122098.fb2 Der Wiedersacher - читать онлайн бесплатно полную версию книги . Страница 52

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Aber er sah noch etwas: Die Rauchspuren, die die Bahn der Geschoßsalve markierten, verwehten diesmal nicht. Vielmehr veränderten sie langsam, von unten nach oben aufsteigend, ihre Farbe, wurden dunkler und irgendwie massiver, als hätte der Qualm brodelnde, zähe Substanz gewonnen. Die Straße fünf Meter unter der Maschine begann zu vibrieren, und dann löste sich auch dort etwas wie feiner, körniger Dunst und begann langsam in die Höhe zu steigen.

Obwohl die Luft über der Straße nahezu unbewegt war, schwankte die Maschine plötzlich, als wäre sie von einer Sturmböe getroffen worden. Vielleicht hatte der Pilot für einen Moment die Kontrolle über sie verloren, vielleicht hatten Salids Schüsse auch mehr Schaden angerichtet, als Brenner bisher geglaubt hatte. Der Pilot erlangte die Gewalt über den Helikopter schon nach einer Sekunde zurück, aber bis es ihm gelang, hatte sich die Position der Maschine ein wenig verändert; möglicherweise nicht einmal zufällig. Die Kanone unter dem Bug deutete jetzt wieder auf Salid, der dreißig Meter entfernt noch immer dastand und mit seiner Waffe auf den Hubschrauber zielte. Aus irgendeinem Grund schoß er nichtmöglicherweise aus dem ganz banalen Grund, daß er keine Munition mehr hatte, aber vielleicht war es auch mehr. Irgend etwas geschah hier. Etwas … Unvorstellbares spielte sich vor ihrer aller Augen ab, und Salid mußte es ebenso deutlich spüren wie Brenner und Johannes und vielleicht auch die Männer im Helikopter. Etwas Großes.

Brenner hielt den Atem an, als er sah, wie der Lauf der Maschinenkanone noch ein Stück weiter herumschwenkte als der Helikopter selbst und sich auf Salid richtete. Doch der Pilot feuerte ebensowenig wie der Palästinenser. Die Situation war fast absurd: Die beiden Kontrahenten standen sich gegenüber wie zwei Darsteller aus einem grotesken Western; zwei Duellanten, die in der Morgendämmerung herausgekommen waren, um einen Ehrenhändel zu Ende zu bringen. Es war ein höchst unfairer Vergleich: Auf der einen Seite ein einzelner Mann, mit nichts als seinen leeren Händen und einer Waffe, die so gut wie nutzlos war, auf der anderen eine der gefährlichsten Vernichtungsmaschinen, die je gebaut worden waren, ein Monstrum aus Stahl und Kunststoff, dessen Zerstörungskapazität ausreichte, um eine kleine Stadt auszulöschen. Und so begriff Brenner beinahe sofort die Allegorie, die in dieser Szene lag: Es war das klassische Bild. Der Kampf mit dem Drachen. Menschlicher Wille gegen die Urgewalt der Zerstörung; die beiden Kräfte, die die Welt seit Anbeginn der Zeiten vielleicht am nachhaltigsten verändert hatten.

Dann beschloß der Pilot offensichtlich, der grotesken Situation ein Ende zu setzen, und drückte den Auslöser. Die GatlinGun stieß ein sekundenlanges, schrilles Heulen aus, und rings um Salid explodierte die Straße.

Er selbst blieb unversehrt.

Das Wunder, das Brenner und Johannes ge rettet hatte, wiederholte sich. Rechts, links vor und sogar hinter Salid stoben meterhohe Flammensäulen in den Himmel, aber er selbst stand völlig unberührt da, beschützt von einer unsichtbaren, unvorstellbaren Macht, deren Anwesenheit Brenner jetzt stärker denn je spürte. Vielleicht war der Kampf, zu dem sie gegen ihren Willen angetreten waren, doch nicht so aussichtslos, wie er bisher geglaubt hatte. Sie waren nicht allein.

