121926.fb2 Das Tal der Giganten - читать онлайн бесплатно полную версию книги . Страница 3

Das Tal der Giganten - читать онлайн бесплатно полную версию книги . Страница 3

Serena sah Trautman einen Moment beinahe mordlüstern an, dann stand sie mit einer so heftigen Bewegung auf, daß ihr Stuhl scharrend zurückflog und um ein Haar umgestürzt wäre, und stürmte wütend aus dem Salon.

Mike sah ihr traurig nach. Während der Monate, die vergangen waren, seit Serena an Bord des Schiffes gekommen war, waren sie sich deutlich nähergekommmen. Mike war noch immer nicht sicher, ob Serena die Gefühle wirklich erwiderte, die er insgeheim für sie hegte, aber es stimmte ihn traurig, sie so zornig zu sehen -auch wenn er Trautman selbstverständlich recht gab. Es wäre viel zu gefährlich, Serena mit hinüber auf die Insel zu nehmen.

»Vielleicht solltest du ihr nachgehen und sie ein bißchen beruhigen«, wandte er sich an Astaroth. Ich bin doch nicht verrückt! antwortete der Kater. Im Moment mache ich lieber einen großen Bogen um sie. Und wenn du einen guten Rat von mir willst -du solltest dasselbe tun. Außerdem muß ich mich dringend um meine Söhne kümmern.

Mike sah sich suchend im Salon um. Die vier kleinen Katzen tobten fröhlich herum und brauchten im Moment ganz bestimmt niemanden, der sich um sie kümmerte. Aber er verstand Astaroth. Serena war nicht unbedingt das, was man geduldig nennen konnte, oder gar sanftmütig.

»Also gut«, sagte Trautman. »Ich schlage vor, ihr geht in eure Kabinen und versucht gleich zu schlafen. Der morgige Tag wird sehr anstrengend -auch für die, die nicht zur Insel hinüberfahren. Singh und ich werden bis dahin alles Notwendige vorbereitet haben. « »Und wer geht nun?« wollte Ben wissen. »Bis morgen früh habe ich mich entschieden«, sagte Trautman. »Ich wecke euch eine Stunde vor Sonnenaufgang. «

Der Wettergott -oder vielleicht auch nur der Zufall gaben Trautman im nachhinein recht. Als die Sonne am nächsten Morgen aufging, war die Kraft des Sturmes gebrochen, und auch der Seegang war nicht mehr annähernd so stark wie in den letzten Tagen. Und trotzdem

- als er eine halbe Stunde nach Sonnenaufgang neben Singh und Juan -Trautman hatte sie doch zu dritt gehen lassen -den schmalen Strand der Insel betrat, fragte Mike, wie um alles in der Welt sie es geschafft hatten, die Distanz von der NAUTILUS bis hierher zu überwinden, ohne unterwegs zu erfrieren, über Bord geschleudert zu werden, ohne daß der Bootsrumpf sich an einem Riff aufschlitzte oder sie auf irgendeine andere Weise ums Leben kamen. An Gelegenheiten hatte es jedenfalls nicht gemangelt. »Zieht das Boot auf den Strand«, sagte Singh. »Und macht es gut fest. Wenn die Flut es fortreißt, kommen wir nie wieder weg von hier. Ich werde mir inzwischen das Wrack ansehen. «

Seine Worte rissen Mike wieder in die Wirklichkeit

zurück, wofür er dem Sikh sehr dankbar war. Während der Fahrt waren sie alle viel zu sehr damit beschäftigt gewesen, zu rudern und mit den stürmischen Elementen zu kämpfen, um wirklich Angst zu haben -aber jetzt, als die unmittelbare Gefahr vorüber war, begannen seine Knie doch zu zittern.

