122089.fb2 Der rote Henker - читать онлайн бесплатно полную версию книги . Страница 22

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Auch William wußte nicht, wie er sich hätte wehren können. Jedenfalls wollten sie ihn nicht sofort töten. Bestimmt hatten sie sich irgendeine Gemeinheit dazu ausgedacht.

Als hätte Louis de Lavorne seine Gedanken erraten - William wußte nicht, daß er das tatsächlich konnte -, sagte der Hagere: „Es stimmt. Du wirst auf demselben Richtblock sterben wie dein Vater. Es dauert nicht mehr lange. Mein Sohn wird dich führen. Nur auf die Augenbinde werden wir verzichten. Du sollst zusehen, wie du stirbst. Wir legen dich mit dem Gesicht nach oben auf den Block.“

William gab es auf, darüber nachzudenken, was mit Sicherheit passieren würde. Gegen diese Dämonen gab es keine Gewalt. Er war ihnen ausgeliefert. Es gab niemanden, der ihm noch hätte helfen können. Nicht einmal mit in den Tod nehmen konnte er eines dieser Wesen aus dem Zwischenreich. Sie waren mit irdischen Mitteln nicht verletzbar.

Trotzdem wehrte sich alles in William dagegen, wie ein Vieh hingeschlachtet zu werden. Gleichzeitig sah er die Hoffnungslosigkeit jeder Hoffnung ein. Sie würde sich nicht erfüllen.

Resignation drohte William zu übermannen.

Doch noch lebte er. Bis zu seinem letzten Atemzug lebte er. Bevor er auf der Guillotine starb, würde er lieber dem Beispiel Nagenguests folgen und am grünen Feuer verbrennen. Nichts konnte schrecklicher sein, als auf dem Schafott zu sterben.

Der Kopf seines Vaters, so wie er ihn im Leichenschauhaus in Orleans gesehen hatte, tauchte vor seinem geistigen Auge auf. Dieses Entsetzen in seinen Zügen! Nein! - So wollte er nicht sterben! Er wechselte noch einen Blick mit Inspektor Truffaut, der sich wie eine verängstigte Katze gegen die Mauer kauerte. Dann stürmte er los. Genau auf den Hageren zu.

Doch er kam nicht durch die Gestalt hindurch wie kurz vorher Nagenguest. Er stieß gegen Louis de Lavorne, spürte den harten Körperwiderstand. Einen sehr harten Widerstand. Williams Kopf krachte, als wäre er gegen eine Mauer aus Beton gerannt.

„So einfach geht das nicht, junger Freund“, sagte die Greisenstimme. „Habe ich nicht gesagt, daß du auf der Guillotine sterben wirst? Bringe sie hinauf, Justin. Alle drei.“

Der Riegel der Tür hörte auf zu glühen. Von selbst schob er sich zurück. Von selbst schwang die Tür auf. William Corry wankte hinaus. Chantal und Truffaut folgten. Wie ein siegreicher Feldherr ging hinter ihnen der Dämon Justin, der Sohn des roten Henkers.

William hatte jedes Zeitgefühl verloren. Er wußte nicht, wie lange sie brauchten, bis sie in der Kammer mit der Guillotine standen. Chantal und Truffaut standen neben ihm. Keiner sagte etwas. Nur die Fackel knisterte, die Justin in einen der Mauerringe gesteckt hatte.

„William Corry“, sagte die hagere Gestalt. „Du bist von mir zum Tode verurteilt. Hast du noch einen letzten Wunsch?“

„Ich möchte dich erwürgen können!“

Die Gestalt lachte amüsiert.

„Verständlich, aber leider nicht durchführbar. Dann schreiten wir zur Hinrichtung.“

Chantal trat William auf die Zehen.

„Einen Moment!“ rief William. „Einen letzten Wunsch habe ich noch. Ich liebe diese Frau hier. Ich möchte noch mit ihr sprechen.“

„Eine Minute.“

Der Dämon Justin machte sich an der Schnur zu schaffen, die das Fallbeil oben hielt.

William trat ganz nah an Chantal heran.