Die Flammen rings um Salid erloschen, aber was Brenner schon einmal beobachtet hatte, wiederholte sich: Die Rauchsäulen, die von der Straße hochstiegen, lösten sich nicht auf, obwohl die Rotoren des Hubschraubers einen wahren Sturmwind entfesselten, in dem sich Salid kaum noch auf den Beinen halten konnte und der selbst Brenner und Johannes gegen die Wand preßte. Den brodelnden Qualm ließen sie unversehrt. Vielleicht, weil es kein Rauch war …

Es waren die Insekten, der lebende Teppich, der die Straße auch hier überall bedeckte. Hunderte,Tausende, vielleicht Millionen der winzigen gepanzerten Heuschrecken entfalteten ihre Flügel und erhoben sich lautlos in die Luft, Dutzende winziger, sich drehender Windhosen aus Schwärze und glitzerndem Horn bildend, die dort aufstiegen, wo die Geschosse die Straße getroffen hatten. Auch der körnige Nebel unter dem Helikopter war dichter geworden und sah jetzt beinahe kompakt aus.

Auch der Pilot hatte das Phänomen nun endlich bemerkt, und vielleicht sah er noch viel deutlicher als Brenner und Johannes, was tatsächlich geschah. Die Turbine des Hubschraubers heulte plötzlich schrill auf. Die Maschine machte einen regelrechten Satz in die Höhe und zugleich auf Salid zu, begann sich gleichzeitig um die eigene Achse zu drehen und beschleunigte weiter.

Sie war nicht schnell genug. Der Pilot holte das Letzte aus seiner Maschine heraus, aber der lautlose Sturmwind war schneller. Aus den tanzenden Windhosen wurde eine einzige, brodelnde Masse, ein wirbelndes Chaos aus reiner Bewegung und lebendig gewordener Schwärze, die im Bruchteil eines Augenblicks zum Hundertfachen ihrer ursprünglichen Größe explodierte. Etwas wie eine gewaltige, dunkle Kralle schlug nach dem Helikopter und ließ ihn taumeln.

Die Maschine schwankte. Sie gewann noch immer an Höhe und schien sogar noch schneller zu werden, aber aus ihrem pfeilgeraden Aufstieg wurde ein torkelndes Schwanken, und das Motorengeräusch hörte sich plötzlich verändert an; schriller, unregelmäßiger und irgendwie mühevoll. Brenner konnte den Hubschrauber kaum noch richtig sehen. Er schwebte nach wie vor über der Straße, war aber plötzlich in einen Nebel aus tanzenden Schatten eingehüllt. Millionen, Millionen und Abermillionen winziger geflügelter Angreifer, die gegen den Rumpf prallten, an den Scheiben zerbarsten und den rasenden Wirbel der Rotoren zu unterbrechen versuchten, in die Ansaugöffnungen der Turbine krochen und zu Tausenden in den Auspuffschächten verglühten.

Brenner konnte nicht sehen, was letzten Endes geschah. Vielleicht war es den Heuschrecken irgendwie gelungen, in die Kanzel einzudringen und über die Besatzung herzufallen, vielleicht verstopfte die zusammenschmelzende Masse aus winzigen Körpern auch binnen Sekunden die Maschinen – das Motorengeräusch wurde noch schriller und begann jetzt eindeutig zu stottern. Die Maschine wankte, stand für einen Moment in der Luft still und drehte sich dann immer schneller und schneller um ihre eigene Achse, als hätten die Rotoren beschlossen, stillzustehen und statt dessen die Maschine darunter wie einen riesigen Kreisel rotieren zu lassen. Dann hörte das Motorengeräusch schlagartig auf.

Ein furchtbares, splitterndes Geräusch erklang, der Laut von zerreißendem Stahl und auseinanderberstenden Lagern, und in der nächsten Sekunde kippte der Hubschrauber auf die Seite und fiel dann wie ein Stein zu Boden. Er schlug weit jenseits der Betonmauer auf, die das Krankenhausgelände auf der anderen Straßenseite umgab. Eine fünfzig Meter hohe Flammensäule schoß in den Himmel und verwandelte sich für Sekunden in einen wabernden Pilz. Ein ungeheurer Donnerschlag erklang, und in weitem Umkreis regneten brennende Trümmerstücke zu Boden.

