122089.fb2 Der rote Henker - читать онлайн бесплатно полную версию книги . Страница 12

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Truffaut wurde nicht mißtrauisch. Seine Aufmerksamkeit wurde von der Guillotine gefangengenommen.

„Tatsächlich“, sagte er. „Das Fallbeil hängt wieder. Meine Beamten haben das mit Sicherheit nicht gemacht. Ich habe diesen Raum als letzter verlassen.“

„Das Fallbeil hängt.“

„Das sehe ich. Sehr undurchsichtig. Wo ist die Tür zum Geheimgang, von dem Sie mir am Telefon erzählt haben?“

William trat neben den Polizeibeamten. „Hier irgendwo müßte sie sein. Von dieser Seite aus weiß ich nicht, wie man sie öffnet. Aber es muß eine Möglichkeit geben.“

Der Amerikaner klopfte mit den Knöcheln seiner Hand die Wand ab. Überall waren quaderförmige Steine. Doch an einer Stelle klangen sie hohl.

„Hier müßte es sein. Ich erinnere mich. Hier ist es auch.“

Corry dachte nach, wie die Tür von dieser Seite zu öffnen sei. Eigentlich gab es nur eine Möglichkeit. Er tastete die Wand nach Fugen ab, und er fand auch einen haardünnen Riß. Danach tastete er sich weiter nach rechts. Er versuchte die Quaderattrappen zu lockern. Bei einem Quader gelang es ihm. Er gab nach. Er ließ sich ein kleines Stück herausziehen. Auf der anderen Seite war ein gußeiserner Stift, nur ein Teil der Halterung, die den Schließbalken hielt. Der Balken fiel nach unten. Man hörte ihn deutlich zu Boden poltern.

William riß an den imitierten Quadern. Die Tür schwang auf.

„Das war es.“

William Corry atmete zufrieden auf.

„Das war es“, sagte auch Inspektor Truffaut. Doch dann erschrak er.

Ein Kopf rollte ihm vor die Füße.

Es war der von Alan Grenouille.

Inspektor Truffaut bekam fast einen Anfall. Sein Atem pfiff keuchend aus den Lungen. Seine Brust hob und senkte sich. Schweiß perlte glänzend auf seiner Stirn.

„Ich kenne den Mann“, sagte er.

„Ich auch“, meinte William. „Es ist der Sohn vom Butler.“

„Aber was für einen Sinn hat es denn, wenn jemand ihn umbrachte.“

„Das weiß ich auch noch nicht. Aber sehen Sie! Dort!“

William Corry gefror das Blut in den Adern. Aus dem Raum mit der Guillotine drang Licht. Ein bläuliches gespenstisches Licht. Zögernd trat er einen Schritt in die Kammer hinein.

Die Gestalt war überlebensgroß. Sie schien knapp über dem Boden zu schweben. Eine Hand mit geisterhaft weißen Fingern hielt den Strick umfaßt, der das Fallbeil löste.

Ein schauerliches Gelächter tönte auf. Es kam unter der blutbesudelten Kapuze hervor. Der ganze Kopf zitterte.

Diese gräßliche Hand zog ruckartig am Strick. Das Fallbeil raste herab. Es knackte, als ob die Schneide auf Widerstand stoßen würde. Dann ertönte ein Schrei, der nicht unter der Kapuze hervorkam. Es war, als würde ein Unsichtbarer ihn in höchster Todesangst in das Gewölbe hinausschreien. Dann das Geräusch eines davonrollenden Kopfes.

Doch nichts war zu sehen. Nur die Gestalt stand regungslos neben der Guillotine. Langsam hob sich ihre andere Hand. Sie hielt ein riesiges Beil mit runder Schneide. Ein Henkerbeil. Mit einem Beil zeigte die Gestalt genau auf William Corry.

Ein irrsinniges Gelächter erfüllte wieder den Raum. Eine Ratte zog sich erschreckt in ihren Gang zurück.

Langsam wurde die Gestalt durchsichtig. Es dauerte zehn Sekunden, bis sie sich ganz aufgelöst hatte.

Die Guillotine stand wieder allein in der Kammer. Das Fallbeil lag auf dem Richtblock…

Der rote Henker hatte sein Todesurteil angekündigt.

