121919.fb2 Das Meeresfeuer - читать онлайн бесплатно полную версию книги . Страница 7

Das Meeresfeuer - читать онлайн бесплатно полную версию книги . Страница 7

Auch die LEOPOLD war beschädigt: Hier und da flackerten vereinzelte Brände, und aus dem Heck des Schiffes quoll eine fettige, schwarze Wolke, die sich mit der brodelnden Rauchdecke über dem Meer vermischte. Aber das waren im Grunde nur Nadelstiche, die diesen Giganten nicht wirklich beeindrucken konnten. Mike blieb kaum Zeit, seinen neuerlichen Schreck zu verarbeiten. Hinter ihnen hämmerten schwere Schritte auf dem Metall des Decks, und als Mike sich herumdrehte, gewahrte er niemand anderen als Kapitän Winterfeld selbst, der in Begleitung eines halben Dutzend Bewaffneter auf sie zukam. Die Männer waren auf dieselbe abenteuerliche Weise gekleidet wie die, die Mike und die anderen an Deck gebracht hatten, aber Winterfeld trug jetzt wieder seine Paradeuniform, die aussah, als käme sie frisch aus der Reinigung. Mike fiel allerdings auf, daß ihr Träger sorgsam alle militärischen Rangabzeichen und vor allem die Insignien seines Landes entfernt hatte.

»Winterfeld!« sagte Trautman. Er wollte einen Schritt auf Winterfeld zu machen, wurde aber sofort von seinen Bewachern daran gehindert. »Ich hätte mir denken können, daß Sie dahinterstecken. Nur Sie sind zu einem solchen Verbrechen fähig!«

Winterfeld sah den weißhaarigen Steuermann der NAUTILUS eine Sekunde lang mit einem sonderbaren Ausdruck an. Dann gab er den beiden Männern, die Trautman hielten, einen Wink, woraufhin diese ihn losließen.

»Glauben Sie mir – ich habe das nicht gerne getan«, sagte er leise.

»O nein, sicher nicht«, antwortete Trautman. »Die Trauer steht Ihnen deutlich ins Gesicht geschrieben. « Winterfeld seufzte. Trautmans Worte schienen ihn nicht zu verärgern, sondern vielmehr mit Trauer zu erfüllen, was Mike verwirrte. »Ich kann Ihre Gefühle verstehen, Herr Trautman«, sagte er ruhig. »Wir werden später hinlänglich Gelegenheit haben, über alles zu reden. Vielleicht werden Sie dann auch mich verstehen. Aber im Moment haben wir Wichtigeres zu tun. « Er trat an ihm vorbei und musterte die anderen reihum. Sein Blick blieb auf Mikes Gesicht hängen. »Es freut mich, dich wiederzusehen, mein Junge«, sagte er. »Ihr seid alle unversehrt, hoffe ich?« »Mich freut es nicht«, antwortete Mike zornig. »Und ich will nicht mit Ihnen reden, Sie... Sie Mörder!« Winterfeld fuhr leicht zusammen, sagte aber nichts, sondern wandte sich an Serena. »Unsere kleine Prinzessin ist auch noch dabei, wie ich sehe«, sagte er. »Das ist gut. Ich hoffe, du hast dich mittlerweile ein wenig in unserer Welt zurechtgefunden?« Serena funkelte ihn nur haßerfüllt an, und Winterfelds Lächeln wirkte plötzlich ein wenig verkrampft. »Ich hoffe auch, du hast mittlerweile gelernt, dein Temperament zu zügeln, junge Dame«, fuhr er fort.

»Ich habe die Umstände unseres letzten Zusammentreffens nicht vergessen. Ich weiß, wozu du fähig bist. Aber ich habe entsprechende Vorkehrungen getroffen, sei gewiß. « Mike begriff, was Winterfeld meinte. Er hatte keine Ahnung, daß Serena längst nicht mehr im Besitz ihrer Zauberkräfte war! Und wie sollte er auch? Als sie das letzte Mal zusammengetroffen waren, da hatte Serena um ein Haar sein Schiff vernichtet, nur Kraft ihrer Gedanken! Winterfeld schien Serenas Schweigen als Zustimmung zu werten, denn er setzte das Gespräch nicht fort – zumal in diesem Moment eine weitere Gruppe seiner Soldaten über das Deck herankam, die eine riesenhafte, in eine zerfetzte und angesengte Uniform gekleidete Gestalt vor sich hertrieb.

