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Und vielleicht nicht nur darum.
Das Heulen der ersten Polizeisirene war mittlerweile verstummt; der Wagen hatte vermutlich sein Ziel erreicht und vor der Klinik angehalten, aber das Geräusch des zweiten Streifenwagens kam immer näher, und irgendwo in der Ferne wimmerte noch ein drittes Martinshorn. Was immer Schneider mit seinem Anruf ausgelöst hatte, war weit mehr als ein normaler Polizeieinsatz und auf jeden Fall wohl mehr, als er selbst erwartet hatte. Salid schien dieser Gedanke jedoch nicht zu stören – er wartete in aller Seelenruhe, bis das an-und abschwellende Heulen herankam, dann riß er dieTür auf und stolperte mit wild rudernden Armen einen Schritt auf den Bürgersteig hinaus. Brenner beobachtete vollkommen verständnislos, wie er auf die Knie sank, seinen Sturz im letzten Moment mit den Händen ab fing und sofort wieder die Arme in die Höhe riß, um wild damit zu gestikulieren. Das Heulen der Sirene schwoll mittlerweile weiter an, und als Salid sich mit hastig-ungeschickten Bewegungen in die Höhe stemmte, wurde er von einem grellen Scheinwerferstrahl erfaßt. Salid riß schützend den linken Unterarm vor das Gesicht und torkelte weiter auf die Straße hinaus.
»Er ist hier! « schrie er. »Hierher! Schnell! «
Bremsen kreischten. Für eine oder zwei Zehntelsekunden war Brenner felsenfest davon überzeugt, daß der Streifenwagen Salid erfassen und einfach niederwalzen würde, aber der Fahrer reagierte im letzten Moment. Der grünweiße Passat schleuderte zur Seite, verfehlte Salid um kaum einen halben Meter und kam quer zur Fahrtrichtung zum Stehen.
» Er ist hier! « schrie Salid erneut. »Im Park! Schnell! «
Die Türen des Streifenwagens wurden gleichzeitig aufgerissen, und zwei Beamte stürzten heraus. Der eine hatte seine Waffe bereits gezogen, der andere tat es, während er ins Freie sprang.
»Sind Sie lebensmüde, Mann?« schrie er. »Was ist los?« Salid taumelte auf den Beamten zu, wobei er sich weit nach vorne beugte und zugleich noch immer den Arm vor das Gesicht hielt, als blende ihn das grelle Scheinwerferlicht. In Wirklichkeit konnten die beiden so nicht genau erkennen, wen sie eigentlich vor sich hatten – und genau das war schließlich der Sinn dieses perfekt inszenierten Auftritts. »Er ist im Park!« keuchte er. »Seien Sie vorsichtig! Er hat eine Waffe! Er hat den Priester erschossen! «
Auch der zweite Beamte war mittlerweile um den Wagen herumgeeilt. Seine Waffe war dabei auf Salid gerichtet gewesen, aber nun schwenkte er sie herum und richtete sie ganz instinktiv auf das offenstehende Gittertor – und damit auf Brenner, dem jäh zu Bewußtsein kam, daß er von der Straße aus deutlich als dunkler Umriß hinter demTor zu sehen sein mußte. Und daß die beiden Polizisten ihn nach Salids Worten zweifellos für den Mörder hielten, den sie jagten. Vielleicht erlagen sie diesem Irrtum nur eine Sekunde, aber das war mehr, als Salid brauchte. In einer einzigen blitzschnellen Bewegung richtete er sich auf, schlug einem der beiden Beamten die Waffe aus der Hand und schmetterte dem anderen den Unterarm gegen die Kehle. Der Polizist sank keuchend in die Knie, schlug die Hände gegen den Hals und rang verzweifelt nach Luft, während sein Kollege die Arme in die Höhe riß, um Salid anzugreifen.
Er hatte nicht einmal die Spur einer Chance. Salid blockte seinen Hieb mit dem Ellbogen ab, tänzelte zur Seite und versetzte ihm einen Faustschlag, der ihn rücklings über die Motorhaube des Streifenwagens schleuderte. Blitzschnell setzte er ihm nach, riß ihn in die Höhe und versetzte ihm einen zweiten, noch härteren Schlag. Der Mann erschlaffte in seinen Armen. Salid warf ihn achtlos zu Boden und drehte sich herum.