Das Boot bestand, ganz wie die NAUTILUS, aus einem ungemein widerstandsfähigen, trotzdem aber sehr leichten Material. Dennoch waren Mike und Juan erschöpft, als sie es endlich auf den Strand hinaufgezogen hatten, denn sie begnügten sich nicht damit, es ein Stück weit vom Wasser wegzuzerren, sondern schleiften es fast über den ganzen Strand. Mike hatte Singhs Warnung nicht vergessen. Ohne das Boot kamen sie nie wieder von dieser Insel herunter. Die NAUTILUS besaß zwar noch ein zweites Beiboot, aber das war viel kleiner als das, mit dem sie gekommen waren. Sie saßen eine ganze Weile schweigend nebeneinander da und versuchten neue Kräfte zu schöpfen, bis Juan schließlich als erster aufstand und noch einmal zum Boot zurückging, um zwei eiserne Haken und einen Hammer zu holen. Mit vereinten Kräften trieben sie die Haken in das Eis und banden das Boot daran fest. Jetzt würde es selbst eine noch so große Welle nicht mehr davontragen können.

Noch immer ohne ein Wort zu sagen, gingen sie auf das gestrandete Schiff zu. Es war eine kleine Yacht, bei deren Anblick sich Mike fragte, wie sie sich in diesen Teil des Meeres verirrt haben mochte. Sie maß allerhöchstens fünfzehn Meter, und bevor der Sturm und die Wellen sie in einen Trümmerhaufen verwandelt hatten, mußte sie einmal sehr elegant gewesen sein. Jetzt war sie nur mehr ein Wrack. Der Kiel war abgebrochen und der Rumpf auf ganzer Länge aufgerissen. Fast die gesamten Deckaufbauten waren verschwunden, und der zersplitterte Mast lag zwanzig Meter entfernt auf dem Eis. Das Schiff mußte von einer Welle erfaßt und regelrecht auf den Strand geschmettert worden sein. Wie jemand diese Katastrophe überlebt haben sollte, war Mike ein Rätsel.

Singh kam ihnen entgegen, als sie das Wrack umrundeten. Er hatte den rechten Handschuh ausgezogen und trug einige Papiere in der Hand, in denen er im Gehen blätterte. Unter den anderen Arm hatte er einen in schwarzes Leder gebundenen Folianten geklemmt; vermutlich das Logbuch des Schiffes. »Wie sieht es aus?« fragte Mike -obwohl ein einziger Blick in Singhs Gesicht diese Frage eigentlich überflüssig machte. Der Sikh sah sehr erschrocken drein. »Geht lieber nicht hinein«, antwortete Singh. »Dort drinnen ist alles kurz und klein geschlagen. Ihr könntet euch verletzen. «

»Waren -«, begann Juan, brach dann schon nach dem ersten Wort wieder ab und sah Singh hilfesuchend an. Aber Singh beantwortete seine Frage, auch ohne daß er sie laut aussprechen mußte. »Nein, ich habe keine Toten gefunden«, sagte er. »Offensichtlich haben sie es alle überstanden. « Er schüttelte den Kopf und maß das zertrümmerte Schiff mit einem langen Blick. »Das Funkgerät ist ausgebaut worden«, fuhr er fort. »Und anscheinend haben sie auch alles andere mitgenommen, was sie irgendwie tragen konnten. Ich verstehe nur nicht, warum. «

»Hätten sie es hierlassen sollen?« fragte Juan. Singh würdigte ihn nicht einmal eines Blickes. »Das Schiff mag ein Wrack sein. Aber hier hätten sie immerhin ein Dach über den Kopf gehabt«, fuhr er fort. »Warum haben sie es verlassen? Seht euch nur diese Wand an. «

Er deutete mit einer Kopfbewegung auf die Steilwand aus Eis, die den Strand einschloß. Sie war gute zehn Meter hoch und glatt wie ein Spiegel. Nirgends gab es eine Stelle, an der man bequem oder auch nur ungefährdet hätte hinaufgelangen können. »Das ist eine lebensgefährliche Kletterei. So etwas macht doch niemand ohne triftigen Grund. Noch dazu mit einem Verletzten. «

