122098.fb2 Der Wiedersacher - читать онлайн бесплатно полную версию книги . Страница 38

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Es war sehr still im Inneren des Einsatzwagens. Die einzigen Geräusche, die zu hören waren, waren das von statischem Rauschen untermalte Brabbeln des Funkverkehrs und ein regelmäßiges metallisches Klicken, das daher kam, daß der junge Streifenpolizist neben Heidmann nervös an seiner Waffe herumspielte. Heidmann hatte ihn deshalb schon ein halbes dutzendmal angesehen – und sich bei dieser Gelegenheit jedesmal davon überzeugt, daß die Pistole gesichert war – , und der Junge hatte seine nervösen Fingerübungen auch jedesmal eingestellt, aber nie für sehr lange. Heidmann konnte ihn verstehen. Der junge Streifenpolizist – Heidmann schätzte ihn auf allerhöchstens zwei-, dreiundzwanzig, und wenn er Pech hatte, war dies sogar sein erster richtiger Einsatz – war nicht der einzige hier, der nervös war und vermutlich Angst hatte. Außer ihm, Heidmann selbst und den beiden Abhörspezialisten, hielten sich noch fünf weitere uniformierte Beamte im Inneren des rundum geschlossenen Ford Transit auf, der fünfzig Meter entfernt von der Pension geparkt auf dem Bürgersteig stand, und sie alle waren nervös und hatten auf die eine oder andere Weise Angst. Einige mehr, einige weniger. Aber vermutlich hatte er von allen hier die größte Angst vor dem, was auf sie zukommen mochte – ganz einfach, weil er sich vermutlich am besten vorstellen konnte, was wirklich möglich war.

Unglückseligerweise war er auch der Leiter dieser kleinen Einsatzgruppe und durfte seine Furcht nicht zeigen, aber vielleicht konnte er sie als Vorsicht tarnen.

»Sie kommen.«

Heidmann warf dem Mann hinter dem Steuer einen bösen Blick zu, ehe er dessen ausgestreckter Hand folgte. Es dauerte einen Moment, bis er die beiden dunkel gekleideten Gestalten identifizierte, die sich dem Wagen näherten. Sie gaben sich nicht einmal Mühe, zu schleichen oder besonders unauffällig zu sein, aber allein die Farbe ihrer Kleidung ließ sie beinahe mit der Nacht verschmelzen. Heidmann stand auf, ging gebückt nach hinten und öffnete eine Hälfte der hinteren Wagentür, gerade als einer der beiden die Hand nach dem Griff ausstreckte.

»Kommissar Heidmann?« Der amerikanische Akzent war unüberhörbar, und zumindest den, der ihn angesprochen hatte, hätte He idmann auch so auf den ersten Blick als CIA-Agent erkannt, denn er entsprach so genau dem Klischee, als wäre er eigens nach diesen Kriterien ausgesucht worden: Er war mindestens eins neunzig groß und hatte eine entsprechende Schulterbreite, die Hände und das Gesicht eines Preisboxers und einen blonden Bürstenhaarschnitt. Er mußte sich bücken, um zu Heidmann in den Wagen hinaufzusteigen.

Sein Begleiter schien das genaue Gegenteil: ein kleiner, drahtiger Bursche in einem zerknitterten Anzug, der jedoch den gleichen Friseur zu haben schien und sich auf eine schwer zu beschreibende Art ähnlich bewegte wie der erste.

Heidmann ließ die beiden Männer einsteigen, schloß die Tür hinter ihnen und wandte sich dann mit einer betont langsamen Bewegung um. Sein Blick glitt dabei unauffällig über die Gesichter der Polizeibeamten, die auf der harten Bank auf der rechten Seite des Wagens Platz genommen hatten, und er sah überall den gleichen Ausdruck: eine Mischung aus Nervosität, Anspannung und zumindest bei zweien oder dreien eine ungesunde Bewunderung, die wahrscheinlich weniger den beiden Amerikanern galt als vielmehr dem, was sie waren.

