122089.fb2 Der rote Henker - читать онлайн бесплатно полную версию книги . Страница 7

Der rote Henker - читать онлайн бесплатно полную версию книги . Страница 7

„Dann werde ich wohl bald wieder aufbrechen. Sehen wir uns später einmal? Bei einer besseren Gelegenheit?“

„Warum nicht?“

„Bald?“

Chantal war aufgestanden. Sie war das personifizierte Mitgefühl.

„Sie können nichts mehr ändern, Monsieur Corry. Was geschehen ist, kann nicht mehr rückgängig gemacht werden. Es war dumm von mir, überhaupt hierherzukommen. Ich könnte mich ohrfeigen. Aber ich war einfach zu neugierig auf Sie. Und das meine ich jetzt wirklich ehrlich.“

Das war phantastisch gut gespielt.

„Vielleicht treffen wir uns eher, als ich noch vor wenigen Minuten angenommen hatte…“

„Es würde mich sehr freuen. Sie müssen auf andere Gedanken kommen. Dieses dunkle Schloß hier ist nichts für Sie. Warum kommen Sie nicht gleich mit? Was hält Sie hier noch?“

„Eigentlich haben Sie recht. Ich war noch nie vorher in Frankreich.“

„Dann sollten Sie nicht in dieser Einöde versauern. Sie sind ein junger, kräftiger und obendrein gut aussehender junger Mann.“ Ihre Stimme wurde wieder verlockend.

„Was schlagen Sie vor?“ fragte er.

„Ich kann Ihnen nichts vorschlagen. Sie könnten es als Frivolität auslegen, die hier nicht am Platz ist. So kurz nach dem Tod Ihres Vaters. Sie haben mich schon einmal mißverstanden.“

Das hatte William Corry mit Sicherheit nicht, aber das wußte er auch. Diese Frau wollte ihn vom Schloß wegbringen, und sie mußte einen Grund dafür haben. Konnte er über sie den Kontakt zu den Mördern seines Vaters finden? Er durfte sich diese Chance auf keinen Fall entgehen lassen.

„Ich halte Sie nicht für frivol“, sagte William Corry. „Ich möchte gern mit Ihnen irgendwo hinfahren.“

Chantal Valet lächelte erfreut. Sie konnte es nicht ganz verbergen, daß auch Triumphgefühl durch ihr Lächeln schimmerte.

„Ich freue mich, daß ich Sie umstimmen konnte. Sie werden es nicht bereuen.“

„Frankreich ist sicher sehr schön“, schmunzelte William Corry. Chantal Valet hätte schleunigst das Haus verlassen, wenn sie gewußt hätte, warum William schmunzelte.

Chantal hatte nach dem Essen Kopfschmerzen vorgeschützt und sich hingelegt. William sah einen jungen Mann ihr Zimmer betreten, den er vorher nicht gesehen hatte. Es war ihm aufgefallen, daß der Mann eine Unmenge Pickel im Gesicht hatte. Er hatte ein Tablett mit einem Glas Wasser und einer Röhre Pillen vor sich hergetragen.

Jetzt stand William Corry im weiträumigen Park vor dem Schloß. Es hatte zu regnen aufgehört. Die Sonne lugte schon wieder aus den Nebelschleiern hervor. Dampf stieg aus den Grünflächen gegen den langsam blauer werdenden Himmel. William suchte Jean Cranisse, den Gärtner. Der Butler hatte ihn am Vormittag nicht mehr finden können.

Trotzdem der Park sehr weitläufig war, fand William den Gärtner auf Anhieb. Er machte sich zwischen zwei langgestreckten Treibhäusern zu schaffen und zupfte Unkraut zwischen den Steinfliesen des Ganges heraus, der die Glashäuser trennte.

„Monsieur Cranisse?“

William Corry sprach leidlich Französisch. Er hatte es auf dem College gelernt. Es reichte nicht aus, um über irgendein Gebiet fachzusimpeln, doch für den Hausgebrauch tat es seine Dienste vorzüglich. Corry wollte nicht fachsimpeln. Er wollte sich vom Gärtner den Raum zeigen lassen, in dem er zusammen mit Grenouille die Leiche seines Vaters gefunden hatte. Ein Drang, der tief in seinem Innern saß, zwang William dazu, den Platz zu sehen.

