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Colonel Dean Wharton nahm das Solidobild behutsam zwischen Daumen und Zeigefinger und starrte auf die blanke Fläche. Langsam färbte sich sein Gesicht dunkel. Das Solido zeigte ein Raumschiff von unzweifelhaft fremder Bauart, das Anstalten traf, auf dem unbewohnten Planeten zu landen, der auf den Karten der Erde die Bezeichnung Bartlett V trug. Bartlett V diente der Erde als ständiger Beobachtungsvorposten. Eine fremde Landung auf ihm stellte einen Angriff auf die Souveränität der Erde dar.
Colonel Wharton legte die Stirn in Falten; das bleiche, unbehagliche Gesicht Leutnant Crosleys musternd, fragte er: »Wann wurde diese Aufnahme gemacht?«
»Vor etwa einer Stunde, Sir. Aber Sie waren im Tiefschlaf, und wir dachten nicht…«
»Natürlich dachten Sie nicht«, sagte Wharton bissig. »Okay, lassen Sie den Rest der Geschichte hören. Ich hoffe, Sie haben dem Schiff eine Warnung zukommen lassen.«
Crosley nickte. »Wir riefen sie auf Breitband auf Terranisch, Galaktisch, Dormirani, Leesor und Fawd an. In jeder Sprache ging ihnen die gleiche Meldung zu, die ihnen befahl, sofort wieder zu starten, da eine Landung ohne vorherige Genehmigung verboten ist. Zu diesem Zeitpunkt hatten sie die Landung bereits ausgeführt. Ihre Position ist schätzungsweise einhundertzwanzig Meilen nordöstlich, auf dem Creston Plateau.«
»Bekamen Sie eine Antwort?«
»Vor wenigen Minuten. In einer Sprache, die Breckenridge für einen fawdesischen Dialekt hält. Sie teilten uns mit, daß sie einmal die Erdoberhoheit über diesen Planeten nicht anerkennen, zum anderen, daß sie gewisse wissenschaftliche Beobachtungen zu machen gedächten. Sie sagten weiter, daß sie in einer oder zwei Wochen den Planeten verlassen würden. Nach der Beendigung ihrer Beobachtungen.«
»Was haben Sie darauf erwidert?« fragte Wharton.
Crosley schüttelte den Kopf. »Nichts, Sir. Ich hörte, daß Sie aus dem Tiefschlaf kämen und dachte…«
»… und dachte, daß ich Ihnen die Verantwortung wieder zuschieben könnte«, fuhr der Colonel fort. »Das war es doch, was Sie sagen wollten, nicht wahr? In Ordnung, Leutnant, wahrscheinlich hätte ich an Ihrer Stelle das gleiche getan. Holen Sie Breckenridge.«
»Ja, Sir.«
Leutnant Crosley grüßte zackig und verließ den Raum. Wharton, allein zurückgeblieben, schüttelte den Kopf. Das kam also beim hundertjährigen Frieden in der Milchstraße heraus. Junge Burschen wie Crosley wußten nicht einmal, was Krieg bedeutete. Und eine Gruppe von Fremden glaubte, einfach auf einem Vorposten der Erde landen zu können, ohne sich die Erlaubnis dazu zu holen. Wharton seufzte. Er spürte das Alter und gab zu, sich gewünscht zu haben, daß er die letzten Jahre ohne Zwischenfälle auf seinem Posten verbrachte. Er war nahe der 125-Jahr-Grenze; die Zwangspensionierung kam im Alter von 130 Jahren. Und er brauchte täglich nur eine halbe Stunde Tiefschlaf, um seiner Aufgabe gerecht zu werden. Gut, es würde also einen Zwischenfall geben, mochte er es wünschen oder nicht. Colonel Wharton richtete sich auf und reckte die Schultern.
Captain Breckenridge betrat den Raum. Der Fremdsprachler war mittelgroß und breitschultrig. Über einer hohen Stirn leuchtete brandrotes Haar.
»Sir?«
»Breckenridge, Sie behaupten, das fremde Schiff habe zu Ihnen in Fawd gesprochen?«
»In einem fawdesischen Dialekt, Sir.«
»Das möchte ich mit Sicherheit wissen. Woher kommt das Schiff? Die Fawd-Konföderation wird kaum das Risiko eingehen, mit einem Schiff auf einem von der Erde besetzten Planeten zu landen. Es sei denn, sie wollten einen Krieg provozieren.«
Breckenridge sagte: »Es sind keine Fawds, Sir. Sie sprechen nur einen verwandten Dialekt. Viele Völker im Fawd-Sektor sprechen Fawdesisch, ohne der Konföderation anzugehören.«
»Was Sie sagen, ist mir bekannt«, sagte der Colonel. »Ich will wissen, wo diese Leute herkommen.«
»Ich könnte bestenfalls eine Vermutung aussprechen.«
»Schießen Sie los!«
»Sie kommen vom westlichen Zipfel des fawdesischen Sprachsektors. Das geht klar aus den Vokaländerungen hervor. Dort draußen gibt es drei Rassen, die fawdesisch sprechen: die Cyross, die Halivanu und die Dortmuni.«Breckenridge zählte sie an den Fingern ab. »Die Cyross sind ein Volk mit wenig entwickelter Technik. Sie würden nie Schiffe über diese Entfernung schicken. Die Dortmuni verhalten sich passiv und sind nicht kriegerisch veranlagt. Auch sie würden keinen Streit vom Zaun brechen. Bleiben die Halivanu, denen man es zutrauen kann, daß sie mit einem Schiff auf dem Plateau landen. Sie wissen natürlich, was man über sie erzählt…«
»Legenden, sonst nichts«, sagte Wharton wegwerfend.