»Ich bin Kommissar Heidmann«, sagte er überflüssigerweise und ganz instinktiv an den größeren der beiden gewandt, der, der ihn gerade angesprochen hatte. »Und Sie sind – ?« »Smith, CIA«, antwortete der blonde Riese. Er ignorierte Heidmanns ausgestreckte Hand, lächelte aber für einen Moment durchaus freundlich und deutete dann mit einer Kopfbewegung auf seinen Begleiter. »Das ist Agent Kenneally. Und ehe Sie fragen: Ich heiße wirklich Smith.«

Heidmann lachte, aber Smith wurde sofort wieder ernst, wandte sich mit einem fragenden Blick an die beiden Männer auf der linken Seite des Wagens. Anstelle einer Sitzbank gab es dort einen schmalen Tisch, auf dem sich Dutzende kompliziert aussehender elektronischer Apparaturen um den Platz stritten. Einer von beiden lauschte gebannt in seine Kopfhörer und beobachtete dabei scheinbar konzentriert das langsame Drehen der überdimensionalen Spulen eines Tonbandgeräts. Auch der andere trug einen Kopfhörer, hatte ihn aber so aufgesetzt, daß das linke Ohr frei blieb. »Wie sieht es aus?«

Der Beamte warf Heidmann einen fragenden Blick zu, auf den dieser mit einem angedeuteten Kopfnicken reagierte, bevor er antwortete. »Sie sind es, gar kein Zweifel.«

Smith tauschte einen bezeichnenden Blick mit Kenneally, dann wandte er sich an Heidmann, während er gleichzeitig ein kaum zigarettenschachtelgroßes Funkgerät aus der Tasche seines Maßanzuges zog. »Sie haben nichts unternommen?«

Heidmann begriff erst mit ein oder zwei Sekunden Verzögerung, daß diese Frage eine zumindest versteckte Beleidigung beinhaltete, denn seine Befehle waren in dieser Richtung eindeutig gewesen. Smith schien sein Schweigen jedoch schon als Antwort angenommen zu haben, denn er drückte die Taste seines Funkgerätes und begann leise und so schnell in seiner Muttersprache hineinzusprechen, daß Heidmann kaum ein Wort verstand, obwohl er sich eigentlich einbildete, ganz gut Englisch zu können. Zumindest bekam er genug mit, um zu begreifen, daß Smith einigen anderen Männern Anweisungen gab, sich bereitzuhalten.

Heidmann fragte sich, wie viele dort draußen in der Dunkelheit wohl warten mochten. Nach allem, was er über Salid gehört hatte, wahrscheinlich die halbe CIA. Und jeder Polizeibeamte aus zwanzig Kilometern Umkreis, egal ob er Dienst hatte oder nicht. Abu el Mot konnte sich im Moment mit großer Wahrscheinlichkeit der zweifelhaften Ehre rühmen, der meistgesuchte Mann der Welt zu sein.

Smith steckte sein Funkgerät wieder ein und wandte sich an den Mann amTonband. »Worüber reden sie?«

Der Mann zog den Kopfhörer ganz herunter und sah für einenMoment fast hilflos aus. »Über … Gott«, sagte er. »Wie?« fragte Heidmann.

»Über Gott und das Jüngste Gericht«, bestätigte der Beamte.

»Er hat einen Priester dabei«, sagte Kenneally.

»Den Jesuitenpater, den er entführt hat«, fügte Heidmann hinzu.

»Es steht nicht fest, ob er ihn wirklich entführt hat«, erwiderte Kenneally. »Und selbst wenn – das ändert nichts daran, daß der Mann gefährlich ist. Sind Sie sicher, daß sie keinen Verdacht geschöpft haben?«

Der Mann am Tonband schüttelte überzeugt den Kopf und strich fast liebkosend mit der Hand über seine Geräte. »Wir sind nicht einmal in die Nähe des Hauses gekommen«, sagte er. »Das ist auch nicht nötig. Sie können jedes Wort hören, das sie sprechen, über fünfzig Meter hinweg und durch eine geschlossene Glasscheibe. So deutlich, als stünden sie hier im Raum.« Er hob die Hand und streichelte seine Geräte, und er sah Kenneally dabei auffordernd an, als warte er nur auf eine entsprechende Frage, um die Vorzüge seiner technischen Wunderwerke rühmen zu können. Als diese nicht kam, wirkte er ein wenig enttäuscht, sagte aber nichts mehr.

»Okay«, sagte Smith. Er wandte sich direkt an Heidmann: »Das war gute Arbeit, Herr Kommissar. Ab jetzt übernehmen wir den Fall.« Er wollte unverzüglich an Heidmann vorbei und wieder zurTür gehen, aber Heidmann hielt ihn rasch am Arm zurück.

»Einen Moment«, sagte er.