»Los! «
Wenn es noch eines Beweises bedurft hätte, daß etwas in ihm Salid gehorchen wollte, dann hätte er ihn jetzt gehabt. Brenners Füße setzten sich wie von selbst in Bewegung. Er stürmte aus demTor und auf Salid und den Streifenwagen zu, so schnell er konnte, obwohl in seinem Kopf eine immer lauter werdende Stimme war, die ihm zuschrie, daß das, was er tat, nicht nur an Wahnsinn grenzte, sondern diese Grenze eindeutig überschritten hatte. Er hatte seine Chance gehabt. Salid war nur wenige Sekunden fort gewesen, aber diese Zeit hätte Johannes und ihm trotzdem gereicht, in der Dunkelheit des Parks zu verschwinden. Warum hatten sie es eigentlich nicht getan? Warum, um alles in der Welt, hatten sie es nicht getan?
Wahrscheinlich gab es keine Erklärung; und wenn, dann keine, die er im Moment ertragen hätte. Salids unheimlicher Bann über ihn hielt auf jeden Fall noch immer an – und ganz offensichtlich wirkte er genauso auf Johannes; denn auch er hatte sich – wenn auch nach einem winzigen Zögern – in Bewegung gesetzt.
Salid riß die hintere Tür des Streifenwagens auf und stieß Brenner kurzerhand hinein, ehe er auch nur irgend etwas sagen konnte. Danach wandte er sich an Johannes. »Können Sie Auto fahren?«
»Nicht besonders gut«, antwortete Johannes. »Und ne nnen Sie mich nicht – «
»Dann wird es Zeit, daß Sie es lernen«, unterbrach ihn Salid. Er versetzte Johannes einen Stoß, der ihn unsanft hinter das Steuer beförderte, und eilte hastig um den Wagen herum. Bevor er einstieg, beugte er sich zu dem bewußtlosen Polizeibeamten hinab und nahm dessen Waffe an sich. Brenner war nicht besonders überrascht, aber Johannes starrte die Waffe mit einem Ausdruck an, der unter allen anderen vorstellbaren Umständen einfach nur komisch gewesen wäre.
Und für Salid offenbar sogar unter diesen, denn er grinste plötzlich breit, nahm die Pistole in die linke Hand und versenkte die andere in die Jackentasche. Als er sie wieder herauszog, war sie immer noch leer, aber er streckte den Zeigefinger aus, hob den Daumen nach oben und sagte: »Reingelegt.«
»Sie hatten gar keine Waffe«, sagte Johannes.
Stimmt, antwortete Salids Blick. Aber ich hätte dich trotzdem schneller umbringen können, als du es dir auch nur vorstellen kannst. Laut sagte er: »Sie sind zu leichtgläubig, mein Freund. Und jetzt fahren Sie los – bitte.«
Johannes starrte ihn noch einen winzigen Moment lang zornig an, aber er mußte wohl auch den Teil von Salids Antwort verstanden haben, den er nicht laut ausgesprochen hatte, denn er widersprach nicht mehr, sondern legte den Gang ein und fuhr behutsam an. Salid streckte die Hand aus und schaltete mit einer raschen Bewegung Sirene und Blaulicht des Streifenwagens ab.
Es konnte nicht gutgehen. Brenner wußte es. Er war mitten in einer verrückten Geschichte, die nicht funktionieren konnte. Die Zeit arbeitete gegen sie, und alle Gesetze der Wahrscheinlichkeit und Logik ebenso. Trotz allem waren zwar erst wenige Sekunden vergangen, seit Salid den Streifenwagen angehalten und die beiden Polizisten überwältigt hatte, auch wenn es ihm vorgekommen war wie eine Ewigkeit. Aber
Schneider und die anderen würden auch nur wenige Sekunden brauchen, um den Polizisten zu sagen, in welcher Richtung sie geflohen waren. Brenner hielt instinktiv den Atem an, als sie den Klinikeingang passierten. Der zweite Streifenwagen stand schräg auf dem Bürgersteig, und von seinen beiden Insassen war keine Spur zu sehen.