»Legenden, die dokumentarisch belegt sind, Sir. Es ist bewiesen, daß…«
»Nichts ist bewiesen, Breckenridge! Hören Sie mich? Nichts über die Halivanu ist bewiesen worden.«Wharton stand auf und packte den Rand der Schreibtischplatte. Es kam ihm zu Bewußtsein, daß seine Knie zitterten. Er ballte die Fäuste und sagte: »Ich bin nicht daran interessiert, mir Märchen über die übernatürlichen Kräfte anzuhören, mit denen die Halivanu ausgestattet sein sollen. Ich bin nur daran interessiert, sie von diesem Planeten zu verjagen. Kommen Sie mit in den Funkraum. Ich werde dafür sorgen, daß diese Halivanu verschwinden.«
Es gab alle möglichen Legenden über die Halivanu, gestand Wharton sich widerstrebend ein, als er mit Breckenridge den Funkraum betrat. Raumfahrer, die den fawdesischen Sektor betreten hatten, hatten sonderbare Erzählungen mitgebracht. Es hieß, daß die Halivanu fähig seien, Gedanken zu lesen und anderen Mumpitz. Der Beweis war bis jetzt noch nicht erbracht worden. Die Halivanu waren Wesen, die wenig mit dem übrigen Universum zu tun hatten. Sie hielten sich abseits und suchten keine Kontakte. Diese Haltung mußte der Nährboden für die Erzählungen sein, dachte Wharton. Er schüttelte sein Unbehagen ab. Seine Aufgabe war es, die Grenzen der Erdsphäre zu schützen, Grenzen, die die Halivanu — wenn es wirklich Halivanu waren — offensichtlich mißachtet hatten.
»Stellen Sie die Verbindung mit dem Schiff her«, befahl Wharton.
Funker Marshall nickte und begann an der Einstellung zu hantieren. Nach kurzer Zeit blickte er auf und sagte: »Ich kann sie nicht dazu bringen, mir den Empfang zu bestätigen, Sir.«
»Schon gut. Sie werden uns zuhören, lassen Sie das meine Sorge sein. Breckenridge, Sie kennen sich besser mit diesem Dialekt aus als ich. Nehmen Sie das Mikrophon und sagen Sie ihnen, daß sie verbotenen Boden betreten und daß sie genau drei Stunden Zeit haben, den Planeten zu verlassen. Weigern Sie sich, so müssen wir ihre Landung als einen kriegerischen Akt betrachten.«
Breckenridge nickte und begann zu sprechen. Wharton war in der Lage, das meiste zu verstehen. Er beherrschte natürlich die Grundzüge der Fawdsprache, da sie eine der fünf großen Sprachstämme der Milchstraße war, und die Halivanusprache unterschied sich nur geringfügig von ihr.
Nachdem Breckenridge geendet hatte, herrschte lange Stille.
»Wiederholen Sie den Befehl«, sagte Wharton.
Breckenridge schickte das Ultimatum zum zweitenmal in den Äther hinaus. Wieder antwortete ihm Schweigen. Fast zwei Minuten vergingen. Wharton wollte gerade den Befehl geben, die Meldung noch einmal zu wiederholen, als der Lautsprecher zum Leben erwachte. Eine rauhe Stimme sagte: »Eritomor…«
Es war das Fawdwort für Erdenbewohner. Kurz darauf kamen andere, langsam gesprochene Worte, und Whartons Miene wurde hart. Der Halivanusprecher erklärte, daß er keinen Grund sähe, den Planeten zu verlassen, da die Freie Welt von Halivanu die Erdansprüche auf diese unbewohnte Welt nicht anerkenne. Sie hätten jedoch nicht die Absicht, ihrerseits Ansprüche geltend zu machen, sondern wünschten nur, während der Dauer von neun bis zehn Tagen gewisse Sonnenbeobachtungen anzustellen. Danach wären sie bereit, den Planeten zu verlassen.
Als die Stimme verklungen war, sagte Breckenridge: »Sie erklären, daß sie unseren Anspruch nicht anerkennen und…«
Wharton brachte ihn mit einer ungeduldigen Geste zum Schweigen.
