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»Sie wollen mich wohl auf den Arm nehmen.« Krista stand in der glühenden Mittagshitze und starrte den mit Schmieröl verdreckten Automechaniker fassungslos an. Seine Augen, die einen verblüffenden Farbton hatten, ein intensives Flaschengrün, zwinkerten vor Vergnügen. Hinter ihm, auf dem Schotterstreifen, war der Volvo abgestellt, aus dessen eingedrückter Motorhaube zischend Dampf entwich. Dagegen brummte der Motor des Abschleppwagens, der ganz in der Nähe stand, zufrieden vor sich hin. Fast so, als wolle er sich über ihr Missgeschick lustig machen, dachte Krista.
Von Nomad's Notch aus war sie genau dreißig Kilometer gefahren, als der Wagen zu stottern und das rote Auge der Temperaturanzeige vorwurfsvoll zu blinken begann. Wie nicht anders zu erwarten, war sie genau hier, am Arsch der Welt, gelandet, als es passierte. Und es hatte sie mehr als eine Stunde gekostet, einen Wagen anzuhalten, der sie in den nächsten Ort mitnahm.
»Nein, Gnädigste, das ist mein voller Ernst. Sie haben ein Loch im Kühler - sooo groß!« Er deutete es mit seinen ölverschmierten Wurstfingern an. »Offenbar hat sich ein Ast durch den Kühlergrill gebohrt, als Sie von der Straße abgekommen sind.« Jetzt lächelten seine grünen Augen, er sah wohl schon die Dollars fließen.
Krista blickte finster zu dem demolierten Wagen hinüber. »Können Sie das reparieren?«
Der Automechaniker rieb sich das Kinn und schlurfte zu seinem Lastwagen zurück, wo er einen Ellbogen am Fenster abstützte und einen Stiefel gegen das lehmverschmierte Trittbrett stemmte. So, wie er dastand, gab er teilweise die Sicht auf das Firmenlogo frei, das an der Fahrertür prangte: ERNIE THURSTON, TEXACO.
»Reparieren kann ich den Wagen schon«, erklärte er nach einer theatralischen Pause. »Brauch dazu aber einen neuen Kühlerblock. Wahrscheinlich muss ich den in Boston besorgen ...«
»Boston?!«, unterbrach ihn Krista. Sie waren immer noch gut dreieinhalb Stunden von Boston entfernt. »Wie lange wird das dauern?«
»Bis zum Nachmittag, schätze ich. Vielleicht sogar bis morgen Vormittag. Muss den alten Kühlerblock ausbauen und mit Greyhound hinschicken. Vielleicht finden wir so einen auch in Portland, falls wir Glück haben.« Er musterte den Volvo mit offener Verachtung. »Diese ausländischen Wagen mögen ja ganz nett und so sein, aber die Einzelteile sind schlampig produziert - der letzte Scheiß!« Als wolle er seiner Meinung, die aus vollem Herzen kam, Nachdruck verleihen, spuckte er aus. »'tschuldigung, Gnädigste.«
Krista biss sich auf die Lippen. Unwillkürlich fiel ihr ein Lieblingsausspruch ihrer Mutter ein, die sie im Plauderton sagen hörte: »Ein Unglück kommt selten allein.« Also gut, an welchem Punkt soll ich mit dem Zählen anfangen ?, fragte sich Krista bitter. Erst bringt mich meine Schwester mit ihrer Wichtigtuerei auf die Palme, dann der Zoll, danach der Strafzettel wegen zu schnellen Fahrens. Schließlich verfranse ich mich in den Bergen, fahre eine Kuh tot, muss auf einer verlausten Matratze schlafen und werde wegen Entführung festgenommen. Reicht das noch nicht?
Während sie zum zischenden Volvo hinüberblickte, brannte ihr ein dicker Schweißtropfen im Auge. »In Ordnung«, sagte sie resigniert. »Also los.«
Der Mechaniker nickte und spuckte nochmals aus. Gleich darauf stieg er in den Abschleppwagen und setzte so zurück, dass er direkt vor dem Volvo zu stehen kam. Seine grünen Augen funkelten.
In der Zwischenzeit hatte Krista ihre Tochter, die im Straßengraben nach Grashüpfern suchte, zu sich gewunken. Beide quetschten sich auf den Beifahrersitz von Ernie Thurstons Ford. Während sie auf ihn warteten, zupfte Kath gedankenverloren an der Füllung, die aus einem Riss im Kunststoffpolster quoll.