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»So?« Serena klang ehrlich verblüfft. »Wie meinst du das?«
»Was ist mit Astaroth?« fragte Mike. »Und Trautman und Singh und Chris und Juan – und selbst Ben? Wir sind doch deine Freunde. Und das werden wir auch immer bleiben, ganz egal, was passiert. « »Das ist... etwas anderes«, behauptete Serena. »Du hast gesagt, daß Freunde –«
»– zum Beispiel füreinander einstehen«, unterbrach sie Mike. »Hast du das etwa nicht getan? Was war auf der Insel der Dinosaurier? Warst du etwa nicht bereit, dein eigenes Leben zu opfern, um uns zu retten?*«
Serena schwieg verwirrt. Aber nach einigen Sekunden sagte sie wieder: »Das war etwas anderes. «
»Das war es nicht«, antwortete Mike. »Aber auch das wirst du noch einmal verstehen. «
Sie sprachen nicht weiter, sondern saßen einfach in vertrautem Schweigen nebeneinander da, und was Mike vorhin schon einmal gespürt hatte, das empfand er jetzt erneut und noch viel intensiver: Es linderte den Schmerz nicht, wenn jemand da war, der ihn teilte. Aber es machte es leichter, ihn zu ertragen. Sehr viel leichter sogar.
Die Zeit strich träge dahin. Die ersten beiden Tage ihrer Gefangenschaft brachten sie fast ununterbrochen zusammen zu, und natürlich diskutierten sie immer wieder über Winterfelds geheimnisvollen Plan. Aber schließlich kamen sie wieder darauf, was Trautman eigentlich schon am ersten Tag auf den Punkt gebracht hatte: Sie konnten nichts gegen Winterfeld unternehmen, solange sie nicht wußten, was er vorhatte. Erst am vierten und somit – Winterfelds eigenen Worten zufolge – letzten Tag ihrer Reise wurden sie das erste Mal wieder an Deck gelassen. Es war sehr kalt. Sie waren ununterbrochen nach Norden gefahren, und da die LEOPOLD auch ein sehr schnelles Schiff war, hatten sie in dieser Zeit ein
gehöriges Stück Weg zurückgelegt. Brockmann hatte gemeint, daß sie sich allmählich dem Polarkreis nähern mußten, und zumindest der erste Blick, den Mike auf das Meer warf, als er gebückt in den eisigen Wind hinaustrat, der über das Deck der LEOPOLD strich, schien ihm recht zu geben: Der Himmel war grau und hing niedrig, und er kam Mike vor wie eine Platte aus massigem Blei, die jemand über die Welt gestülpt hatte. Die Sonne sah aus wie ein daraufgemalter gelber Klecks, der kaum Licht und überhaupt keine Wärme verstrahlte, und selbst vom Wasser schien ein eisiger Hauch aufzusteigen. Die Aufbauten der LEOPOLD waren mit einem weißen Schimmer bedeckt, und hier und da hatte sich sogar Eis gebildet. Im Norden, noch weit entfernt, glitzerte eine weiße Linie, wo eigentlich der Horizont sein sollte. Wenn man ganz genau hinsah, konnte man eine Anzahl winziger dunkler Punkte davor erkennen, die wie Perlen auf einer unsichtbaren Schnur hintereinander aufgereiht waren.
Ihre Begleiter ließen ihnen Zeit, sich umzusehen, gestatteten aber nicht, daß sie stehenblieben, so daß sie schon nach wenigen Augenblicken wieder zurück ins Innere des Schiffes traten und die Treppe zur Brücke hinaufgingen. Trotzdem reichte das für Mike, festzustellen, daß die NAUTILUS noch immer im Schlepptau hinter dem Kriegsschiff lag. Der Anblick gab ihm einen tiefen, schmerzhaften Stich. Die Rettung war so nahe und trotzdem unerreichbar.
