121919.fb2 Das Meeresfeuer - читать онлайн бесплатно полную версию книги . Страница 3

Das Meeresfeuer - читать онлайн бесплатно полную версию книги . Страница 3

Astaroth!« sagte Mike laut. Serena blickte irritiert auf, und

Astaroth antwortete schnippisch:

Strenggenommen habe ich überhaupt nichts gesagt. Ich kann nämlich überhaupt nicht sprechen, weißt du? Nicht in dem Sinn, in dem ihr –

»Schluß jetzt!« sagte Mike noch einmal und in noch schärferem Ton. »Mir ist wirklich nicht nach Witzen zumute, Astaroth. «

Tatsächlich schwieg Astaroth, während Serena sich aus Mikes Umarmung löste und das Tuch, mit dem sie die Stirn des Verletzten kühlte, wieder ins Wasser tauchte. »Ihr bringt ihn morgen früh an Land?« fragte sie.

»Sobald wir von hier wegkommen«, bestätigte Mike. »Es gibt einen kleinen Hafen, ganz in der Nähe. Zumindest auf der Karte sieht er so aus, als könnten wir ohne allzu großes Risiko dort an Land gehen. « »Ich komme mit«, sagte Serena.

»Davon wird Trautman nicht sehr begeistert sein«, erwiderte Mike. »Du weißt, was –« »Ich kenne den Unsinn, den er gerne redet«, unterbrach ihn Serena. »Ich bin ein Mädchen, und Mädchen dürfen sich nicht in Gefahr begeben, ich weiß. Noch so eine Verrücktheit von euch. « »War es bei euch denn anders? « fragte Mike. Serena legte dem Fiebernden das feuchte Tuch wieder auf die Stirn und nickte. »Wir haben keinen Unterschied zwischen Männern und Frauen gemacht. Und weißt du, was? Bei uns sind die Frauen auch nicht reihenweise umgekommen, weil sie sich in Situationen begeben hatten, dieMännersachewaren. Außerdem braucht ihr mich. « Sie sah ihn herausfordernd an und deutete auf den Verletzten. »Ich habe zwar meine Heilkräfte verloren, aber ich kann mich immer noch zehnmal besser um ihn kümmern als einer von euch. Vielleicht sagst du das Trautman. «

»Und warum tust du es nicht selbst?« fragte Mike. Er konnte sich lebhaft vorstellen, wie Trautman auf diesen Vorschlag reagieren würde, und er verspürte wenig Lust auf eine mögliche Diskussion. »Weil so etwasMännersacheist«, antwortete Serena mit einem derart unverschämten Grinsen, daß Mike jede Antwort im Hals steckenblieb. Das Mädchen wurde aber auch sofort wieder ernst.

»Geh und rede mit ihm«, bat es. »Er soll sich beeilen. Ich weiß nicht, ob er bis zum Morgen durchhält. Und ich habe keine große Lust, einen Toten an Land zu bringen. « »Also gut«, seufzte Mike. »Ich kann es ja wenigstens versuchen. «

Er verließ die Kabine, aber er war kaum draußen auf dem Gang, als ihm Ben entgegenkam. Er wirkte sehr aufgeregt. »Ist Serena da drin?« fragte er. Mike nickte. »Ja. Warum? Was ist passiert?« Ben wollte einfach an ihm vorüberstürmen, aber Mike vertrat ihm hastig den Weg. »Was willst du von ihr?« »Ich muß noch einmal mit ihr über diesesFern-Sehenreden«, antwortete Ben. Mikes Augen wurden groß. »Wie?« »Aber es ist wichtig!« antwortete Ben. »Versteh doch! Das ist vielleichtdieErfindung des Jahrhunderts! Mir sind da noch ein paar Ideen gekommen, weißt du? Stell dir nur vor, man könnte zum Beispiel Sendezeit verkaufen, damit die Leute, die heiraten wollen, eine Braut oder einen Bräutigam finden! Weißt du, wie viele einsame Menschen es gibt und was sie zahlen würden, um–«

