte er atemlos. »In einer Kabine im Heck«, antwortete Arronax. »Nicht weit von hier.« »Holen Sie sie!« befahl Singh. »Schnell! Wir versuchen zur NAUTILUS zu gelangen. Vielleicht können wir in dem Durcheinander entkommen.« Arronax stürmte davon, und jetzt, wo Singhs Worte allen klargemacht hatten, welche unerwartete Chance ihnen das Schicksal bot, gab es kein Halten mehr. So schnell, wie es der noch immer wild hin und her schwankende Boden zuließ, rannten sie den Korridor entlang und die Treppe hinauf.

Aus dem Grollen des Gewitters wurde der apokalyptische Lärm eines Höllensturmes, kaum daß sie auf das Deck hinaustraten. Die Blitze flackerten so rasch hintereinander, daß der Himmel über dem Schiff fast taghell erleuchtet war. Ein eiskalter Wind schlug ihnen ins Gesicht und war von solcher Stärke, daß sie sich nur gebückt und schräg gegen ihn gestemmt vorwärts bewegen konnten. Vom Heck her flackerte roter Feuerschein, aber Mike wagte es nicht, sich umzuwenden. Er brauchte jedes bißchen Kraft, um nicht von den Beinen gerissen zu werden. Er konnte Singh und die anderen nur noch als Schemen vor sich erkennen. Die Decksaufbauten der LEO-POLD waren hinter dem wie ein Wasserfall herunterbrausenden Regen verborgen, doch er konnte sehen, daß die Reling - aber auch einer der Geschütztürme des Schiffes -vom Blitz getroffen worden sein mußten, denn das Metall war an einigen Stellen schwarz und verkohlt, hier und da glühte es gar noch. Das war wohl auch der Grund für die Explosion gewesen, die sie gehört hatten. Singh schrie irgend etwas, aber der Sturm riß ihm die Worte von den Lippen, so daß Mike ihn nicht verstehen konnte. Er sah nur, wie er nach vorne deutete. Das Tauchboot befand sich an der anderen Seite der LEOPOLD, so tief unter der hochliegenden Reling des Kriegsschiffes, daß sie es von hier aus nicht sehen konnten. Mike spürte mit unerschütterlicher Sicherheit, daß sie nur diese eine einzige Chance hatten. Was immer es war, was der LEOPOLD zustieß es begann erst. Hinter der Mauer aus schwarzen Gewitterwolken, die das Schiff von allen Seiten umgab, ballten sich unvorstellbare zerstörerische Gewalten zusammen, die die LEOPOLD einfach zermalmen würden. »Was ist mit Serena?« brüllte er, so laut er konnte.

Seine Worte wurden vom Sturm davongetragen wie die Singhs zuvor, und Mike war plötzlich nicht einmal mehr sicher, daß sie die andere Seite des Schiffes überhaupt erreichen würden. Das Toben des Sturmes nahm immer mehr an Heftigkeit zu, und hinter der schwarzen Wolkenmauer glaubte Mike nun tatsächlich etwas zu sehen, was sich dort zusammenballte und sich dem Schiff näherte. Doch bevor er noch einen zweiten Blick dorthin werfen konnte, prallte er gegen Singh, der abrupt stehengeblieben war. In den Decksaufbauten vor ihnen war eine Tür aufgeflogen. Eine Gruppe bewaffneter Männer -und darunter auch Kapitän Winterfeld - stürmte ins Freie. Hinter ihnen trat Serena auf das Deck heraus. Aber wie hatte sie sich verändert! Aus dem bleichen, zarten Mädchen schien ein Todesengel geworden zu sein. Ihre Gestalt war von einem unheimlichen, bläulichweiß flackernden Licht umgeben, das sie wie ein Mantel aus purer Energie umfloß. Ihr Haar und das weiße Kleid wurden noch immer von einem unsichtbaren Sturmwind gepeitscht, und auf ihrem Gesicht lag ein Ausdruck solch unbändigen Zornes, daß Mike bei ihrem Anblick aufstöhnte. Er konnte die Aura vernichtender Kraft um das Mädchen herum regelrecht fühlen. Die Männer stürmten davon, aber irgend etwas folgte ihnen. Einer nach dem anderen wurden sie gepackt und zu Boden oder gegen die Wände geschleudert, und mehr als einer von ihnen hatte nicht mehr die Kraft, sich zu erheben und seine Flucht fortzusetzen. Es waren kampferprobte Soldaten, aber dieser Feind ließ sich nicht mit Mut oder der Kraft ihrer Waffen besiegen. Es war, als hätte Serenas Zorn Gestalt in dem Sturm angenommen, der über die LEOPOLD und ihre Besatzung hereingebrochen war.