Mike erkannte Brockmann kaum wieder. Der Kapitänleutnant war verletzt. Er hatte den rechten Arm angewinkelt und zog das Bein nach, und sein Gesicht und seine Schulter waren voller Blut. Er musterte Winterfeld mit blankem Haß.

»Herr Brockmann!« Winterfeld trat Brockmann entgegen und salutierte. Brockmann rührte sich nicht. Er starrte Winterfeld nur weiter aus brennenden Augen an. »Sie sind verletzt, wie ich sehe«, fuhr Winterfeld fort. »Das bedauere ich. Sie werden sofort ärztlich versorgt, sobald wir auf meinem Schiff sind. « »Danke, ich verzichte«, antwortete Brockmann. Seine Stimme bebte. Auch die Selbstbeherrschung dieses Mannes hatte Grenzen. »Ich lege keinen Wert darauf, Hilfe von Piraten und Mördern zu bekommen. « »Sie enttäuschen mich, Herr Kapitänleutnant«, sagte Winterfeld kopfschüttelnd. »Fällt es Ihnen so schwer, eine Niederlage hinzunehmen? Wenn es Sie tröstet – Sie hatten keine Chance. Nicht mit diesem Schiff. « »Das war keine Niederlage«, antwortete Brockmann. »Das war Mord. Ich lehne es ab, mit Ihnen zu reden. « »Aber, Herr Brockmann«, sagte Winterfeld kopfschüttelnd. »Ich bitte Sie! Sie sind Soldat wie ich. Muß ich Sie daran erinnern, daß Sie selbst vor nicht einmal zwei Monaten eine französische Fregatte versenkt haben. Die Zahl der Opfer belief sich, wenn ich mich richtig erinnere, auf –«

»Ich verbitte mir diesen Vergleich«, unterbrach ihn Brockmann scharf. »Wir sind im Krieg. Aber das hier war ein Akt der Piraterie!«

»Das ist Auffassungssache«, antwortete Winterfeld achselzuckend. »Nun, wir werden auch darüber noch ausgiebig diskutieren können. Im Moment ist leider keine Zeit dafür. Ist Ihr Erster Offizier noch am Leben?« »Ich glaube ja«, antwortete Brockmann. »Warum? Wollen Sie ihn ertränken lassen?«

Winterfeld nahm die Provokation hin, ohne mit der Wimper zu zucken. »Bitte lassen Sie ihn suchen, und übergeben Sie ihm das Kommando über Ihr Schiff«, sagte er. Er machte eine Geste auf das Meer hinaus.»Meine Männer werden ihm dabei behilflich sein, die Überlebenden der GRISSOM zu bergen. Die HALLSTADT ist zwar manövrierunfähig, aber sie wird nicht sinken. Und sobald wir einen ausreichenden Sicherheitsabstand erreicht haben, werde ich ihr Hilfe schicken. Sie werden mich auf die LEOPOLD begleiten müssen, fürchte ich. «

»Und wenn ich mich weigere?« fragte Brockmann. Winterfeld schüttelte tadelnd den Kopf. »Sie sind nicht in der Situation, sich zu weigern«, sagte er. »Ich schlage Ihnen einen Handel unter Offizieren und Ehrenmännern vor. Ich verzichte darauf, dieses Wrack endgültig zu versenken, und Sie geben mir Ihr Ehrenwort, mich zu begleiten und keinen Fluchtversuch zu unternehmen. « Er maß Brockmann mit einem langen, nachdenklichen Blick. »Einverstanden?« »Habe ich eine andere Wahl?« fragte Brockmann. »Kaum«, antwortete Winterfeld. »Also?« »Sie haben mein Wort«, sagte Brockmann zornig. »Aber nur, weil –« Winterfeld unterbrach ihn mit einer Geste, mit der er Brockmanns Bewacher gleichzeitig befahl, ihn loszulassen. Der riesenhafte Mann schwankte, aber er hielt sich aus eigener Kraft auf den Füßen. »Also gut, meine Herren«, sagte Winterfeld, wandte sich kurz zu Serena um und verbeugte sich spöttisch. »Und meine Dame, selbstverständlich. Gehen wir. Wir haben noch einen weiten Weg vor uns. «