Winterfeld erwartete sie wie üblich in seiner Kabine, und er war nicht allein. Als sie eintraten, stand er zusammen mit zweien seiner Männer über eine riesige Karte gebeugt da, die seinen ganzen Schreibtisch beanspruchte. Mike warf einen neugierigen Blick darauf, aber was er sah, verwirrte ihn völlig. »Ah, unsere Gäste!« begrüßte sie Winterfeld – mit einem Lächeln und in einem fröhlichen Ton, der der Situation überhaupt nicht angemessen schien. Er nickte den beiden Männern zu seiner Rechten zu, woraufhin diese schweigend die Kabine verließen. »Bitte, sucht euch irgendwo einen Platz«, sagte er. »Und verzeiht das Durcheinander. Ich hasse nichts so sehr wie Unordnung, aber leider sind wir hier ein wenig eingeschränkt, was Platz angeht. « Keiner von ihnen rührte sich
– außer Serena, die sich suchend umsah und dann kurzerhand einen Stapel Papier von einem Stuhl fegte, um sich darauf niederzulassen. Winterfeld sah sie einen Moment lang stirnrunzelnd an, zuckte aber dann nur die Achseln und fuhr im selben fröhlichen Ton fort: »Nun, ich hoffe, die Bedenkzeit, die ich Ihnen gewährt habe, hat ausgereicht. Sind Sie zu einem Schluß gekommen?« »Ja«, sagte Stanley böse. »Nämlich zu dem, daß Sie komplett verrückt sind, Winterfeld. Aber dazu hätte ich keine vier Tage gebraucht. «
»Denken Sie ebenso?« Winterfeld nahm die Beleidigung
sichtlich ungerührt hin und wandte sich an Brockmann.
»Nicht ganz«, antwortete der deutsche Kapitän. »Aber die Antwort auf die Frage, ob ich mit Ihnen gemeinsame Sache gegen mein Vaterland machen will, lautet nein – wenn es das ist, was Sie wissen wollen. « Winterfeld seufzte. »Es tut mir leid, wenn Sie es so sehen«, sagte er. »Die Wahrheit ist, daß ich weder gegen unser noch gegen das Land unseres britischen Kameraden vorgehen will oder gegen irgendein anderes. Mein einziger Feind ist der Wahnsinn, der im Augenblick von der ganzen Welt Besitz ergriffen hat. Und Sie, Herr Trautman, und Ihre Freunde?«
Trautman zögerte, sofort zu antworten. Sein Blick glitt wieder über die aufgehängten Karten und Tabellen, und er sah plötzlich wieder besorgt und erschrocken drein wie beim ersten Mal, als sie hiergewesen waren.
Vor allem die große Karte, die auf Winterfelds Schreibtisch lag, schien ihn zu beunruhigen. Mike fragte sich, ob er darin vielleicht mehr sah als er und die anderen. »Wenn ich wirklich wüßte, daß Sie diesen Krieg beenden könnten, würde ich zustimmen«, sagte er schließlich. »Aber das kann niemand. Auch Sie nicht. « »Und wenn ich es Ihnen beweise?« fragte Winterfeld. Trautman schüttelte den Kopf. »Ich glaube, ich weiß, was Sie vorhaben«, sagte er. »Es wird nicht funktionieren, glauben Sie mir. «
Mike blickte Trautman aus großen Augen an, und auch auf den Gesichtern der anderen spiegelten sichÜberraschung und Unglauben. »Sie wissen, was er vorhat?« fragte Stanley.
Trautman ignorierte ihn. »Seien Sie vernünftig, Winterfeld«, sagte er. »Es kann nicht funktionieren – und selbst wenn, hieße es, den Teufel mit dem Beelzebub auszutreiben. «
»Wovon zum Teufel reden Sie überhaupt?« fuhr Stanley auf. »Sie wissen, was dieser Kerl vorhat? Wenn es so ist, wieso haben Sie es uns nicht gesagt? Machen Sie am Ende doch gemeinsame Sache mit ihm?« Trautman wollte antworten, aber Winterfeld unterbrach ihn mit einer Geste und wandte sich selbst an Stanley. »Ich muß Sie noch einmal bitten, die Form zu wahren, Kapitän Stanley«, sagte er, nun nicht mehr so freundlich wie bisher. »Sie werden gleich alles erfahren. Aus keinem anderen Grund sind wir schließlich hier. Aber zuerst möchte ich noch die anderen befragen. « Mikes Herz begann schneller zu klopfen, als sich Winterfelds Blick nun auf ihn konzentrierte. Der Kapitän der LEOPOLD sagte nichts, aber das war auch gar nicht nötig. Mike hatte das Gespräch, das sie vor vier Tagen geführt hatten, nicht vergessen. »Ich kann es nicht«, sagte er leise. »Ich kann meine Freunde nicht verraten. «
»Du würdest ihr Leben damit retten«, sagte Winterfeld ernst.