Trotzdem verspürte Mike keine Angst um sich oder die anderen, sondern um Serena selbst. Und plötzlichtat er etwas Überraschendes -mit einer raschen Bewegung sprang er an Singh vorbei, lief im Zickzack zwischen Trautman und den anderen Jungen hindurch und näherte sich dem Mädchen. Er kam ihr nicht sehr weit entgegen, da fühlte er sich von der gleichen, unsichtbaren Gewalt wie all diese Männer hier gepackt und mit fürchterlicher Wucht zu Boden geschleudert. Hilflos rutschte er über das Deck, riß sich auf dem harten Metall Hände und Knie auf und prallte gegen eine Gestalt, die unmittelbar hinter ihm zu Boden gefallen war. Erst als er sich benommen aufzurichten versuchte und eine Hand auf der Schulter fühlte, erkannte er, daß es Winterfeld war. »Bist du verrückt geworden?« fuhr ihn Winterfeld an. »Willst du, daß sie dich umbringt?« Mike machte sich hastig los und versuchte erneut, auf Serena zuzulaufen, aber diesmal hielt ihn Winterfeld mit eiserner Hand zurück. »Lassen Sie mich los!« keuchte Mike. »Ich kann sie aufhalten! Sie wird auf mich hören!« »Fünfzig meiner Männer haben sie nicht aufhalten können!« Winterfeld schrie, um das Heulen des Sturmes zu übertönen. Trotzdem waren seine Worte kaum zu verstehen. »Und du willst mit ihrreden?Mach dich nicht lächerlich!« Aus den tobenden Regenschleiern kam eine Gestalt auf sie zu. Es war Singh. Winterfeld erkannte ihn im selben Moment, in dem der Sikh sah, wer Mike gepackt hielt, und obwohl rings um sie herum die Welt in Stücke brach, schienen die beiden Männer wild entschlossen, sich aufeinanderzustürzen. Und vielleicht hätten sie es sogar getan, wäre nicht in diesem Moment etwas geschehen, was sie selbst den Höllenstürm, die Todesgefahr und Serena für eine Sekunde vergessen ließ. Eine besonders heftige Sturmböe riß die Wolkenfront auseinander, und sie sahen, was dahinter herankam ... »O mein Gott!« flüsterte Winterfeld. Seine Augen wurden groß, und sein Gesicht verlor jegliche Farbe, und Mike spürte, wie sein Herzschlag stockte. Es war eine Welle. Aber es war nicht eine gewöhnliche Welle. Es war eine kompakte, glitzernde Wand aus Wasser, fünfzig, wenn nicht hundert Meter hoch und so breit, daß sie von einem Horizont zum anderen zu reichen schien. Und sich näherte sich dem Schiff mit unvorstellbarer Geschwindigkeit. Ein tiefes, ungeheuer machtvolles Dröhnen und Grollen mischte sich in das Brüllen des Sturmes, und sogar das Gewitter hielt für einen Moment inne, als fürchteten sich selbst die Naturgewalten vor den Kräften, die das Mädchen entfesselt hatte. »Festhalten!« brüllte Winterfeld, und sie fanden gerade noch Zeit, es zu tun, dann war die Welle heran und traf das Schiff. Mike hatte mit einem vernichtenden Schlag gerechnet, der die LEOPOLD einfach in Stücke riß oder vielleicht auch zur Gänze unter die Wasseroberfläche drückte, aber ganz im Gegenteil: Mike fühlte sich plötzlich leicht, und es war, als ob der Boden unter ihm wegsackte, statt sich aufzubäumen und ihn abzuschütteln wie ein bockendes Pferd seinen Reiter. Erst dann begriff er, daß die gigantische Woge das ganze Schiff gepackt und in die Höhe gehoben hatte! Er fand nicht einmal die Zeit, den Schrecken darüber wirklich zu spüren, da stürzte die LEOPOLD wie ein Berg aus Stahl ins Wasser zurück. Für den Bruchteil einer Sekunde befand sich ihr Deck unter der Wasseroberfläche, aber noch ehe das Meer es überspülen konnte, da wurde das