»Ein Verletzter?« wiederholte Mike. »Woher willst du das wissen?«

»Weil ich ein paar blutige Verbandsreste gefunden habe«, antwortete Singh. »Außerdem ist es einfach unmöglich, daß sie diese Bruchlandung alle unversehrt überstanden haben sollen. « Er klopfte mit dem Zeigefinger auf das Buch. »Ich bin noch nicht dazu gekommen, es zu studieren, aber ich glaube, daß mindestens fünf Menschen an Bord waren. Vielleicht sogar mehr. Ich verstehe nicht, warum sie weggegangen sind. « »Aber sie sind es nun einmal«, sagte Juan. »Und ich fürchte, uns wird nichts anderes übrigbleiben, als ihnen zu folgen. « Er schauderte sichtbar, aber das lag wahrscheinlich nicht an der beißenden Kälte, sondern eher am Anblick der Eiswand, die sich hinter ihnen erhob. Auch Mike gefiel die Vorstellung, dort hinaufklettern zu müssen, mit jeder Sekunde weniger. Gestern, vom Deck der NAUTILUS aus betrachtet, hatte die Wand beinahe harmlos ausgesehen, eine weiße Mauer eben, hoch, aber trotzdem nicht mehr als ein Hindernis, das man mit wenig Mühe schon irgendwie überwinden konnte. Jetzt erschien sie ihm wie eine himmelhohe, unüberwindliche Barriere. Auch Singh musterte die Eiswand einige Augenblicke lang schweigend, dann drehte er sich mit einem Ruck herum und begann auf das Boot zuzugehen. Mike und Juan folgten ihm. Singh verstaute das, was er an Bord des Wracks gefunden hatte, sorgsam in einen wasserdichten Seesack, den er wohl eigens zu diesem Zweck mitgebracht hatte, und holte ein ganzes Sammelsurium von Steigeisen, Haken sowie ein zusammengerolltes Seil aus einem zweiten Rucksack. Das Seil hängte er sich über die Schulter, während er seine übrige Ausrüstung auf die verschiedenen Taschen seiner dicken Pelzjacke verteilte. Als letztes nahm er einen kurzstieligen Hammer zur Hand.

»Ich gehe zuerst einmal allein«, sagte er. »Ihr wartet hier, bis ich oben bin und mich ein wenig umgesehen habe. «

»He, Moment!« protestierte Mike, aber Singh ließ ihn gar nicht zu Wort kommen.