»Sagten Sie nicht, daß uns nichts passieren würde?« Winterfeld lächelte, aber es war kein fröhliches Lächeln. »Ich sagte, daß euchvon mirkeine Gefahr droht«, antwortete er. »Und das ist die Wahrheit. Aber ich kann euch nicht garantieren, daß ihr davonkommt. Ich will ganz offen sein. Zu dem, was ich vorhabe, brauche ich die NAUTILUS. Meine Ingenieure haben das Schiff in den letzten Tagen gründlich untersucht, und sie sind sicher, daß sie es steuern können.Ichbin dessen nicht so sicher wie sie. Ich fürchte, das Schiff könnte beschädigt werden, vielleicht sogar zerstört. Das muß nicht sein. Ich habe nichts gegen euch, Mike. Das hatte ich nie – auch wenn ich nicht von dir erwarte, daß du mir glaubst. Mein Angebot gilt nach wie vor: Helft mir, meine Pläne zu verwirklichen, und ich lasse euch gehen. Miteurem Schiff. « Er hob die Hand, als Mike antworten wollte. »Überlegt es euch gut. Ich frage nicht noch einmal. «
»Vielleicht hätten Sie endlich die Güte, uns mitzuteilen, was Sie überhaupt vorhaben«, sagte Stanley scharf. Winterfeld lächelte wieder. »Selbstverständlich. Obwohl ich mich ein wenig wundere, daß Sie nicht schon von selbst darauf gekommen sind. Herr Trautman jedenfalls hat es offensichtlich begriffen. Ich werde die Welt zwingen, den Krieg zu beenden. Auf eine ganz einfache Art und Weise. Im Grunde haben Sie mir vorgemacht, wie es geht. «
»Wir?« fragte Stanley. Brockmann sah Winterfeld nur schweigend an, aber auch in seinem Gesicht arbeitete es. Er blickte immer wieder zu der Karte vor Winterfeld, und Mike war jetzt fast sicher, daß er ebenso wie Trautman begriffen hatte, wovon Winterfeld sprach. »Sie«, bestätigte Winterfeld und deutete auf Brockmann und Stanley. »Sie beide entstammen feindlichen Nationen. Sie sind Soldaten zweier Länder, die im Krieg miteinander liegen – und doch haben Sie sich zusammengetan, um gegen einen gemeinsamen Feind vorzugehen, nicht wahr?«
»Ich verstehe«, sagte Stanley spöttisch. »Sie wollen eine Flotte von Piratenschiffen aufbauen, die Europa bedroht. Wer hilft Ihnen noch dabei? Dschingis-Khans Horden? Oder vielleicht die Marsmenschen?« »Ich hoffe, das ist nicht der vielgerühmte englische Humor«, sagte Winterfeld. »Wenn ja, wird er hoffnungslos überschätzt. Aber um Ihre Frage zu beantworten: Nein, das habe ich nicht vor. Aber ich werde diesen Wahnsinnigen in Europa einen Feind gegenüberstellen, der sie zwingt, zusammenzuarbeiten. Ob sie es wollen oder nicht. Glauben Sie mir – in wenigen Tagen schon wird niemand mehr auch nur daran denken, auf seinen Nachbarn zu schießen. « »Und wieso nicht?« fragte Stanley. »Weil jedermann in Nordeuropa dann damit beschäftigt sein wird, irgendwie am Leben zu bleiben«, antwortete Trautman an Winterfelds Stelle. Er deutete auf die Karte. »Sehen Sie sich die Karte an, Stanley. Erkennen Sie sie?«
Stanley trat neugierig näher an den Schreibtisch heran, musterte die Karte einige Sekunden lang und schüttelte dann den Kopf. »Nein«, sagte er. »Nun, das erstaunt mich nicht«, sagte Winterfeld. Er lächelte Trautman zu. »Ebensowenig, wie es mich erstaunt, daßSiesie kennen. Schließlich stammt sie aus Ihrem Schiff. Sie hat uns sehr geholfen. Ebenso wie einige andere Unterlagen, die wir auf der NAUTILUS gefunden haben. «