Schiff schon wieder in die Höhe gerissen und auf die Seite gedrückt, so schnell und so weit, daß aus dem Deck nahezu eine senkrechte Wand wurde. Mike schrie in Todesangst auf, während er auf die Reling zuschlitterte. Rings um ihn herum flogen Trümmer und schreiende Menschen durch die Luft, und die kochende Wasseroberfläche schien ihm regelrecht entgegenzuspringen. Im allerletzten Moment richtete sich das Schiff wieder auf. Mike rutschte noch ein Stück weiter, prallte gegen irgend etwas Hartes, Großes, das seinen Sturz endgültig abbremste, und blieb eine Sekunde mit geschlossenen Augen und wild klopfendem Herzen liegen, fest davon überzeugt, daß der Tod nun unausweichlich war. Als er es wagte, die Augen wieder zu öffnen, bot sich ihm ein Anblick des Chaos. Die ungeheure Erschütterung hatte nicht nur jeden Mann auf dem Deck von den Füßen gerissen, sondern auch enorme Zerstörungen angerichtet. Die Flammen im Heck der LEOPOLD waren erloschen, doch einer der großen Geschütztürme war abgerissen und verschwunden, und die Kommandobrücke stand plötzlich schräg da, als wäre sie vom Fußtritt eines zornigen Riesen getroffen worden. Etliche der Männer, die zusammen mit Winterfeld nach oben gekommen waren, hatte das Wasser über Bord gespült, viele lagen stöhnend am Boden, und einige regten sich nicht mehr. Mike fuhr herum und suchte nach den anderen. Er entdeckte Juan und Chris ganz in der Nähe, beide schreckensbleich und zitternd aneinandergeklammert, aber offensichtlich unverletzt. Und zu seiner großen Erleichterung gewahrte er jetzt auch Ben, André und schließlich sogar Trautman, Arronax und den Sikh. Hastig sprang Mike auf und eilte zu Trautman, der sich in diesem Moment ebenfalls erhob; benommen, aber bis auf ein paar kleine Kratzer und Schrammen ebenfalls unversehrt. Als er ihn erreichte, sah er, wie sich Winterfeld kaum einen Meter entfernt stöhnend auf die Knie erhob und Trautman etwas völligÜberraschendes tat. Er trat zu Winterfeld, ergriff ihn am Arm und zog ihn mit einem kraftvollen Ruck vollends auf die Füße. »Großer Gott!« stammelte Winterfeld. »Sie ... sie vernichtet das Schiff! Sie wird uns alle töten!« Verzweifelt sah er sich nach Serena um, und als Mike in die gleiche Richtung schaute, entdeckte er das Mädchen an genau der Stelle, an der sie vor der Katastrophe gestanden hatte. Der Zorn auf ihrem Gesicht loderte noch immer so heiß wie zuvor, und Mike mußte nur einen einzigen Blick in ihre Augen werfen, um zu wissen, daß es noch immer nicht vorbei war. Winterfeld hatte recht. Serena würde nicht aufhören, ehe dieses Schiff und jede Seele an Bord vernichtet war. »Bringen Sie sich in Sicherheit!« sagte Winterfeld plötzlich. »Die NAUTILUS ist fahrbereit! Meine Ingenieure haben die Schäden repariert. Nehmen Sie die Jungen und Arronax' Leute an Bord und tauchen Sie! Eine zweite Woge hält die LEOPOLD nicht aus.« Trautman wirkte nicht überrascht - Mike war sicher, daß er genau diesen Vorschlag von Winterfeld erwartet hatte. »Wir werden bleiben, solange wir können«, sagte er. »Die NAUTILUS ist nicht groß genug, um alle Ihre Männer aufzunehmen, aber -« »Ich fürchte, dazu bleibt Ihnen keine Zeit«, sagte Winterfeld leise. »Schauen Sie.