122089.fb2 Der rote Henker - читать онлайн бесплатно полную версию книги . Страница 2

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Chateau Brumbeau lag zwischen Blois und Orleans. Die Polizei von Orleans bearbeitete diesen mysteriösen Fall, von dem Trenton ihm erzählt hatte. Sie hatten bisher noch keine Spur von einem Mörder gefunden.

Nach Orleans war es nicht weit. William Corry nahm sich am Flughafen einen Leihwagen, einen beigen Citroen DS 21. Zu dieser frühen Stunde kam er relativ zügig voran. Schon nach eineinhalb Stunden hielt der Wagen vor der Polizeipräfektur in der Rue Napoleon.

Es dauerte einige Zeit, bis er sich zum richtigen Beamten durchgefragt hatte. Inspektor George Truffaut war ein netter Mann. Er war dem frühen Besucher gegenüber ausgesucht höflich. Die dunklen Augenringe in seinem freundlichen Gesicht kündeten davon, daß er eine schlaflose Nacht hinter sich hatte.

„Aber setzen Sie sich doch, Monsieur Corry.“ Er bot den Besucherstuhl an. „Darf ich Ihnen mein aufrichtiges Mitgefühl für den Tod Ihres Herrn Vaters ausdrücken?“

William Corry setzte sich und nickte geistesabwesend. „Wo ist mein Vater jetzt?“

George Truffaut seufzte. „In unseren Kellern. Wollen Sie es gleich hinter sich bringen? Ich bin bereit. Die Formalitäten können wir auch nachher noch erledigen.“

William Corry stand wieder auf. „Bringen wir es hinter uns.“ Er folgte dem Inspektor, der vorausging.

Mit dem Lift fuhren sie ins zweite Kellergeschoß hinab. Leichenkammern sind fast bei allen Polizeipräsidien unter der Erde. Man kann keinen Staat mit ihnen machen. Dann kamen sie zu einer Stahltür. Sie schwang auf, nachdem Truffaut einen Klingelknopf gedrückt hatte. Eisige Kühle umfing die beiden Männer. Ein Beamter mit wachsbleichem Gesicht und schwarzem Haar ging ihnen voraus zu einer Wand mit quadratischen Fächern.

„Nummer 46“, sagte Truffaut, und der Beamte öffnete das Fach. Die Bahre ließ sich herausziehen. Desmond Corry lag mit dem Kopfende zur Tür hin. Der Inspektor lüftete das weiße Tuch über der Leiche.

„Ist er das?“

William Corry warf einen kurzen Blick auf den Kopf des Vaters. Man hatte die Schnittstelle am Hals mit dicken Bandagen umwickelt. Das fleischige Gesicht seines Vaters war eingefallen, das lebenslustige Rot aus seinen Wangen gewichen. Corry wandte sich schnell wieder ab. Die Züge des Toten waren entstellt. Die Angst, die er vor seinem Ableben gehabt haben mußte, hatte tiefe Kerben in das Gesicht gegraben, und die Totenstarre hatte diese Angst fixiert.

Desmond Corry war kein schöner Anblick.

Sein Sohn nickte müde. „Er ist es“, sagte er leise. „Es besteht kein Zweifel.“

Truffaut ließ das Tuch wieder fallen und gab dem anderen Beamten ein Zeichen. „Kommen Sie wieder mit in mein Büro, Monsieur. Leider muß ich Ihnen noch einige Fragen stellen. Ich muß Sie um Verständnis bitten.“

„Natürlich. Fragen Sie nur. Ich fürchte nur, daß ich Ihnen nicht viel über meinen Vater sagen kann. Ich habe ihn seit drei Jahren nicht mehr gesehen. Wir verstehen - wir verstanden uns nicht besonders. Ich war mit der Art, wie er seine Geschäfte abwickelte, nicht ganz einverstanden.“

Die beiden Männer hatten den Lift wieder erreicht, und surrend bewegte er sich aufwärts.

