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»Das ist wirklich nicht nötig«, unterbrach ihn Trautman hastig. »Wir haben alles, was wir brauchen, vielen Dank. Ich wollte mir nur einige Zeitungen beschaffen. Wir sind jetzt seit zwei Wochen auf See, wissen Sie, und da ist man ganz begierig auf eine neue Zeitung. «
Sie änderten ihre Richtung und gingen nun wirklich auf das Boot zu, das von einer Gruppe Männern interessiert betrachtet wurde. Stanley folgte ihnen beharrlich. Er lachte wieder.
»Sie wären sowieso enttäuscht worden«, sagte er. »Die neueste Zeitung, die Sie hier bekommen, dürfte ein halbes Jahr alt sein. Aber wenn Sie an etwas Bestimmtem interessiert sind – vielleicht kann ich Ihnen Auskunft geben?«
Seine Augen wurden schmal, und sein Blick war nun eindeutig lauernd. Mike wünschte sich, sie hätten Astaroth mitgenommen. Der Kater hatte auch mitkommen wollen, aber Trautman war der Meinung gewesen, daß es zu ungewöhnlich sei, auch noch in Begleitung einer Katze an Land zu kommen. Ein Fehler, wie sich im nachhinein herausstellte. Aufgefallen waren sie Stanley sowieso. Und der Kater hätte seine Gedanken lesen und Mike mitteilen können, was dieser Mannwirklichvon ihnen wollte.
»Oh, ich will nichts Bestimmtes wissen«, antwortete Trautman. »Ich bin einfach nur neugierig. Das heißt
–eineFrage interessiert mich doch. Was machen Sie hier? Es ist ungewöhnlich, den Kommandanten eines Kriegsschiffes an einem solchen Ort anzutreffen. « Stanley lächelte. »Sagen wir: Ich bin auf der Suche nach etwas. Oder jemandem. « Er sah Trautman scharf an. »Ihnen ist nichts Ungewöhnliches aufgefallen auf dem Weg hierher?« fragte er. »Außer dem armen Kerl da drinnen?«
Trautman verneinte. »Nein. Wir haben uns immer dicht an der Küste gehalten. Unser Schiff ist nicht hochseetüchtig, wie Sie ja wissen. Was sollte mir denn aufgefallen sein?«
Stanley zuckte mit den Achseln. »Wenn Sie es gesehen hätten, wüßten Sie, wovon ich rede. « Sie hatten mittlerweile das Wasser erreicht. Die Männer, die auf dem Kai standen, machten ihnen bereitwillig Platz, und Trautman kletterte als erster in das Boot hinunter. Stanley blickte ihm neugierig nach. »Eine interessante Konstruktion«, sagte er. »Was für eine Art Boot ist das? So etwas habe ich noch nie gesehen. « »Das ist... äh... ein Erbstück meines Vaters«, sagte Trautman. Er versuchte zu lachen, aber es wirkte so wenig überzeugend wie alles andere, was er bisher getan hatte. »Der alte Herr hatte eine Vorliebe für verrückte Sachen. Es sieht interessant aus, aber es schwimmt nicht sehr gut. Bei jeder größeren Welle muß man Angst haben, daß es kentert. « Stanley nickte, aber er tat es auf eine Art, der man ansah, daß er sich seinen Teil dabei dachte. Doch er sagte nichts mehr, sondern trat beiseite, um Serena vorbeizulassen. Mike machte sich als letzter daran, ins Boot zu steigen. Dabei drehte er sich herum, und sein Blick fiel auf die Gruppe von drei oder vier Männern unten an der Straße, die er vorhin schon bemerkt hatte. Er erstarrte. Es war vielleicht nur eine Sekunde, daß er das Gesicht eines der Männer deutlich sah, aber diese winzige Zeitspanne war mehr als ausreichend, um ihn zu erkennen.