»Es ist viel leichter, wenn ich allein gehe«, sagte er ent

schieden. »Ich hole euch sofort nach, wenn ich oben bin. «

Mike sparte sich die Mühe, Singh umstimmen zu wollen. Der Sikh ließ zwar keine Gelegenheit aus, ihm zu Diensten zu sein und ihm jeden Wunsch von den Augen abzulesen, aber wenn es darum ging, irgendeine -und sei es nur mögliche - Gefahr von Mike abzuwenden, schien er plötzlich zu vergessen, daß er eigentlich Mikes Diener war und ihm Gehorsam schuldete. Außerdem war Mike im Grunde sogar erleichtert über Singhs Entschluß, allein voranzuklettern. Er war zwar ein guter Sportler, und zu Hause und auch später im Internat in England war kein Baum und auch keine Mauer vor ihm sicher gewesen, aber der Anblick dieser Wand erfüllte ihn mit Entsetzen. Das Eis war so glatt, daß es das Licht der Sonne reflektierte, so daß man es immer nur ein paar Sekunden lang ansehen konnte. Daran emporzuklettern mußte ungefähr so sein, als versuchte man an einem Spiegel hochzusteigen, den jemand sorgsam mit Schmierseife eingerieben hatte. Singh ging diese Aufgabe jedoch mit erstaunlicher Geschicklichkeit an. So routiniert und sicher, als hätte er sein Lebtag lang nichts anderes getan, schlug er die eisernen Haken in die Wand, an denen er sein Seil befestigte und die er anschließend als Leiter benutzte, um daran emporzuklettern. Schon bald hatte er die halbe Distanz überwunden. Er sieht wie eine große pelzige Fliege aus, die eine Wand hinaufklettert, dachte Mike. Eine ganze Weile noch sah er hinauf, auch nachdem Singh längst oben angekommen und ihren Blicken entschwunden war, dann wandte er sich wieder der gestrandeten Yacht zu. Der Anblick hatte nichts von seiner unheimlichen Wirkung verloren. Mike fragte sich, wieso das Schiff überhaupt so weit gekommen war. Der Rumpf sah aus, als wäre er von Messern aufgeschlitzt worden, überall gähnten große, gezackte Löcher. »Ich möchte nur wissen, was hier passiert ist«, murmelte er nach einer Weile. »Irgend etwas stimmt doch hier nicht. « Im Grunde sprach er nur, um überhaupt etwas zu sagen und gegen die Stille anzukämpfen, die sich zwischen ihnen ausgebreitet hatte. Dabei war es gar nicht wirklich still; im Gegenteil: Der Wind heulte weiter über ihren Köpfen, die Wellen brachen sich weiter donnernd an den Riffen, und trotzdem war da plötzlich eine unheimliche, ja fast unwirkliche Art von Stille, die wie etwas Unsichtbares aus dem Nebel herauszukriechen und neben der Wirklichkeit zu existieren schien. »Wenn du mich fragst, dann stimmt mit dieser ganzen Insel irgend etwas nicht«, antwortete Juan nach einer Weile. Mike sah ihn überrascht an. »Du spürst es auch?« »Ich spüre überhaupt nichts mehr«, maulte Juan. »Dazu ist es viel zu kalt. « Aber Mike wußte, daß Juan im Grunde ganz genau verstand, was er meinte. Irgend etwas war unheimlich an dieser Insel. Irgend etwas war falsch. Es begann mit dem Nebel, der noch immer wie eine graue, wattige Decke auf dem Wasser lag. Hier und da riß der Wind Löcher hinein, die sich aber immer wieder fast sofort schlössen. Je länger Mike hinsah, desto weniger kam ihm dieser Nebel wirklich wie Nebel vor. Er war zu dicht, und das unablässige Wogen und Zittern seiner Oberfläche entsprach einem eigenen Rhythmus, nicht dem des Windes, der daran nagte. Manchmal schien er dünne, rauchige Arme auf den Strand hinaufzuschicken, wie die tastenden Finger eines bizarren Meeresungeheuers, das nach den Opfern suchte, die ihm entkommen waren, und wenn man lange genug hinsah, dann konnte man sich einbilden, unheimliche Schatten darin zu erkennen, fast als versuche der Nebel, sich zu einem Körper zusammenzuballen und Substanz zu gewinnen. Fast? Mike spürte, wie sich jedes einzelne Haar auf seinem Kopf aufstellte. Die Schatten waren nicht eingebildet. Sie waren wirklich da - und sie kamen langsam den Strand hinauf; zwei schlanke, verzerrte Schatten, die nicht ganz menschlich wirkten und immer wieder zu verblassen schienen, aber jedesmal, wenn sie sich erneut zusammenfanden, ein wenig massiver waren. Erschrocken richtete er sich auf, und Juan, dem die Bewegung natürlich nicht entging, wurde kreidebleich, als er Mikes Blick folgte und die beiden Gespenster ebenfalls sah. »Was zum Teufel ist das?« flüsterte er. Die beiden Umrisse kamen immer näher und hatten die Grenze des Nebels fast erreicht, und plötzlich kamen sie Mike gar nicht mehr schlank und klein, sondern verzerrt und riesenhaft vor und

ungemein bedrohlich. Dann traten die beiden Schatten endgültig aus dem Nebel heraus und wurden zu Körpern, und Mike stieß einen keuchenden Schrei aus - allerdings aus Verblüffung, nicht aus Angst. »Serena!« rief er ungläubig. »Chris! Was... was tut ihr denn hier?«

Natürlich waren die beiden viel zu weit von ihnen entfernt, als daß sie seine Worte hätten verstehen können, aber sie mußten zumindest seinen Schrei gehört haben, denn Chris hob die Hand und winkte ihm zu. Die Bewegung weckte Mike endgültig aus seiner Starre. Er rannte so schnell los, daß er auf dem spiegelglatten Eis fast das Gleichgewicht verloren hätte und konnte nur mühsam und mit wild rudernden Armen bei Chris und dem Mädchen anhalten. Chris grinste breit darüber, während Serena ihn nur kühl musterte. »Wie zum Teufel seid ihr hierhergekommen?« keuchte Mike. »Was tut ihr hier?«

»Ich habe doch gesagt, daß ich mitkomme«, antwortete Serena in einem Tonfall, der Mike hätte klarmachen müssen, wie sinnlos es war, ihr zu widersprechen. Aber er war viel zu erregt und überrascht, um darauf zu achten.