Trautmans Miene verdüsterte sich. Er schwieg. »Was ist das für eine Karte?« fragte Stanley. »Eine Seekarte«, antwortete Winterfeld. »Aber keine von der Art, mit der Sie normalerweise umgehen müssen, Mister Stanley. Sie zeigt den Meeresgrund. Ungefähr dort, wo wir uns jetzt befinden – genauer gesagt, dort, wo wir in gut zwei Stunden sein werden. Ich selbst verfüge über ähnliche Karten, auch wenn ich zugeben muß, daß sie nicht annähernd so präzise sind. Aber sie bestätigt die Richtigkeit meiner Berechnungen. Mit Hilfe dieser Karte und der NAUTI-LUS bin ich in der Lage, mein Vorhaben durchzuführen. «
»Welches Vorhaben?« fragte Stanley. »Ganz Europa zu vernichten«, sagte Trautman leise. Winterfeld sagte nichts, aber Stanley fuhr wie unter einem Hieb zusammen, und selbst Brockmann verlor für eine Sekunde seine Beherrschung und richtete sich kerzengerade auf. Einer der Soldaten, die sie in die Kabine begleitet hatten, griff nach seinem Gewehr, aber Winterfeld machte eine rasche, beruhigende Geste. Brockmann entspannte sich wieder. »Sie übertreiben, Herr Trautman«, sagte er ruhig. »Ich gebe zu, daß es hart wird. Mit gewissen Opfern muß gerechnet werden, aber –«
»Gewissen Opfern?«Trautman schrie fast. »Sie sind ja völlig wahnsinnig! Wie viele Menschen werden sterben, glauben Sie? Hunderttausende? Millionen?« »Nicht annähernd so viele wie in diesem irrsinnigen Krieg!« antwortete Winterfeld zornig. »Wachen Sie auf, Trautman! Das ist kein kleiner Krieg, wie wir ihn in der Vergangenheit erlebt haben! Die ganze Welt steht in Flammen, und es beginnt erst!« »Ja, und Sie werden diese Flammen unter einem Eispanzer ersticken, wie?« Trautman fuhr auf dem Absatz herum und wandte sich an Stanley und Brockmann. »Wissen Sie, was dieser Wahnsinnige vorhat? Er will eine neue Eiszeit auslösen. Das ist der gemeinsame Feind, den er Europa gegenüberstellen will!« »Wie bitte?« keuchte Stanley. Seine Augen quollen ihm förmlich aus den Höhlen. »Das ist doch völlig unmöglich!«
»Keineswegs«, antwortete Winterfeld. »Es ist sogar ganz einfach, Herr Kollege. Ich erkläre es Ihnen gerne. « Er legte die gespreizten Finger der Linken auf die Karte und deutete mit der anderen Hand hinter sich, wo eine zweite, normale Seekarte hing, die die gesamte nördliche Hemisphäre zeigte.
»Ich muß ein wenig ausholen, aber keine Sorge, es dauert nicht lange. Die Idee ist im Grunde ganz simpel. Ich bin nicht der erste, der darauf kommt. Aber vielleicht der erste, der die Möglichkeiten hat, sie in die Tat umzusetzen. «
Er legte eine kurze Pause ein und fuhr dann in etwas leiserem Ton fort. »Ich nehme an, jeder hier im Raum weiß, was der Golfstrom ist, nämlich eine warme Meeresströmung, die irgendwo vor der Küste Südamerikas beginnt, den Atlantik überquert und die gesamte afrikanische und nordeuropäische Küste mit warmer Luft versorgt. Niemand weiß bis heute genau, wo der Golfstrom entsteht, oder gar, warum, aber Tatsache ist, daß diese warme Luft seit Zehntausenden von Jahren für das europäische Klima verantwortlich ist. « »Wieso?« fragte Ben.