Er trug die gleiche Art einfacher, grober Kleidung, die hier üblich zu sein schien. Sein graues Haar war unter einer schwarzen Mütze verborgen und der untere Teil seines Gesichtes lag hinter einem schwarzen Wollschal, vorgebend, es vor dem schneidenden Wind zu schützen, der vom Meer her wehte, in Wahrheit aber wohl eher, um den sauber gezwirbelten Kaiser-Wilhelm-Bart zu verdecken. Mike wußte, daß er sich hinter dem Schal verbarg. Er hatte sich dieses Gesicht zu deutlich eingeprägt, um es jemals wieder zu vergessen.»Winterfeld!«keuchte er. »Das... das ist Winterfeld!« Trautman sah mit einem Ruck auf. Auf seinem Gesicht machte sich Entsetzen breit, und auch Stanley fuhr abrupt herum, starrte erst ihn und dann den Mann in der schwarzen Jacke an.
Aber als Mike ebenfalls wieder in dessen Richtung blickte, war er verschwunden. Und mit ihm die drei anderen Männer. »Mike!« sagte Trautman scharf. »Komm schon! Wir müssen los!«
Mike erwachte aus seiner Erstarrung und fuhr herum. Er sprang mit einem Satz ins Boot, und noch während er um sein Gleichgewicht kämpfte, löste Trautman bereits mit fliegenden Fingern das Tau, das das Boot am Ufer hielt.
»Sir!« sagte Stanley scharf. »Auf ein Wort noch!« Trautman ignorierte ihn. Hastig warf er das Tau über Bord, griff nach einem der Ruder und versuchte, das Boot damit von der Kaimauer abzustoßen. »Trautman!« sagte Stanley. »Bleiben Sie, wo Sie sind!« Das war keine Bitte mehr, sondern ganz eindeutig ein Befehl. Jede Spur von Freundlichkeit war aus Stanleys Stimme verschwunden.
Mike griff rasch nach dem zweiten Ruder, stemmte es gegen die Kaimauer und drückte mit aller Kraft. Jetzt bewegte sich das Boot schneller, aber noch immer nicht schnell genug. Stanley hatte wohl eingesehen, daß sie seinem Befehl nicht freiwillig folgen würden, denn er beugte sich vor und versuchte, eines der Ruderblätter zu packen. Serena sprang auf und fuhr ihm mit den Fingernägeln über den Handrücken. Stanley zog die Hand mit einem zornigen Schrei wieder zurück, und endlich kamen sie frei. Das Boot glitt träge drei, vier Yards von der Kaimauer fort und begann sich auf der Stelle zu drehen, als Mike das Ruder ins Wasser tauchte.
»Trautman, das ist ein Befehl!« donnerte Stanley. »Kommen Sie zurück!« Mike ruderte wie wild. Das Boot drehte sich scheinbar auf der Stelle und richtete den stumpfen Bug auf
die Hafenausfahrt und den Nebel, der noch immer wie eine
graue Wand davor aufragte.
Trautman war nach hinten gehastet und hatte die Plane beiseitegeschlagen, unter der sich der Außenbordmotor des Bootes verbarg.
Stanley schrie ihnen ein weiteres Mal zu, dazubleiben, aber seine Worte gingen im Geräusch des erwachenden Motors unter. Nur wenige Sekunden später begann das Wasser hinter dem Heck des Bootes zu brodeln, und sie schossen pfeilschnell auf die Hafenausfahrt und die offene See zu.
Der Nebel verschluckte sie wie eine weiche, weiße Wand, aber das Gefühl der Sicherheit, auf das Mike wartete, stellte sich nicht ein. Er ertappte sich dabei, wie er sich immer wieder umdrehte und in das wogende Grau hinter dem Boot zurückblickte, und er erwartete jeden Augenblick, einen Verfolger dort auftauchen zu sehen. Was natürlich nicht geschehen würde. Das Boot war viel schneller als jedes Schiff, und der Nebel gab ihnen zusätzlichen Schutz.
»Das war knapp!« sagte Trautman. Auch er sah sich immer wieder um, was Mike klarmachte, daß auch er sich nicht sicher fühlte.