William Corry fuhr herum. Ein neues Geräusch hatte ihn aufschrecken lassen. Im Schein der Fackel erkannte er Mike Nagenguest. Der Mann kam aus dem Gang, der zum Treibhaus führte. Trotz der schlechten Beleuchtung war zu erkennen, daß er totenblaß war. Dieser Mann hatte Angst. Eine hundsgemeine Angst. Seine Stimme zitterte.

„Mein Gott“, sagte er. „Ich habe alles gesehen.“

Inspektor Truffaut erwachte aus seiner Starre. „Wer ist das?“ fragte er William. Er erklärte es ihm. Truffaut weigerte sich strikt, über das zu reden, was seine Augen zu sehen bekommen hatten. Doch auf die Dauer ließ es sich nicht vermeiden.

„Sie sind auch dieser Halluzination unterlegen?“ fragte er verwundert.

„Das war keine Halluzination“, antwortete William Corry tonlos. „Drei Menschen können sich nicht täuschen.“

„Ich habe nicht nur das mitbekommen“, mischte Nagenguest sich ein. „Ich habe alles gesehen. Auch das, was vorher war.“

„Die Sache mit Alan?“

„Yeah. Wie dieses Monster den Jungen gekillt hat.“

„Ich werde verrückt!“ Truffaut hatte sich kaum mehr in der Gewalt. „Ich halte das nicht länger aus. Das gibt es doch gar nicht!“

„Reißen Sie sich zusammen“, sagte William. „Mir fällt es nicht leichter als Ihnen, zu glauben, was ich gesehen habe. Nehmen wir unser Erlebnis vorerst einmal als etwas Reales an. Dann können wir immer noch weitersehen. Was haben Sie gesehen, Nagenguest?“

„Es war schrecklich. Ich habe mich um den Jungen gekümmert, wie Sie es mir aufgetragen haben. Er schlich sich bei den Treibhäusern herum. Als er in eines der beiden hineinging, bin ich ihm gefolgt. Ich fand auch die Falltür und den unterirdischen Gang. Er war immer rund zwanzig Yard vor mir und hat mich nicht bemerkt. Ich stand noch im Gang, als er sich hier an einer Truhe zu schaffen machte. Er schien irgend etwas darin zu suchen. Ich konnte nicht ahnen, was darin war.“

Nagenguest räusperte sich.

„Zumindest am Anfang nicht. Später stellte ich dann fest, daß es eine Kutte oder so etwas Ähnliches war. Jedenfalls hat der Junge plötzlich aufgeschrien und das Ding fallen lassen, als wäre es aus Feuer. Der Kittel ging auf wie ein Luftballon, und mit einemmal stand eine Gestalt im Raum. Sie begann zu leuchten. Ich konnte mich nicht vom Fleck rühren. Der Junge auch nicht. Da nahm die Gestalt ein blutbeflecktes Beil aus der Truhe und schlug dem Burschen mit einem Hieb den Kopf ab. Vorher hat die Gestalt noch etwas gesagt. Aber ich kann nicht gut Französisch. Ich habe nur so viel davon verstanden, daß man sie aus ihrer Totenruhe geweckt habe und daß das mit dem Gebrauch der Guillotine zusammenhängt. Die Gestalt heulte noch etwas von Rache, und dann verschwand sie mitten durch die Mauer. Eine Minute später hörte ich Geräusche auf der anderen Seite, und ich dachte schon, dieser Kittel käme zurück. Aber das waren Sie. Den Rest wissen Sie ja.“

Mit Menschen zu sprechen hatte Nagenguest gutgetan. Er erholte sich sichtlich. Nur Truffaut schaute immer noch, als wäre er aus allen Wolken gefallen. Jetzt schüttelte er sich wie ein nasser Pudel.

„Wie soll ich darüber jemals ein polizeiliches Protokoll schreiben? Die weisen mich doch in die nächste Klapsmühle ein.“

„Ihr Problem“, meinte William Corry trocken. „Mit meiner Aussage können Sie rechnen. Mit der von Mr. Nagenguest sicherlich auch.“

„Dann treffen wir uns eben zu dritt im Irrenhaus wieder. Haben Sie eine Ahnung, was ich jetzt machen soll?“

„Die Leiche muß weg.“

„Und dann?“

„Gar nichts. Wir sind die einzigen, die etwas davon wissen. Ungewöhnliche Fälle brauchen eine ungewöhnliche Behandlung.“

„Ich könnte diesen Mr. Nagenguest festnehmen.“

„Der Verdacht läge nahe, wenn wir nicht diese Gestalt an der Guillotine gesehen hätten.“