122089.fb2 Der rote Henker - читать онлайн бесплатно полную версию книги . Страница 14

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Sein Sohn Justin war kleiner. Er war fett und aufgedunsen. Der rote Kittel wirkte grotesk an ihm. Auch er war schon halb in Verwesung übergegangen. Die tote Masse an seinem Bauch schwabbelte quallig, als er ein galliges Lachen ausstieß.

„Alte Zeiten werden wieder aufleben. Man wird uns wieder fürchten. Wir werden sie das Fürchten lehren und ihnen das Entsetzen predigen.“

„Ja, das werden wir“, schnarrte der Alte. „Unser Name wird wieder mit Respekt ausgesprochen. Hast du die alten Geräte überprüft, mein Sohn?“

„Alles in Ordnung, Vater. Das Rad wartet darauf, daß wieder Opfer auf ihm zerrissen werden.“

„Sehr schön, mein Sohn. Und das Feuer der Verdammnis brennt?“

„Lichterloh, Vater. Es wartet darauf, daß wir Gliedmaßen darin rösten.“

„Sehr schön, mein Sohn. Laß uns beginnen. Wir sind wieder die Herren auf Chateau Brumbeau. Dann werden wir ausziehen wie in alten Zeiten. Wir werden hinausgehen auf die Straßen und Plätze. Die Menschen, diese gottverdammte Royalistenbrut, werden wieder zittern vor unserer Macht und unserem Können. Der Name Lavorne wird wieder in aller Munde sein. Laß uns beginnen, mein Sohn. Wir inspizieren die Kerker. Die Eisen sitzen noch fest in den Wänden, und die Ratten sind immer noch gierig nach Menschenfleisch. Wir werden ihren Hunger stillen.“

Louis de Lavorne erhob sich. Er nahm die Kapuze vom Boden auf, wo sie gelegen hatte. Dann schulterte er sein rundes Henkerbeil. Zusammen mit seinem Sohn löste er sich in Luft auf. Es wurde stockdunkel in dem Gemach mit der ausgesucht wertvollen Einrichtung. Nur der widerlich süße Geruch nach Verwesung blieb zurück und biß sich für immer in die Polster und Kissen.

Louis und Justin de Lavorne traten ihre Schreckensherrschaft wieder an.

Chantal hatte geblufft. Pierre Margent war felsenfest davon überzeugt. Seiner Meinung nach hatte sie nicht den Mut, um ihn wirklich auf diese Weise zu betrügen. Dafür glaubte er Chantal viel zu gut zu kennen. Außerdem wußte er, mit wem die Frau verkehrte. Ein wildfremder Rechtsanwalt hatte sich ihrer bestimmt nicht angenommen. Wenn überhaupt, dann wäre sie zu einem gegangen, den sie von früher kannte. Und das war nur Petar Stragonjew, ein Exilrusse. Mit ihm würde Pierre keine Schwierigkeiten haben. Er würde das Kuvert - wenn er es hatte - für tausend Franc nachgeworfen bekommen.

Pierre Margent hatte keine Angst vor der Zukunft. Doch er hatte die Wut eines Franzosen, dem von seiner Freundin Hörner aufgesetzt werden sollten. Wenn es erst einmal die Runde machte, daß Chantal ihn und nicht er sie sitzengelassen hatte, war er bei seinen Freunden und Kumpanen ein für allemal erledigt. Ein Franzose kann vieles vertragen. Nicht aber, daß er zum „Cocu“, zum „Hahnrei“ gestempelt wird.

Bei seiner Mannesehre! Er würde das nie zulassen.

Seine Wut hatte sich gesteigert, je länger er Chantal verfolgt hatte. Vor wenigen Minuten war sie vor dem Schloß ausgestiegen und von dem Amerikaner an der Pforte empfangen worden. Sie hatte sich dem Fremden an den Hals geworfen wie ein billiges Flittchen.

Pierre Margent kannte sich im Schloß aus. Er war in dieser Nacht nicht zum erstenmal hier. Ohne zu zögern, schlug er den Weg zu den Treibhäusern ein. Er kam dabei auch am kleinen Pavillon vorbei, in dem Alan immer übernachtete, wenn er sich hier aufhielt. Doch auf Pierres Klopfen öffnete niemand. Wahrscheinlich war der Bursche wieder bei irgendeinem Weib. Pierre fragte sich, wieso dieser pickelige Kerl immer wieder zu Mädchen kam.