»Es tut mir leid«, sagte Mike kleinlaut. »Ich... ich wollte das nicht sagen. Aber als ich Winterfeld erkannt habe –«
»Bist du sicher, daß er es war?« fragte Trautman. »Ganz sicher«, bestätigte Mike. Er hatte ihn allerhöchstens eine Sekunde gesehen, aber es gab überhaupt keinen Zweifel – der Mann in der schwarzen Jacke war Winterfeld gewesen. »Ich weiß, ich hätte mich beherrschen sollen, aber –«
»Es ist nicht deine Schuld«, unterbrach ihn Trautman. »Stanley hätte uns sowieso aufgehalten. Der Mann ist mißtrauisch. Und er ist nicht dumm. Er hat uns kein Wort geglaubt. Keine Angst – er wird uns nicht einholen. Bevor sein Schiff hier ist, sind wir längst meilenweit weg. « Er bemühte sich, optimistisch zu klingen, aber sein Gesichtsausdruck war sehr ernst. »Was mir Sorgen bereitet, ist Winterfeld«, sagte er. »Was macht er hier?«
»Ich frage mich vielmehr, was diesebeidenMänner hier tun«, sagte Serena. »Stimmt es, was Mike über den Ort erzählte? Daß er ganz unbedeutend sein soll?« »Das dürfte noch geschmeichelt sein«, antwortete Trautman.
»Aber es kann nicht stimmen«, widersprach Serena. »Nicht wenn sie beide hier sind. « Trautmans Gesicht verdüsterte sich noch weiter. »Ja«, murmelte er. »Das scheint mir auch so. Aber keine Sorge – wir werden es herausfinden, sobald wir wieder auf der NAUTILUS sind. Und wir –«»Still!«Serena hob hastig die Hand und legte den Kopf auf die Seite. Trautman verstummte mitten im Wort, und auch Mike lauschte angespannt. Nach einer Sekunde hörte er es auch: In das Geräusch der Brandung und das Dröhnen ihres Motors hatte sich ein neuer Laut gemischt. Ein tiefes Summen, das rasch lauter wurde. Mike vermochte nicht zu sagen, was es bedeutete, aber es gefiel ihm nicht.
Auch Trautman schien das Geräusch zu beunruhigen, denn er erhöhte ihr Tempo. Die Sicht betrug vielleicht zehn oder fünfzehn Meter. Sie waren viel zu schnell, um irgendeinem Hindernis, das unversehens vor ihnen auftauchen mochte, noch rechtzeitig auszuweichen. Mike schickte ein Stoßgebet zum Himmel, daß ihre Flucht nicht an einem Riff oder einer Sandbank enden mochte, die sie auf dem Weg hierher übersehen hatten. Aber er beruhigte sich damit, daß Trautman ein ausgezeichneter Steuermann war, der wußte, was er tat.
Sie liefen auf kein Riff, und es vergingen auch nur noch einige wenige Sekunden, bis der Nebel ein wenig auflockerte. Die grauen Schwaden lösten sich nicht ganz auf, aber sie konnten wenigstens wieder etwas weiter sehen. Was Mike allerdingsnichtausmachen konnte, das war die NAUTILUS. »Wo ist das Schiff?« fragte er alarmiert. »Keine Sorge«, antwortete Trautman. »Singh weiß, was er tut. Wenn wir ihn nicht finden, dann findet er uns. « Mike hoffte inständig, daß es so war. Trautman hatte sicher recht – es würde eine geraume Weile dauern, bis Stanley Kontakt mit seinem Schiff aufgenommen hatte und die GRISSOM hier sein konnte. Andererseits saßen sie in einem winzigen Boot, und ihr Treibstoffvorrat war beschränkt, vor allem bei dem mörderischen Tempo, das Trautman vorlegte. Sie konnten sich nicht ernsthaft einreden, ein Wettrennen mit einem ausgewachsenen Zerstörer zu gewinnen.»Da!«schrie Serena plötzlich.»Seht doch!«Ihre Hand wies nach hinten. Mike drehte sich hastig im Boot herum – und schrie vor Schreck laut auf. Das Summen war lauter geworden und mittlerweile fast zu einem Dröhnen angewachsen. Es kam von einem graugestrichenen, schlanken Boot, das hinter ihnen aus dem Nebel aufgetaucht war, viel größer als ihr eigenes – aber nicht nennenswert langsamer. Ganz im Gegenteil: Mike registrierte mit einem Gefühl eisigen Entsetzens, daß ihr Vorsprung allmählich zusammenschmolz. Offensichtlich hatten sie Stanley unterschätzt. Der Kapitän hatte sich nicht allein auf die GRISSOM verlassen, die irgendwo, vielleicht meilenweit entfernt, vor Anker lag. Das Schnellboot mußte ganz in der Nähe des Hafens gewartet haben, ebenso wie die NAUTILUS im Nebel verborgen, so daß sie es auf dem Weg zur Küste nicht einmal gesehen hatten. Trautman fluchte und erhöhte ihre Geschwindigkeit noch einmal. Das Boot machte einen regelrechten Satz und flog nun wie ein flach geworfener Stein über das Wasser, und obwohl auch ihr Verfolger noch einmal kräftig an Geschwindigkeit zulegte, wuchs ihr Vorsprung wieder.
