122162.fb2 Die Herren der Tiefe - читать онлайн бесплатно полную версию книги . Страница 11

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Sie sahen die merkwürdige Riesenstadt wieder, als sie die Hütte umrundet hatten und den Hügel auf der gegenüberliegenden Seite hinunterzugehen begannen. Aus der Nähe betrachtet, wirkte sie noch unheimlicher und fremdartiger als vor drei Tagen, obwohl er noch immer keine Einzelheiten erkennen konnte. Die bizarren Türme und Gebäude blieben auch in der Nähe, was sie von weitem gewesen waren:verschwommene Schatten von sonderbar beunruhigendem Äußerem, die hinter einer Art Nebel verborgen zu sein schienen, der sich jedem direkten Blick entzog. Es war einfach so, daß das, was man ansehen wollte, immer gerade ein Stück hinter der Grenze des eben noch klar Erkennbaren zu liegen schien. Alles, was er wirklich erfassen konnte, war ein vager Eindruck von Größe, von gigantischen Mauern und noch gigantischeren Türmen und Gebäuden.

Und diese Stadt war eindeutignichtihr Ziel.

Mike begriff es erst, als sie schon fast die halbe Strecke zurückgelegt hatten. Der Weg wand sich in engen Kehren und Schleifen den Hang hinab, und allmählich gerieten die Türme und Mauern der Riesenstadt außer Sicht. Anfangs war er auch noch viel zu sehr damit beschäftigt, ihre fremdartige Umgebung zu mustern: Was er gestern für Gras und ganz normale Büsche gehalten hatte, das entpuppte sich bei näherem Hinsehen als eine Vegetation, wie es sie nirgendwo sonst auf der Erde zu geben schien

– zumindest hatte Mike niemals davon gehört. Was wie Gras aussah, das erwies sich als weicher, dicht gewebter Teppich aus einer Art Algen, auf dem sich sehr angenehm gehen ließ, der sich aber auch immer ein wenig feucht anfühlte und der bei jedem Schritt merklich unter ihrem Gewicht federte. Die Büsche waren große, in bunten Farben leuchtende Korallengewächse, und das gleiche galt für die Bäume: Es waren keine Bäume, sondern riesige Seeanemonen und -rosen, die in dichten Gruppen beieinanderstanden und eine Art Wald bildeten, der einen Großteil des Hügels bedeckte.

An seinem Fuß schlängelte sich ein schmaler, sehr schnell fließender Bach entlang, über den eine gemauerte Brücke führte. Als Denholm und seine Begleiter sie betraten, blieb Mike stehen und deutete dorthin, wo sich die Türme der Riesenstadt über die Wipfel des Korallenwaldes erhoben. Der Weg, der an die Brücke anschloß, führte genau in die entgegengesetzte Richtung.

»Wieso gehen wir nicht dort entlang?« fragte er.

Auch die anderen blieben stehen. Ein überraschter Ausdruck erschien auf Denholms Gesicht, als er erst ihn, dann Trautman ansah. »Du hast es ihm nicht erzählt?« fragte er.

»Es hat sich noch keine günstige Gelegenheit dazu ergeben«, antwortete Trautman ausweichend.

Denholm sah nicht besonders begeistert drein. Aber er ging nicht auf das ein, was Trautman gesagt hatte, sondern wandte sich direkt an Mike.

»Nein, wir gehen nicht dorthin«, sagte er. »Das ist dieAlte Stadt.Wir betreten sie nie, wenn es nicht unbedingt nötig ist. Es ist gefährlich.«

»Gefährlich?«

»Die Fischmenschen leben dort«, erklärte Denholm. »Sie sind unsere Feinde. Aber keine Angst«, fügte er schnell hinzu. »Sie kommen nur sehr selten hierher. DieAlte Stadtliegt auf der anderen Seite der Bucht, und der Weg ist sehr weit.«

»Eure Feinde, so«, murmelte Mike, als sie weitergingen. »Gibt es da vielleicht noch ein paar Kleinigkeiten, die Sie mir noch nicht erzählt haben, Trautman?«

»Ja«, gestand Trautman, ohne ihn anzusehen. »Aber du wirst gleich alles selbst sehen. Das ist viel einfacher, als es dir zu erklären.«

Das war nicht das, was Mike hören wollte – aber er kannte Trautman auch gut genug, um zu wissen, daß es das einzige war, war er jetzt hörenwürde,und so faßte er sich in Geduld, so schwer es ihm auch fiel.

