121928.fb2 Das Urteil der Fremden - читать онлайн бесплатно полную версию книги . Страница 2

Das Urteil der Fremden - читать онлайн бесплатно полную версию книги . Страница 2

Der Colonel legte die Stirn in Falten und sagte: »Devall spricht. Dies war die Zeugenvernehmung in Sachen des heute durch Leutnant Leonards getöteten Eingeborenen.«Er schaltete den Autoschreiber ab, stand auf und musterte die drei Männer vor seinem Schreibtisch.

»Sergeant Rodriguez, da Sie bei dem eigentlichen Zwischenfall nicht anwesend waren, wird Ihre Zeugenaussage nicht benötigt. Melden Sie sich bei Major Dudley, damit er Sie für den Rest der Woche zum Dienst einteilt.«

»Danke, Sir«, Rodriguez salutierte, grinste erleichtert und verließ den Raum.

»Sie beide hingegen«, fuhr Devall fort, »haben sich zu ständiger Verfügung zu halten. Sie werden also die Enklave nicht verlassen, bis der Zwischenfall beigelegt ist. Ich brauche Ihnen nicht zu sagen, wie ernst diese Sache werden kann, auch wenn es sich um einen Akt der Notwehr handelte.«Er befeuchtete seine Lippen, die plötzlich trocken geworden waren. »Es gibt Wesen, denen der Begriff Notwehr unbekannt ist. Ich hoffe, daß der Fall keine Komplikationen nach sich ziehen wird, aber diese Wesen sind die Bewohner einer fremden Welt, und man kann nie mit Sicherheit voraussagen, wie sie sich verhalten werden.«

Er blickte Leutnant Leonards an. »Leutnant, im Interesse Ihrer eigenen Sicherheit muß ich Sie auffordern, Ihr Quartier nicht zu verlassen, bis neue Befehle an Sie ergehen.«

»Ja, Sir. Muß ich diese Maßnahme als Arrest betrachten?«

»Noch nicht«, sagte Devall. »Meyer, Sie übernehmen für den Rest der Woche Instandsetzungsarbeiten. Wir werden wahrscheinlich noch einmal auf Ihre Zeugenaussage zurückkommen müssen. Sie können gehen.«

Als die beiden Männer den Raum verlassen hatten, lehnte sich Devall in seinem Sessel zurück und betrachtete seine Fingerspitzen. Seine Hände zitterten, als wollten sie seinem Befehl nicht mehr gehorchen.

John F. Devall, Doktor der Anthropologie, im militärischen Weltraumdienst seit 2687 — und nun zum erstenmal in Schwierigkeiten, dachte der Colonel.

Wie wirst du damit fertig werden? fragte er sich selbst. Kannst du beweisen, daß der Silberadler wirklich auf deine Schulter gehört?

Sein Gesicht war in Schweiß gebadet. Er fühlte sich müde wie noch nie. Sekundenlang schloß er die Augen, öffnete sie wieder und sagte in das Sprechgerät auf seinem Schreibtisch: »Schicken Sie die Markinbewohner herein.«

* * *

Fünf Gestalten traten ein, verbeugten sich und stellten sich an der Wand auf. In ihrer Begleitung befand sich Steber vom fremdsprachlichen Team, der in Eile aus der Stadt zurückgerufen worden war, um als Dolmetscher für Devall zu fungieren. Der Colonel beherrschte die Sprache hinreichend, wollte aber auf den Dolmetscher nicht verzichten, um für alle Fälle gewappnet zu sein.

Die Bewohner Markins unterschieden sich wesentlich von den Menschen, obwohl ihre Abstammung auf die gleichen Vorfahren zurückzuführen sein mochte. Ihre Haut war rauh, ähnlich der Elefantenhaut, und wechselte im Farbton von schmutzigem Braun bis zu dunklem Purpur. Ihre Kinnpartien hatten sich im Laufe der Evolution denen der Reptilien angepaßt, so daß sie kaum noch ein Kinn aufwiesen, im Gegensatz zu den Menschen aber ihre Nahrung in großen Stücken herunterschlingen konnten, an denen ein Erdenbewohner erstickt wäre. Ihre Augen von warmem Goldton standen weit auseinander und verliehen ihnen eine außergewöhnliche Peripheralsicht. Ihre Nasen ähnelten platten Knöpfen, zuweilen bildeten sie nur kaum wahrnehmbare Erhebungen über den Nüstern.