Mike versetzte ihm einen Stoß vor die Brust, der ihn einen Schritt zurückstolpern und erschrocken mitten im Wort verstummen ließ. Wütend schüttelte Mike die Faust vor Bens Gesicht. »Wenn du nicht sofort verschwindest, verpasse ich dir eine blutige Nase!« versprach er. »Untersteh dich, Serena mit diesem Unsinn zu belästigen!«

Ben war vollkommen verwirrt. Er war einen guten Kopf größer als Mike und um einiges kräftiger, wie sich in zahllosen freundschaftlichen Balgereien immer wieder bestätigt hatte. Trotzdem widersprach er nicht, sondern blinzelte nur irritiert auf Mike herab. »Was... was ist denn in dich gefahren?« murmelte er. »Was hast du denn gegen ein gutes Geschäft einzuwenden?« »Du hast mich verstanden«, grollte Mike. »Laß Serena mit diesem Quatsch in Ruhe, oder es kracht!« Und damit lief er an Ben vorbei und machte sich auf den Rückweg zum Salon.

Zu Mikes nicht geringer Überraschung war Trautman keineswegs dagegen, Serena mit an Land zu nehmen. Er war schon von selbst auf den Gedanken gekommen, daß Serena wohl als einzige in der Lage war, sich um den Verletzten zu kümmern, und so kam es, daß sie mit dem ersten Licht des Tages zu dritt in einem der beiden Beiboote der NAUTILUS saßen und in den Hafen von Glengweddyn ruderten.

Der Ort, der so winzig war, daß er auf den meisten Karten nicht einmal wiederzufinden gewesen wäre, lag in einer kleinen Felsenbucht, die den Hafen nicht nur wie ein natürliches Bollwerk vor der See und den Stürmen schützte, sondern ihn auch für jedes Schiff, das größer als ein Fischkutter war, unpassierbar machte. Das Wasser war so flach, daß sie bis auf seinen Grund sehen konnten, und die hoch aufragenden Felsen auf beiden Seiten der Einfahrt hatten es der NAUTILUS ermöglicht, bis auf weniger als eine halbe Meile an die Küste heranzufahren, ehe sie in das Boot umsteigen mußten. Und als hätte sich die Natur entschlossen, ihnen noch eine weitere Hilfe zu gewähren, war mit der Dämmerung dichter Nebel aufgekommen, der das Schiff auch vor jeder zufälligen Entdeckung schützte: Alles, was weiter als zweihundert Yards von der Küste entfernt war, lag hinter einer undurchdringlichen grauen Wand verborgen.

»Also, denkt daran«, sagte Trautman, als sie sich der niedrigen Kaimauer näherten. »Wir haben den Mann draußen auf dem Meer gefunden. Das Boot trieb im Nebel, und wir haben keine Ahnung, wo er herkommt oder wer er ist. Und Serena – stell keine Fragen, und tu nichts, von dem du nicht sicher bist, daß wir es auch täten. «

Serena nickte. Sie gab sich Mühe, sich nichts anmerken zu lassen, aber sie war sehr nervös. Mit Ausnahme einiger einsamer, weitab von aller menschlichen Zivilisation liegender Inseln war dies das erste Mal, daß Serena an Land ging, und somit auch das erste Mal, daß sie eine für sie vollkommen neue und fremdartige Welt betrat. Er hätte sich gewünscht, daß es unter etwas weniger dramatischen Umständen geschehen wäre. Andererseits, versuchte er sich selbst zu beruhigen, was sollte schon groß passieren? Sie würden den Verletzten zu einem Arzt bringen, ihre Geschichte erzählen und wieder verschwinden, noch ehe jemand auf die Idee kommen konnte, ihnen zu viele neugierige Fragen zu stellen. Wenigstens war das die Theorie. Aber irgend etwas sagte ihm, daß es nicht so einfach sein würde. Außerdem war es viel zu spät, sich jetzt noch Sorgen zu machen. Sie hatten jetzt den Kai erreicht, und sie waren auch bereits gesehen worden. Drei Männer in einfacher, grober Kleidung eilten ihnen entgegen.Einer warf Mike ein Tau zu, das dieser geschickt auffing und an einer Öse am Bug des Schiffes befestigte, die beiden anderen beugten sich neugierig vor und versuchten, einen Blick ins Innere des Bootes zu erhaschen. »Ahoi!« rief einer der Männer. »Wer seid ihr denn?« »Und was treibt ihr bei diesem Nebel draußen auf See? Noch dazu in dieser Nußschale?« fügte der andere hinzu.