„Was wolltest du mir noch sagen?“

„Ich habe in der Folterkammer einiges mitbekommen. Die beiden Henker konnten nur zurückkehren, weil die Guillotine von fremder Hand bedient wurde. Ihr Schicksal ist irgendwie mit diesem Mordinstrument verknüpft. Ich weiß nicht, warum ich dir das erzähle. Eigentlich wollte ich dir etwas anderes sagen, William Corry. Du hast eben zu diesem Scheusal gesagt, du würdest mich lieben. Ist das wenigstens ein bißchen wahr?“

„Angesichts des Todes hast du seltsame Probleme. Aber es ist nicht nur ein bißchen wahr. Ich fürchte, es stimmt wirklich. Ich habe es erst bemerkt, als Margent dich verschleppt hatte. Mit einemmal fühlte ich, daß du mir fehltest. Du mußt wissen, daß die Geschichte mit der Weltreise nur erlogen war. Ich wollte nur, daß du deinen Auftraggeber verrätst. Aber jetzt wollte ich wirklich, daß du eine Reise mit mir machst.“

„William!“

„Es tut mir leid, daß ich dich betrogen habe. Es tut mir wirklich leid. Ich bin froh, daß ich dir das noch sagen konnte, bevor…“

Chantal verschloß ihm den Mund mit einem Kuß. Er spürte ihren Körper an dem seinen. Und er spürte die Plastikflasche mit Benzin, die er Truffaut abgenommen hatte.

Ein wahnwitziger Gedanke schoß ihm durch den Kopf.

„Die Zeit ist um“, sagte der Hagere.

William riß sich los.

„Schnell!“ brüllte er. „Macht das Kreuzzeichen!“

Er führte vor, wie er sich das vorstellte. Er legte die Unterarme kreuzweise übereinander und stieß sie den beiden Dämonen entgegen.

Truffaut hatte überraschend schnell kapiert. Auch er kreuzte die Unterarme und stürzte auf die beiden Henker zu.

Die wichen nur einen Augenblick lang zurück. Doch dann lachten sie beide schallend auf. Sie schienen wirklich Spaß an der Angelegenheit zu haben.

„Justin“, krächzte der Hagere. „Sie wollen uns mit dem Kreuz Angst einjagen. Ist das nicht köstlich?“

„Köstlich“, bestätigte Justin, und sein Bauch hüpfte.

Einen Augenblick waren die Dämonen abgelenkt gewesen. Einen Augenblick lang hatte der Hagere Williams Gedanken nicht kontrolliert.

Und dieser eine Augenblick genügte William Corry. Alles rollte innerhalb weniger Sekunden ab.

William zog das Plastikfläschchen aus seiner Sakkotasche und schob das rote Abdeckkäppchen zurück. Das Fläschchen war noch gut halb voll. William drückte es mit aller Kraft zusammen.

In einem dünnen Strahl schoß das Feuerzeugbenzin auf den Richtblock und verteilte sich darüber. Dann war das Fläschchen leer.

Corry riß eine Fackel aus ihrer Halterung und schleuderte sie genau auf die Guillotine.

Das Benzin fing sofort Feuer. Die Flammen leckten an den Führungsbalken des Fallbeils empor.

Der Hagere stieß einen schrillen Schrei aus.

Justin quiekte.

Die Dämonen standen ein gutes Stück von der brennenden Guillotine entfernt. Trotzdem züngelten Flammen an ihren roten Kitteln, fraßen sich empor, wie das Feuer sich an der Guillotine emporfraß.

„Gnade!“ brüllte der Dämon Louis de Lavornes. „Löscht das Feuer an der Guillotine. Ich schenke euch das Leben. Ich schenke euch alles. Ihr könnt alle Reichtümer dieser Erde haben. Ich habe einen Schatz. Ihr könnt alles haben…“

„… alles haben“, echote Justin.

William rührte sich nicht. Ungerührt schaute er zu, wie die Flammen an der Guillotine und an den Kitteln leckten. Er verdankte seinen Gedankenblitz Chantal.

„Ihr Schicksal ist irgendwie mit diesem Mordinstrument verknüpft!“ Er war nur mehr einer plötzlichen Eingebung gefolgt.

Nun brannte nicht mehr nur das Benzin am Schafott. Auch das Holz selbst hatte Feuer gefangen.

Louis de Lavorne, der grausamste Henker, der je auf Frankreichs Boden gewütet hatte, begann sich aufzulösen. Seine Kutte war bis auf einen verschwindend kleinen Rest zusammengebrannt. Er wankte wie eine Kerzenflamme, die der Zugluft ausgesetzt wird. Sein Kampf gegen den endgültigen Tod zog sich Minuten hin. Genauso lange, wie das Holz der Guillotine brauchte, um zu verbrennen.