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Scott beschloss, sich den Drink nun doch zu genehmigen, und bat die Stewardess, ihm etwas Starkes zu mixen. Während er trank, zwang er sich, an positivere Dinge zu denken.

Seine Frauen würden dort sein, alle beide. Entweder würden sie oben in der Ankunftshalle oder an den Gepäckbändern stehen. Bowmans Harem, nahe beieinander, mit allen Anzeichen freudiger Erwartung, bereit, ihn in die Arme zu schließen, die Gesichter ein einziges Lächeln. Sicher, heute war Vollmond — er hatte in seinem Taschenkalender nachgesehen aber das war nur ein belangloses Detail, das nun mal zur Szenerie eines Horror-Comics gehörte. Jede gute Friedhofsszene brauchte einen Vollmond, das war ein MUSS. Krista und Kath waren in Boston, sie mussten einfach in Boston sein. Wahrscheinlich waren sie schon vormittags angekommen. Sie würden am Flughafen auf ihn warten, er würde sie dort begrüßen. Und Krista dabei so nahe an sich heranziehen und so fest umarmen, dass ihre Rippen knackten. Kath würde ihm einen Kuss geben, seinen Daumen mit ihrer Hand umschließen und seinen Arm schwenken, während sie nach draußen zum Wagen gingen. Bestimmt würde Krista ihm die ganze traurige Geschichte noch einmal von vorn bis hinten erzählen. Und da sie in Neufundland aufgewachsen war, würde sie auf keinen Fall den Teil auslassen wollen, in dem der Kuhfladen auf der Motorhaube gelandet war.

Alles wurde wieder in bester Ordnung sein.

Diese Gedanken verfolgten ihn, bis er in einen unruhigen Schlaf der Benommenheit fiel - die Folge von Erschöpfung, zu viel Alkohol und der Angst, die nicht zu besänftigen war und immer noch an ihm nagte.

Sofort begann der Traum.

Durch den Bodennebel, der über einem Friedhof waberte, war ein Grabstein mit merkwürdiger Form zu erkennen: Er ähnelte dem Stumpf eines amputierten Beins. Der Traum war so realistisch, dass Scott sogar die gotischen Buchstaben der Inschrift ausmachen konnte. Allerdings war er nicht so nahe am Grab, dass er die Worte hätte entziffern können. Plötzlich drang aus dem Boden vor der Gedenktafel ein Geräusch, als reiße die feuchte Erde auf. Von der Verwesung gezeichnete, schwärzliche Finger streckten sich in die frostige Nachtluft. Gleich darauf folgte ein Kopf mit leeren Augenhöhlen. Die schwarze Zunge baumelte auf grässliche Weise heraus, die gelblichen Zähne funkelten im Mondlicht. Danach waren die gebeugten Schultern zu sehen, die in ihren Gelenken knirschten, als sie sich nach und nach mit einem widerwärtig schmatzenden Geräusch aus dem Grab lösten ...

Scott wachte schweißgebadet auf. Über ihn gebeugt stand eine Stewardess neben seinem Sitz. Ihre Hand ruhte auf seiner Schulter. Das Lächeln war aus ihrem hübschen Gesicht verschwunden.

Der Platz neben ihm war leer. Das Flugzeug war bereits auf dem Rollfeld vor dem Logan International gelandet. Scott griff nach seinem Gepäck und eilte den Gang entlang zum Ausgang.

Oben in der Ankunftshalle wartete niemand auf ihn, keine seiner beiden Frauen. Und auch an der Gepäckausgabe war niemand.

Ein Gewicht wie Blei senkte sich auf Scotts Schultern. Von einer öffentlichen Telefonzelle aus rief er Caroline an.

»Nein, immer noch nicht, Scott. Krista hat heute Nachmittag angerufen und mir erzählt, sie hätten irgendwelche Probleme mit dem Auto. Ein Loch im Kühlergrill, glaube ich. Sie hat gesagt, dass sie dich am Flughafen abholt, ehe sie hierher kommt«

Das bereits vertraute Gefühl böser Vorahnung, inzwischen sein ständiger Begleiter, verdoppelte die Last auf Scotts Schultern. Den Hörer ans Ohr gepresst, blieb er hilflos stehen.

»Soll ich kommen und dich abholen?«, fragte Caroline, als Scotts Schweigen sich in die Länge zog.

»Nein«, erwiderte Scott mit fast versagender Stimme. »Du bleibst besser da für den Fall, dass sie anruft oder auftaucht Ich warte hier. Von meinem Standort aus kann ich die Ankunftshalle sehen. Hol dir was zu schreiben, dann gebe ich dir die Nummer dieser Telefonzelle durch. Ruf mich an, wenn du irgendwas hörst«

Scott las ihr die sieben Zahlen vor und legte auf. Dann nahm er in dem Liegesessel am Telefon Platz und begann zu warten - unfähig, die schreckliche Gewissheit, die immer mehr Besitz von ihm ergriff, aus seinem Herzen zu verbannen. Die folgenden vierzig Minuten verbrachte er damit, jedes Gesicht von Menschen, die an ihm vorbeikamen, zu mustern. Einmal fuhr er regelrecht aus dem Sessel hoch, drängte sich unter verärgerten Blicken durch die Menschenmenge und stürzte auf eine Frau mit kastanienbraunem Haar in blauer Windjacke los, die ein Kind dabei hatte. Aber die Frau war höchstens zwanzig und das Kind ein Junge.

Als das Telefon vierzig Minuten später läutete und Caroline ihm schluchzend mitteilte, Krista sei tot, schloss Scott die Augen und brach, völlig am Ende, ohnmächtig auf dem Fußboden der Halle zusammen. Sofort senkte sich Dunkelheit über ihn wie bei einem plötzlichen Gewitter. Als sein Kopf auf die Steinplatten schlug, zog er sich am Schädel eine mehr als zentimeterbreite Platzwunde zu. Zwei Dinge verfolgten ihn bis in die Ohnmacht hinein, der Gedanke: Was ist mit Kath?

Und eine Stimme, Carolines Stimme, die mit hohem, kindlichen Singsang lauter und lauter die höhnischen Worte intonierte: Krista ist to-ot, Krista ist to-ot, Krista ist tot...! KRISTA IST TOT!!«