»Wir haben einen Verletzten an Bord«, antwortete Trautman. Während Mike das Boot vertäute, stand er auf und deutete auf die Gestalt zu seinen Füßen. Sie hatten den Verwundeten so dick in Decken und eine wasserdichte Plane gewickelt, daß nur noch sein Gesicht sichtbar war. »Gibt es hier einen Arzt?« »Doc Hanson«, antwortete einer der Männer. »Aber der wird jetzt noch schlafen, fürchte ich. Was ist passiert?« »Dann sollte jemand gehen und ihn wecken«, erwiderte Trautman. »Und möglichst schnell. Den Mann hat es wirklich schlimm erwischt. Für Erklärungen ist jetzt keine Zeit. «

Mike kam die ruppige Art, auf die Trautman die neugierigen Fragen der Männer abblockte, ein wenig gewagt vor – aber sie tat ihren Dienst. Einer der drei drehte sich auf der Stelle herum und hastete davon, während die beiden anderen Trautman dabei halfen, den Verletzten so behutsam wie möglich aus dem Boot zu heben. Auch Serena und Mike verließen das Boot, hielten sich aber ein wenig im Hintergrund. Serena hatte ein einfaches, grobes Kleid angezogen, und ihr schulterlanges blondes Haar verbarg sich unter einem schwarzen Tuch, das sie weit ins Gesicht gezogen hatte. Aber ihr Blick huschte sehr aufmerksam in die Runde, und obwohl sie sich bemühte, möglichst unbeteiligt dreinzusehen, konnte Mike ihre Aufregung fast körperlich fühlen.

Dabei stellte ihre Umgebung eigentlich eher eine Enttäuschung dar. Ein einziger Blick in die Runde hatte Mike klargemacht, warum Glengweddyn auf so gut wie keiner Karte zu finden war: Es war ein Kaff, das den NamenOrtnicht verdiente. Längs der aus groben Sandsteinblöcken errichteten Kaimauer drängelte sich ein gutes Dutzend Häuser, von denen keines jünger als hundert Jahre zu sein schien, und das war alles. Hinter dem grauen Nebel, der vom Meer heraufgekrochen war und nun auch den Ort einzuhüllen begann, konnte er einen schäbigen Kolonialwarenladen erkennen, dessen Läden noch geschlossen waren, daneben ein winziges Pub, und ansonsten nichts als gleichförmige, schäbige Häuser mit größtenteils ebenfalls noch geschlossenen Läden. Nirgendwo brannte ein Licht. Kein Wunder, dachte er, daß der Arzt noch schlief. Der ganze Ort schien noch zu schlafen.

Irgendwie hatte er das Bedürfnis, sich bei Serena zu entschuldigen. »Es sieht nicht überall so aus wie hier«, sagte er in fast verlegenem Tonfall. »Das hier ist ein sehr kleiner Ort, weißt du?«

»Ich finde es... interessant«, antwortete Serena. Offenbar

wollte sie höflich sein. »So etwas hat es bei uns nicht gegeben.

«

Ja,dachte Mike griesgrämig.Das glaube ich sofort.Er hatte bisher auch nicht gewußt, daß es so etwashiergab.