Der Weg war nicht mehr sehr weit. Auf einer Strecke von fünf oder sechs Minuten wurde der seltsame Korallenwald noch einmal so dicht, daß sie schließlich am Grunde eines in den leuchtendsten Farben schimmernden Tunnels entlangzugehen schienen, dann traten die Bäume wieder auseinander, und vor ihnen breitete sich eine gut zwei Meilen messende, kreisrunde Lichtung aus, auf der Denholms Stadt lag.

Um ein Haar hätte Mike vor Enttäuschung laut aufgestöhnt.

Was Denholm in einem Anfall von Größenwahn alsStadtbezeichnet hatte, das war eine Ansammlung ärmlicher, primitiver Hütten, die aus Holz, Korallen, grünen Blättergewächsen, Treibholz und einer Menge anderer nur vorstellbarer abenteuerlicher Materialien zusammengesetzt war. Keine derBehausungen glich der anderen, keine war höher als ein Stockwerk, und keine hatte auch nur Ähnlichkeit mit etwas, was Mike mit gutem Gewissen alsHausbezeichnet hätte.

»Das ist… eure Stadt?« fragte er zögernd.

»UnsereStadt«, korrigierte ihn Denholm. »Auch ihr werdet hier leben – wenn ihr es wollt. Natürlich könnt ihr euch auch woanders ansiedeln, aber die meisten ziehen es vor, sich einen Platz hier in der Stadt zu suchen. Unsere Gemeinschaft legt großen Wert auf Zusammenhalt, mußt du wissen. Aber wir zwingen niemanden.«

»Wie beruhigend«, murmelte Mike. Er wußte nicht, ob er in Tränen oder in schallendes Gelächter ausbrechen sollte. Aber er verstand jetzt, warum ihm Trautman bisher nichts von dieserStadterzählt hatte.

Offenbar hatte er sich nicht so gut in der Gewalt, wie er selbst glaubte, denn Denholm fuhr in entschuldigendem Tonfall fort: »Ich weiß, auf den ersten Blick sieht sie klein aus und ein wenig einfach. Aber du darfst dich nicht vom äußeren Anschein täuschen lassen. Wir haben hier alles, was wir brauchen

– Wasser, ausreichend Nahrung und einen sicheren Platz für jeden. Und der Wald bietet uns einen besseren Schutz vor den Fischmenschen, als jede künstliche Festung es könnte. Du kannst dir alles in Ruhe ansehen und später entscheiden. Wir haben Zeit genug.«

Als sie weitergingen, erkannte Mike mehr Einzelheiten – aber wenig davon war dazu angetan, seine Stimmung zu heben. Die Stadt im Korallenwald bestand nach wie vor aus baufälligen Hütten, in denen ärmlich aussehende Menschen in zerlumpten Kleidern hausten. Das einzige, was nicht zu diesem Eindruck zu passen schien, war die fast überschäumende Fröhlichkeit der Menschen hier: Wohin Mike auch blickte, sah er in lachende oder zumindest lächelnde Gesichter, sah er spielende Kinder und Erwachsene, die beieinander standen und sich gutgelaunt unterhielten oder ihnen fröhlich zuwinkten. Scherzworte wurden Denholm zugerufen, und aus vielen Hütten drangen fröhliche Stimmen und Gelächter. Vielleicht war es gerade der krasse Unterschied zwischen der äußeren Armseligkeit des Anblickes, den die Stadt bot, und dem fröhlichen Wesen ihrer Bewohner, der ihn so verwirrte. Auf jeden Fall behielt er das, was ihm eigentlich auf der Zunge lag, als Denholm ihn nach einer Weile fragte, wie ihm denn die Stadt nun gefiele, erst einmal für sich und rettete sich in ein verlegenes Lächeln und ein Achselzukken. Das war zwar eindeutig nicht die Art von Antwort, die Denholm hatte hören wollen, aber der Anführer des Volkes lies sich seine Enttäuschung nicht anmerken und fuhr fort, Mike und die anderen herumzuführen und ihnen dies oder das zu erklären.

Es gab vier oder fünf Dutzend Häuser, in denen alles in allem nicht einmal dreihundert Menschen leben konnten. Und der Bach, den sie vorhin überquert hatten, floß am jenseitigen Ende der Lichtung dahin und versorgte die Menschen mit Frischwasser, und im umliegenden Korallenwald gab es Nahrung imÜberfluß. Die sonderbaren Bäume trugen fremdartige, aber äußerst wohlschmeckende Früchte in solchen Mengen, daß davon auch noch die dreifache Anzahl von Menschen satt geworden wäre, und wem dies noch nicht reichte, der konnte zum Hafen hinuntergehen und dort fischen. Da es weder Jahreszeiten noch so etwas wie schlechtes Wetter gab, bestand auch keine Notwendigkeit, die Gebäude fester zu bauen, als sie es getan hatten.