Brenner schloß für einen Moment die Augen. Das Krachen der Explosion hallte lange und unnatürlich verzerrt in seinen Ohren wider, und das Licht war für Momente so grell, daß es selbst durch seine geschlossenen Lider drang, als wolle es sich für alle Zeiten in seine Netzhäute einbrennen. Er hörte, wie Johannes neben ihm etwas zu stammeln begann – dem monotonen Singsang seiner Stimme nach zu vermuten wahrscheinlich ein Gebet – , aber verstand kein Wort davon. Nicht, weil Johannes undeutlich geredet hätte. Für eine Sekunde, nicht mehr, war es ihm, als hätte er verlernt, die menschliche Sprache zu verstehen. Der grelle Blitz und das ungeheure Krachen der Explosionen schienen ihn ein Stückweit aus der Wirklichkeit hinausgeschleudert zu haben, und es hätte vielleicht nur noch einer Winzigkeit bedurft, seinen Geist endgültig über die schwarze Klippe zu stoßen, an deren Rand er seit Stunden entIangtaumelte.

Aber er fing sich wieder; diesmal noch. Sein Bewußtsein hangelte sich langsam in die plötzlich so unsicher gewordenen Grenzen der Realität zurück, und plötzlich fand er sich zusammengekauert neben Johannes dahocken, in einer verkrümmten, schutzsuchenden Haltung, die Arme über den Kopf geschlagen und beide Knie dicht an die Brust gezogen. Es mußte wohl doch deutlich mehr als eine Sekunde verstrichen sein, denn das Grollen der Explosion war mittlerweile völlig verklungen, und Salid stand nicht mehr draußen auf der Straße, sondern beugte sich mit besorgtem Gesicht über ihn und redete offensichtlich schon eine geraume Weile auf ihn ein.

»Was ist los mit Ihnen?« fragte er. »Verdammt, Brenner, antworten Sie endlich! «

Brenner nahm vorsichtig die Arme herunter, blieb aber noch einen Moment lang in der gleichen, verschreckten Haltung sitzen. Er verspürte dieses Gefühl nicht wirklich, aber seine Körpersprache signalisierte Salid anscheinend, daß er Angst hatte, er würde ihn schlagen; denn nach einer winzigen Pause fügte Salid in beruhigendemTon hinzu:

»Ich tue Ihnen nichts. Keine Angst. Es ist vorbei.«

Brenner richtete sich zitternd auf. Salid mußte ihn stützen, und Brenner klammerte sich mit solcher Kraft an ihm fest, daß es dem Palästinenser weh tun mußte. Aber Salid wehrte sich nicht, sondern überzeugte sich erst davon, daß Brenner auch tatsächlich aus eigener Kraft auf den Beinen stehen konnte, ehe er seine Hand mit sanfter Gewalt beiseiteschob. »Wir müssen weiter«, sagte er.

Brenner nickte, und er setzte sich auch gehorsam in Bewegung und folgte dem Palästinenser, aber die Worte kamen ihm zugleich auch fast absurd vor. Weiter. Mit einem Male schien ihm dieser Begriff vollkommen leer, sinnlos. »Weiter« bedeutete, irgendwohin zu gehen, und er hatte plötzlich das Gefühl, daß es kein Irgendwo mehr gab, wohin sie gehen konnten. Seit er in dieser Nacht aufgewacht war – Großer Gott!

War es tatsächlich erst ein paar Stunden her, seit dieser Wahnsinn begonnen hatte? War das alles wirklich in einer einzigen Nacht passiert?! – war er von einem Moment des Irrsinns in den nächsten, furchtbareren gestolpert, immer in der festen Überzeugung, daß es nicht mehr schlimmer kommen konnte, und immer einen Augenblick davon entfernt, eines Besseren belehrt zu werden.