Eine knappe halbe Stunde, nachdem man sie an Bord der LEOPOLD gebracht hatte, nahm das Schiff wieder Fahrt auf, und kurz darauf wurden Mike und Trautman zu Winterfeld gebracht. Die Kabine, in der sie gemeinsam untergebracht waren, hatte keine Fenster, so daß sie keinen Blick nach draußen werfen konnten, aber Mike war kein bißchen überrascht, als sie auf das Deck hinaustraten und sahen, daß das Schlachtschiff wieder Kurs auf das offene Meer genommen hatte – und daß die NAUTILUS ihnen folgte. Das Tauchboot war mit einigen dicken Tauen und einer Ankerkette mit fast mannsgroßen, stählernen Gliedern an der LEOPOLD befestigt, und obwohl der Anblick Mike einen tiefen Stich versetzte, beruhigte er ihn auch zugleich ein wenig, denn er bewies, daß Winterfelds Männer nicht in der Lage waren, das Schiff zu steuern. Winterfeld erwartete sie in der Kapitänskajüte, unmittelbar hinter der Brücke. Mike war nicht zum ersten Mal hier, aber er erkannte den Raum trotzdem kaum wieder. Die ehedem so pedantisch aufgeräumte Kabine hatte sich in ein Chaos verwandelt. Ein zweiter Tisch war hereingeschafft worden, auf dem sich Karten, Bücher und Hunderte von eng beschriebenen Blättern stapelten, das Bild des deutschen Kaisers und die dazu passende Fahne, die die Wand hinter Winterfelds Schreibtisch geziert hatten, waren verschwunden und hatten weiteren Karten und großformatigen Diagrammen und Blättern mit mathematischen Formeln und Berechnungen Platz gemacht, und auch Winterfelds Schreibtisch brach schier unter der Last von noch mehr Karten, Büchern und Diagrammen zusammen. Der Anblick verwirrte Mike. Er hatte damit gerechnet, daß es hier nicht mehr so aussehen würde wie bei seinem letzten Besuch – aber Winterfelds Kabine sah ganz und gar nicht so aus wie die Kommandozentrale einesPiratenschiffes.

Er erlebte eine zweite Überraschung, als wenige Sekunden nach ihrem Eintreffen die Tür erneut geöffnet wurde und mehrere von Winterfelds Soldaten Kapitänleutnant Brockmann und seinen englischen Kollegen Stanley hereinführten. Brockmann humpelte jetzt viel mehr als vorhin, aber er hatte eine saubere Jacke an, und die Platzwunde in seinem Gesicht war behandelt worden. Sein Arm hing in einer Schlinge. Offensichtlich hatte sein Stolz doch nicht so weit gereicht, daß er es ablehnte, von WinterfeldsÄrzten behandelt zu werden. Stanley war unverletzt, aber sein Gesichtsausdruck war ebenso finster wie der des Deutschen. Beide Männer nahmen auf einen Wink Winterfelds hin wortlos Platz. Auf einen zweiten Wink hin verließen die Soldaten den Raum wieder.

»Nun, meine Herren«, begann Winterfeld, an die beiden Offiziere gewandt, »ich hoffe, Sie hatten Gelegenheit, sich ein wenig zu sammeln. Die überlebenden Matrosen der GRISSOM wurden an Bord der HALLSTADT gebracht?«

Die Frage galt Brockmann, der sie mit einem nur angedeuteten Nicken beantwortete. Sein Gesicht war wie aus Stein. Er hatte sich jetzt wieder vollkommen in der Gewalt. Aber hinter der Maske scheinbarer Gelassenheit brodelte es, das konnte Mike ganz deutlich erkennen. Seine unverletzte Hand umklammerte die Lehne des Stuhles mit solcher Kraft, als versuche er sie zu zerbrechen.