»Ich habe die Nachricht verstanden, Leutnant.«Er nahm selbst das Mikrophon auf und sagte langsam in Fawd: »Hier spricht Colonel Dean Wharton. Wenn Sie die Absicht haben, hier Sonnenbeobachtungen zu machen, so müssen Sie die Erlaubnis auf dem üblichen diplomatischen Weg einholen. Ich bin nicht befugt, eine Landung zu gestatten. Daher muß ich Sie auffordern…«
Er wurde durch eine Stimme aus dem Lautsprecher unterbrochen. »Eritomor — vor held d’chayku kon derinilak…«
Es waren die gleichen Worte, die der Sprecher der Halivanu zuvor gebraucht hatte. Wharton wartete, bis die Botschaft vorüber war und versuchte, sich wieder zum Wort zu melden, aber er hatte kaum den ersten Satz beendet, als die Stimme erneut zu sprechen begann.
»Eine Bandaufnahme«, murmelte Marshall. »Sie haben die Enden miteinander verbunden, so daß die gleiche Meldung unablässig wiederholt wird.«
»Nehmen wir sie eine Weile auf«, sagte Wharton.
Nach der zehnten Wiederholung, als es keinen Zweifel gab, daß Marshall recht hatte, gab er dem Funker ein Zeichen, das Gerät abzuschalten. Offensichtlich war durch ein gefunktes Ultimatum nichts zu erreichen. Die Halivanu wollten einfach nicht hören. Die einzige Möglichkeit, die noch blieb, bestand darin, einen Boten zu ihnen zu schicken, der das Ultimatum persönlich überbrachte. Wenn das auch erfolglos blieb…
Dann würden andere Schritte notwendig werden. »Geben Sie Alarm Rot«, befahl Wharton. »Es kann nicht schaden, wenn wir uns in Verteidigungszustand versetzen. Nur für den Fall…«
Die 37 Mann des Vorpostens Bartlett V hatten ihre Positionen eingenommen, ohne zu murren. Für die meisten von ihnen war eine Invasion durch ein fremdes Schiff eine willkommene Abweichung von der täglichen Routine. Niemand verbrachte gern seine Dienstzeit von drei Jahren auf einem leeren Planeten, der tausend Lichtjahre von der Heimat entfernt war.
Colonel Wharton dachte nicht daran, die Begeisterung zu teilen. Er war alt genug, um sich daran zu erinnern, was ein Krieg mit sich brachte. Als frischer Rekrut hatte er im Jahre 2716 am letzten Teil des Konfliktes zwischen Erde und Dormiran teilgenommen. Das lag hundert Jahre zurück, und seitdem hatte es keinen Krieg mehr gegeben. Da keiner seiner Untergebenen älter als neunzig Jahre war, war er der einzige, der sich die Schrecken eines bewaffneten Konflikts ausmalen konnte. Schiffe, die mitten im Weltraum wie Seifenblasen zerplatzten, ganze Kontinente, an denen die Methode der verbrannten Erde praktiziert wurde, eine ganze Generation junger Leute, die praktisch ausgelöscht wurde — nein, es gab nichts an einem Krieg, was erfreulich war. Aber vielleicht hatten hundert Jahre Frieden in der Milchstraße eine gefährliche Selbstzufriedenheit erzeugt, dachte Wharton. Sicher hätte kein fremdes Schiff im letzten Jahrhundert eine solche Landung gewagt. Wer hätte geglaubt, daß die Eindringlinge auf das Ultimatum eines Offiziers der Erdmacht in dieser Form reagieren würden?
Am unangenehmsten aber war, daß er die ganze Verantwortung allein trug. Die schnellste Subradiomeldung zur Erde würde einen Monat brauchen, ein weiterer Monat würde vergehen, bis die Antwort eintraf. Wenn er wartete, mochte die territoriale Integrität der Erde mehrfach verletzt worden sein. Also blieb die Verantwortung auf seinen Schultern. Wenn die Halivanu darauf bestanden, ihre Beobachtungen durchzuführen, konnte er zwischen zwei Möglichkeiten wählen. Es lag in seiner Macht, die Eindringlinge mit Waffengewalt zu vertreiben; dann bestand die Gefahr, daß er einen Krieg auslöste. Ließ er sie aber bleiben, so konnte das als offene Einladung an alle Welten aufgefaßt werden, sich in Zukunft über die Grenzen der Erde hinwegzusetzen. Es war keine beruhigende Wahl, vor die er gestellt war. Und es gab niemanden, zu dem er gehen konnte, um sich beraten zu lassen, wenn er von seinen eigenen Männern absah. Er würde die Entscheidung allein treffen müssen.
Breckenridge näherte sich, als Wharton die Umwandlung des Vorpostens in eine Festung beobachtete. Der Posten war gut bewaffnet, Wharton hatte Wert auf regelmäßigen Artilleriedrill gelegt. Aber in seinen kühnsten Träumen hätte er nicht daran gedacht, daß er auf dieser strategisch so unwichtigen Welt einmal einen Alarm Rot auslösen würde.
»Sir?«
»Was gibt es, Breckenridge?«