Das Furchteinflößendste von allem aber war vielleicht, daß er tief in seinem Inneren spürte, daß auch Salid längst nicht mehr wußte, wohin sie dieses Weiter führen würde. Sie hatten einen Kampf aufgenommen, der im gleichen Moment, in dem sie ihn begannen, bereits verloren gewesen war, vielleicht sogar, weil sie ihn aufgenommen hatten, und sie wußten schon lange nicht mehr, gegen wen sie eigentlich kämpften oder nach welchen Regeln. Die Ereignisse hatten längst die Kontrolle über ihr Handeln übernommen.

Er stolperte blindlings hinter Salid her und merkte nicht einmal, daß dieser stehenblieb, bis Salid den Arm ausstreckte und er unsanft dagegenlief. Erst dann registrierte Brenner, daß die Straße vor ihnen nicht mehr leer war. Ein Wagen kam auf sie zu; nicht sehr schnell, aber mit aufgeblendeten Scheinwerfern und heulendem Motor und außerdem nicht ganz gerade; der Fahrer war entweder verletzt oder betrunken, oder er hatte keine Ahnung vom Autofahren. Es kam Brenner fast absurd vor, daß er solche Details überhaupt noch bemerkte, aber auch seine Wahrnehmung der Dinge schien sich verändert zu haben.

Obwohl sich das Motorengeräusch nicht veränderte, sondern eher noch schriller zu werden schien, als das Fahrzeug näherkam, wurde es langsamer. Brenner sah aus den Augenwinkeln, wie Salid die – nutzlose, weil leergeschossene MN hob, sie aber nicht direkt auf den Wagen richtete, sondern nur in seine ungefähre Richtung. Der Wagen – ein Mercedes oder Ford-Van, das konnte er nicht genau erkennen schwenkte dicht vor ihnen zur Seite, vollführte eine ungeschickte Hundertachtzig-Grad-Drehung und stieß dann wieder ein Stück zurück. Der Motor ging aus. Brenner wartete darauf, daß jemand ausstieg, aber statt dessen geschah eine gute halbe Minute lang gar nichts. Dann wurde eine der beiden hinteren Türhälften aufgestoßen, und eine schlanke Gestalt in einem fleckigen hellen Mantel winkte ihnen hektisch zu.

»Steigt ein! Schnell! «

Nach allem Absurden, was geschehen war, erschien es Brenner fast schon wieder logisch, daß sie gehorchten, ohne auch nur eine Frage zu stellen. Salid überwand die Entfernung zum Van mit zwei, drei schnellen Schritten, sprang ins Innere des Wagens und drehte sich dann herum, um erst Johannes und dann Brenner beim Einsteigen behilflich zu sein. Er schloß die Tür hinter Brenner, überzeugte sich pedantisch davon, daß sie verriegelt war, und wandte sich erst dann an ihren geheimnisvollen Retter.

»Wer sind Sie?«

»Das ist jetzt egal.« Der Mann im Trenchcoat hatte sich schon wieder herumgedreht und war auf dem Weg nach vorne. Brenner sah jetzt, daß sein Mantel nicht wirklich schmutzig war, wie er anfangs geglaubt hatte. Er war zerfetzt und hier und da angesengt, aber die dunklen Flecken, die er für Schmutz gehalten hatte, waren eingetrocknetes Blut.

»Haltet euch fest. Ich werde ziemlich schnell fahren müssen. Und ich weiß nicht, ob sie uns verfolgen.«

Brenner gehorchte ganz automatisch, und auch Johannes und

–zu Brenners Überraschung – selbst Salid, wenn auch nach kurzem Zögern, ließen sich auf die schmale, ungepolsterte Bank auf der rechten Seite des Wagens niedersinken. Die gegenüber liegende Seite wurde von einem wuchtigen Metalltisch beherrscht, der sich über die gesamte Fahrzeuglänge zog und vonTonbandgeräten, Bildschirmen, Mikrofonen und allen möglichen anderen elektronischen Apparaturen nur so überquoll.