Aber wenn Glengweddyn auch zu den Orten gehören mochte, deren Namen größer waren als die dazugehörige Stadt, so hatte es doch eines mit den meisten Städten auf der Welt gemeinsam: Seine Bewohner waren nicht nur sehr hilfsbereit, sondern auch sehr neugierig. Es vergingen keine fünf Minuten, bis sich die Straße langsam zu füllen begann. Ein gutes Dutzend Menschen umlagerte Trautman und die beiden Männer, die den Verletzten trugen, und auch Mike und Serena sahen sich plötzlich im Mittelpunkt der allgemeinen Aufmerksamkeit. Wahrscheinlich, dachte er, verirrt sich so selten ein Schiff in diesen Hafen, daß jeder Fremde hier eine kleine Sensation darstellt. Dann entdeckte er etwas, was ihn überraschte. Inmitten der kleinen Menschenmenge, die sie umlagerte, stand ein Mann. Er war ein gutes Stück größer als die meisten anderen, tadellos frisiert (auch das unterschied ihn von den struppigen und zum Großteil stoppelbärtigen Gestalten) und vor allem: Er trug nicht die übliche, grobe Arbeitskleidung,sondern eine dunkelblaue Marineuniform, auf deren Ärmeln goldene Offiziersstreifen blitzten. Er stand einfach da und blickte ihn an, und er tat es auf eine Art, die Mike nicht gefiel. Unauffällig versuchte er an Trautmans Seite zu gelangen und raunte ihm zu: »Sehen Sie nicht hin – aber da ist ein Offizier. «

Trautman sah natürlichdochhin, aber er tat es ganz bewußt so direkt, daß es als ganz normaler, neugieriger Blick in die Runde

durchgehen mochte. »Ich sehe ihn«, flüsterte er. »Und?«

»Das gefällt mir nicht«, antwortete Mike. »Er trägt die gleiche Uniform wie der Verletzte. Was macht ein Offizier der Royal Navy in einem Kaff wie diesem?« Trautman zuckte mit den Schultern – und dann tat er etwas, was Mike schier den Atem stocken ließ: Er wandte sich um und trat direkt auf den Offizier zu. »Sir!« sagte er. »Gut, daß ich Sie treffe. Sie können mir sicher weiterhelfen. Mein Name ist Trautman. Das da –« Er deutete auf Mike und Serena. »– sind meine Enkel, Mike und Sally. Wir haben diesen Mann heute nacht in einem Boot auf dem Meer treibend aufgefunden, und mir scheint, er gehört zur Navy. Er trug eine Uniform wie Ihre. Vielleicht vermissen Sie ihn schon?« Eine Sekunde lang spiegelte sich nichts als blankes Mißtrauen auf dem Gesicht des Offiziers. Aber dann trat er näher, warf einen flüchtigen Blick auf den Verletzten und schüttelte den Kopf. »Er muß von der HARRISON sein«, sagte er. »Nein, ich kenne ihn nicht. Aber ich weiß, woher er kommt. « Er sah auf, lächelte entschuldigend und salutierte nachlässig, als er sich wieder direkt an Trautman wandte. »Bitte entschuldigen Sie meine Unhöflichkeit, Sir. Mein Name ist Stanley. Kapitän Mark Stanley von der HMS GRISSOM. Ich danke Ihnen im Namen Seiner Majestät, daß Sie den Mann gerettet haben. Was hat er für Verletzungen?«

Etwas an der Art, auf die er diese Frage stellte, gefiel Mike nicht, und Trautman mußte es wohl ganz ähnlich ergehen, denn er zögerte eine Winzigkeit, ehe er antwortete: »Ich verstehe nichts davon, Sir. Aber ich glaube, man hat auf ihn geschossen. « »Ja, das denke ich auch«, antwortete Stanley. »Er sieht nicht gut aus. Ein Wunder, daß er noch lebt. Wo bleibt dieser Arzt?« Er sah sich suchend um, dann rief er mit erhobener Stimme: »Sparks!« Es verging nur eine Sekunde, dann drängte sich ein Mann in der blauen Uniform der Kriegsmarine durch die Menge, deren Aufmerksamkeit sich mittlerweile völlig auf den Offizier und Trautman konzentriert hatte. Er war ebenso groß und tadellos gekleidet wie Stanley, hatteaber deutlich weniger Streifen auf dem Ärmel. Wahrscheinlich sein Adjutant, dachte Mike. Der Mann nahm vor Stanley Aufstellung und salutierte zackig. »Sir?«