Smith blickte stirnrunzelnd auf Heidmanns Hand, die auf seinem Unterarm lag, und Heidmann löste beinahe hastig seinen Griff. Trotzdem fuhr er ruhig, aber mit großem Nachdruck in der Stimme fort: »Ich habe andere Befehle, Agent Smith.«

Smith' Blick zeigte nicht die mindeste Regung; seine Augen waren kalt wie bemalte Glaskugeln. »Und wie lauten diese Befehle?«

»Ich soll Sie in jeder erdenklichen Form unterstützen«, antwortete Heidmann. »Aber das bedeutet nicht, daß ich die Hände in den Schoß lege und zusehe.«

»Sie unterstützen uns genug, wenn Sie uns unsere Arbeit tun lassen«, sagte Smith. »Salid ist unser Problem. Wir sind seit zehn Jahren hinter ihm her.«

»Das war er vielleicht«, antwortete Heidmann. »Jetzt ist er es nicht mehr. Er hat einige hundert Bürger unseres Landes umgebracht, Mr. Smith. Wir werden diese Geschichte gemeinsam durchziehen.«

Smith' Augen blieben weiter so ausdruckslos und kalt wie bisher, aber Heidmann konnte regelrecht sehen, wie es dahinter arbeitete. »Seien Sie vernünftig, Herr Kommissar«, sagte er. »Es ist – «

»Ich bin vernünftig«, unterbrach ihn Heidmann, eine Spur lauter und eine Spur schärfer. »Ich befolge nur meinen Auftrag. «

»Ich könnte Sie zwingen«, sagte Smith.

»Tun Sie das«, erwiderte Heidmann ruhig. »Aber solange mir niemand das Gegenteil befiehlt, werde ich tun, wozu ich hergeschickt wurde: Ihnen dabei helfen, diesen Terroristen zu fangen. « Und dafür sorgen, daß er diese Nacht überlebt, fügte er in Gedanken hinzu. Vielleicht tat er Smith und seinem Kollegen damit ja unrecht, aber er hatte das Gefühl, daß der Auftrag der beiden CIA-Agenten diesen Umstand nicht unbedingt einschloß.

»Wir stehen auf derselben Seite, Agent Smith«, fuhr er fort. Smith blickte ihn noch einen Moment lang nun fast wütend an, aber dann zuckte er mit den gewaltigen Schultern. »Ganz wie Sie meinen«, sagte er.

Heidmann lauschte einen Moment lang angespannt auf irgendeinen Unterton von Drohung oder Verrat, schalt sich dann aber in Gedanken selbst einen Narren. Offenbar hatte er zu viele schlechte Kriminalfilme gesehen. Smith hatte es versucht und begriffen, daß sie tatsächlich im selben Boot saßen und nur verlieren konnten, wenn sie sich jetzt um Kompetenzen stritten.

»Wie wollen Sie vorgehen?« fragte er.

Smith machte eine Kopfbewegung; nicht zum Hotel, sondern auf die geschlossene Hecktür des Wagens. »Ich habe eine Einheit zur Hintertür geschickt«, sagte er, »und eine zweite auf das Dach. Sobald die Männer Stellung bezogen haben, schlagen wir zu.« Er schwieg einen Moment, in dem er die beiden Männer an den Überwachungsgeräten und ihre Apparaturen aufmerksam musterte, dann fuhr er fort: »Es wäre vielleicht gut zu wissen, wie viele Personen sich sonst noch im Haus aufhalten. Können Sie das herausfinden?«

»Wenn sie laut genug schnarchen, ja«, antwortete der Mann, der zuvor schon mit ihm gesprochen hatte. Heidmann zog strafend die Augenbrauen hoch, und er rettete sich in ein verlegenes Grinsen und sagte: »Ich werde es versuchen.«

»Gut.« Smith klopfte mit der flachen Hand auf die Tasche, in der er sein Walkie-Talkie hatte verschwinden lassen. »Dann geben Sie mir Bescheid, sobald Sie etwas herausgefunden haben.« Er wandte sich wieder direkt an Heidmann. »Sie und Ihre Männer sichern die Vordertür. Aber Sie unternehmen nichts, solange ich nicht das Kommando gebe.«

Es lag Heidmann auf der Zunge, zu widersprechen – niemand hatte diesem Amerikaner das Kommando über die Aktion erteilt, und möglicherweise war Smith' so plötzliches Nachgeben gerade gar kein Nachgeben gewesen, sondern nur eine andereTaktik. Aber dann fielen ihm gerade noch rechtzeitig seine eigenen Worte ein: Sie standen auf derselben Seite. Sie gewannen nichts, wenn sie sich stritten.

Smith schien seine Gedanken zu lesen, denn er sah ihn ungefähr zwei Sekunden lang stumm und sehr durchdringend an, ehe er in sehr viel leiserem, aber fast beschwörendem Tonfall fortfuhr. »Sie dürfen diesen Mann auf gar keinen Fall unterschätzen, Kommissar Heidmann. Es ist gefährlicher, als Sie es sich auch nur vorstellen können.«

»Ich weiß«, sagte Heidmann, aber Smith schüttelte erneut den Kopf.