»Nun, wenn du einmal einen Blick auf den Globus wirfst, dann wirst du feststellen, daß es in Nordeuropa eigentlich wärmer ist, als es sein dürfte«, antwortete Winterfeld. »Und zwar viel wärmer. « »Also, mir kommt es die meiste Zeit ziemlich kalt vor«, antwortete Ben.
Winterfeld lächelte flüchtig. »Aber das ist es nicht«, antwortete er. »Im Gegenteil. Der Norden Deutschlands, zum Beispiel, liegt etwa auf dem gleichen Breitengrad wie Moskau, und dort ist es die meiste Zeitziemlichkalt. Im Grunde müßten Deutschland, Frankreich, Teile von Spanien – und erst recht deine Heimat England, mein lieber Junge – dasselbe Klima haben wie Sibirien, und das hieße, acht Monate Winter und vier Monate etwas, waskeinWinter ist, aber den Namen Sommer auch nicht wirklich verdient. Daß das nicht so ist, liegt einzig und allein an der warmen Luft, die der Golfstrom nach Europa trägt. Und das werde ich ändern. « »Jetzt weiß ich genau, daß Sie verrückt sind«, sagte Stanley.
»Nicht im mindesten«, antwortete Winterfeld ungerührt. »Sehen Sie, es ist im Grunde ganz simpel. Das Seegebiet, dem wir uns nähern, ist nämlich zum Großteil dafür verantwortlich, daß der Golfstrom überhaupt so weit reicht. Eigentlich müßte er irgendwo vor der afrikanischen Küste auf den Kontinentalsockel treffen und dort auseinanderbrechen. Daß er es nicht tut, liegt andieserMeeresformation. « Seine gespreizte Hand berührte die Karte.
»Wir sind hier am Polarkreis, Mister Stanley. Und das bedeutet, daß eisige Luft aus dem Norden herbeiströmt und das Wasser abkühlt. Sie wissen, was mit Wasser geschieht, das kalt wird?« »Es gefriert«, sagte Chris.
»Ja, das stimmt«, antwortete Winterfeld. »Aber zuerst einmal wird esschwerer. «
»Blödsinn«, sagte Ben. »Eis schwimmt oben, oder?« »Eis ja«, bestätigte Winterfeld. »Kaltes Wasser, nein. So wie warme Luft nach oben steigt, weil sie leichter ist als kalte, so ist kaltes Wasser schwerer als warmes. Und hier geschieht nun etwas, was in dieser Form und Größe auf der ganzen Welt einmalig sein dürfte: Die kalte Polarluft kühlt das warme Wasser, das der Golfstrom heranträgt, rasend schnell ab. Es beginnt zu sinken, und zwar durch die warmen Wasserschichten in der Tiefe hindurch und sehr schnell. Auf diese Weise entsteht ein Sog, eine Art Wasserfall im Meer, wenn du so willst. Hier, an der Meeresoberfläche, spürt man kaum etwas davon, aber schon hundert Meter tiefer toben Gewalten, die jedes Schiff zerreißen würden. « »Außer der NAUTILUS«, sagte Trautman. »Außer der NAUTILUS«, bestätigte Winterfeld. »Zumindest hoffe ich das. «
»Und Sie haben vor, diesen Sog zu unterbrechen?« Ben schüttelte zweifelnd den Kopf. »Dazu dürfte nicht einmal die NAUTILUS ausreichen. « »Sie nicht«, sagte Winterfeld, »aber etwas, was ich dort unten auf dem Meeresgrund entdeckt habe. Ich habe die ganze Zeit vermutet, daß es dort ist, aber diese Karte hier gibt mir die Gewißheit, daß es existiert. « »Und was?« fragte Ben.
»Ein Vulkan«, antwortete Trautman. »Ein gewaltiger, unterseeischer Vulkan. « Ben keuchte. »Und Sie wollen ihn –« »Zum Ausbruch bringen, ja«, unterbrach ihn Winterfeld.