« Seine ausgestreckte Hand wies nach Norden, und Mike wußte, was er sehen würde, noch bevor er sich herumdrehte und ebenfalls dorthin blickte. Am Horizont, noch weit, unendlich weit entfernt, entstand eine dünne, glitzernde Linie, nicht mehr als ein Strich aus unterbrochenem Silber, der sich von dem Schwarz der Gewitterwolken abhob. Aber sie wußten alle, was es bedeutete. Es war eine zweite, wahrscheinlich noch gigantischere Welle, die das Schiff diesmal unweigerlich zerschmettern mußte. Sie rannten los. Als sie die Reling erreichten, war aus dem dünnen Strich am Horizont eine fingerbreite Linie geworden, und Mike glaubte bereits wieder jenes unheimliche Grollen und Rumoren zu hören, das das Nahen der Riesenwoge ankündigte. Die NAUTILUS lag unter ihnen. Zwei der vier armstarken Seile, mit denen sie an der LEOPOLD vertäut war, waren gerissen, aber das Schiff wies zumindest äußerlich keine Beschädigungen auf, und selbst die Strickleiter, die von der Reling zum Turm des Tauchbootes hinunterführte, war noch da. Juan und Ben stiegen unverzüglich hinab, während Singh Chris auf die Arme nahm und wartete, bis er an der Reihe war. Es würde knapp werden. Selbst wenn die Maschinen der NAUTILUS wieder tadellos funktionierten, wußte Mike, daß sie eine, wenn nicht zwei Minuten brauchen würden, um das Schiff zu tauchen, und er war nicht sicher, daß ihnen noch so viel Zeit blieb. Trotzdem versuchte er ein letztes Mal, Trautman zu überzeugen. »Wir können Serena nicht einfach hierlassen!« flehte er. »Sie wird sterben!« »Das wird sie«, antwortete Trautman ernst. »Aber es gibt nichts, was du für sie tun könntest. Sie würde auch dich töten, wenn du es versuchtest.« Mike wußte, daß genau das geschehen würde, sollte er Serena auch nur in die Nähe kommen. Der Tod des Katers hatte das Mädchen offenbar um den Verstand gebracht. Sie war so rasend vor Zorn, daß sie keinen Unterschied mehr zwischen Freund und Feind machte, und vielleicht konnte sie das auch gar nicht mehr. Möglicherweise, dachte Mike schaudernd, hatten sie alle das WortWächterfalsch verstanden, und Astaroths Aufgabe war es gar nicht gewesen, Serena vor der Welt zu schützen, sondern die Welt vorSerena.Aber diese Erkenntnis kam etwas zu spät. Juan und Ben hatten die NAUTILUS erreicht und verschwanden bereits in der Turmluke, und als nächster machte sich Singh auf die kurze, aber lebensgefährliche Kletterpartie. Mike sah rasch nach Norden. Die Wasserwand war näher gekommen, und was bisher nur ein Verdacht gewesen war, wurde jetzt zur Gewißheit: siewarum vieles größer als die erste Woge. »Das ist das Ende«, flüsterte Trautman. »Hoffentlich schaffen es Arronax und seine Leute.« Er deutete auf die Strickleiter, und Mike streckte gehorsam die Hände nach der Reling aus, um sich darüberzuschwingen. Als er das Metall berührte, schoß ein grausamer Schmerz durch seine Seite. Mike krümmte sich. Für eine Sekunde sah er nichts als Rot und Flammen. Es war, als hätte ein weißglühender Speer seine Hüfte getroffen, und der Schmerz war so entsetzlich, daß er nicht einmal schreien konnte; schlimmer als alles, was er jemals zuvor gespürt hatte. Wimmernd sank er auf die Knie und blickte an sich herab, überzeugt, eine grauenhafte Wunde zu sehen, die er sich bei seinem Sturz zugezogen und bis jetzt noch gar nicht bemerkt hatte. Aber er war völlig unversehrt. »Was ist mit dir?« fragte Trautman erschrocken. »Hast du dich verletzt?« Mike hörte die Worte kaum. Er bekam noch immer keine Luft, und spürte, wie er das Bewußtsein zu verlieren begann. Alles drehte sich um ihn. Er fühlte eine Pein wie nie zuvor im Leben, einen Schmerz, der ...