Trotzdem: Es konnte nicht gutgehen.
Aber es ging gut. Sie passierten das Krankenhaus unbehelligt, und während hinter ihnen das Heulen einer weiteren Polizeisirene anschwoll, erreichten sie das Ende der Straße und bogen nach rechts ab.
Auf der Gardinenleiste saß eine Spinne. Sie war nicht besonders groß, noch benahm sie sich in irgendeiner Weise auffällig, sondern hockte ganz im Gegenteil seit mindestens einer halben Stunde mucksmäuschenstill da, als spüre sie ganz genau, daß mißtrauische Augen sie in jeder Sekunde beobachteten und nur auf das geringste Lebenszeichen warteten.
Natürlich würde es ihr nichts nutzen. Charlotte hatte das kleine Miststück mit dem ihr angeborenen untrüglichen Instinkt für Schädlinge und Schmutz entdeckt, kaum daß es aus seinem Versteck herausgekrochen war, und der einzige Grund, aus dem es überhaupt noch am Leben war, war der, daß Charlotte bisher einfach nicht die Zeit gefunden hatte, ihm den Garaus zu machen. Nebst einer Trittleiter oder einem passenden Stuhl, mittels dessen sie ihre mit einhundertdreiundsechzig Zentimetern Körpergröße gepaarten neunzig Kilogramm auf das Niveau des achtbeinigen Scheusals dort oben hinaufbefördern konnte, hieß das.
Was die Zeit anging, die würde sie sich jetzt nehmen, ganz gleich, was passierte, und das passende Kletterwerkzeug hielt sie in der rechten Hand. Sie war ganz außer Atem, denn sie war eigens in den Keller hinuntergegangen, um die dreistufige Aluminiumleiter zu holen, und so verlängerte sich die Lebenserwartung dieses schmutzigen kleinen Mistviehs dort oben noch einmal um etliche Sekunden, die sie brauchte, um ihre Last abzusetzen und Luft zu holen. In letzter Zeit bereitete es ihr immer größere Mühe, Treppen zu steigen, und das lag nicht nur an ihrem Zigarettenkonsum, wie ihr wohlmeinende Leute immer wieder einzureden versuchten, sondern wohl eher an der Tatsache, daß sie in wenigenTagen ihren sechzigsten Geburtstag feiern würde. Sie war eindeutig nicht mehr in dem Alter, die steile Treppe ins Kellergeschoß hinunter-und mit einer sperrigen Last in der Hand wieder hinaufzuspringen. Sie spürte jede einzelne Stufe, die sie genommen hatte, schon jetzt schmerzhaft in den Knochen, und morgen früh würde sie sie doppelt schmerzhaft spüren.
Aber was sein mußte, mußte sein.
Dabei hatte sie im Grunde gar nichts gegen Spinnen. Nicht im Besonderen, hieß das. Ebensowenig wie sie irgend etwas gegen Ratten, Mäuse, Wanzen, Hunde, Kakerlaken, Katzen oder anderes Getier hatte – solange es nur dem Hotel fernblieb. Haustiere waren hier nicht erlaubt, und das galt für jegliche Art von Getier, unabhängig von seiner Größe, Aussehen oder der Anzahl seiner Beine. Charlotte leitete die Pension seit vierzig Jahren, und sie war stolz darauf, daß sich in diesen Jahren nicht ein einziger Gast über irgendwelches Ungeziefer beschwert hatte.
Möglicherweise lag das allerdings daran, daß der Unterschied zwischen den meisten ihrer Gäste und dem, was Charlotte als Ungeziefer bezeichnete, nicht allzu gravierend war. Vielleicht bestand er tatsächlich nur in der Größe und der Anzahl ihrer Extremitäten …
Sie wollte weitergehen, aber ihr Herz klopfte noch immer wild, und sie spürte erst jetzt richtig, wie sehr sie der Weg in den Keller und zurück erschöpft hatte: Ihre Knie zitterten, und die Luft in ihrer Kehle schmeckte scharf; ein wenig nach Kupfer. Sie maß die kaum kleinfingernagelgroße Spinne über der Gardinenleiste mit einem mißtrauischen Blick, kam zu dem Schluß, daß sie sich in den nächsten zwei Minuten wahrscheinlich ebensowenig bewegen würde wie in der halben Stunde zuvor, und klappte dieTrittleiter kurzerhand auf, um sich für einen Moment darauf niederzusetzen. Nur bis sie wieder einigermaßen zu Atem gekommen war. Es kam selten vor, aber in Momenten wie diesen machte ihr ihr Übergewicht doch zu schaffen, sowohl das an Körpermasse als auch das an Jahren. In letzter Zeit waren diese Momente häufiger geworden, und Charlotte mutmaßte nicht zu Unrecht, daß sie sich bald noch mehr häufen würden. Sie hatte nicht mehr sehr lange zu leben, das wußte sie.