Der Fremde hatte mittlerweile das Führerhaus wieder erreicht, hinter dem Steuer Platz genommen und drehte den Zündschlüssel. Der Motor sprang erst beim dritten oder vierten Versuch an, dann aber mit einem schrillen Heulen, als der

Mann viel zu viel Gas gab. Brenners Vermutung, daß ihr Chauffeur wenig, wenn nicht überhaupt nichts vom Autofahren verstand, wurde fast zur Gewißheit, als sich der Wagen in Bewegung setzte – mit einem Ruck, der Johannes und ihn fast von der Bank geschleudert hätte. Salid hatte sich ein wenig besser in der Gewalt, aber er verdrehte die Augen, legte endlich die leergeschossene Waffe auf den Boden und balancierte geduckt und mit halb ausgebreiteten Armen nach vorne.

»Vielleicht wäre es besser, wenn ich fahre«, sagte er. »Wahrscheinlich«, antwortete der Mann am Steuer, ohne allerdings irgendeine Bewegung zu machen, um diese Erkenntnis in die Tat umzusetzen. Er nahm nicht einmal den Fuß vom Gas, sondern beschleunigte im Gegenteil noch mehr. Der Motor heulte protestierend auf, und der Van schoß mit einem so heftigen Schaukeln um die Kurve, daß Salid hastig an der Rückenlehne des Beifahrersitzes nach Halt suchte.

»Sie sollten in den nächsten Gang schalten«, sagte er. »Auf diese Weise lebt der Motor länger – und wir erregen vielleicht nicht ganz so viel Aufsehen.«

Der Fahrer tat, was Salid ihm geraten hatte, und prügelte den nächsthöheren Gang hinein – dem Geräusch nach zu urteilen, ohne die Kupplung zu benutzen.

»Sie sind kein sehr geübter Fahrer, wie?« fragte Salid.

»Ich hab' nicht einmal einen Führerschein«, gestand der Fremde. »Aber wenn wir angehalten werden, ist es trotzdem besser, wenn ich am Steuer sitze. « Er sah zu Salid hoch, während er dies sagte, und zum erstenmal sah Brenner sein Gesicht deutlicher; wenn auch im unheimlichen grünen Widerschein der Armaturenbeleuchtung. Trotzdem erschrak er zutiefst. Auch das Gesicht des Mannes war voller eingetrocknetem Blut. Quer über seine linke Wange zog sich eine klaffende, noch nicht völlig verkrustete Wunde, und was von seiner Haut überhaupt noch sichtbar war, war so bleich wie die eines Toten. Brenner sah hastig weg. Er wollte nicht wissen, welches Geheimnis diesen Mann umgab. Im Grunde wollte er nicht einmal wissen, warum er ihnen half.

Auch Salid schwieg für mehrere Sekunden, nachdem er ins Gesicht des Fremden geblickt hatte. Seine Stimme zitterte ganz leise, als er weitersprach, und Brenner bemerkte, daß er die Rückenlehne des Sitzes fester umklammerte, als nötig gewesen wäre.

»Wohin bringen Sie uns?« fragte er. »Zum Kloster«, antwortete der Fremde.

Der Donner der Explosion war längst erloschen, aber die Fensterscheibe schien noch immer unter Kenneallys Fingerspitzen zu vibrieren, und in seinen Ohren hatte das dumpfe Krachen, mit dem der Helikopter auf dem Boden aufschlug und in einem Flammenball auseinanderbarst, eher wie ein Schrei als wie eine Explosion geklungen. Er glaubte die Hitze zu spüren, welche hinter dem zuckenden Licht steckte, das noch immer hinter der Betonmauer auf der anderen Straßenseite loderte; so intensiv, daß seine Hände, die er gegen die Fensterscheibe preßte, plötzlich tatsächlich zu schmerzen begannen. Es war ihm nicht möglich, sie zurückzuziehen.

