122089.fb2 Der rote Henker - читать онлайн бесплатно полную версию книги . Страница 5

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„Ich war neugierig. Ihr Vater hat mir viel von Ihnen erzählt. Ich sagte es bereits. Ich wollte Sie kennenlernen. Aber wenn Sie wollen, packe ich natürlich sofort meine Koffer.“

„Nein, nein“, wehrte William Corry ab. „Entschuldigen Sie, wenn ich aus der Rolle gefallen bin. Natürlich können Sie bleiben, wenn mein Vater Sie eingeladen hat. Ich bin sogar ganz froh darüber. Sie sehen wesentlich besser aus als der alte Butler.“

Sie zog die Stirn kraus und öffnete den roten Mund zu einem kleinen „Oh“. Dann fragte sie: „War das ein amerikanisches Kompliment?“

William mußte grinsen. „Wenn Sie es so wollen, meinetwegen. Ich bin noch etwas durcheinander. Mit allem habe ich gerechnet, nur nicht mit einer schönen Frau.“

„Ihre Komplimente werden langsam europäisch“, gurrte die Frau und setzte sich in einen der niedrigen Sessel vor der Tür zum Balkon. Sie schlug ihre langen Beine übereinander, und erst jetzt bemerkte William, daß der Rock einen Schlitz hatte, der fast bis zu den Hüften reichte.

Chantal Valet bemerkte seinen Blick und bedeckte beiläufig die Blöße, die sich aufgetan hatte.

„Wie haben Sie meinen Vater kennengelernt?“ fragte William Corry - mehr, um sich abzulenken und nicht ständig diese langen Beine anstarren zu müssen.

„Allzulange ist es noch nicht her“, antwortete sie. „Ich habe Desmond durch den Marquis kennengelernt, dem dieses Schloß hier gehört hat.“

„Marquis de Lavorne?“

„So hieß er wohl, dieser alte Lustgreis. Er war auch nur eine Partybekanntschaft, doch durch ihn lernte ich Ihren Vater kennen.“

„Wo war das?“

Die Frau schaute überrascht auf.

„Wollen Sie mich verhören?“

„Aber nein“, entschuldigte sich William Corry sofort. „Eigentlich frage ich Sie nur, um Sie näher kennenzulernen. Ich muß sagen, daß mein Vater offensichtlich eine gute Hand hatte, was Frauen anbelangt.“

„Das war schon ein raffiniertes Kompliment. Sie akklimatisieren sich sehr schnell in Frankreich, Monsieur.“

William Corry konnte es nicht verhindern, daß sich an den Haarwurzeln eine leichte Röte breitmachte und sein Gesicht wie einen Schleier überzog. Schnell wandte er den Kopf ab. Bisher hatte er mit Frauen noch nicht allzuviel su schaffen gehabt. Sein Job und seine Zukunftsplanung hatten ihm dafür noch keine Zeit gelassen, doch je länger er mit dieser Frau zusammen war, um so mehr drang es ihm ins Bewußtsein, daß er bisher eine ganze Menge versäumt hätte. Natürlich waren da ein paar Liebschaften während seiner Studienzeit gewesen, doch noch nie war er mit einer Frau zusammen gewesen, die auch nur annähernd das Format dieser Französin gehabt hätte.

„Ihre Gegenwart beflügelt mich eben“, fiel er in einen lockeren Konversationston, den er bisher noch kaum gepflegt hatte. Sie lachten beide. Ihr Lachen war glockenhell und sympathisch. William Corry hatte keine Ahnung davon, wie gut Frauen sich verstellen können. Manche Frauen.

Chantal Valet stand auf und strich sich mit ihren langgliedrigen, feinnervigen Fingern das Kleid über den Oberschenkeln glatt.

„Ich lasse Sie jetzt besser allein, Monsieur Corry. Sie werden sicher von Ihrer Reise müde sein, und bestimmt wollen Sie sich auch frisch machen. Sehen wir uns beim Essen?“

„Ich würde mich freuen. Aber eine Frage hätte ich noch. Ich weiß nicht genau, wie ich mich ausdrücken soll…“

In ihr Gesicht trat wieder dieses amüsierte Lächeln. „Sie meinen, in welcher Beziehung ich zu Ihrem Vater stand?“

„So ungefähr.“

„Ich glaube, er mochte mich eben. Er war ein sehr ansehnlicher und mächtiger Mann. Bisher war seine Zuneigung zu mir immer nur platonischer Natur gewesen. Zumindest benahm er sich mir gegenüber so, daß ich das annehmen mußte. Ich bin hierhergekommen, um herauszufinden, ob seine Gefühle wirklich nur platonisch waren. Wenn nein - fürchte ich -, wäre ihm eine Abfuhr nicht erspart geblieben. Es stimmt: Ich mochte Ihren Vater. Aber eben auf eine andere Art und Weise. Bei Ihnen wäre es vielleicht anders…“

Sie zwinkerte ihm noch einmal zu, und bevor William Corry antworten konnte, hatte sie die Tür zum Nebenzimmer hinter sich ins Schloß gedrückt.

William war mit seinen Gedanken allein. An das Privatleben seines Vaters hatte William bislang nicht einmal Vermutungen verschwendet. Wenn er es richtig betrachtete, dann war sein Vater ihm eigentlich fremd. Er wußte sowenig von ihm.

