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„Sie ist wahr“, sagte Chantal trotzig.
„Ich weiß“, bluffte Margent grinsend. „Petar Stragonjew hat gleich nach dir angerufen. Er verkauft mir den Fetzen für fünfhundert Franc.“
Er sah das plötzliche Entsetzen in Chantals Gesicht und grinste noch breiter.
„Na, siehst du“, sagte er triefend vor Hohn. „Deinem lieben Pierre bleibt nichts verborgen.“
Urplötzlich schaltete er auf eine rauhe Gangart um.
Unbeherrscht brüllte er sie an: „Und du Flittchen wolltest mich hereinlegen! Du wirst das noch bereuen, und zwar in dieser Nacht.“
Er schlug mit der Rückhand zu.
Hart und brutal.
Der Kopf der Frau wurde herumgerissen. Sie stolperte und fiel auf den Boden. Haß blitzte in ihren Augen, als sie zu dem Gangster hochsah.
„Das war erst der Anfang, Baby“, sagte Pierre Margent.
„Sie müßte längst zurück sein“, meinte William Corry und schaute auf seine Uhr.
„Frauen können sich eben nicht einfach vor die Wand stellen“, kicherte Truffaut. Er war stark angetrunken. Das Glas in seiner Hand war schon wieder leer. Mike Nagenguest starrte durch eines der hohen Fenster in die Nacht hinaus. Der Inspektor tat ihm leid. Er hatte die Nervenbelastung nicht durchgehalten. William schenkte Kognak nach.
„Ich hoffe, Sie wissen, wann Sie genug haben.“
„'türlich“, lallte Truffaut. „Aber es ist noch nicht soweit. Noch lange nicht. Meine Kehle ist immer noch trocken wie ein Stück Holz, das in der Sonne gelegen hat. Gespenster! Daß ausgerechnet mir das passieren mußte!“
Er trank wieder aus und hielt Corry sein Glas entgegen.
„Nichts mehr“, sagte William. „Irgendwann müssen Sie Schluß machen.“
„Ich will aber nicht“, begann Truffaut zu krakeelen. „Wenn Sie mir nichts mehr geben, wechsle ich das Lokal. Ich habe mich ohnehin schon viel zu lange hier aufgehalten. Meine Frau wird warten.“
Er machte Anstalten, aufzustehen, doch er kam aus dem tiefen Sessel nicht mehr hoch. Die Brille war ihm verrutscht, und die Haare standen wild von seinem Kopf ab. Irritiert schaute er in die Runde. Seine glasigen Augen trafen auf William.
„Vielleicht haben Sie wirklich recht“, brabbelte er. „Ich sollte aufhören. Aber einen kleinen Schluck genehmige ich mir noch. Danke, danke. Sie brauchen sich nicht zu bemühen. Ich versorge mich selbst.“
Er griff in seine Sakkotasche und brachte eine Plastikflasche ohne Etikett und mit klarem Inhalt zum Vorschein.
„Nur ein kleines Schlückchen“, murmelte er. Truffaut ließ die rote Kappe zurückschnappen und spritzte etwas aus der Flasche in sein leeres Glas.
William schnupperte.
Feuerzeugbenzin!
Mit einem Schritt war er neben Truffaut und nahm ihm das Glas aus der Hand.
„Sind Sie verrückt?“ sagte er dabei. „Sie vergiften sich ja.“
„Ist doch alles dasselbe“, lallte Truffaut und wollte die Plastikflasche an seinen Mund setzen. William entriß sie ihm im letzten Augenblick und steckte sie in seine Sakkotasche.
„Sie bekommen jetzt von mir noch ein Glas, und dann ist endgültig Schluß.“
William Corry wandte sich um, nahm ein neues Glas aus dem Barfach und goß es einen Fingerbreit voll. Als er damit zu Truffaut zurückkam, stimmte der Inspektor schon die ersten lauten Schnarchtöne an. Er war eingeschlafen.
Der Zwischenfall hatte die beiden Männer einen Augenblick von Chantal abgelenkt.
„Sehen Sie nach, Nagenguest?“ fragte William. Der Leibwächter verzog säuerlich das Gesicht.
„Muß das sein, Boß? Sie ist eine Frau. Vielleicht pudert sie sich noch die Nase oder ist schnell noch auf ihr Zimmer gerannt. Ich möchte sie nicht gerne auf der Toilette suchen.“
„Ist ja gut. Ich gehe selbst.“
In dieser Sekunde ging das Licht aus.
Die Kerzenlampen im Kristallüster verlöschten von einer Sekunde auf die andere.
„Was ist das?“ fragte Nagenguest.
„Ein Defekt in der Leitung. Vielleicht ist eine Sicherung herausgesprungen.“ Doch William glaubte selbst nicht an das, was er sagte. „Sehen Sie mal nach, ob unten in der Halle Licht brennt.“
Mike Nagenguest tastete sich zur Tür und öffnete. Von draußen drang kein Lichtschimmer herein.
„Das Licht scheint im ganzen Haus ausgefallen zu sein.“
William sträubten sich die Nackenhaare. Eine ungewisse Ahnung sagte ihm, daß es kein Zufall war, daß an diesem Abend das Licht ausfiel.
Da drang ein warmer Schimmer von der Halle herauf. William zuckte nervös zurück. Kerzenflammen flackerten. Dann erkannte William Richard Grenouille, den Butler. Er ging gebeugt. In seinem grauen abstehenden Haar spielte das Licht und zauberte eine Art Heiligenschein in die Strähnen. Richard schaute verschlossen wie eine Mumie. Mit einer Hand schirmte er die Kerzen gegen den Zug ab, der sich beim Gehen bildete.
Er schaute zur Galerie herauf. Die beiden Männer konnte er wegen der Dunkelheit nicht erkennen. Die Finsternis lauerte wie eine giftige Spinne in jedem Winkel.
Der Butler schlurfte herauf. Ein alter, vertrockneter Greis. Schon am Tag konnte er mit seinem Aussehen ein Kind erschrecken. Doch jetzt verzerrte auch noch der flackernde Schein der Kerzen seine faltigen, pergamentenen Züge.
„He, Richard!“ schrie William zur Treppe hinüber. „Hier sind wir. Was ist mit dem Licht passiert?“
William Corry lief dem Greis entgegen und nahm ihm den Kerzenleuchter ab. Er war aus Holz und vergoldet. Er sah viel schwerer aus, als er in Wirklichkeit war.
Der Butler zückte seinen Notizblock und kritzelte darin herum. Das vollgeschriebene Blatt reichte er Corry. Er konnte die Schrift nur unter Schwierigkeiten entziffern.
„Aus dem Sicherungskasten sind die Sicherungen Verschwunden. Auch die Reservesicherungen.“
„Wo ist der Kasten?“
Richard machte die Geste des Trinkens.
„Im Weinkeller?“