Devall sah zwei jüngere Männer, offensichtlich Krieger; sie hatten ihre Waffen draußen gelassen, aber ihre Augen funkelten angriffslustig. Die Frau sah aus wie alle Frauen auf Markin — ein Wesen von unbestimmbarer Gestalt, völlig umhüllt von einem schäbigen Pelzgewand. Die letzten beiden waren Priester. Der eine von ihnen war uralt.

An diesen richtete Devall seine ersten Worte: »Ich bedauere, daß unsere Unterredung uns allen Kummer verursachen wird«, begann er. »Ich hätte einem freundschaftlichen Gespräch den Vorzug gegeben, aber niemand kann voraussehen, was das Schicksal einem bestimmt hat.«

»Dem, der getötet wurde, hatte es den Tod vorausbestimmt«, sagte der Priester mit der trockenen und fistelnden Stimme, die, wie Devall wußte, Zorn und Ärger verkündete.

Die Frau brach in lautes Geheul aus. Dann redete sie so schnell, daß Devall sie nicht verstand.

»Was sagte sie?« fragte er Steber.

Der Dolmetscher legte die Handflächen überlegend zusammen. »Sie ist die Frau des Mannes, der getötet wurde. Sie verlangt, daß sein Tod gerächt wird.«

Die beiden jungen Krieger waren offensichtlich Freunde des Getöteten. Devalls Blick wanderte über die fünf feindseligen Gesichter.

»Es ist ein bedauerlicher Zwischenfall«, sagte er in der Markinsprache, »aber ich hoffe, daß er nicht zur Störung der freundschaftlichen Beziehungen zwischen Erde und Markin führen wird. Dieses Mißverständnis…«

»Es muß mit Blut gesühnt werden«, unterbrach der jüngere der beiden Priester. Er schien der Priester des Ortes zu sein und sich in der Gesellschaft seines Vorgesetzten sicher zu fühlen.

Der Colonel tupfte sich den Schweiß von der Stirn. »Der junge Mann, der die Tat beging, wird eine Disziplinarstrafe erhalten«, sagte er. »Natürlich kann ein Akt der Notwehr nicht als Mord angesehen werden, aber ich gebe zu, daß der junge Offizier sich falsch verhielt und nun die Folgen seines Verhaltens tragen muß.«Devall fand selbst, daß seine Worte nicht sehr überzeugend klangen, und die Markinbewohner schienen davon auch wenig beeindruckt zu sein.

Der Hohepriester stieß zwei scharfe, kurze Worte aus, die in Devalls Sprachschatz fehlten. Fragend blickte er Steber an.

»Er sagte, Leonards habe unbefugt geheiligten Boden betreten. Er sagte, das Verbrechen, um das es sich handelt, sei nicht Mord, sondern Gotteslästerung.«

Trotz der Hitze glaubte Devall einen kalten Hauch in seinem Nacken zu spüren. Kein Mord? dachte er. Dieser Fall wird kompliziert.

Zu dem Priester sagte er: »Ändert das den Fall im wesentlichen? Er wird so oder so für seine Tat bestraft werden.«

»Sie mögen ihn wegen Mordes bestrafen, wenn Sie dies für richtig halten«, sagte der Hohepriester, der sehr langsam sprach, damit der Colonel jedes Wort verstand. Die Witwe stieß wieder ihre gellenden Schreie aus, die jungen Männer begnügten sich mit finsteren Mienen.

»Mord ist nicht unsere Angelegenheit«, fuhr der Hohepriester fort. »Er hat Leben genommen; Leben gehört Ihnen, Sie nehmen es zurück, wann es Ihnen angebracht scheint und auf welche Weise es Ihnen beliebt. Aber er hat auch eine heilige Pflanze auf geheiligtem Boden entweiht. Dies gilt bei uns als schweres Verbrechen. Darüber hinaus hat er auf geheiligtem Boden das Blut eines Wächters vergossen. Wir fordern Sie auf, ihn uns zu übergeben, damit wir ihn vor einem Priestergericht wegen mehrfacher Gotteslästerung zur Verantwortung ziehen können. Danach mögen Sie ihn wegen der Verbrechen bestrafen, die er nach Ihren Gesetzen begangen hat.«

Sekundenlang sah Devall nur das unversöhnliche ledrige Gesicht des alten Priesters vor sich. Dann wandte er sich um und erkannte den Ausdruck von Erstaunen und Ungläubigkeit in der verzerrten Miene Stebers.

Sie wollen über einen Erdenbewohner zu Gericht sitzen, dachte er kopfschüttelnd. Nach ihren eigenen Gesetzen. Durch ihre eigene Richter. Und ihn nach ihrem Ermessen bestrafen.