»Deshalb also die Überfälle«, murmelte Brockmann. »Dazu haben Sie all diesen Sprengstoff gebraucht. « »Mehr als hunderttausend Tonnen«, bestätigte Winterfeld. »Ich habe insgesamt sieben Schiffe, die bis unter das Deck mit Sprengstoff beladen sind. Wenn ich sie auf den Meeresboden versenke und exakt im selben Moment sprenge, wird der Vulkan ausbrechen. « »Das kann nie und nimmer funktionieren«, sagte Stanley überzeugt. »Der Vulkan wird ausbrechen – und? Das Wasser wird warm und dann wieder kalt. Sie haben es selbst gesagt – vom Pol strömt ununterbrochen kalte Luft herbei. Vielleicht wird es zwei Tage lang kälter in Europa, aber –«
»Er hat recht, Stanley«, unterbrach ihn Trautman leise. »Sie
verstehen immer noch nicht. « Er deutete mit einer müden Geste auf die Karte. »Es reicht vollkommen, den Sog einmal zu unterbrechen. Und selbst wenn nicht – es würde kälter.Hier. «
»Und?« fragte Stanley verständnislos. »Sie haben nicht zugehört, mein lieber Freund«, sagte Winterfeld lächelnd. »Der Trick ist, daß es hiernicht kalt genugist. Aber das wird es, so oder so. Ein Vulkanausbruch dieser Größe wird Millionen Tonnen Staub in die Stratosphäre schleudern. Für Wochen, vielleicht für Monate, wird die Sonne nicht mehr scheinen. Und Dunkelheit bedeutet Kälte. Wäre es hier nur ein wenig kälter, würde das Wasser zu Eis gefrieren, ehe es sinken könnte. Der unterseeische Wasserfall würde aufhören zu fließen. «
»Und damit der Golfstrom abreißen«, flüsterte Brockmann. »Europa würde eine neue Eiszeit erleben. «
»Ja«, bestätigte Winterfeld. »Ich maße mir nicht an, die Welt umbauen zu können. Früher oder später wird die Natur die alte Ordnung wiederherstellen, dessen bin ich sicher. « »Es wird ein sehr langer und sehr kalter Winter werden – nach meinen Berechnungen zwischen fünf und fünfzehn Jahren. Nicht länger. Aber das ist lange genug, um diesen Irrsinn zu beenden. « »Wissen Sie eigentlich, was Sie da reden?« fragte Trautman. Seltsamerweise war seine Stimme ohne jeden Vorwurf. Er klang einfach nur müde – und so, als wisse er genau, wie wenig seine Worte nutzen konnten. »Sie sprechen vom Ende unserer Zivilisation. Zumindest in der Form, wie wir sie kennen. Keine Nation in Europa kann eine Eiszeit überstehen, selbst wenn sienurfünfzehn Jahre andauert. «
»Und wenn?« fragte Winterfeld. »Welches Recht zum Überleben hat eine Zivilisation, deren ganzes Streben darin besteht, immer neue und immer schrecklichere Waffen zu erfinden, mit der sie sich noch schneller selbst auslöschen kann?«
»Und welches Recht haben Sie, über das Schicksal von Millionen Menschen zu entscheiden?« fragte Serena.
Winterfeld starrte sie an, aber Serena hielt seinem Blick ruhig stand, und schließlich war es Winterfeld, der das stumme Duell verlor. Mit einem Ruck senkte er den Blick.
»Mein Entschluß steht fest«, sagte er. »Ich werde diesen Krieg beenden, so oder so. Ihr könnt mir dabei helfen und mit ziemlicher Sicherheit mit dem Leben davonkommen oder es nicht tun und mit großer Wahrscheinlichkeit sterben. « Er atmete hörbar ein, sah wieder auf und blickte herausfordernd von einem zum anderen. »Ich wiederhole mein Angebot ein letztes Mal«, sagte er. »In zwei Stunden erreichen wir die Position der anderen Schiffe, und morgen früh, bei Sonnenaufgang, beginnen wir damit, sie zu versenken. Es ist eure Entscheidung, ob ihr dann in einem Rettungsboot der LEO-POLD sitzen und vor dem Vulkan fliehen werdet oder an Bord der NAUTILUS. «