»Wir haben mittlerweile einen entsprechenden Funkspruch abgesetzt«, fuhr Winterfeld fort, als er nach ein paar Sekunden begriff, daß Brockmann nicht antworten würde. »Man wird sich um die Männer kümmern. In Anbetracht der Umstände denke ich, daß man die Besatzung der HALLSTADT wohl auf freien Fuß setzen wird. Und wenn nicht... nun, wir wissen, wie ausgesucht höflich die Briten mit Kriegsgefangenen umgehen, nicht wahr? Sie brauchen sich also keine Sorgen um Ihre Männer zu machen, Herr Brockmann. «

»Da wäre ich nicht so sicher«, sagte Stanley. »Zumindest, wasSieangeht. Früher oder später kriegen wir Sie, Sie Verbrecher. Bauen Sie dann nicht zu sehr auf die englische Höflichkeit. Sie könnten eine böseÜberraschung erleben. «

»Aber, aber!« Winterfeld hob die Hand und schüttelte ein paarmal den Kopf. »Ich muß Sie doch bitten, Mister Stanley. Drohungen helfen uns hier nicht weiter. Wir sollten uns wie zivilisierte Menschen benehmen. « »Zivilisierte Menschen«, antwortete Stanley gepreßt, »betätigen sich nicht als Piraten und Mörder. « »Und dafür halten Sie mich?« Winterfeld wirkte ehrlich verletzt. »Nun, ich kann es Ihnen nicht einmal verübeln, wie die Dinge liegen. Aber ich kann Ihnen versichern, daß ich weder das eine noch das andere bin. « »Ach?« fragte Stanley. »Und was sonst?« »Wir sind hier, damit ich Ihnen die Situation erklären kann«, antwortete Winterfeld. »Ich bitte Sie, mir einfach fünf Minuten zuzuhören. Ich bin sicher, hinterher sehen Sie einiges anders. « Wieder wartete er einige Sekunden lang vergeblich auf eine Antwort, dann drehte er sich halb in seinem Sessel herum und wandte sich direkt an Mike.

»Ich bin froh, daß dir und deinen Freunden nichts geschehen ist«, sagte er. »Es ist ziemlich lange her, daß wir uns begegnet sind, aber wenn mich meine Erinnerung nicht täuscht, dann wart ihr damals mehr auf dem Schiff. Wo ist dieser junge Franzose – wie war doch gleich sein Name?«

»André«, antwortete Mike automatisch. »Er ist nicht mehr bei uns. «

»Ich hoffe doch stark, daß ihm nichts zugestoßen ist«, sagte Winterfeld, und seltsam – es klang wirklich ehrlich.

»Nein«, antwortete Mike. »André ist –« Er fing im letzten Moment Trautmans warnenden Blick auf und fuhr nach einer Pause fort: »– in Sicherheit. An einem Ort, der ihm besser gefiel als die NAUTILUS. « Winterfeld lächelte. »An einem jener geheimnisvollen Orte, die ihr zweifellos mittlerweile mit der NAUTILUS besucht habt«, sagte er. »Habt ihr Atlantis gefunden?«

Mike sah aus den Augenwinkeln, wie Stanley ihn anstarrte. So ruhig er konnte, sagte er: »Nein. « »Und wenn es so wäre, würdest du es mir nicht sagen, nehme ich an«, fügte Winterfeld hinzu. »Nun, das überrascht mich nicht. Unsere letzte Begegnung ist ja unter nicht so besonders guten Umständen verlaufen, nicht wahr?«

»Also kennt ihr euch doch«, sagte Stanley bitter. »Ja«, antwortete Winterfeld. »Allerdings tun Sie Mike und seinen Freunden unrecht, Kapitän. Wir sind keineswegs Verbündete oder auch nur Freunde. Ganz im Gegenteil. Aber dazu später. « Er stand mit einem Ruck auf und trat an eine der Karten, die die Wand hinter seinem Schreibtisch zierten. Zwei, drei Augenblicke lang stand er reglos da, dann sagte er, ohne sich zu ihnen herumzudrehen: »Meine Herren – was halten Sie von diesem Krieg?«

Stanley blinzelte verwirrt. Brockmann zuckte nicht einmal mit der Wimper, und nach einigen weiteren, von unbehaglichem Schweigen erfüllten Sekunden drehte sich Winterfeld nun doch herum und sah die beiden Offiziere nachdenklich an. »Ich mache nicht nur Konversation«, sagte er. »Ich frage Sie, was sie zu dem sagen, was gerade in Europa geschieht. Gefällt es Ihnen?« »Was soll diese Frage?« fragte Stanley. »Natürlich nicht. « »Aber Sie sind doch daran beteiligt«, antwortete Winterfeld lächelnd.