Der Nebel lichtete sich weiter, und endlich sahen sie die NAUTILUS. Das Tauchboot befand sich noch eine gute Meile entfernt, und Mike registrierte voller Entsetzen, daß die Turmluke offen stand und sich die gesamte Besatzung an Deck aufhielt. Er begann zu schreien und mit beiden Armen zu gestikulieren, obwohl er selbst wußte, wie wenig das nutzte. Sie waren viel zu weit entfernt, um gehört zu werden. Erfüllt von einem Gefühl der Furcht, das einer Panik nahe kam, blickte er wieder zu ihrem Verfolger. Das Schnellboot war weiter zurückgefallen, aber nun sah er etwas, was ihm bisher entgangen war: Das Schnellboot war nicht nur ein Schnellboot – es war zugleich auch ein Kanonenboot. Auf dem Vorderdeck befand sich ein bisher unter einer Segeltuchplane verborgenes Geschütz, das nun von zwei Männern hastig freigelegt wurde. Mike zweifelte, daß sie bei dem Tempo, mit dem das Schiff durch die Wellen pflügte, einen gezielten Schuß abgeben konnten, aber allein der Anblick der Kanone, die sich auf sie richtete, ließ sein Herz schneller schlagen.
Er sah wieder zur NAUTILUS hinüber. Dort hatte man gottlob mittlerweile ebenfalls ihre Verfolger bemerkt. Singh und die anderen hasteten mit gewaltigen Schritten auf den Turm zu, und es verging nicht einmal eine Minute, bis das Wasser hinter dem Heck der NAUTILUS zu sprudeln begann. Offensichtlich hatte Singh zumindest nicht den Fehler begangen, die Maschinen ganz abzustellen.
Ein dumpfer Knall wehte über das Meer, und nur einen Augenblick später schoß eine zwanzig Meter hohe Wassersäule rechts von ihnen in die Höhe. Der Schuß lag daneben, aber er zeigte Mike auch, daß ihre Verfolger entschlossen waren, sie unter allen Umständen aufzuhalten; koste es, was es wolle.
Trautman fluchte erneut und versuchte, noch mehr Geschwindigkeit aus dem Motor herauszuholen, aber die kleine Maschine war an den Grenzen ihrer Leistungsfähigkeit angelangt. Das Kanonenboot feuerte ein zweites Mal. Diesmal schlug die Granate beunruhigend nahe bei ihrem Boot ein, aber das war wohl nur ein Zufall – der nächste Treffer lag wieder weit vor ihnen im Wasser. Und der vierte Schuß noch weiter. Und dann hatte Mike das Gefühl, von einer eisigen Hand berührt zu werden. »Großer Gott!« flüsterte er. »Sie feuern auf die NAUTILUS!« Wie um seine Worte zu bestätigen, gab die Kanone des Schnellbootes einen weiteren Schuß ab. Die Explosion zerriß die Wasseroberfläche nur wenige Meter vom Heck der NAUTILUS entfernt. Das ganze Schiff schwankte.