Mikes Ungeduld wuchs von Minute zu Minute, und es fiel ihm immer schwerer, Denholm zuzuhören. Es war nicht so, daß ihn das, was dieser ihm sagte, nicht interessiert hätte. Aber das alles war nicht die Antwort auf die Fragen, die ihm auf der Seele brannten. Und schließlich unterbrach er den Redefluß ihres Führers und stellte die Frage, die ihn am meisten bewegte: »Wo ist Serena? Du hast gesagt, ich würde sie Wiedersehen.«

Strenggenommen hatte Denholm das nicht, und er schien auch nicht bereit zu sein, über Serenas Aufenthaltsort Auskunft zu geben. »Ich weiß nicht, ob wir sie jetzt stören sollten«, sagte er ausweichend.

»Stören?« fragte Mike. »Wobei?«

Denholm wich seinem Blick aus. »Trautman hat mir bereits erzählt, daß du eine… sagen wir: besondere Verbindung zu ihr hast«, meinte er vorsichtig. »Aber weißt du, für uns ist sie auch etwas Besonderes. EtwasganzBesonderes sogar.«

»Wieso?« fragte Mike.

»Komm mit«, sagte Denholm. »Am besten, du siehst es dir selbst an.« Er wandte sich um und ging auf einen runden, halb aus Holz und Korallengewächsen, zum Teil aber auch aus Stein errichteten Bau am südlichen Ende der Lichtung zu. Das Gebäude war Mike bereits aufgefallen, aber er hatte noch keine entsprechende Frage gestellt, denn er hatte angenommen, daß Denholm ihm schon noch von sich aus erzählen würde, welche Bewandtnis es damit hatte.

Trautman, Singh und Ben folgten ihnen, während Andre, Juan und auch Chris sich in die entgegengesetzte Richtung aufmachten. Mike warf ihnen einen fragenden Blick nach, den Trautman lächelnd beantwortete: »Wir treffen sie später wieder. Sie gehen sicher zu Malcolm und seiner Familie.«

»Malcolm?«

Diesmal war es Denholm, der antwortete, und zwar in hörbar stolzem Ton: »Deine Kameraden haben bereits Freunde hier bei uns gefunden. Ich bin sicher, daß es dir bald ebenso ergeht.«

Mike teilte diese Zuversicht nicht im mindesten. All diese lachenden Gesichter, die fröhlich spielenden Kinder, die freundlichen Erwachsenen… das alles war ihm beinahe schonzuviel. Aber vielleicht bin ich auch ungerecht, dachte er. Ich sollte diesen Leuten hier wenigstens eine Chance geben, meine Sympathie zu erringen.

Als sie das Gebäude betraten, konnte er im ersten Moment so gut wie gar nichts sehen. Das Dach war so weit wie alle anderen hier davon entfernt, dicht zu sein, so daß das künstliche Licht der unterseeischen Welt durch zahllose Ritzen und Spalten hereindrang, aber diese Beleuchtung hatte einen sehr sonderbaren Nebeneffekt: Das Licht, das in dünnen Streifen und Bahnen von der Decke strömte, zerschnitt den Raum in ein ungleichmäßiges Schachbrettmuster aus Hell und Dunkel, in dem Mike im ersten Moment überhaupt nichts erkannte. Erst als Denholm an ihm vorbeiging und ihn mit einer Geste aufforderte, ihm zu folgen, begann aus den Schatten Umrisse zu werden. Es war kein Wohnhaus, kein Gebäude fürMenschen,sondern wohl viel mehr eine Art Lager. Mike erkannte eine Anzahl großer Kisten und Schränke, und an der Wand neben der Tür stand sogar eine uralte Glasvitrine, die wohl wie das meiste hier aus einem der gestrandeten Schiffe stammen mußte.

»Dies hier ist unser…« Denholm zögerte, und ehe er weitersprach, stahl sich ein flüchtiges Lächeln auf seine Lippen.»Museum,wenn du so willst. Wir haben in diesem Raum alles zusammengetragen, worauf sich unser Wissen über die ursprünglichen Bewohner dieser Welt stützt.«

Die Worte weckten Mikes Neugier, und so trat er an die gläserne Vitrine heran und betrachtete ihren Inhalt. Es war eine Enttäuschung. Was dort sorgsam auf kleinen blauen und roten Samtkissen ausgelegt war, das kam ihm auf den ersten Blick wie ein sinnloses Sammelsurium aus Stein-und Metallsplittern, aus verbogenen Trümmern und mit sinnlosem Gekrakel bedeckten Papierfetzen vor.