nicht sein eigener war.

Im gleichen Moment, in dem er dies begriff, erlosch die Qual. Mike fand sich erschöpft und nach Luft ringend am Boden sitzen, einen vollkommen fassungslosen Trautman über sich stehen, der auf ihn einredete. Doch Mike hörte nicht zu, denn ganz plötzlich wußte er nicht nur, woher dieser Schmerz gekommen war, sondern auch, was er bedeutete ... So schnell, daß Trautman nicht dazu kam, eine Bewegung zu machen, um ihn aufzuhalten, sprang Mike in die Höhe und rannte mit Riesensätzen auf die Tür zu, hinter der die Treppe zur Krankenstation lag ...

Wenn er geglaubt hatte, oben an Deck Bilder vollkommener Zerstörung erblickt zu haben, so war dies falsch gewesen. Die restlose Verheerung begann erst hier unten. Die metallenen Wände, die Decke, ja selbst der Fußboden waren verbogen und zerbeult und zermalmt, wie von Hammerschlägen tobsüchtiger Riesen getroffen. Türen waren aus den Angeln gerissen und meterweit durch die Luft geschleudert worden, und auch die Einrichtungen der Kabinen, an denen er vorbeikam, waren völlig zerstört. Hier undda lag eine Waffe, die einer der Soldaten auf seiner Flucht fallengelassen hatte. Überall in den Wänden gähnten große, ausgezackte Löcher, und aus manchen ragten die Reste zerborstener Wasserleitungen oder -tanks, die Serena mit ihren unheimlichen Kräften zur Explosion gebracht hatte. Aber Mike beachtete all dies kaum, sondern rannte weiter, so schnell er nur konnte. Seine Logik sagte ihm, daß er praktisch keine Chance mehr hatte. Was er oben gesehen hatte, war, als wäre das Meer selbst aufgestanden, um die winzigen Wesen abzuschütteln, die sich einbildeten, es zu beherrschen. Taumelnd und nach Atem ringend, erreichte er die Krankenstation -oder das, was davon übrig war. Winterfelds Männer hatte die Tür verbarrikadiert, ganz wie es ihnen der Kapitän befohlen hatte, aber es hatte nichts genutzt. Die Tür war nicht aufgebrochen - sie war einfach -verschwunden,und mit ihr der allergrößte Teil der Wand, in die sie eingelassen gewesen war. Der Raum dahinter sah aus, als wäre gleich ein ganzes Dutzend Bomben darin explodiert. Von der Einrichtung war im wahrsten Sinne des Wortes nichts übriggeblieben. Mikes Mut sank, als er sah, daß Serenas außer Kontrolle geratenen Kräfte das Mobiliar regelrecht in Kleinholz verwandelt hatten. Dann hörte er das Miauen. Es war ein kläglicher, dünner Ton, der im Brüllen des Orkans beinahe unterging, aber Mike hörte ihn trotzdem ganz deutlich. Mit wilden Blicken sah er sich um