Der Gärtner erhob sich ohne Eile. Er machte keine Anstalten, dem Fremden seine Hand zum Gruß entgegenzustrecken. Jean Cranisse war schon ergraut. Doch sein Gesicht hatte die gesunde Bräune eines Mannes, der sein Leben zufrieden und zum größten Teil draußen in der freien Natur zugebracht hat. Seine Augen waren von der Arbeit in der Sonne zusammengekniffen. Er war etwas kleiner als William und schaute ihn von unten herauf an.

„Sie müssen Monsieur Corry sein“, sagte er. „Meine Tochter hat mir schon von Ihnen erzählt. Sie sind doch Monsieur Corry?“

„Ja, der bin ich. Ich freue mich, Sie kennenzulernen. Sie haben eine sehr reizende Tochter.“

„Hm“, brummte der Mann und hielt dieses Thema damit für abgeschlossen. „Werden Sie lange bleiben? Ich meine: Wollen Sie das Schloß wieder verkaufen? In der Zeitung habe ich gelesen, daß Sie ein Rechtsanwalt aus Boston sind.“

„Ich weiß es noch nicht“, gestand William ehrlich. „Doch vermutlich werde ich den Besitz behalten. Ich möchte auch Sie behalten. Noch nie habe ich einen schöneren Garten gesehen.“

Jean Cranisse stemmte seine Arme in die Hüften und ließ seinen Blick über die Anlage schweifen, als gehörte sie ihm. In gewisser Hinsicht war es ja auch so. Er hatte jede Blume hier gepflanzt, von ihm stammten die geometrischen Muster der Rabatten, er hatte jeden einzelnen Stein der Begrenzungsmauern aufeinandergeschichtet. Dieser Garten war sein Leben.

„Er ist nicht schlecht“, sagte Cranisse.

„Machen Sie weiter wie bisher. Besser kann es niemand machen.“

„Ich hänge an dem Garten. Ich versorge ihn schon seit zwanzig Jahren.“

„Sie kannten meinen Vater?“

„Sie sollten mich fragen, ob ich ihn gesehen habe. Ja, gesehen habe ich ihn. Aber gekannt habe ich ihn nicht. Er kümmerte sich nicht um den Garten.“

„Mein Vater hatte kein sonderliches Interesse an der Natur.“

„Er war nicht glücklich. Sie mögen Blumen? Den Duft von Heu, das in kleinen Ballen auf den Wiesen trocknet? Den Regen, wenn er vom Himmel fällt und den Gräsern ihr saftiges Grün verleiht?“

„Ich bin in jeder freien Minute draußen“, sagte William Corry. Er wollte den Gärtner für sich gewinnen. Teils aus Berechnung, teils weil er ihm wirklich sympathisch war. „Ich habe nur leider viel zu selten Gelegenheit dazu. Wenn man von Boston, meiner Heimatstadt, nach Westen fährt, kommt man in die Green Mountains. Auch dort ist das Gras grün und saftig wie hier. Leider wächst bei uns kein Wein.“

„Ein Weinberg gehört auch zum Schloß.“

„Das wußte ich gar nicht. Sie müssen ihn mir bei Gelegenheit unbedingt einmal zeigen.“

„Sehr gerne, Monsieur.“

„Aber das geht jetzt noch nicht. Sie verstehen? Ich habe sehr vieles zu erledigen.“

„Verstehe ich.“

„Waren Sie nicht dabei, als man meinen Vater fand?“

Jean Cranisse nickte.

„Traurige Geschichte.“

„Würde es Ihnen etwas ausmachen, mir den Raum zu zeigen? Mit Richard komme ich nicht zurecht.“

„Er ist stumm“, sagte Cranisse. „Auch eine traurige Geschichte. Früher konnte er reden wie ein Buch. Aber dann haben ihn die Nazis die Zunge herausgeschnitten. Oder war's die Resistance? Ich weiß es nicht. Waren ziemlich wirr, die Zeiten damals.“

„Zeigen Sie mir den Raum, in dem das mit meinem Vater passiert ist?“

Jean Cranisse zögerte.

„Ungern“, sagte er schließlich. „Ich gehe nicht gern in die Gewölbe. Ich bekomme Platzangst, wenn ich den Himmel nicht über mir sehe. Aber ich tu's, weil Sie es sind.“

Er legte die Harke beiseite, die er die ganze Zeit über in der Hand gehalten hatte. William wollte sich zum Schloß wenden.