»Ich bin Soldat«, erwiderte Stanley. »Kein Politiker. « »0 ja, natürlich«, sagte Winterfeld spöttisch. »Und Sie tun, was man Ihnen sagt, nicht wahr? Genau wie mein geschätzter Kamerad Brockmann, nehme ich an. Für Kaiser und Vaterland, wenn es sein muß, bis in den Tod. Wie viele britische Schiffe haben Sie versenkt, Brockmann? Zwei? Drei? Und Sie, Stanley – wie viele Kameraden haben Sie verloren?«

»Die mitgerechnet, dieSiegerade umgebracht haben?« fragte Stanley.

Winterfeld seufzte. Mit einem wortlosen Kopfschütteln wandte er sich an Mike. »Und du?« fragte er. »Wie meinen Sie das?« fragte Mike. »Wie ich es sage«, antwortete Winterfeld. »Vermutlich habt ihr, du und deine Freunde, bisher wenig direkt von diesem Krieg mitbekommen, aber ich denke, ihr seid alt genug, um euch den Rest vorstellen zu können. Was sagst du zu diesemKrieg?«

Die Art, auf die Winterfeld das letzte Wort aussprach, irritierte Mike. Es hörte sich an wie etwas Obszönes. »Ich halte ihn für Wahnsinn. Und für ein Verbrechen«, antwortete er.

Winterfeld lächelte. »Sehen Sie, meine Herren«, sagte er, nun wieder an Stanley und Brockmann gewandt. »Dieser Junge istkeinSoldat. Er ist nicht einmal ein Erwachsener. Nur ein Jugendlicher. Und trotzdem hat er offenbar viel deutlicher erkannt, was im Moment in der Welt geschieht. Wahnsinn. Und ein Verbrechen. « Plötzlich veränderte sich etwas in seiner Stimme. Sie wurde nicht lauter, aber viel eindringlicher, und es war etwas darin, was Mike schaudern ließ. »Was dort draußen vorgeht,istein Verbrechen. Dort draußen sterben Menschen, jeden Tag, jede Stunde. Und sie sterben vollkommen sinnlos – nur weil einige Politiker glauben, ihre Ziele um jeden Preis durchsetzen zu müssen. Sie werfen mir vor, daß ich getötet habe? Das ist richtig. Aber Sie selbst tun nichts anderes! Der Krieg wütet seit anderthalb Jahren, und die Zahl der Opfer geht bereits in die Hunderttausende. Und Millionen werden vermutlich sterben, bis die eine oder andere Seite aufgibt oder besiegt ist. « »Und das gibt Ihnen das Recht, Ihren eigenen Krieg vom Zaun zu brechen?« fragte Trautman. Es waren die ersten Worte, die er sprach, seit sie hereingekommen waren, und sie hörten sich eigentlich gar nicht wie ein Vorwurf an, sondern eher nachdenklich. »Mein eigener Krieg?« Winterfeld lachte leise. »Eine interessante Formulierung – aber ja, vielleicht haben Sie damit sogar recht. Aber wenn, dann führe ich ihn nicht gegen eine Nation. « »Sondern gegen alle?« fragte Stanley. »Nein«, antwortete Winterfeld ernst. »Gegen den Krieg. Und ich möchte Sie bitten, mich dabei zu unterstützen. «

»Wie bitte?« Stanley riß ungläubig die Augen auf. »Sie haben mich richtig verstanden«, sagte Winterfeld. »Sie sind meine Gefangenen, aber ein Wort von Ihnen genügt, und Sie sind frei. Unter der Bedingung, daß Sie mir helfen. «