»Hängen Sie sich ans Funkgerät«, antwortete Stanley. »Sie sollen den Arzt herschicken. Wir haben hier einen Verletzten. «

Sparks eilte mit Riesenschritten davon, und Stanley drehte sich wieder herum und sagte: »Nichts gegen den Arzt der guten Leute hier, aber ich denke, daß sich unser Doktor ein wenig besser auf die Behandlung von Schußverletzungen versteht. «

Wie auf ein Stichwort hin kam in diesem Moment der Mann zurück, den Trautman nach dem Arzt geschickt hatte. Er war nicht allein. In seiner Begleitung befand sich ein älterer Mann mit schütterem Haar, der noch einen Morgenmantel trug und vollkommen verschlafen wirkte. Trotzdem mußte er Stanleys Worte gehört haben, denn er spießte ihn mit Blicken regelrecht auf. Aber er enthielt sich jedes Kommentares, sondern beugte sich nur wortlos über den Verletzten und schüttelte den Kopf, als Trautman Anstalten machte, die Decke beiseite zu schlagen, in die er eingewickelt war. »Hier kann ich überhaupt nichts für ihn tun«, sagte er. »Bringt ihn in mein Haus. Aber vorsichtig. « Trautman und die beiden Männer, die ihm schon zuvor geholfen hatten, hoben den Verletzten behutsam auf und trugen ihn zu einem der schmalbrüstigen, alten Häuser. Es ging durch einen dunklen Korridor in ein kleines, auf einen Hinterhof hinausgehendes Zimmer, das, wie es schien, zugleich als Wartewie auch als Behandlungszimmer diente. Es gab eine Anzahl ungepolsterter Stühle, die sich an der Wand neben der Tür aufreihten, einen unordentlichen Schreibtisch und einige mit Medikamenten, Töpfen, Flaschen und allerlei ärztlichen Instrumenten vollgestopfte Schränke. In der Mitte des Raumes stand ein gewaltiger Tisch mit einer makellos polierten Metallplatte, auf die die beiden Männer den Verletzten legten. Mike hatte nie zuvor eine Arztpraxis wie diese gesehen. Was vielleicht daran lag, daß er nie zuvor bei einemArztwie diesem gewesen war...

Mikes Augen wurden groß, als er das über dem Schreibtisch hängende Diplom erblickte: Dr. vet. Marcus Hanson.

Hanson war kein Arzt. Jedenfalls keiner fürMenschen.Er warTierarzt.

»Äh... Trau –« begann er und verbesserte sich hastig. »Großvater?«

Trautman reagierte erst mit ungefähr einer Sekunde Verzögerung, was nicht nur Mike auffiel. Auch Stanley sah auf, und wieder erschien dieser sonderbare, halb nachdenkliche, halb mißtrauische Blick in seinen Augen. Er sagte nichts. »Ja?« fragte Trautman.