Aber auch Singh hatte die Gefahr erkannt. Die NAUTILUS setzte sich in Bewegung. Die nächste Granate verfehlte sie wieder um weit mehr als hundert Meter, und dann stellten die Männer auf dem Schnellboot das Feuer ein; wahrscheinlich, weil sie begriffen hatten, daß ein gezielter Schuß bei ihrem Tempo nicht möglich war, und sie nicht genug Munition hatten, um auf einen Zufallstreffer hoffen zu können. »Hält sie einen direkten Treffer aus?« fragte Mike nervös.
»Ich hoffe«, antwortete Trautman. »Aber keine Angst – sie erwischen uns nicht. «
Die NAUTILUS war mittlerweile herumgeschwenkt und hatte mehr Fahrt aufgenommen. Sie war jetzt fast so schnell wie sie selbst und wurde immer noch schneller, und eine einzige, aber gräßliche Sekunde lang mußte sich Mike mit aller Macht gegen den Gedanken wehren, daß Singh und die anderen vielleicht in Panik geraten waren und sie hier zurückließen. Natürlich war das unvorstellbar. Singh würde sie niemals im Stich lassen, das wußte er. Er hatte irgend etwas vor – aber es vergingen endlose Sekunden, bis Mike begriff, was. Die NAUTILUS lief nun genau vor ihnen her. Sie wurde jetzt wieder langsamer; nicht viel, aber doch genug, daß sich der Zwischenraum zwischen ihr und dem heranrasenden Boot allmählich wieder verringerte. Und endlich verstand er Singhs Plan – und es sträubten sich ihm schier die Haare.
Das Beiboot war normalerweise in einer eigens dafür geschaffenen Aussparung im Heck der NAUTILUS untergebracht, die nun direkt vor ihnen lag – allerdings auch genau zwischen den beiden gewaltigen Schrauben, die das Schiff antrieben. Offensichtlich wollte Singh, daß Trautman das Boot genau in diese Aussparung hineinsteuerte, so daß sie praktisch in voller Fahrt zur NAUTILUS überwechseln und unter Deck gehen konnten. Und da die NAUTILUS immer noch beinahe so schnell war wie ihr Verfolger, würden sie auf diese Weise keine wertvolle Zeit verlieren. Der Plan war gar nicht schlecht – leider aber auch lebensgefährlich. Ein einziger Fehler Trautmans, und sie würden die Aussparung verfehlen und gegen die Heckflosse prallen oder von den Schrauben zerfetzt werden. Nervös sah er zu ihrem Verfolger zurück. Der Abstand zwischen ihnen und dem Schnellboot war wieder gewachsen. Vielleicht befanden sie sich sogar schon außer Schußweite. Trotzdem sah Mike noch keinen Grund, aufzuatmen. Sie hatten nur eine einzige Chance. »Schaffen Sie es?« fragte er gepreßt. Trautman lächelte nervös. »Keine Angst«, sagte er – in einem Ton, der ganz dazu angetan war, das gegenteilige Gefühl in Mike auszulösen. »Aber haltet euch fest. Es könnte ein bißchen wackelig werden!«
Mike und Serena klammerten sich am Bootsrand fest, während sie auf die NAUTILUS zuschossen. Ihr Tempo kam ihm plötzlich gar nicht mehr so viel geringer als das des Unterseebootes vor – ganz im Gegenteil. Auf dem letzten Stück schien die NAUTILUS regelrecht auf sie zuzuspringen. Mike spannte instinktiv alle Muskeln im Leib an, während sie zwischen den beiden gewaltigen Schaumbergen, die die Schrauben aufwirbelten, hindurchjagten. Er konnte den rasenden, so tödlich schnell drehenden Stahl hinter dem sprudelnden Wasser erkennen und glaubte sogar den Luftzug zu spüren, den die rotierenden Schrauben verursachten, dann waren sie dazwischen hindurch – und das Boot glitt mit schier unglaublicher Präzision in den eisernen Hafen, der im Heck der NAUTILUS eingelassen war, und berührte fast sanft den Rumpf des Schiffes. Ein dumpfes Klacken erscholl, als die magnetischen Halterungen einrasteten.