»Helfen?« fragte Stanley, nunmehr total verwirrt. »Wobei?«

Winterfeld antwortete nicht gleich, sondern sah sie alle vier der Reihe nach und sehr ernst an, ehe er sagte: »Den Krieg zu beenden. «

Ein paar Sekunden lang herrschte absolute Stille. Man hätte die berühmte Stecknadel fallen hören können. Stanley, Brockmann und auch Mike starrten Winterfeld an, und Stanley auf eine Art, als zweifelte er ernsthaft an Winterfelds Verstand – was er wahrscheinlich in diesem Moment auch tat. Nur Trautman wirkte viel mehr erschrocken als überrascht. Und sehr nachdenklich. Sein Blick glitt über die überall aufgehängten Karten und Tabellen, und Mike konnte regelrecht sehen, wie es hinter seiner Stirn zu arbeiten begann. Auch Mike war im ersten Augenblick perplex. Was Winterfeld sagte, hörte sich tatsächlich schlichtweg verrückt an, und in gewissem Sinne war er es sicherlich auch – aber auf der anderen Seite kannte Mike Winterfeld auch zu gut, um wirklich zu glauben, daß der Mann einfach den Verstand verloren hatte. Er konnte sich nicht im Ernst einbilden, nur mit diesem Schiff allein den Krieg beenden zu können. Die LEOPOLD war eine gewaltige Vernichtungsmaschine, und was er tat, bedeutete für die unmittelbar Betroffenen sicherlich dasEnde – aber für die am Krieg beteiligten Nationen war es nicht mehr als ein Ärgernis. Genau das sprach Stanley dann schließlich auch aus: »Sie müssen übergeschnappt sein«, sagte er. »Was haben Sie vor? Solange abwechselnd deutsche und britische Schiffe zu versenken, bis beide Nationen vor Ihnen kapitulieren?«

»Nein«, antwortete Winterfeld ruhig. »Ich bin kein Narr, Kapitän Stanley, auch wenn Sie mich dafür zu halten scheinen. Mir ist klar, daß ich früher oder später gestellt und besiegt werden würde, würde ich so weitermachen wie bisher. Das habe ich nicht vor. Tatsächlich war der Angriff auf Ihre beiden Schiffe der letzte kriegerische Akt, zu dem ich gezwungen war. Wenn Sie so wollen, dann war Ihre Missionerfolgreich: Ab dem heutigen Tage wird es keine Überfälle mehr geben. Ich habe, was ich wollte. «

»Die NAUTILUS«, vermutete Trautman. Winterfeld nickte. »Unter anderem – ja. Mein Angebot gilt selbstverständlich auch für Sie und Ihre Begleiter, Herr Trautman: Sagen Sie mir Ihre Unterstützung zu und geben Sie mir Ihr Ehrenwort, und Sie sind frei. « »Unterstützung wobei?« wollte Stanley wissen. Winterfeld lächelte. »Sie enttäuschen mich erneut, Mister Stanley«, sagte er. »Sie erwarten nicht im Ernst, daß ich Ihnen meine Pläne offenbare, bevor ich weiß, wo Sie stehen?«

»Nein«, antwortete Stanley. »Ebensowenig wie Sie mein Ehrenwort als Offizier erwarten, bevor ich weiß, was Sie vorhaben. «

Diesmal lachte Winterfeld laut. »Ich sehe ein, die Situation ist verzwickt«, sagte er. »Ein klassisches Patt, sozusagen. Aber ich erwarte Ihre Entscheidung auch nicht sofort. Denken Sie in Ruhe über folgendes nach: Wie würden Sie sich entscheiden, wenn Sie die Wahl hätten, entweder Ihrem König und Ihrem Diensteid zu folgen und diesen Wahnsinn weiter mitzumachen oder beide zu verraten und den Krieg dafür zu beenden. «

»Das ist unmöglich!« behauptete Stanley. »Wie wollen Sie das bewerkstelligen?«

»Wie gesagt – das kann ich Ihnen im Moment noch nicht sagen«, antwortete Winterfeld. »Aber glauben Sie mir – ich kann es. Und ich werde es tun, ob mit ihrer oder ohne Ihre Hilfe. Und das gleiche gilt für euch. «