„Ihr Vater hatte viele Feinde?“

„Mehr als genug, nehme ich an. Sie brauchen mit mir nicht um zehn Ecken zu reden. Mein Vater war Waffenschmuggler, wenn man es etwas drastisch ausdrücken will. Er hat den Tod exportiert. So ein Mann muß Feinde haben.“

„Können Sie Namen nennen?“

„Nein. Ich erwähnte es bereits. Ich pflegte keinen Umgang mit meinem Vater.“

„Das ist bedauerlich. Sein Tod hat uns nämlich einige Rätsel aufgegeben.“

„Das kann ich mir vorstellen. Nicht einmal seine engsten Vertrauten waren in all seine Absichten eingeweiht.“

„Er hatte engste Vertraute?“ Inspektor Truffaut war hellhörig geworden. Seine Stimme hatte einen lauernden Unterton bekommen.

Der Lift hielt an, und die beiden Männer gingen in den Flur zurück.

„Ich kann Ihnen nicht einmal Namen seiner Vertrauten nennen. Ich nehme nur an, daß er welche hatte. Ein Mann wie er mußte sich sogar mit einer Leibwache umgeben.“

„Ihr Vater ist nachweislich alleine nach Chateau Brumbeau gekommen.“

Sie hatten Truffauts Büro erreicht. William Corry nahm unaufgefordert wieder auf dem Besucherstuhl Platz. „Das verwundert mich einigermaßen“, sagte er. „Ich habe meinen Vater praktisch nie ohne seine Leibwache gesehen. Sogar wenn er mich als Kind besuchte, waren immer einige Männer bei ihm. Ich erinnere mich noch, daß ich Angst vor ihnen hatte.“

„Sie wissen es offensichtlich noch nicht, aber wir haben Grund zu der Annahme, daß Ihr Vater sich aus seinen Geschäften zurückziehen wollte.“

William Corry ruckte hoch. „Sie glauben das wirklich?“

„Wir haben mit dem Vorbesitzer des Chateaus gesprochen, mit dem Marquis de Lavorne. Er deutete das an. Ihr Vater hatte ihm das Landhaus abgekauft, um sich dort zur Ruhe zu setzen.“

„Und Sie haben ihm das abgenommen?“

„Zweifeln Sie daran? Nach Ihren eigenen Worten hatten Sie seit drei Jahren keinen Kontakt mehr mit ihrem Vater.“

„Das schließt doch nicht aus, daß ich meinen Vater kenne. Er ist nicht der Mann, der sich zur Ruhe setzt. Hätte er das vorgehabt, dann hätte auch kein Grund bestanden, ihn auf diese bestialische Art und Weise zu ermorden. Dann wäre er ja seinen Feinden kein Feind mehr gewesen.“

„Wir kennen die Branche auch ein wenig, Monsieur Corry. Ihr Vater könnte das Opfer der Rache irgendeines Unbekannten geworden sein.“

„Ich kenne die Branche mit Sicherheit nicht so gut wie Sie, Monsieur Inspecteur. Aber ich kann mir nicht vorstellen, daß der Mord dann auf diese Weise abgewickelt worden wäre. In jener Branche, in der mein Vater tätig war, schickt man einen Killer, der einen gezielten Schuß abgibt oder der eine Bombe legt. Ein professioneller Killer würde doch niemals eine Guillotine benützen.“

„Zu diesem Ergebnis sind wir auch gekommen. Wir haben daraus geschlossen, daß die Tat ein sehr persönlicher Feind Ihres Vaters verübt haben muß. Einer, der selbst dabeisein wollte, als Ihr Vater starb, und der einen perversen Genuß dabei hatte.“

„Das sind doch alles nur vage Vermutungen. War Personal im Haus, als es geschah?“