- und entdeckte den Kater in einem Winkel des Raumes, wo er halb begraben unter verbogenen Trümmerstücken lag. »Astaroth!« schrie er. »Gott sei Dank, du lebst!«

Aber nicht mehr lange, wenn du weiter da rumstehst und Maulaffen feilhältst,antwortete die lautlose Stimme des Katers in seinen Gedanken.Wieso hat das so lange gedauert?

Mike antwortete nicht, sondern war mit einem Satz bei dem schwarzen Tier und hob es vorsichtig auf die Arme. Astaroth wimmerte vor Schmerz, und Mike fuhr erschrocken zusammen, als er sah, wie schwer er verletzt war. Die Kugel hatte seine Hüfte durchbohrt und eine Wunde hinterlassen, an der ein Mensch wahrscheinlich gestorben wäre. Ganz bestimmt sogar, verbesserte sich Mike in Gedanken, schließlich hatte er den furchtbaren Schmerz des Katers gespürt. »Du armer Kerl«, sagte er. »Es tut mir -«Kümmere dich jetzt nicht um mich,unterbrach ihn der Kater.Wo ist die Prinzessin?»Oben an Deck«, antwortete Mike. »Sie zerstört das ganze Schiff. Winterfelds Männer haben versucht, sie aufzuhalten, aber es ist

ihnen nicht gelungen.«Sie aufzuhalten?erwiderte Astaroth.Ich wüßte keine Macht auf dieser Welt, diedas könnte. Sie wird noch sehr viel mehr zerstören als nur dieses Schiff. Bring mich nach oben, rasch!

Mike sparte sich jede weitere Frage. Er rannte, wie er nie zuvor in seinem Leben gerannt war, durch den zerstörten Korridor zurück zur Treppe, wobei er den Kater wie ein krankes Kind an sich preßte. Astaroth wimmerte manchmal leise, ertrug die grobe Behandlung aber ansonsten, ohne sich zu wehren, und auch seine Gedankenstimme schwieg. Das Schiff tanzte so ungestüm auf den Wellen, daß Mike große Mühe hatte, die Treppe hinaufzukommen. Mehr stolpernd als gehend wankte er auf das Deck hinaus, fiel nur wenige Schritte hinter Serena auf die Knie und warf einen Blick nach Norden. Die Welle war fast heran. Hatte er sie vorher mit einer Wand aus Wasser verglichen, so schien das, was sich jetzt der LEOPOLD näherte, ein massives Gebirge zu sein. Millionen und aber Millionen Tonnen von Wasser, die sich brüllend und schaumgekrönt auf das Schiff zuwälzten. Winterfeld und seine Männer waren in heller Panik zur gegenüberliegenden Reling zurückgewichen. Einige machten gerade Anstalten, ins Wasser zu springen, während andere sich zusammengekauert hatten und die Arme über dem Kopf zusammenschlugen. Plötzlich wußte Mike, daß auch die NAUTILUS der Vernichtung nicht mehr entgehen konnte, ob unter Wasser oder nicht. Nichts konnte diesen Gewalten widerstehen.