»Schnell jetzt!« schrie Trautman. »An Deck!« Mike sprang als erster aus dem Boot, fuhr herum und streckte Serena die Hand entgegen, um ihr zu helfen. Sie ignorierte diese, war mit einer Bewegung an ihm vorbei und rannte mit gewaltigen Sätzen auf den Turm der NAUTILUS und die offenstehende Luke zu. Der hintere Einstieg war verschlossen, und ihnen würde keine Zeit bleiben, ihn zu öffnen. »Lauf!« schrie Trautman. »Wir haben kei –« Der Rest des Satzes ging in einem ungeheuren Dröhnen und Krachen unter. Mike fühlte sich wie von einer unsichtbaren Hand gepackt und mit grausamer Wucht auf das metallene Deck der NAUTILUS geschleudert. Er spürte den Schmerz kaum, aber eine Sekunde lang mußte er mit aller Macht gegen die Bewußtlosigkeit kämpfen, die seine Gedanken umschlingen wollte. Rings um ihn herum schien die Welt in Stücke zu brechen. Das Dröhnen und Krachen wollte nicht aufhören, und Mike fühlte sich gleichzeitig von eisigem Wasser durchnäßt und von einem heißen Luftzug getroffen. Funken stoben. Es roch nach verbranntem Metall. Trautman riß ihn auf die Füße und zerrte ihn einfach mit sich, während er auf den Turm zuhetzte. Sie waren getroffen worden, das war klar, aber er hatte keine Ahnung, wie schwer. Während er die Leiter zum Einstieg hinaufkletterte, halb von Trautman gezogen, versuchte er zum Heck der NAUTILUS zurückzublicken. Eine schwarze Rauchwolke hatte die Heckflosse und das Beiboot eingehüllt. Mike konnte nicht erkennen, welchen Schaden der Treffer angerichtet hatte. Er hoffte nur, daß der Stahl der NAUTILUS tatsächlich so hart und unzerstörbar war, wie sie immer angenommen hatten. Immer noch halb benommen, kletterte er in den Turm hinab und wartete auf Trautman, der hastig den Einstieg über sich verriegelte. »Singh!« schrie er. »Tauchen! Kurs aufs offene Meer und tauchen! Sofort!« Trautman hatte kaum die ersten Stufen der nach unten ins Schiff führenden Treppe hinter sich gebracht, da antwortete Singhs Stimme aus der Tiefe: »Es geht nicht! Irgend etwas ist beschädigt!« Trautman erstarrte. Für einen Herzschlag machte sich Panik auf seinem Gesicht breit, dann fuhr er herum und trat an das fast mannshohe Steuerrad, das einen Großteil der Turmkammer beanspruchte. Plötzlich wirkte er ganz ruhig. Auf einen Wink hin löste Mike den Hörer der Sprechanlage von der Wand, die die Turmkammer mit dem Salon zwei Stockwerke unter ihnen verband, und reichte ihn ihm, während er selbst bereits nach dem Ruder griff.
Singhs Stimme, die verzerrt aus dem kleinen Trichter drang, schien vor Panik fast überzukippen. »Irgend etwas stimmt nicht!« schrie der Inder. »Alle Geräte sind in Ordnung, aber sie will einfach nicht tauchen. Der Treffer muß irgend etwas beschädigt haben!«
»Ganz ruhig«, antwortete Trautman. Er atmete hörbar ein, schloß für eine Sekunde die Augen und deutete Mike dann mit einer Kopfbewegung, an eines der beiden großen Bullaugen zu treten und die Umgebung im Auge zu behalten.
»Ich übernehme die Steuerung von hier aus«, sagte Trautman.
»Keine Angst – sie kriegen uns nicht. Wir sind immer noch doppelt so schnell wie sie. « »Ja«, sagte Mike, ehe Singh antworten konnte. »Aber dafür sind sie doppelt so viele wie wir. « Trautman blinzelte, drehte den Kopf in seine Richtung – und wurde bleich, als sein Blick an Mike vorbei auf das Meer fiel.