So wenig, wie es ihm möglich war, irgend etwas zu tun oder auch nur einen klaren Gedanken zu fassen. Alles, was er empfand, war Entsetzen. Diesmal hatte er gesehen, was geschah, und es gab keine Möglichkeit mehr, es irgendwie zu verleugnen. Die Dunkelheit war lebendig geworden und hatte den Helikopter vom Himmel gefegt, so, wie sie vorhin seine Leute von der Straße gefegt hatte – und die getötet, die er ins Haus geschickt hatte. Aber das war etwas anderes gewesen. Die Männer vorhin hatten gewußt, was sie taten. Sie waren sich des Risikos bewußt gewesen – vielleicht nicht der Tatsache, welchem Gegner sie wirklich gegenüberstanden, aber doch der, daß es sich um einen möglicherweise tödlichen Feind handelte. Letztlich spielte es keine Rolle, ob sie von einem palästinensischen Terroristen oder einer mystischen Macht getötet worden waren.

Die beiden Piloten dort drüben waren ahnungslos gewesen. Sie hatten sich in der Sicherheit ihrer unbesiegbaren Vernichtungsmaschine gewähnt und nicht einmal gewußt, was sie erwartete; mehr noch – hätten sie gewußt, was sie wirklich taten, hätten sie Kenneallys Befehl bestimmt nicht befolgt, sondern eher ihn aufs Korn genommen als die drei Männer dort unten auf der Straße. Er hatte sie belogen. Ebensogut hätte er seine Pistole nehmen und sie eigenhändig erschießen können.

Seltsam – Kenneally hatte sich nie viele Gedanken um die Menschen gemacht, die er befehligte und bisweilen in den fast sicheren Tod schicken mußte. Wie viele seiner Kollegen war Kenneally schon vor Jahren zum Zyniker geworden, für den Menschenleben nichts als eine Verfügungsmasse waren, mit der man fast nach Belieben umgehen konnte; etwas von – wenn überhaupt – materiellem Wert, der sich aus den Kosten für Ausbildung, Equipment und den möglichen Regreßansprüchen eventueller Hinterbliebener errechnete. Zum allererstenmal hatte er das Gefühl, mehr als eine Sache zerstört, sondern mit diesen beiden Leben etwas auf sein Gewissen geladen zu haben, das vielleicht zu schwer wog, um noch damit fertig zu werden. Was geschah mit ihm? Was waren das für Gedanken?

Kenneally schloß für einen Moment die Augen und preßte die Stirn gegen das Glas, aber es nutzte nichts. Zwischen seinen Schläfen tobte ein Chaos aus unbekannten, erschreckenden Empfindungen und Bildern, die zu gräßlich waren, um sie zu ertragen, und vor denen er die Augen doch nicht schließen konnte, denn sie spielten sich hinter seinen Lidern ab. Was war das? Verlor er den Verstand?

Nein. Du hast nur gelernt, zu sehen.

Er hörte die Stimme nicht wirklich. Nicht auf die Weise, auf die er sein Leben lang gehört hatte, und im ersten Moment nahm er die Worte nicht einmal wirklich wahr, sondern hielt sie einfach für einen Teil des emotionalen Wirbelsturmes, der durch sein Gehirn fegte. Aber es war etwas darin, das zu gleichen Teilen unendlich fremd und anders als auch auf fürchterliche Weise vertraut war. Kenneally öffnete die Augen. Er wünschte sich, es nicht zu tun, aber er konnte nicht anders.

Er war nicht mehr allein. Das Gefühl, beobachtet zu werden, das ihn die ganze Zeit über gequält hatte, wich schlagartig dem Wissen, daß jemand hinter ihm stand. Er sah nur einen Schatten, einen verzerrten Reflex auf der Fensterscheibe, der sich im züngelnden Licht der Flammen auf unheimliche Weise zu bewegen schien, und trotzdem wußte er sofort, wer es war.

»Was willst du?« stöhnte er. »Geh. Laß mich in Frieden! Geh! «

Die Gestalt, die Smith war, obwohl sie es nicht sein konnte, bewegte sich einige Schritte weit auf ihn zu und wurde nun auch in der Spiegelung auf dem Glas zu einem Körper.Trotzdem war etwas an ihr auf grauenerregende Weise falsch.