„Nur ein stummer Diener. Ihr Vater hatte ihn vom Marquis übernommen. Richard Grenouille heißt er. Er weiß von gar nichts. Er hat Ihren Vater nicht einmal ins Schloß kommen sehen. Er bemerkte seine Anwesenheit erst, als er den Wagen Ihres Vaters in der Ausfahrt parken sah. Als das Auto schließlich nach Stunden immer noch unberührt stand und er Ihren Vater in den Räumen des Chateaus nicht fand, machte er sich auf die Suche. Er fand ihn schließlich im Kellerraum mit der Guillotine.“

„Was haben Sie bisher über die mutmaßlichen Täter herausgefunden?“

„Rundheraus gesagt: gar nichts. Wir haben nicht die Spur von einer Spur. Der Diener war einkaufen gewesen, als Ihr Vater ins Schloß kam. Ein Gärtner lebt auch noch dort. Er hatte seinen freien Tag und besuchte seine Schwester in Bouchet. Wir würden auf einen vollkommen sinnlosen Mord tippen, wenn es so etwas gäbe. Interpol ist in diesen Fall eingeschaltet. Dort kennt man auch die mutmaßlichen Feinde Ihres Vaters. Aber zu dieser Zeit hat sich nachweislich keiner in Frankreich aufgehalten. Wir müssen vorerst bei der Version bleiben, es hätte sich um einen rein privaten Racheakt gehandelt.“

„Dann mußten die Mörder doch wissen, daß sich an diesem Tag und zu dieser Stunde niemand im Haus befand. Das bedeutet doch, daß die Mörder über das Geschehen im Haus informiert sein mußten.“

„Für einen Laien ist Ihre Theorie ganz passabel. Aber das ändert nichts daran, daß sie laienhaft ist. Von allen Leuten, die über die Gegebenheiten auf Chateau Brumbeau informiert waren, hatte keiner auch nur das geringste Interesse daran, Ihrem Vater etwas Böses zu wollen. Sie standen auf seiner Lohnliste.“

„Aber irgend jemandem muß er doch im Weg gestanden haben.“

„Wenn wir diesen Jemand kennen würden, hätten wir auch den Mörder.“

„Halten Sie mich über Ihre Fortschritte auf dem laufenden?“

„Wo kann ich Sie erreichen?“

„Ich werde die nächste Zeit auf Chateau Brumbeau wohnen. Dort soll auch mein Vater beigesetzt werden. Er schwärmte zeit seines Lebens von Frankreich.“

Die Kanzlei in Boston würde ohne ihn auskommen. Wenn ein besonders dringender Fall anlag, der seine Anwesenheit erforderlich machte, dann konnte William Corry ja jederzeit in die Staaten fliegen. Mit einemmal interessierte ihn, was sein Vater gemacht hatte. In seinem schwarzen Aktenkoffer lagen die Unterlagen, die er aus Trentons Büro mitgenommen hatte. Viele Auskünfte bargen sie nicht, doch William würde sich langsam vorarbeiten. Er ertappte sich bei dem Gedanken, wie es wäre, wenn er in die Fußstapfen seines Vaters träte. Doch er verwarf diesen Gedanken sofort wieder.

Um den Verbleib der Leibwache seines Vaters machte sich William Corry vorerst noch keine Sorgen. Alles zu seiner Zeit. Zuerst brauchte er einen fahrbaren Untersatz, über den er jederzeit verfügen konnte. Auf die Dauer wollte er nicht mit einem Leihwagen durch die Gegend kutschieren. Der junge Corry kaufte sich einen Renault Alpine, einen Flitzer, der gut und gerne seine zweihundert Sachen machte. Der Händler in Orleans hatte über das ganze Gesicht gestrahlt, als Corry bar bezahlte.

Jetzt fuhr er durch das liebliche Loiretal, das an diesem Tag so lieblich gar nicht war. Es goß in Strömen. Regen prasselte in dicken Tropfen gegen die Windschutzscheibe. Die Scheibenwischer hatten Mühe, die Sicht leidlich freizuhalten.