Nun war das Ganze nicht mehr ein lokaler Zwischenfall, den man mit einer Entschuldigung beilegen und danach vergessen konnte. Es ging nicht mehr darum, jemanden für die zufällige Tötung eines Fremden büßen zu lassen.

Nun, dachte Devall grimmig, ist es eine Sache von interstellarer Bedeutung. Und er war der Mann, auf dessen Schultern alle Entscheidungen ruhten.

* * *

Er besuchte Leonards abends nach dem Essen. Um diese Zeit wußte jeder in der Enklave, was geschehen war, obwohl Devall Steber befohlen hatte, über die Forderung, Leonards durch die Eingeborenen bestrafen zu lassen, Schweigen zu bewahren.

Der junge Mann blickte auf, als Devall sein Zimmer betrat, und versuchte Haltung anzunehmen.

»Stehen Sie bequem, Leutnant.«Der Colonel setzte sich auf die Kante von Leonards’ Bett und musterte den jungen Mann. »Sie stecken verteufelt in der Klemme, mein Sohn.«

»Sir, ich…«

»Ich weiß. Sie dachten sich nichts dabei, als Sie die Blätter von der geheiligten Pflanze rissen, und Sie haben nur auf den Eingeborenen geschossen, weil er Sie angriff. Wenn der Fall so einfach läge, könnte ich es bei einem Verweis wegen Hitzköpfigkeit bewenden lassen. Aber…«

»Was — aber, Sir?«

Devall legte die Stirn in Falten und zwang sich, seinem Neffen in die Augen zu blicken. »Aber die Eingeborenen wollen selbst über Sie zu Gericht sitzen. Die Tötung interessiert sie weniger als die Gotteslästerung. Dieser verschrumpelte alte Hohepriester will Sie vor ein Priestergericht stellen.«

»Das werden Sie doch, nicht zulassen, Colonel?« Leonards schien überzeugt, daß etwas so Unvorstellbares nicht geschehen könnte.

»Ich bin nicht so sicher«, sagte Devall.

»Was, Sir?«

»Allem Anschein nach ist das, was Sie begangen haben, sehr schwerwiegend. Dieser Hohepriester beruft eine Priesterversammlung ein, die über Ihren Fall entscheiden soll. Er sagte, daß er morgen mittag wiederkommen wird, um Sie zu holen.«

»Aber Sie werden mich ihnen doch nicht ausliefern, Sir? Letzten Endes hatte ich keine Ahnung davon, daß ich ein Verbrechen beging.«

»Versuchen Sie, ihnen das beizubringen«, sagte Devall. »Sie sind Fremdlinge. Sie verstehen die auf der Erde geltenden Gesetze nicht. Sie wollen nichts von diesen Gesetzen hören. Nach ihren Gesetzen haben Sie Gotteslästerung begangen, und Gotteslästerer müssen bestraft werden. Auf Markin lebt eine Rasse, die sich an ihre Gesetze hält. Sie sind eine ethisch hochentwickelte Rasse, wenn ihre Technik auch noch in den Kinderschuhen steckt. Ihr ethisches Niveau steht nicht tiefer als das unsere.«

Leonards war blaß wie die Wand geworden. »Dann werden Sie mich ihnen also ausliefern?«

Devall zuckte die Achseln. »Das habe ich nicht gesagt. Sehen Sie sich den Fall aber einmal von meiner Warte aus an. Ich bin der Leiter einer Kultur- und Militärmission. Wir sind hier, um mit diesen Wesen zu leben, ihre Gedanken kennenzulernen und ihnen in der begrenzten Zeit, die uns bleibt, als Führer zu dienen. Wir handeln zumindest so, als respektieren wir ihre Rechte als Individuen und als Rasse. Daraus ergibt sich die Frage: Sind wir Freunde, die mit ihnen leben und ihnen zu helfen versuchen, oder benehmen wir uns wie Lehnsherren, unter deren Faust sie stöhnen?«

»Sir, ich würde sagen, daß diese Vereinfachung nicht ganz zutrifft«, bemerkte Leonards zögernd.

»Mag sein. Aber der Fall ist klar genug. Wenn wir ihre Forderung ablehnen, bedeutet das, daß wir eine Kluft zwischen der Erde und diesen Fremdlingen schaffen, obwohl wir ständig davon reden, daß sie unsere Brüder sind. Wir spielen die Freunde, aber unser Verhalten im Fall Leonards reißt uns die Maske vom Gesicht. Wir sind arrogant, imperialistisch, herrschsüchtig, und — nun, ich denke, Sie verstehen.«