Dieses Wissen hatte nichts mit irgendwelchen medizinischen Gründen zu tun, noch erschreckte es sie. Sie rauchte zuviel, sie schlief zu wenig, und sie aß zuviel und hatte entsprechendes Übergewicht, aber sie ließ sich zweimal im Jahr gründlich untersuchen, und das unwillige Kopfschütteln ihres Arztes, jedesmal wenn er die Untersuchungsergebnisse vor sich auf dem Tisch liegen hatte, hatte nichts mit irgendwelchen Krankheiten zu tun, sondern einzig damit, daß sie – Zitat: – in Anbetracht ihres Lebenswandels schon geradezu kriminell gesund war.
Trotzdem änderte das nichts daran, daß ihre Lebensuhr zum größtenTeil abgelaufen war. Sie war sechzig – oder würde es jedenfalls in einigen Tagen werden – , und sie hatte den größten Teil der ihr zugedachten Spanne hinter sich. Sie hatte vielleicht noch zehn Jahre, möglicherweise auch fünfzehn, aber kaum mehr. Das war in Ordnung. Sie hielt nichts davon, neunzig zu werden und als seniles Wrack in einem Rollstuhl zu enden. Sie hatte ein ziemlich gutes Leben gehabt – über weite Strecken hinweg zumindest – , und sie wollte sich nicht beschweren. Bei wem auch?
Sie war mittlerweile weit genug zu Atem gekommen, um den zweiten Teil ihrer Expedition in Angriff nehmen zu können. Sie streckte den rechten Arm aus, zog sich am Türgriff in die Höhe und wollte in der gleichen Bewegung nach derTrittleiter greifen, als es klingelte.
Charlotte verharrte für einen Moment mitten in der Bewegung; überrascht, und aus einem ihr selbst nicht ganz einsichtigen Grund auch ein wenig beunruhigt. Es war nahezu vier; selbst für sie eine ungewöhnliche Zeit. Auf der anderen Seite aber auch nicht so ungewöhnlich, daß sie übermäßig erstaunt oder gar erschrocken hätte sein dürfen. Die Zeiten, in denen ihr Hotel vornehmlich Gäste aufgenommen hatte, die sich anmeldeten und zu halbwegs normalen Zeiten an-und abreisten, waren längst vorbei, falls es sie überhaupt jemals wirklich gegeben hatte.
Die Gäste, die heutzutage kamen, pflegten sich nicht anzumelden, und die meisten hatten nicht einmal Gepäck. Die meisten blieben auch nicht lange: zwei, manchmal drei Stunden, selten eine ganze Nacht.
Trotzdem war sie beunruhigt und auf eine schwer greifbare Weise alarmiert. Vielleicht lag es an den Polizeisirenen, die sie vorhin gehört hatte, als sie auf der Kellertreppe gewesen war. Ziemlich viele Sirenen, die zwar nicht in unmittelbarer Nähe erschollen, aber auch nicht sehr weit entfernt.
Es klingelte zum zweitenmal, und Charlotte gemahnte sich selbst daran, daß dieses nächtliche Klingeln zumindest eine potentielle Einnahme bedeutete – und sie jeden Pfennig bitter nötig hatte. Die Gäste ihres Etablissements kamen nicht nur unangemeldet und zu manchmal unmöglichen Zeiten, sie kamen in letzter Zeit auch immer seltener.