»Es ist nicht viel«, sagte Denholm. »Die ersten Menschen, die hier herunterkamen, fanden diese Welt fast so vor, wie du sie auch heute noch siehst. Vor uns müssen andere hiergewesen sein, aber sie haben nicht viel hinterlassen. Das da ist alles, was wir im Laufe der Jahrhunderte von ihnen gefunden haben.« Er machte eine ausholende Geste, die die Vitrine und das halbe Dutzend Truhen und Kisten einschloß, und Mike trat von dem Glasschrank zurück und begutachtete der Reihe nach auch den Inhalt der anderen Behältnisse. Es gab etwas, was an einen verbeulten und fast bis zur Unkenntlichkeit verrosteten Taucherhelm erinnerte, wie sie sie auch an Bord der NAUTILUS hatten, ein paar Fetzen eines seltsam metallisch schimmernden Stoffes und noch das eine oder andere, das ihm vage bekannt vorkam. Das allermeiste jedoch ergab für ihn weder einen Sinn, noch schien es in irgendeiner Weise interessant – und wirkte schon gar nicht wie die Hinterlassenschaft eines Volkes, das mächtig genug gewesen sein mußte, diese künstliche Welt am Grunde des Meeres zu schaffen.

»Und was«, begann er zögernd, »hat das alles mit Serena zu tun?«

Denholm lächelte. Er wies auf die hintere Wand des Gebäudes, die einzige, die aus gemauertem Stein bestand. Der Vorhang aus Licht und Schatten entzog sie noch immer Mikes Blicken, aber auf Denholms Aufforderung hin trat er langsam darauf zu.

Jetzt erlebte er wirklich eine Überraschung. Was ihm auf den ersten Blick wie die willkürlichen Unebenheiten der steinernen Oberfläche vorgekommen war, das entpuppte sich bei näherem Hinsehen als ein gewaltiges, mit großer Kunstfertigkeit in die zwei Meter hohe und sicherlich dreimal so breite Wand hineingemeißeltes Relief. Er sah Bilder von Menschen und Tieren, einige davon vertraut, andere aber so fremdartig und erschrekkend, daß er sich weigerte zu glauben, daß es irgendwo auf dieser Welt Wesen wie die hier abgebildeten geben konnte, Bilder von Städten und Gebäuden, von Maschinen und Fahrzeugen, von Schiffen. Und dieses gewaltige Relief war mehr als nur ein beeindruckendes Kunstwerk. Es erzählte eine Geschichte. Und

auch, wenn er sie nicht wirklich zu verstehen imstande war, so

begriff er doch ihre Bedeutung.

Vielleicht, weil er vieles von dem, was er da vor sich hatte, kannte. Er hatte nichts davon jemals wirklich gesehen, und trotzdem war ihm das allerwenigste fremd.

Der Gedanke war so verwirrend, daß ihm im ersten Moment schwindelte. Wie konnte er sich an etwas erinnern, was er niemals gesehen hatte? Und als wäre dieser Gedanke ein Auslöser gewesen, begriff er plötzlich, daß das nicht stimmte. Erhattediese Dinge schon einmal gesehen, nicht mit seinen eigenen Augen, aber in den Visionen, die ihn geplagt hatten, als er im Fieber lag und Astaroths Träume teilte. Was das Bild zeigte, das ähnelte verblüffend dem, was ihm der Geist des Katers über das versunkene Atlantis gezeigt hatte.

Zwei Dinge erregten seine besondere Aufmerksamkeit. Das eine war etwas, was er zuerst für die ungeschickte Abbildung eines großen Fisches hielt, bis es ihm wie Schuppen von den Augen fiel und ihm klar wurde, wieso ihm die schlanken Linien, die mächtige, kantige Schwanzflosse und der gezackte Speer an seinem vorderen Ende so vertraut vorkamen. Das Bild zeigte die NAUTILUS; oder zumindest ein Schiff, das ihr zum Verwechseln ähnlich sah. Aber noch ehe er aus dem Erstaunen heraus war, gewahrte er eine zweite Darstellung, die ihm noch viel vertrauter vorkam und bei deren Anblick er erschrocken zusammenfuhr.

Eine der menschlichen Figuren war übergroß. Sie befand sich genau in der Mitte des Bildes, und sie zeigte eine schlanke Frauengestalt in einem langen, fließenden Gewand und mit schulterlangem, gelocktem Haar – und mit Serenas Gesicht!

»Aber das ist doch nicht möglich!« murmelte er.

»Dieser große Stein stand bereits hier, als die ersten unserer Vorfahren eintrafen«, sagte Denholm. Er hatte die Stimme zu einem fast ehrfürchtig klingenden Flüstern gesenkt. »Niemand weiß, wer ihn hier aufgestellt hat und warum. Aber die Geschichte, dieererzählt, ist die des Volkes, das all das hier erschaffen hat.«