»Bist du völlig verrückt geworden?« fragte er. »Was glaubst du, was Trautman dir erzählen wird, wenn wir wieder zurück sind?«

»Ich kann es mir ungefähr vorstellen«, antwortete Serena. »Das wird ihn vielleicht lehren, mich in Zukunft nicht mehr wie ein kleines Kind zu behandeln. « »Im Augenblick jedenfalls benimmst du dich so«, sagte Juan. Er war etwas vorsichtiger als Mike gelaufen, mittlerweile aber ebenfalls herangekommen. Sein Gesicht, von dem unter der Pelzkapuze nur wenig sichtbar war, hatte einen ärgerlichen Ausdruck. »Was ist eigentlich in dich gefahren? Wenn du dich selbst umbringen willst, dann ist das ja vielleicht noch dein Problem. Aber was fällt dir ein, Chris hierherzubringen?« »Das fragst du ihn am besten selbst«, antwortete Serena. »Der kleine Gauner hat mich erpreßt. Ich hatte gar keine andere Wahl, als ihn mitzunehmen. « »Und wieso, bitte schön?« wollte Juan wissen. »Hat er dich etwa mit vorgehaltener Waffe gezwungen?« »Nein -aber er hat herausgefunden, was ich vorhatte, und gedroht, mich bei Trautman zu verpetzen. Also mußte ich ihn wohl oder übel mitnehmen. Aber ich hätte ihn vielleicht unterwegs ersäufen sollen. « Chris grinste. Offensichtlich entsprach Serenas Schilderung den Tatsachen, und es schien ihn mit einer geradezu diebischen Freude zu erfüllen, sich ausgerechnet gegen Serena durchgesetzt zu haben -ein Kunststück, das vor ihm nur sehr wenigen an Bord der NAUTILUS gelungen war. Daß er sich damit selbst in Lebensgefahr gebracht hatte, schien er noch gar nicht begriffen zu haben.

Als hätte Mike noch nicht genug Überraschungen erlebt, teilte sich der Nebel in diesem Moment hinter Serena und Chris erneut, und der Kater trat heraus. In seinem schwarzen Pelz glitzerten Eiskristalle, und er knurrte gereizt.

»Astaroth!« sagte Mike. Er wußte im ersten Moment nicht, ob er über den Anblick des Katers erfreut oder verärgert sein sollte. »Du auch noch! Also wenigstens von dir hätte ich ein Fünkchen klaren Menschenverstand erwartet!«

Wenn ich mit einem Menschenverstand geschlagen wäre, antwortete der Kater mürrisch, würde ich mich selbst vor die nächste Dogge werfen.

»Du weißt genau, was ich meine!« antwortete Mike. »Was, verdammt noch mal, tust du hier?« Das, was meine Aufgabe ist, antwortete der Kater, plötzlich sehr ernst. Ich passe auf Serena auf. Darauf konnte Mike nichts mehr erwidern -Astaroth hatte ja völlig recht. In gewissem Sinne war der Kater für die Atlanterin, was Singh für ihn war: ein treuer Freund und Beschützer, der diese Aufgabe übertragen bekommen hatte und sie erfüllen würde, koste es, was es wolle.

»Also, wenn ihr euch jetzt alle gebührend entrüstet habt«, sagte Serena fröhlich, »dann könnt ihr mir ja erzählen, was ihr gefunden habt. Wo ist Singh?« Mike hatte nicht üble Lust, einfach zu schweigen, zum Boot zurückzugehen und Serena stehenzulassen. Aber natürlich hatte sie recht - es war nicht der richtige

Zeitpunkt, um beleidigt zu sein. Trautman würde ihr schon gehörig den Kopf waschen, wenn sie erst wieder zurück an Bord der NAUTILUS waren. »Oben auf dem Eis. Er ist allein vorgegangen, um dieStecke zu sichern und sich umzusehen. « »Waren im Schiff Überlebende?«

Mike schüttelte den Kopf. »Nein. Aber auch keine Toten. Sie müssen irgendwo dort oben sein, und ich denke -« »Mike! Juan? Wo seid ihr?!«