Sie warf der kleinen Spinne über dem Fenster einen Blick zu, der sehr deutlich machte, daß die Sache zwischen ihnen nur aufgeschoben war, nicht vergessen, dann wandte sie sich rasch um und verließ das Zimmer. Als sie den Korridor betrat und sich der halb verglasten Eingangstür näherte, klingelte es zum drittenmal; und diesmal hielt der Ton länger an, und er klang irgendwie … ungeduldig. Wer immer dort draußen stand, hatte es eilig. Aber vermutlich galt das für jeden, der nachts um vier ein Hotelzimmer brauchte. Durch das bunte Tiffany-Glas hindurch konnte sie einen hochgewachsenen, schwarzen Schatten erkennen, der genau in diesem Moment den Arm hob, um zum viertenmal den Klingelknopf zu drücken.
»Schon gut, schon gut!« rief Charlotte. »Ich komme. Kein Grund, das ganze Haus wachzuklingeln! «
Tatsächlich senkte der Schatten den Arm wieder, bewegte sich aber ansonsten nicht. Von dem höflichen halben Schritt zurück von der Tür schien der nächtliche Besucher nichts zu halten – falls er jemals davon gehört hatte. Charlotte bezweifelte es.
Sie erreichte deeTür, drückte die Klinke aber nicht herunter, sondern öffnete das kleine Fenster in Form eines Kolibris, das in die Mitte derTiffany-Arbeit eingelassen war. »ja, verdammt
– was gibt es denn?«
Sie war selbst ein wenig erstaunt über den scharfen Ton in ihrer Stimme. Normalerweise war es nicht ihre Art, so mit Gästen zu reden; nicht einmal, wenn sie um diese Zeit kamen. Aber normalerweise erschrak sie auch nicht, wenn es morgens um vier an derTür klingelte.
Vor ihr stand ein sehr groß gewachsener, dunkelhaariger Mann, dessen Gesicht sie im blassen Schimmer des Mondlichtes nicht richtig erkennen konnte, obwohl er nahe genug gewesen wäre, um ihn zu berühren. Aber sie sah zumindest, daß es scharf geschnitten war und mit ziemlicher Wahrscheinlichkeit einem Ausländer gehörte. Nicht, daß Charlotte etwas gegen Ausländer hatte – ebensowenig wie gegen Spinnen, Hunde oder Katzen. Solange sie blieben, wo sie hingehörten, störten sie sie nicht.
Die Worte, die der Fremde an sie richtete, bestätigten ihren ersten Eindruck. Er sprach perfekt Deutsch; schnell und so akzentfrei, daß es schon fast wieder auffiel. Trotzdem spürte man irgendwie, daß er sich nicht in seiner Muttersprache ausdrückte.
»Bitte entschuldigen Sie die späte Störung«, begann er. »Aber wir haben das Schild gesehen, und unten brannte noch Licht.«
Er trat nun doch einen Schritt zurück und deutete mit einer komplizierten Geste nacheinander auf das kleine Neonschild neben derTür, das »ZIMMER FREI« verkündete, das erleuchtete Fenster daneben und dann auf eine weitere Gestalt, die ein paar Schritte hinter ihm im Dunkeln stand. Etwas an ihr war seltsam, aber Charlotte konnte im ersten Moment nicht genau sagen, was. Irgendwie stimmten ihre Umrisse nicht.
»Wissen Sie, wie spät es ist?« fragte Charlotte mißtrauisch. Der Ausländer nickte und zwang ein Lächeln auf sein Gesicht, das so falsch war, daß Charlotte fast davor erschrak. »ja. Ich entschuldige mich noch einmal für die Störung. Wir wollten Sie nicht wecken, aber … wir können heute nacht nicht weiter, und wir sind fremd hier und kennen uns nicht aus.«
Charlotte winkte ab. Sie versuchte, möglichst unauffällig an dem Ausländer vorbeizusehen, um dahinterzukommen, was mit dem Umriß seines Begleiters nicht in Ordnung war. Er wirkte irgendwie … zu breit. Aber das Licht draußen war sehr schwach. Der Himmel hatte sich wieder zugezogen, und er war nicht nahe genug, um ihn im Lichtschein zu erkennen, der aus dem Fenster fiel. Charlotte fragte sich, ob das Absicht war.