Dann hatte er das Treibhaus erreicht. Der Mond schien fahl auf die nassen Wiesen, und seine runde Scheibe spiegelte sich im Glasdach des Treibhauses. Die Pflanzen darin sahen aus wie in einem Aquarium.

Immer noch war der Himmel wolkenverhangen, lichtete sich nur ab und zu. Pierre Margent hatte seine Pistole gezogen, um vor unliebsamen Überraschungen sicher zu sein. Er würde die Waffe ohne Skrupel gebrauchen, wenn die Situation es erforderte, wenn sein nutzloses Leben in Gefahr war.

Der Gangster hatte wieder etwas Luft bekommen, was die Materiallieferungen anging. Erst an diesem Nachmittag hatte ihn die Nachricht erreicht, daß die Maschinen in Dover festhingen. Es mußte Ersatz für einen Fischkutter gesucht werden. Der Kapitän, den man für den Transport zuerst angeheuert hatte, hatte kalte Füße bekommen und wollte aussteigen. Jetzt lag seine Leiche auf dem Grund des Ärmelkanals. Margent konnte die Verzögerung nur recht sein. Das gab ihm freie Hand in seinen jetzigen Plänen. Er würde es dieser verdammten Nutte heimzahlen. Aber ordentlich. Einen Pierre Margent betrog man nicht.

Der Gangster mußte erst das Schloß zum Treibhaus aufsprengen. Alan hätte einen Schlüssel gehabt, aber der Trottel war ja nicht aufzutreiben.

Seine Taschenlampe war zwar klein, aber leistungsstark. Ihr gebündelter Lichtkegel fraß sich in das Dunkel des Ganges.

Pierre Margent bemühte sich nicht, besonders leise zu sein. Er wußte, die Gewölbe schluckten jedes Geräusch. Und daß sich sonst noch jemand in den Kellern aufhielt, war äußerst unwahrscheinlich.

Wo er ging, polterten Kästen zu Boden. Jean Cranisse würde sich am nächsten Tag wundern und auf die Ratten schimpfen, die auch vor seinen Gladiolenzwiebeln nicht haltmachten.

Pierre Margent hatte das Schloß betrachtet, bevor er zu den Treibhäusern gegangen war. Die Fensterfronten waren dunkel gewesen. Nur in jenen Räumen, in denen er die Bibliothek wußte, hatte Licht gebrannt.

Der Gangster zog einen gefalteten Plan aus der Tasche. Es war nur eine Blaupause, doch die Linien waren deutlich genug, daß er sie auch im Schein seiner Taschenlampe erkennen konnte. Alan hatte diesen Plan aus der Bibliothek besorgt. Pierre Margent nahm an, daß er alle Kammern und Gewölbe dieses Ameisenhaufens enthielt. Die Untergeschosse waren fünf Stockwerke tief. Von einem früheren Besuch her wußte der Gangster, daß darunter auch noch eine sechste Etage existierte, doch die war weder in den Plänen enthalten, noch hatte sie ihn sonderlich interessiert. Er hatte nur Interesse an einer einigermaßen trockenen Halle im zweiten Untergeschoß, in der man ungestört und ungehört eine Druckerei betreiben konnte. Die Nebenräume eigneten sich vorzüglich zur Papierlagerung und zur Aufnahme all jenes Zubehörs, das man nun einmal braucht, wenn man beste Blüten herstellen will. Sogar eine wasserführende Grotte gab es dort unten. Das Becken war nicht größer als eine überdimensionierte Badewanne, aber das Wasser darin hatte einen natürlichen Zufluß. Es gab keinen besseren Platz als Unterschlupf für eine Falschmünzerbande.

Doch an all das dachte Pierre Margent in diesem Augenblick nicht. Der Gedanke an Rache hatte ihm das Gehirn vernebelt. Er wollte nur Chantal.

Und er würde sie für ihren Betrug töten…

Margent stolperte weiter in den Gang hinein, nachdem er sich an der Karte orientiert hatte. Er übersah die Leiche Alans. William und Mike Nagenguest hatten die sterblichen Überreste beiseite geräumt. Der Gangster fluchte nur, weil er in etwas Glitschigem um ein Haar ausgeglitten wäre. Weil er nicht hinter sich schaute, sah er auch die blutigen Fußstapfen nicht, die er auf seinem Weg zur Wendeltreppe im Weinkeller hinterließ.

Er drückte sich gegen die Wand, als er sich die Treppe emportastete, und versuchte nicht nach unten zu schauen. Das war nur etwas für schwindelfreie Gemüter, und Pierre Margent war nicht schwindelfrei.