Der Schrei hinderte Mike daran, weiterzureden. Er drang direkt aus dem Nebel vor ihnen - und es war eindeutig Trautmans Stimme, die ihre Namen gerufen hatte. Einen Moment später hörten sie Scharren und Schleifen, und dann platschten hastige Schritte durch das flache Wasser auf sie zu. Es verging nur noch eine Sekunde, bis Trautman aus dem Nebel herausgestolpert kam, dicht gefolgt von Ben. Beide rannten, so schnell sie nur konnten, und beide wirkten so erschrocken, als hätten sie ein Gespenst gesehen. »Mike! Juan!« Trautman atmete hörbar auf, als er die beiden Jungen erblickte. »Gott sei Dank, ihr seid da. Wo ist Singh?«

»Was?« murmelte Mike. »Was ist denn überhaupt los? Natürlich sind wir hier - wo sollen wir denn sonst sein?«

»Ihr wart verschwunden!« antwortete Ben aufgeregt. »Die... die ganze Insel war plötzlich verschwunden. Von einer Sekunde auf die andere. « »Wie bitte?« fragte Juan. Er versuchte zu lachen, aber die Kälte machte eine Grimasse daraus. »Ben sagt die Wahrheit«, sagte Trautman. »Ich war oben an Deck und habe mit dem Feldstecher nach euch Ausschau gehalten, und plötzlich war die Insel nicht mehr da. « »Aber das ist doch völlig unmöglich!« sagte Juan kopfschüttelnd.

»Genau das dachte ich vorher auch«, bestätigte Trautman. »Aber es war genau, wie Ben sagt: Sie verschwand, von einer Sekunde auf die andere. Und nicht nur sie. Auch die Riffe, der Nebel und die Schiffswracks. Ich habe so etwas noch nie erlebt. « »Und da haben wir das Boot genommen und sind losgefahren«, fuhr Ben fort. »Ganz plötzlich war der Nebel wieder da, und einen Moment später waren wir am Strand. Ich habe auch keine Ahnung, wie so etwas möglich ist. Aber es war so, das müßt ihr mir glauben. « »Wir müssen von hier verschwinden«, sagte Trautman. »So schnell wie möglich. Mit dieser Insel stimmt etwas nicht. Wo ist Singh, und was -«

Er verstummte. Ein paar Sekunden lang stand er vollkommen reglos da, und auf seinem Gesicht lag plötzlich ein Ausdruck, als hätte er nun wirklich ein Gespenst gesehen.

»Serena?« murmelte er. »Wie... wie kommst du denn hierher? Was suchst du hier?«

Serena seufzte. »Ich habe Ihnen doch gesagt, daß ich dabeisein will«, antwortete sie. »Und ehe Sie sich weiter aufregen -bis jetzt ist mir nichts passiert. Und das wird es auch nicht. Ich kann ganz gut auf michaufpassen. « »Das habe ich nicht erlaubt!« sagte Trautman. Er überwand seine Überraschung nur mühsam. Serenas Anblick schien ihn vollkommen aus der Fassung gebracht zu haben.

»Stimmt«, antwortete Serena schnippisch. »Ich habe ja auch nicht um Erlaubnis gefragt. « »Das reicht!« Trautmans Gesicht verfinsterte sich. »Es ist vielleicht nicht der richtige Moment, aber du solltest eines wissen -«

»Ähem«, machte Juan laut. »Entschuldigt, wenn ich euch unterbreche... « Trautman sah ihn nur kurz an und fuhr dann, an Serena gewandt, fort: »Solange ich an Bord der NAUTILUS bin, fühle ich mich für euch verantwortlich, und du wirst das gefälligst akzeptieren oder du könntest die Erfahrung machen, daß selbst eine ehemalige Prinzessin von Atlantis nicht davor gefeit ist, den Hosenboden strammgezogen zu bekommen!« »Dürfte ich jetzt vielleicht... ?« sagte Juan schüchtern. Trautman fuhr auf dem Absatz herum und funkelte ihn an. »Ja!« sagte er ärgerlich. »Was gibt es denn so Wichtiges, daß ich kaum aussprechen kann?« Juan lächelte nervös, hob die Hand und deutete nacheinander auf Ben, Trautman, Mike, Chris, Serena und schließlich sich selbst. »Ich meine... vielleicht hat es ja nichts zu sagen, aber: Wenn ich recht sehe, sind wir jetzt alle hier, oder?«

»Stimmt«, sagte Trautman, noch immer erregt. »Und?« »Und wer ist dann noch an Bord der NAUTILUS?« fragte Juan ruhig.