»Nein, das wissen Sie nicht«, behauptete er. »Salid ist kein Mensch. Nicht in dem Sinne, in dem Sie das Wort benutzen. Er ist eine Maschine. Eine tödliche, präzise arbeitende Mordmaschine, die kein Gewissen, kein Zögern und keine Skrupel kennt. Halten Sie sich das in jeder Sekunde vor Augen. Er ist schon aus Situationen entkommen, die aussichtsloser erschienen als diese hier, und jedesmal hat er Tote zurückgelassen; meine Männer, seine eigenen Männer, Unbeteiligte, die einfach das Pech hatten, ihm im Weg zu stehen. Salid tötet, wie Sie eineTür öffnen oder einen Wagen starten. Vergessen Sie das niemals! «

Hätte er auch nur zwei Sekunden weitergeredet, hätte Heidmann ihn unterbrochen. Smith' Worte, so übertrieben sie auch klingen mochten, jagten ihm einen Schauer über den Rücken, und viel schlimmer war vermutlich noch die Wirkung, die sie auf die anderen Männer im Wagen hatten. Er war froh, als Smith sich herumdrehte und die Tür öffnete.

Trotzdem hielt er ihn noch einmal zurück. »Wie lange sind Sie schon hinter ihm her?« fragte er.

»Hinter Salid?« Smith' Gesicht verdüsterte sich, und etwas Ungutes erschien in seinen Augen. »Zu lange.«

Er ging, aber seine Worte hinterließen etwas in Heidmann; ein Wissen, auf das er lieber verzichtet hätte. Der Ausdruck, den er in den Augen des Amerikaners gesehen hatte, hatte ihn zutiefst erschreckt, denn er hatte ihm klargemacht, daß Smith mehr war als ein durchschnittlicher CIA-Agent, der einenTerroristen jagte, und Salid für ihn mehr als irgendein Verbrecher, den er zur Strecke zu bringen hatte. Er wußte nicht, was zwischen diesen beiden Männern vorgefallen war, und er würde es vermutlich auch niemals erfahren, aber eines wußte er plötzlich mit Sicherheit: Was immer heute nacht geschehen würde, was immer er tat oder versuchte, da waren Smith und Salid, und nur einer von diesen beiden würde die Nacht überleben.

»Das ist lächerlich«, sagte Brenner. Er hielt sich mit der linken Hand am Waschbecken fest und deutete mit der anderen auf Salid. »Von ihm hätte ich so etwas vielleicht noch erwartet, aber ich dachte, daß Sie etwas vernünftiger wären. Der Weltuntergang? Apokalypse Now? Nehmen Sie es mir nicht übel, Johannes, aber das ist einfach albern.«

»Aber es paßt alles zusammen«, protestierte Johannes. »Sehen Sie es denn nicht? Sind Sie denn blind? Es ist alles in den Offenbarungen aufgeschrieben, und sie erfüllen sich, eine nach der anderen! Wir haben nicht mehr viel Zeit! Die Welt steuert unaufhaltsam auf den Abgrund zu! «

»Das tut sie seit fünfzig Jahren«, erwiderte Brenner.

»Aber niemals so! « Johannes hob die Hand, wie um sie zur Faust zu ballen und auf denTisch zu schlagen, führte die Bewegung aber nicht zu Ende. »Begreifen Sie denn nicht? Es ist alles wahr, was in der Bibel steht. Johannes hat es uns offenbart, und seine Worte erfüllen sich! Lesen Sie es nach! Und es fiel vom Himmel ein großer Stern, brennend wie eine Fackel. Er fiel auf den drittenTeil der Flüsse und auf die Wasserquellen … und viele Menschen starben an den Wassern, weil sie bitter geworden waren. Die Engel haben begonnen, die sieben Siegel zu brechen. Nicht irgendwann, sondern jetzt. Und Alexander und seine Brüder wußten es. Sie haben sich darauf vorbereitet. Seit Jahrhunderten schon. «

»Es hat ihnen nur nicht viel genutzt«, antwortete Brenner. Johannes ignorierte seinen Einwurf. »Ich kann Sie vermutlich nicht von etwas überzeugen, woran Sie nicht glauben wollen«, sagte er. »Aber wenn Sie ehrlich zu sich selbst wären, würden Sie zugeben, daß ich recht habe. Machen Sie die Augen auf. Sagen Sie mir, was in der Welt geschieht, und ich sage