Während er Wasser in die Badewanne laufen ließ, schaute er noch einmal die Akten durch, die Trenton ihm übergeben hatte. Über laufende Geschäfte bot sich kaum ein Hinweis. Es ging nur daraus hervor, daß Desmond Corry eine ganze Anzahl von Scheinfirmen unterhalten hatte und trotzdem nur rund zwanzig Angestellte beschäftigte. Doch sein Laden mußte vortrefflich funktioniert haben. William hatte das spätestens nach der Durchsicht jener Aufstellungen erkannt, die Aufschluß über die Vermögenslage seines Vaters gaben. Danach hatte Desmond Corry rund zweihundert Millionen auf die Seite gebracht und so angelegt, daß William nicht einmal eine Million Erbschaftssteuer zu zahlen brauchte. Desmond Corry war ein Fuchs gewesen. Er hatte seine Gewinne äußerst geschickt kaschiert.

William Corry konnte es nicht verhindern, aber sein Respekt vor seinem Vater stieg, je länger er in den Akten blätterte. Und in ihm verstärkte sich der Wunsch, die Mörder der Gerechtigkeit auszuliefern.

Desmond Corry mochte eine Menge auf dem Kerbholz gehabt haben. Er hatte Waffen an sämtliche Krisenherde dieser Welt verkauft. Ein Kavaliersdelikt? - Gewiß nicht! Doch machte der Staat etwas anderes? Desmond Corry hatte nur geschickt das Monopol des Staates umgangen.

William hatte Ebenezer Trenton aufgetragen, sämtliche Firmen seines Vaters aufzulösen und die Angestellten mit einer großzügigen Abfindung loszuwerden. Die Beträge waren so bemessen, daß es hier kaum Schwierigkeiten geben würde. Im Gegenteil: Die Angestellten mußten sich vorkommen, als hätten sie das Große Los gezogen.

Der junge Mann kleidete sich aus und stieg ins Wasser der Wanne, die gut und gerne auch drei Personen Platz geboten hätte. Offensichtlich war Desmond Corry auf dem Vergnügungssektor doch recht rührig gewesen. Irgendwie beruhigte es William, daß Chantal nicht vorgehabt hatte, zu einer seiner Bettgenossinnen zu werden.

Doch alles stimmte nicht mit dieser Frau. William nahm sich vor, ihr ein wenig auf den Zahn zu fühlen. Beim Essen würde sich Gelegenheit dazu bieten.

Louis Lavorne war ein Ungeheuer. Schlimmer noch. Im Volksmund würde man ihn vielleicht als „Monstrum“ bezeichnen, und diese Charakterisierung entspräche sogar den Tatsachen.

Der rote Henker hatte eine traurige Berühmtheit erlangt. Für viele Franzosen war diese Berühmtheit nicht nur traurig, sondern abstoßend gräßlich. Sie setzten den Namen von Louis Lavorne gleich mit dem des Teufels.

Und sie hatten recht damit.

Louis Lavorne war ein Teufel.

Der rote Henker hatte ein Schloß. Der Name war klangvoll: Chateau Brumbeau.

Doch in diesem Schloß wohnte das Entsetzen. Unzählige Morde wurden hier begangen. Im Namen der Gerechtigkeit. Im Namen der Freiheit.

Louis Lavorne war der Henker der Revolution.

Frankreich war ein Hexenkessel. Überall brodelte es. Die Volksstimmung kochte. Jahrhundertelang aufgestauter Haß gegen die herrschende Klasse der Adeligen, die immer mehr zu Drohnen des Reiches geworden waren, ohne auch nur den geringsten Nutzeffekt zu erzielen, brach durch, wie eine Sturmflut das Land überschwemmt.

Louis Lavorne schwamm oben auf dieser Welle. Er wurde der brutalste Henker. Wer ahnte schon, daß er seine perversen Gelüste hinter dem Deckmantel des Rechts versteckte. Louis Lavorne liebte es, den Strick zu ziehen, der das Fallbeil löste. Er liebte es, die Köpfe der Enthaupteten der johlenden Menge zu zeigen. Er genoß es.

Louis Lavorne war ein Mörder. Ein Massenmörder. Und die Mißgeburt, die sein Sohn war, eiferte ihm nach. Justin war schwachsinnig. Doch er taugte gut zum Morden. Sehr gut sogar. Er ererbte die Lust zum Töten von seinem Vater.

Wahllos wurde hingerichtet, was die Denunzianten aus allen Bevölkerungsschichten den Volkstribunalen lieferten. Männer, Frauen, Kinder.

Das Geschäft der Lavornes blühte.

Louis Lavorne legte alles auf den Richtblock, was die Henkerskarren ihm zuführten. Ohne Ansehen auf Person und Stand. Sogar vor dem Hinschlachten von Säuglingen schreckte er nicht zurück. Auch darin war Louis Lavorne Meister. Mit der Zeit wurde er zum meistgefürchteten Mann Frankreichs. Sein blutiger Ruf drang über die Grenzen hinaus.

Es wurde ungeheuer viel Blut vergossen. Damals, als Louis Lavorne und sein idiotischer Sohn lebten. Viel unschuldiges Blut.

Doch trotz aller Aufgeklärtheit wütete auch noch die Inquisition. Die letzte Hexe Frankreichs wurde 1776 in Lyon hingerichtet. Louis Lavorne war ihr Henker.

Marie Leclere war eine alte Vettel. Ungepflegt und stinkend. Doch sie war eine Hexe. Als man sie auf dem Stadtplatz von Lyon zum Richtplatz führte, wehrte sie sich mit allen Kräften. Doch die Schergen waren stärker. Sie wurde auf das Podest geschleppt, auf dem das frisch geschliffene Eisen der Guillotine in der Sonne glitzerte.

Louis Lavorne schaute die Frau an. Insgeheim spürte er, daß sie etwas Gemeinsames verband. Auch sie stand außerhalb aller gesellschaftlichen Regeln und Normen.

„Nun, Marie?“

„Scher dich zum Teufel. Du wirst mir den Kopf abhacken.“