Im Weinkeller roch es nach Staub. Im Lichtkegel der Lampe leuchteten Spinnweben gespenstisch auf. Irgendwelche Käfer krabbelten über den Boden.

Margent stieg auch noch die letzte Treppe hinauf, die ins Erdgeschoß des Schlosses führte. Das schwierigste Stück kam noch. Er mußte ungesehen durch die Eingangshalle, wenn sein Plan gelingen sollte.

Er sah auf die Uhr. Chantal war vor etwa einer halben Stunde angekommen. Noch zu früh, um jetzt schon Posten zu beziehen. Er wollte sie auf dem Weg zur Toilette abfangen. Dorthin würde ihr gewiß niemand folgen.

Der Gangster hörte Champagnerkorken knallen und verzog mißmutig sein Gesicht. Der Platz hinter der Kellertür war unbequem. Der Geruch nach Moder legte sich auf seine Lunge und machte das Atmen schwer. Manchmal glaubte er, Geräusche aus der Tiefe der Gewölbe zu hören, doch er schalt sich selbst einen Narren, der einfach nicht mit seiner Aufregung fertig wurde.

Eine halbe Stunde verging. Das Lachen aus der Bibliothek drang bis zu ihm herunter. Die helle Stimme Chantals war deutlich auszumachen. Margents Wut steigerte sich.

Niemand hatte in der Zwischenzeit die Eingangshalle betreten, noch waren Schritte auf der Galerie laut geworden. Margent wollte es jetzt riskieren.

Lautlos wie eine Katze schlich er sich die Treppe hoch. Dicke Teppiche schluckten jeden seiner Schritte. Die Tür zum Weinkeller hatte er angelehnt gelassen, um auf dem Rückzug keine Zeit zu verlieren.

Dann stand er vor der Tür, die zur Toilette führte, der nächstgelegenen zum Bibliothekszimmer.

Sein Plan hatte Lücken. Er baute darauf, daß Chantal die erste war, die diesen Ort aufsuchte. Doch er war wieder beruhigt, als er ein Stehbecken an der gekachelten Wand sah. Männer würden also kaum in die Kabine gehen.

Pierre Margent entsicherte seine Waffe, nachdem er die Tür der Kabine hinter sich zugezogen hatte. Das Licht brannte nicht. Der Gangster stand im Dunkeln.

Seine Geduld wurde auf keine allzu harte Probe gestellt. Er erkannte das Geklapper der Clogs auf Anhieb. Margent schloß einen Augenblick geblendet die Augen, als Chantal das Licht anknipste. Der Türgriff bewegte sich nach unten.

„Keinen Laut!“ zischte Margent, dann packte er die Frau mit seiner freien Hand an den Haaren und zog sie ganz herein. Sofort legten sich seine klobigen Finger um ihren Mund. Den Lauf der Waffe drückte er ihr gegen den Unterkiefer. „Wenn du auch nur einen Ton von dir gibst, puste ich dir das Gebiß aus dem Schädel.“

„Pierre…“

„Du sollst deinen Mund halten, habe ich gesagt.“ Margent verstärkte den Druck seiner Waffe. Chantal mußte sich auf die Zehen stellen.

„Und jetzt höre mir mal gut zu, Püppchen. Du wirst jetzt mit mir gehen und keinen Mucks machen. Das ist deine einzige Chance, hier vielleicht heil rauszukommen. Deine einzige, hörst du?“

Chantal Valet nickte, soweit der harte Griff das zuließ.

„Du gehst jetzt vor mir her und verursachst kein unnötiges Geräusch.“

Sie nickte wieder.

Margent lockerte seinen brutalen Griff und stieß die Frau aus der Kabine. Er hielt ihr die Pistole jetzt in den Rücken. Mit der anderen Hand hielt er immer noch ihren Mund verschlossen. So brachte er sie die Treppe hinunter bis zum Eingang des Weinkellers. Man konnte Chantal jetzt nicht mehr so leicht hören. Er nahm seine Hand von ihrem Mund.

„Du hast immer noch Sendepause“, warnte er vorsichtshalber.

Chantal war kreidebleich. Das gemalte Rot ihrer Lippen schien noch röter. Margent grinste.

„Wir sind unter uns, Liebes. So einfach wirst du den guten Pierre nicht los.“

Mit dem Fuß schob er die Kellertür ins Schloß. Dann lachte er gemein.