»Serena, nicht!«schrie Mike verzweifelt. Er versuchte aufzustehen, glitt auf dem nassen Metall wieder aus und fiel der Länge nach hin. Der Kater stürzte schwer auf das Deck und stieß einen winselnden Laut aus. Serena fuhr herum und starrte Mike aus brennenden Augen an. Er spürte, wie hinter diesen Augen etwas erwachte, eine Gewalt, die noch mächtiger und gnadenloser war als die unsichtbaren Mächte, die dem Meer befahlen und die sich über ihnen zusammenballten, um sie zu zerschmettern. »Serena, nicht!« keuchte Mike. »Bitte hör auf! Astaroth lebt! Sieh doch! Der Kater ist am Leben!« Aus den Augenwinkeln sah er, wie die Woge heranraste. Ihr Brüllen übertönte seine Worte und jeden anderen Lärm. Die Wasserwand war vielleicht noch eine Meile vom Schiff entfernt, dann eine halbe, eine viertel. Der Ozean selbst schien nach oben zu kippen, und gleich würde er das Schiff erreichen und einfach zermalmen. Wo gerade noch der Himmel gewesen war, war plötzlich schimmerndes, kochendes Wasser. Mike riß in einer vollkommen sinnlosen Bewegung die Arme über den Kopf, krümmte sich und die Wasserwand brach in sich zusammen. Mit einem Tosen und Krachen wie von hundert Wasserfällen, die gleichzeitig eine kilometerhohe Felsklippe herunterstürzten, brach das Wassergebirge auseinander, noch immer entsetzlich nahe bei der LEOPOLD, aber nicht mehr über ihr. Wie beim ersten Mal wurde das Schiff in die Höhe gehoben und ein Stück davon getragen, aber diesmal setzte die Woge es beinahe sanft wieder ab. Die Erschütterung reichte trotzdem, jedermann an Deck von den Füßen zu reißen, und für einen Moment war Mike blind und rang keuchend nach Luft, als eisige Gischt das Schiff überspülte. Aber es war nur mehr eine normale Woge, die keinen wirklichen Schaden mehr anrichtete. Die LEOPOLD tanzte noch immer auf dem Wasser wie ein Korken, nicht wie ein Schlachtschiff, das Zehntausende von Tonnen wog. Aber die eigentliche Gefahr war vorüber. Das unheimliche Feuer in Serenas Augen war erloschen. Sie saß auf dem Boden, den Kater auf dem Schoß, der sich trotz seiner Verletzung zu ihr hingeschleppt hatte, und ihre Augen waren nun wieder so glanzlos und stumpf wie zuvor. Ihre rechte Hand lag zwischen den Ohren des Katers und kraulte langsam sein Fell. Aber die Gefahr war vorbei. Der Dämon, der in Serena erwacht war, hatte sich wieder zurückgezogen. Und ganz plötzlich begriff Mike, daß seine Vermutung richtig gewesen war: Der Kater schützte nicht das Mädchen vor der Welt. Sondern die Welt vor dem Mädchen.