Die NAUTILUS hatte ihren Kurs abermals geändert, so daß das Schnellboot nun nicht mehr direkt hinter ihnen lag und sie den Verfolger sehen konnten. Er war nicht mehr allein. Hinter dem Schnellboot war ein zweites, ungleich größeres Schiff aufgetaucht, das mit voller Kraft auf sie zulief. In leuchtenden, weißen Buchstaben war an seinem Bug der Name HMS GRISSOM aufgemalt.
»Wo zum Teufel sind die so schnell hergekommen?« murmelte Mike fassungslos. »Das sieht ja fast so aus, als hätten sie auf uns gewartet. «
»Ja – oder auf jemand anderen«, sagte Trautman nachdenklich. Er blickte den englischen Zerstörer noch eine Sekunde lang an, dann gab er sich einen Ruck und wandte seine Aufmerksamkeit wieder dem offenen Meer vor der NAUTILUS zu. »Aber das nutzt ihnen auch nichts«, sagte er. »Stanley wird sich gleich verdammt wundern, wie schnell ein Schiff sein kann. « Er griff wieder nach dem Trichter der Sprechanlage. »Singh – ich brauche alle Kraft, die die Maschinen hergeben. Wir wollen unseren britischen Kollegen doch einmal zeigen, was das Wortschnellbedeutet. « Mike fand Trautmans Optimismus etwas unangemessen, aber auf der anderen Seite wußte er auch, wozu dieses Schiff imstande war. Sie würden keine fünf Minuten brauchen, um der GRISSOM so weit davonzulaufen, daß sie die Verfolgung aufgab. Der Zerstörer war nicht annähernd so schnell wie das Kanonenboot, das sie gejagt hatte, und selbst dem waren sie entkommen. »Behalte die GRISSOM im Auge«, sagte Trautman. »Sag mir, wenn sich irgend etwas tut. « »Und was?« fragte Mike.
»Das wirst du wissen, wenn es passiert«, antwortete Trautman. Er klang jetzt wieder nervös. Aufmerksam beobachtete Mike den Zerstörer, der sichtbar hinter ihnen zurückzufallen begann, warf aber trotzdem ab und zu einen Blick nach vorne. Nach ein paar Sekunden bemerkte er etwas, was ihn verwirrte: Trautman hatte den Kurs abermals geändert und steuerte das Schiff nun wieder parallel zur Küste, statt das offene Meer anzulaufen, wie Mike erwartet hatte. Er sah wieder zur GRISSOM zurück – und im selben Augenblick begriff er voller Entsetzen, was Trautman gemeint hatte.
Der Zerstörer fiel immer schneller zurück, jetzt, wo die NAUTILUS mehr und mehr Fahrt aufnahm, aber abgesehen von seiner Größe und Schnelligkeit gab es noch einen Unterschied zwischen dem Zerstörer und dem Kanonenboot, das sie zuerst verfolgt hatte: Die GRISSOM verfügte über wesentlich mehr Geschütze, und sie waren von größerem Kaliber und hatten eine sehr viel größere Reichweite. Mikes Herz schien einen Schlag zu überspringen, als er sah, wie sich zwei der Geschütztürme langsam in ihre Richtung drehten.
»Trautman!« krächzte er.
»Ich weiß«, antwortete Trautman, ohne aufzusehen. »Aber wir schaffen es, keine Angst. « Vom Deck der GRISSOM stiegen zwei weiße Rauchwolken auf. Augenblicke später hörte Mike ein schrilles Heulen, das rasend schnell näher kam. Einer der beiden Schüsse verfehlte die NAUTILUS um fast eine viertel Meile, aber die zweite Granate explodierte so nahe, daß das Schiff sich ächzend auf die Seite legte und eine gewaltige Woge den Turm überspülte. Mike hielt sich hastig am Türrahmen fest, während Trautman mit verbissener Kraft das Steuerruder umklammert hielt.
Schritte polterten die Treppe herauf. Ben stolperte mit angstverzerrtem Gesicht in den Turm und wäre beinahe gegen Trautman geprallt, hätte Mike ihn nicht im letzten Moment zurückgerissen. »Was ist passiert?« stammelte Ben. »Wieso – o Gott!« Seine Augen wurden groß, als er die GRISSOM erblickte. »Das ist das Ende!«