Mike deutete schweigend auf das Diplom, und auch Trautman wurde ein wenig blaß um die Nase. Offenbar verstand er jetzt, warum Stanley es plötzlich so eilig gehabt hatte, seinen Schiffsarzt hierherzubeordern. Aber auch Hanson war der kurze Zwischenfall nicht entgangen. Er hatte mittlerweile die Decke von der Schulter des Verletzten entfernt und die Wunde einer ersten flüchtigen Musterung unterzogen. Jetzt sah er eindeutig verärgert auf. »Falls es jemanden interessiert«, sagte er scharf, »ich habe in meinem Leben wahrscheinlich mehr Schußwunden behandelt, als Sie alle zusammen je gesehen haben. Die Leute hier in der Gegend sind ganz versessen darauf, auf streunende Hunde und Katzen zu schießen, und manchmal erwischen sie dabei auch die ihrer Nachbarn oder gleich die Nachbarn selbst. Ich kann es natürlich auch lassen und auf den Arzt vom Schiff warten. « Stanley schien die Verärgerung des Arztes äußerst amüsant zu finden. Er schüttelte lächelnd den Kopf und deutete eine Verbeugung an. »Es liegt mir fern, an Ihren Fähigkeiten zu zweifehl, Doc«, sagte er. »Bitte, tun Sie Ihre Arbeit. «

Hanson bedachte ihn mit einem weiteren, zorngeladenen Blick, aber dann beugte er sich wieder über den Verletzten. »Das ist eine ziemlich üble Schußwunde«, sagte er. »Aber sie ist ausgezeichnet versorgt worden. « Er sah auf und blickte Trautman an. »Haben Sie das getan?« »Das war Sally«, antwortete Trautman. »Sie hat sich um ihn gekümmert, so gut es ging. Wir sind einfache Fischer, wir haben keine Erfahrung in – « »Aber das war hervorragende Arbeit«, unterbrach ihn Hanson. »Besser hätte ich es auch nicht gekonnt. « Er wandte sich an Serena. »Du hast diesem Mann das Leben gerettet, weißt du das? Wieso kannst du so etwas?« Mike hielt instinktiv den Atem an, aber Serena erwies sich als ausgezeichnete Schauspielerin. Mit perfekt gemimter Verblüffung sah sie den Arzt an und schüttelte den Kopf. »Ich weiß nicht«, sagte sie und brachte es sogar fertig, einen kindlich naiven Ton in ihre Stimme zu zaubern. »Ich habe einfach getan, was mir richtig erschien. Habe ich etwas falsch gemacht?« »Um Gottes willen, nein!« sagte Hanson hastig. »Du hast eine Adernkompresse angelegt, die Wunde gesäubertund den Arm stillgelegt. Du mußt ein Naturtalent sein. Du solltest Ärztin werden, weißt du das?« Serena lächelte geschmeichelt, und Hanson wandte sich nach einem letzten, beinahe bewundernden Blick wieder seinem Patienten zu.

»Puh«, flüsterte Mike. »Das war knapp. Sag jetzt besser nichts mehr. «

Serena maß ihn mit einem vollkommen verständnislosen Blick. Als Hanson nach einem Skalpell griff, sog sie scharf die Luft ein.

»Was hat er mit dem Messer vor?« keuchte sie – so laut, daß alle im Raum die Worte hören mußten. »Keine Angst, junge Dame«, sagte Hanson lächelnd. »Ich tue deinem Patienten nichts. Ich muß nur die Wunde ein wenig aufschneiden, damit der Eiter abfließen kann. Ich bin sicher, er merkt es nicht einmal. « »Aber man schneidet doch einen Menschen, der krank ist, nicht auf!« sagte Serena entsetzt. »Das ist barbarisch! Da, wo ich herkomme –«

»Wo kommst du denn her?« fragte Stanley in so beiläufigem Ton, daß Serena um ein Haar geantwortet hätte. Aber Trautman war schneller. »Aus Wilshire, Käpt'n Stanley. « Stanley maß ihn mit einem nachdenklichen Blick. »Wilshire, so«, sagte er. »Das

kenne ich. Aber das liegt nicht unbedingt am Meer. «

»Die beiden sind nur zu Besuch auf meinem Schiff«, antwortete Trautman nervös. »Mein Sohn und meine Schwiegertochter haben mit der Seefahrerei nichts am Hut. Aber die beiden haben sich gewünscht, einmal ein paar Wochen mit mir auf Fischfang zu gehen, und in diesem Jahr haben ihre Eltern es zum ersten Mal erlaubt. «