Das hat verdammt lange gedauert, bis du das kapiert hast,sagte Astaroth. Seine Gedankenstimme klang schon wieder ein wenig spöttisch. Offensichtlich erholte er sich genauso schnell wieder von seiner Verwundung wie das erste Mal. Mike kam nicht dazu, ihm zu antworten, denn er gewahrte plötzlich aus den Augenwinkeln heraus eine Bewegung, und als er aufsah, blickte er direkt in Winterfelds Gesicht. Hinter ihm kamen Trautman und Arronax heran, beide begleitet von Winterfelds Soldaten. Aber auf den Gesichtern dieser Männer war keine Feindseligkeit mehr zu lesen. Nur eine Furcht, die vielleicht nie wieder völlig daraus weichen würde. »Du hast es geschafft«, sagte Winterfeld. Er sah Mike an, dann den Kater und schließlich das Mädchen. »Du hast uns allen das Leben gerettet!« »Das war nicht ich«, antwortete Mike. »Bedanken Sie sich bei ihm.« Er deutete auf Astaroth. Winterfelds Blick folgte seiner Geste, aber er wirkte nicht überrascht, sondern zutiefst erschüttert. »Und was haben Sie jetzt vor?« fragte Arronax. Winterfeld drehte sich zu Arronax und Trautman herum. Er deutete auf die NAUTILUS, die neben dem Schiff auf dem Meer trieb. »Gehen Sie«, sagte er. »Nehmen Sie Ihre Leute und die Jungen, und fahren Sie nach Hause.« »Sie lassen uns gehen?« fragte Trautman. Seine Stimme klang erleichtert aber auch ein wenig mißtrauisch. »Ja«, bestätigte Winterfeld. Dann wandte er sich an Mike. »Bitte geh«, sagte er noch einmal. »Bring das Mädchen zurück. Ich lasse Arronax die Unterlagen zurückgeben. Vielleicht findet ihr einen Ort, an dem Serena sicher vor der Welt ist.«Und die Welt vor ihr,fügte sein Blick hinzu. Er sprach es nicht aus, aber Mike las die Worte deutlich in seinen Augen. Er hatte niemals zuvor einen Menschen gesehen, der so tief erschüttert gewesen wäre wie Winterfeld in diesem Moment.Wird sie ... ruhig bleiben?fragte er lautlos, und Astaroth antwortete auf demselben, lautlosen Weg:Solange ich bei ihr bin, ja.

»Sie lassen uns wirklich gehen?« vergewisserte sich Trautman. »Das ist keine Finte?« »Ich gebe Ihnen zweiundsiebzig Stunden«, antwortete Winterfeld. »Das sollte reichen, Arronax und seine Mannschaft an Land zu bringen und zu verschwinden. Zweiundsiebzig Stunden, Trautman, keine weniger, aber auch keine mehr.« Er deutete auf Mike. »Dieser Junge da hat mir und jedem Mann an Bord dieses Schiffes das Leben gerettet. Dafür lasse ich euch laufen. Aber danach sind wir quitt. Wenn wir uns das nächste Mal sehen, sind wir Feinde.«

»Es wird kein nächstes Mal geben«, sagte Trautman leise. Winterfeld schwieg, und auch Mike wußte, daß er sich irrte. Während er aufstand und Serena behutsam bei der Hand ergriff, um sie über das Deck der LEOPOLD dorthin zu führen, wo die NAUTILUS darauf wartete, Serena in ihre kalte, dunkle Heimat unter den Meeren zurückzubringen, wußte er, daß sie sich wiedersehen würden. Vielleicht nicht hier, und vielleicht nicht auf eine Weise, die sie sich jetzt schon vorstellen konnten, und vielleicht sogar an einem Ort, von dem sie keine Ahnung hatten, daß er existierte, aber sie würden sich wiedersehen.

Wolfgang Hohlbein,geboren in Weimar, lebt heute mit seiner Familie in der Nähe von Düsseldorf. Für sein Erstlingswerk »Märchenmond«, ein phantastischer Roman, den er gemeinsam mit seiner Frau Heike schrieb, erhielt er 1982 den ersten Preis des vom Verlag Ueberreuter veranstalteten Wettbewerbs zum Thema Science Fiction und Phantasie. Außerdem erhielt dieser Titel 1983 den »Phantasie-Preis der Stadt Wetzlar« und den »Preis der Leseratten«.

Von Wolfgang und Heike Hohlbein

erschienen:

Märchenmond Märchenmonds Kinder Elfentanz Midgard Drachenfeuer Der Greif Spiegelzeit Unterland

Ein sonderbares Licht läßt Mike und seine Freunde mit der Nautilus tief unter die Meeresoberfläche tauchen. Sie entdecken einemetalleneKuppel, in der ein schlafendes Mädchen liegt, bewacht von einemschwarzen Kater. Ist sie die einzige Überlebende des sagenumwobenen Volkes von Atlantis? Bevor Mike und seine Freunde dieses Rätsel lösen können, müssen sie noch viele gefährliche Abenteuer bestehen.