»Es bleibt dabei!« sagte Trautman entschieden. »Wir fahren zurück, sobald Singh wieder hier unten ist. « Er löste einen der beiden Stricke, die das Boot mit den eisernen Haken verbanden, die Juan in das Eis getrieben hatte, und gab Ben, der auf der anderen Seite stand, mit einer Geste zu verstehen, dasselbe zu tun. Nachdem sie den ersten Schrecken überwunden hatten, der Juans Worten gefolgt war, hatte sich Mike gesagt, daß ihre Situation vielleicht ernst war, aber es keinen Grund zu übermäßigem Entsetzen gab. Letztendlich spielte es keine Rolle, ob sich nun alle oder nur ein paar von ihnen hier auf der Insel aufhielten. Die NAUTILUS lag sicher fünfhundert Meter vor der Küste, und ihre phantastischen Maschinen sorgten ganz von selbst dafür, daß sie sich nicht von der Stelle rührte und daß auch kein Unbefugter mit ihr fortfahren konnte. Um die NAUTILUS brauchten sie sich gewiß keine Sorgen zu machen. Er war froh, diesen unheimlichen Ort so schnell wie möglich wieder verlassen zu können.

Ben hatte das zweite Tau gelöst, und sie begannen das Boot über das Eis zum Wasser zurückzuschieben, hielten aber wieder an, als sein Bug die Wand aus Nebel berührte, die sich zwischen den Ozean und die Insel geschoben hatte. Bildete es sich Mike bloß ein, oder war sie näher gekommen und ein kleines Stück weit den Strand heraufgekrochen?

Er verscheuchte den Gedanken. Dieser Nebel war Nebel, nicht mehr und nicht weniger, basta. Ihre Situation war gefährlich genug, auch ohne daß er anfing, Gespenster zu sehen.

»Ich möchte wissen, wo Singh bleibt«, murmelte Juan. »Er ist bestimmt seit einer Viertelstunde dort oben. Dabei wollte er sich nur mal umsehen. « Sein Blick tastete die wie mit einem Lineal gezogene Krone der Eismauer ab. Von Singh war keine Spur zu sehen. »Sobald der Nebel ein wenig aufreißt, fahrt ihr zurück zur NAUTILUS«, bestimmte Trautman. »Wenn Singh bis dahin nicht zurück ist, werde ich ihn holen. Wir kommen dann mit dem zweiten Boot nach. Obwohl ich euch eigentlich bis zum Schluß hierlassen müßte«, fügte er in strengerem Tonfall hinzu. »Aber... aber wieso denn?« antwortete Mike. Er verstand nicht, was Trautman meinte. »Das weißt du ganz genau. « Trautman klang eher resigniert als zornig. »Von Serena habe ich nichts anderes erwartet, und Chris ist noch zu jung, um wirklich zu begreifen, in welche Gefahr er sich gebracht hat. Aber von dir hätte ich mir etwas mehr Vernunft gewünscht. Wie hat sie es nur geschafft, dich zu überreden?« Jetzt begann Mike allmählich zu begreifen, wovon Trautman sprach. »Moment mal!« sagte er. »Sie... Sie glauben doch nicht etwa, daß -« »Das hat Zeit bis später«, unterbrach ihn Trautman. »Bleibt hier und gebt acht, wenn sich der Nebel lichtet. Ich will mir das Wrack noch einmal aus der Nähe ansehen. « Er drehte sich um und ging mit schnellen Schritten davon, ehe Mike antworten konnte. Mike sah ihm völlig verblüfft nach. Trautman glaubte ganz offensichtlich, daß sie Serena und Chris mit zur Insel hinübergenommen hatten. Und das wiederum bedeutete, daß...

Langsam drehte er sich zu Serena herum, die nur ein paar Schritte neben ihnen stand. Das Mädchen hatte die kurze Unterhaltung natürlich mit angehört und wußte genau, worum es ging, doch sie hielt Mikes zornigem Blick gelassen stand, und in ihren Augen glomm sogar ein ganz leises Lächeln auf. »Moment«, murmelte Mike. »Er denkt, daß... daß du mit uns gekommen bist, richtig?«

»Sieht so aus«, sagte Serena.