»Mitten im Schuljahr?« fragte Stanley. Er schüttelte den Kopf. »Nun, es geht mich nichts an, aber ich finde es nicht sehr verantwortungsbewußt von Ihnen, mit zwei Kindern an Bord in einem Kriegsgebiet zu kreuzen, Kapitän Trautman. «

»Wir haben vom Krieg bisher nicht viel bemerkt«, sagte Mike. »Ich schätze, die Navy hat uns gut beschützt. « Stanley lächelte, aber Mike war nicht ganz sicher, ob das nicht nur als Anerkennung für seine Schlagfertigkeit gemeint war. Er hatte das Gefühl, daß der Mann ihm kein Wort glaubte. »Wie heißt denn euer Schiff?« fragte Stanley. »Es ist die NAUT –«, begann Mike, biß sich auf die Unterlippe und verbesserte sich hastig: »Die NAUTIC STAR. Aber eigentlich ist es gar kein richtiges Schiff. Nur ein kleiner Kutter. «

»Soso. « Stanley nickte. »Und ihr fischt damit hier vor der Küste. Eigentlich hättet ihr mein Schiff sehen müssen. Die GRISSOM kreuzt draußen vor der Küste, nur ein paar Meilen entfernt. « Er wandte sich an Trautman. »Sind Sie aus östlicher Richtung gekommen?« »Aus Westen«, antwortete Trautman, und Stanley schüttelte abermals den Kopf.

»Seltsam. Sie hätten der GRISSOM genau vor den Bug laufen müssen. Sie ist kaum zu übersehen, wissen Sie. « »Vielleicht...

vielleicht liegt es am Nebel«, sagte Trautman. »Er war wirklich schlimm. Man konnte sozusagen die Hand vor den Augen nicht sehen. « Er lachte unecht. »Ich hoffe, wir finden unser Schiff überhaupt wieder. Es liegt draußen vor Anker. Ich wollte nicht damit in den Hafen einlaufen. Die NAUTIC STAR ist nicht groß, aber sie hat einen ziemlichen Tiefgang. « »Selbstverständlich werde ich Sie und Ihre Enkel zu Ihrem Schiff zurückbringen lassen«, sagte Stanley. »Aber vorher müssen Sie mir die Ehre erweisen, mich auf die GRISSOM zu begleiten und dort mit mir zu essen. Das ist das mindeste, was ich Ihnen als Dank schulde. Immerhin haben Sie einem Matrosen der Royal Navy das Leben gerettet. Und ihr beiden –« Er drehte sich zu Mike und Serena um und lächelte noch breiter. »– möchtet doch bestimmt einmal ein richtiges Kriegsschiff aus der Nähe sehen, oder?« »Ich fürchte, dazu haben wir keine Zeit«, sagte Trautman rasch. »Wir müssen weiter. Wir haben eine Verabredung, die wir einhalten müssen. Wir haben schon viel zuviel Zeit verloren. Man wird in Sorge sein, wenn wir nicht pünktlich kommen. Sie haben es ja selbst gesagt – die Gegend hier ist nicht besonders sicher. « »Ich kann Sie mit der GRISSOM ein Stück begleiten«, sagte Stanley.

Trautman winkte ab. »Das ist sehr freundlich, aber nicht nötig. Wer hätte schon Interesse daran, einem kleinen Fischerboot etwas zu tun. « Mike fand, daß er sich mit jedem Wort, das er sagte, weniger glaubhaft anhörte. Er wurde immer nervöser, und Stanley machte sich nun gar nicht mehr die Mühe,seine wahren Gefühle zu verbergen. Aber zu Mikes Überraschung verzichtete er darauf, weiter in Trautman zu dringen, sondern zuckte nur mit den Schultern. »Ganz wie Sie wünschen«, sagte er. »Aber dann darf ich Sie wenigstens noch nach draußen begleiten. «