Er wandte sich nun wieder direkt an Mike. »Meine Ingenieure haben mir versichert, daß sie binnen kürzester Zeit lernen werden, mit der NAUTILUS umzugehen. Aber es wäre einfacher mit eurer Hilfe. Und ihr habt mein Ehrenwort, daß ihr das Schiff zurückbekommt und frei seid, sobald alles vorbei ist. « »Sie müssen verrückt sein!« sagte Stanley. »Ich weigere mich, Ihnen weiter zuzuhören. «

»Das brauchen Sie auch nicht«, antwortete Winterfeld. »Wie gesagt – ich erwarte Ihre Entscheidung nicht sofort. Wir haben vier Tage Zeit, bis wir unser Ziel erreichen. Solange gebe ich Ihnen Bedenkzeit.

Selbstverständlich werden Sie behandelt, wie es einem Offizier zukommt. « Er rief die Wachen herein, die Stanley und Brockmann hinausführten. Auch Trautman und Mike erhoben sich, aber als Mike die Kabine verlassen wollte, rief Winterfeld ihn zurück.

Mike zögerte. Ihm war nicht wohl dabei, mit Winterfeld allein zu sein. Er tauschte einen fragenden Blick mit Trautman, aber als dieser nickte, blieb er stehen und sah Winterfeld fragend an.

Winterfeld schwieg, bis sich die Tür hinter Mike wieder geschlossen hatte, dann sagte er: »Bitte setz dich, Mike. « Mike zögerte erneut. Da war plötzlich etwas in Winterfelds Blick, was ihn erschreckte. Aber er gehorchte, und nachdem er sich wieder gesetzt hatte, nahm auch Winterfeld wieder auf seinem Stuhl auf der anderen Seite des Schreibtisches Platz. »Ich möchte, daß du eines weißt, Mike«, fuhr Winterfeld fort. »Was immer auch passieren mag und wie immer ihr euch auch entscheidet, dir und deinen Freunden wird nichts geschehen. «

Aber das war nicht alles, was Winterfeld ihm sagen wollte, das spürte Mike, ebenso deutlich, wie er spürte, daß Winterfelds Worte ehrlich gemeint waren, nicht nur so dahingesagt, sondern ein Versprechen, das er unter allen Umständen einhalten würde. Er antwortete nicht, aber damit schien Winterfeld auch gar nicht gerechnet zu haben.

»Mirliegt viel daran, daß du mir glaubst, Mike«, sprach er weiter. »Ich sage das nicht nur, um dich umzustimmen. Ihr könnt euch entscheiden, wie ihr wollt. Sobald ich meine Arbeit getan habe, seid ihr frei. Ihr könnt die NAUTILUS nehmen und damit hinfahren, wo immer ihr wollt. «

»Warum haben Sie uns dann überhaupt erst gefangengenommen?« fragte Mike.

Winterfeld lächelte sanft. »Mir kam es eher vor, als hätte ich euchbefreit«,sagte er. »Aber du hast natürlich recht – ichhabeeuch gesucht. Ich brauche die NAUTILUS, wenigstens für eine Weile. Aber ich will sie euch nicht mehr wegnehmen. Ich gebe zu, das wollte ich, aber ich weiß jetzt auch, daß es ein Fehler war. « »Und woher diese plötzliche Einsicht?« fragte Mike. Winterfeld wirkte mit einem Male sehr traurig. »Ich habe mit jemandem gesprochen«, sagte er. »Mit jemandem, der mir die Augen geöffnet hat. Derselbe, dem ich versprochen habe, euch keinen Schaden zuzufügen. « »Paul?« vermutete Mike. Winterfeld nickte. Er sagte nichts. Mike sah deutlich, daß er etwas sagenwollte,aber plötzlich konnte er es nicht mehr. In seinem Gesicht zuckte ein Muskel, und seine Augen schienen sich plötzlich mit Schatten zu füllen. In Mike stieg ein furchtbarer Gedanke empor. »Wie... wie geht es Paul?« fragte er stockend. »Wo ist er?«